25.03.2024

Es ist Zeit, den eigenen Gashahn aufzudrehen

Von Thilo Spahl

Titelbild

Foto: InfraServ Knapsack via WikiCommons / CC BY-SA 3.0

Europa sollte sich bei der Gasförderung ein Beispiel an den USA nehmen.

Anfang Februar schlugen deutsche Medien Alarm. „Biden dreht plötzlich den Gashahn zu“, titelte der Focus. Die US-Regierung mache „den Gas-Hoffnungen der Ampel einen dicken Strich durch die Rechnung.“ Ebenso die F.A.Z.: „Amerika dreht den Gashahn zu.“

Schaut man sich an, was tatsächlich passiert, besteht kein Grund zur Sorge. Die USA bauen ihre Exportkapazitäten keineswegs ab, sondern in den nächsten Jahren erheblich aus. Bidens vorläufiger Bewilligungsstopp für weitere Exportgenehmigungen in der ferneren Zukunft sollen ihm in erster Linie einige Wählerstimmen im November sichern. Was danach passiert, wird sich zeigen.

Der kleine Überschriften-Alarm in der deutschen Presse ist aber ein willkommener Anlass, sich einmal das Thema Gasversorgung genauer anzuschauen. Deutschland hatte bis vor zwei Jahren bekanntlich die Strategie, auf Pipeline-Gas aus Russland zu setzen, für die vor allem der Preis sprach. Das Gas war sehr billig. Und das war sehr praktisch für Deutschland. Wir verbrauchen nämlich ziemlich viel Gas: fürs Heizen, für die chemische Industrie und für die Energiewende. Weil jedes neue Windrad und jedes neue Solarpanel unsere Stromversorgung ein bisschen weniger stabil macht, sollte der steuerbare Teil der Stromerzeugung kräftig ausgebaut werden. Gas sollte Kohle und Kernenergie ersetzen. Das ist noch immer der Plan. Nur das billige Gas ist uns abhandengekommen. Und angeblich wollen wir es auch gar nicht mehr. Denn bald soll’s bekanntlich der Wasserstoff richten, zumindest in der Fantasie von Herrn Habeck.

„Gas ist vor allem dann preiswert, wenn es dort, wo es gebraucht wird, selbst gefördert wird.“

Gas ist vor allem dann preiswert, wenn es dort, wo es gebraucht wird, selbst gefördert wird oder wenn es per Pipeline angeliefert wird. Teuer ist es, wenn es in teuren Anlagen auf unter minus 160 Grad gekühlt wird, um dann in flüssiger Form als LNG (liquefied natural gas) in teuren Schiffen transportiert und am Zielort in teuren Anlagen wieder in gasförmigen Zustand gebracht zu werden. Deshalb ist Gas in den USA, wo mehr erzeugt als benötigt wird, billig. Und in Deutschland ist es eben teuer, im Moment etwa dreimal so teuer. Wir fördern nur etwa fünf Prozent unseres Gases selbst, rund 90 Prozent importieren wir (per Pipeline) aus Norwegen sowie den Niederlanden und Belgien. Direkt in Deutschland angelandetes LNG machte im letzten Jahr etwa sieben Prozent der Importe aus.

Gas aus den USA

Tatsächlich stammten insgesamt im Jahr 2023 nur neun Prozent der Gasimporte Deutschlands aus den USA und der vorläufige Bewilligungsstopp ist für uns überhaupt kein Problem. Denn die bereits von der US-Regierung genehmigten Exporte liegen bei mehr als dem Dreifachen der aktuellen Kapazitäten und etwa dem Vierfachen der aktuellen LNG-Produktion und würden sich dann auf rund die Hälfte der gesamten Gasförderung in den USA belaufen. Es kann also keine Rede davon sein, dass der Gashahn zugedreht wird.

Das US-Energieministerium stellt klar, warum es – abgesehen von den wahlkampftaktischen Erwägungen – gute Gründe geben kann, das Ausbautempo der Exportinfrastruktur zu bremsen: „Wenn wir die Analysen jetzt aktualisieren, sind wir besser in der Lage, Exportgenehmigungen zu vermeiden, die die Energieverfügbarkeit hier im Lande verringern, unsere Wirtschaft untergraben und die Folgen des Klimawandels verschlimmern.“ Es verweist auf eine Prognose, der zufolge eine Steigerung der Exporte die Preise im Inland steigen lassen wird. Und im Gegensatz zu uns verfolgt die US-Regierung, selbst unter Biden, nicht das Ziel, Energie immer teurer zu machen. Argument Nummer drei, Klimaschutz, sollte wir nicht so ernst nehmen. Dass die USA ihr Gas, statt es zu exportieren, für immer unter der Erde lassen, ist wenig wahrscheinlich. Sie werden im eigenen Land genug Verwendung dafür finden.

Es geht also darum, die Preise in den USA nicht steigen zu lassen. Das wäre auch nicht schlau. Deutschland hat auf billiges Gas gesetzt. Die US-Wirtschaft ist aber ebenso auf billiges Gas ausgerichtet. Nur mit dem großen Vorteil, dass es ihr eigenes Gas ist. Natürlich verkauft man das auch gerne im Rest der Welt. Das verstärkte Interesse der Öl- und Gasindustrie an Exporten ist wenig verwunderlich. Die Gaspreise in den USA sind aufgrund des üppigen Angebots und der Förderung vor Ort sehr viel niedriger als fast überall sonst. Mit Exporten kann man im Ausland mehr Geld verdienen und durch den Abbau des Überangebots auch im Inland die Preise steigern. Für den Rest der Industrie, der Gas kauft und nicht verkauft, ist die Sichtweise aber eine ganz andere. Und da es sehr viel mehr Käufer von Gas gibt als Verkäufer, ist es aus Sicht der Politik naheliegend, auch die Interessen der Käufer zu berücksichtigen.

„Deutschland hat auf billiges Gas gesetzt. Die US-Wirtschaft ist aber ebenso auf billiges Gas ausgerichtet. Nur mit dem großen Vorteil, dass es ihr eigenes Gas ist.“

Die deutsche Regierung fährt im Gegensatz dazu seit langem die Strategie, Energie zu verteuern. Die Auswirkungen des Überfalls Russlands auf die Ukraine passten einerseits sehr gut in diese Strategie. Die vorübergehend extreme Verteuerung des Erdgases war die beste Werbung für das Heizungsgesetz, das ja in erster Linie dazu dienen soll, das Heizen mit Gas durch ein Heizen mit Strom zu ersetzen, das bis vor Kurzem als indiskutabel, weil viel zu teuer, galt. Außerdem konnte man endlich, zumindest vorübergehend, ohne zu lügen behaupten, dass Strom aus Wind und Sonne viel billiger seien. Andererseits werden hohe Energiepreise auch für die, die hohe Preise (für böse Energie) in der Theorie super finden, in der Praxis schnell zum Problem. Und diese einfache Tatsache in Gestalt von Deindustrialisierung und Konsumzurückhaltung gilt auch und insbesondere für Kanzler und Wirtschaftsminister.

Während die deutsche Regierung beim Heizen den Ausstieg aus dem Gas zum obersten Ziel erklärt hat, steht bei der Stromerzeugung erstmal ein Ausbau an und da hätte man es dann doch lieber nicht so teuer. Denn die Atomkraftwerke sind abgeschaltet, die Kohlekraftwerke sollen abgeschaltet, Heizen und Autofahren sollen elektrisch werden, und irgendwo muss der Strom ja herkommen. Deshalb sollen jetzt mal eben 50 neue Gaskraftwerke gebaut werden. Wie schnell das gelingt, wird man sehen. Denn wenn man will, dass Gaskraftwerke gebaut werden, gleichzeitig aber sagt, dass sie möglichst bald entweder gar nicht mehr oder nur noch ein bisschen in Zeiten der Dunkelflaute oder mit teurem Wasserstoff betrieben werden sollen, dann ist das für einen Investor nicht gerade verlockend. Infrastrukturinvestitionen erfordern langfristige Sicherheit, nicht Unwägbarkeiten ohne Ende. Letztlich wird das dazu führen, dass nur gebaut wird, wenn der Staat Dauersubventionen garantiert.

Klimaneutralität jenseits von Sonne und Wind

Das Problem ist, dass deutsche Politiker und die um sie versammelte Entourage an Energieexperten das falsche Ziel verfolgen. Wenn es Ihnen um Klimaschutz gehen würde, würden sie pragmatisch die Wege verfolgen, die es ermöglichen, mit möglichst wenige Geld die Treibhausgasemissionen möglichst stark zu reduzieren. Ihr eigentliches Ziel ist aber, zu beweisen, dass der Ausbau von Wind- und Solarenergie die Lösung aller unserer Problem darstellt – koste es, was es wolle.

Wir sollten jetzt die Entscheidung treffen, das Gerede vom Wasserstoff zu beenden und neben Kernenergie auf Erdgas zu setzen und endlich die Technologien zum Einsatz zu bringen, die uns dennoch erlauben, die Emissionen weiter zu reduzieren. Man kann emissionsfreie Gaskraftwerke bauen. Eine besonders interessante Lösung habe ich im Artikel „Energiewende mit Kohle und Gas" beschrieben. Wind und Sonne sind als Teil des Energiemixes brauchbar, werden aber aufgrund ihrer zwei großen Schwächen, dem hohen Material- und Flächenverbrauch sowie der hohen Fluktuation, immer nur Beiwerk bleiben. Sie tragen heute in Deutschland mit etwa 12 Prozent zum Energieverbrauch (Primärenergie Substitution) bei. Da geht schon noch ein wenig mehr, aber der deutlich größere Teil wird auch in Zukunft aus anderen Quellen stammen.

„Europa hat die eigene Förderung lange vernachlässigt. Erdgas zu fördern ist billig. Ein großer Teil der Kosten für den Gaskunden entsteht durch Transport und Lagerung.“

Und wir sollten auf heimisches Gas setzen. Europa hat die eigene Förderung lange vernachlässigt. Erdgas zu fördern ist billig. Ein großer Teil der Kosten für den Gaskunden entsteht durch Transport und Lagerung. Entsprechend werden rund 75 Prozent des weltweit geförderten Gases in der Förderregion verbraucht und nur ein Viertel, jeweils etwa zur Hälfte als LNG oder per Pipeline, exportiert. Die EU und insbesondere Deutschland haben bekanntlich auf billiges Pipeline-Gas aus Russland gesetzt und zu dessen Gunsten auf die eigene Förderung zunehmend verzichtet. Diese ist seit ihrem Höhepunkt Mitte der 1970er Jahren bis heute in absoluten Zahlen etwa auf ein Drittel gefallen, während sich der Verbrauch etwa verdoppelt hat, so dass rund 80 Prozent importiert werden muss. Deutschland kann gerade einmal etwa fünf Prozent des Bedarfs noch aus eigener Förderung decken. Noch vor 20 Jahren waren es 20 Prozent.

Ein Blick in die USA zeigt, dass es auch anders geht. Dank der Fracking-Revolution ist Amerika mit etwa 23 Prozent Anteil an der globalen Produktion mit großem Abstand vor Russland zum größten Gasförderer der Welt und vom Importeur zum Exporteur geworden (wobei Russland allerdings weitaus größere Reserven hat). Im Jahr 2023 haben die USA Katar und Australien überholt und sind auch zum größten LNG-Exporteur geworden. Dank Fracking sind die Erdgaspreise in den USA heute auf dem niedrigsten Stand seit fast 30 Jahren, und viele Kohlekraftwerke wurden stillgelegt und durch erdgasbefeuerte Anlagen ersetzt, die weniger CO2 und weitaus weniger Feinstaub produzieren als ihre Vorgänger.

Auch in Deutschland wird es Zeit für die Gaswende. Bis zu 2,3 Billionen Kubikmeter erschließbares Erdgas liegen unter Deutschland im Schiefergestein. Laut Hans-Joachim Kümpel, früher Präsident der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, könnten jährlich bis zu 20 Milliarden Kubikmeter gefördert werden, und zwar für viele Jahrzehnte. Aus wissenschaftlicher Sicht wird dies seit langem empfohlen, der ideologische Widerstand hat sich, dank stabiler Verbohrtheit, großzügiger finanzieller Unterstützung Putins und Komplizenschaft von Teilen der Industrie, allerdings hartnäckig gehalten. Verzichtet man auf überbordende Bürokratie und beendet das seit 2017 geltende Fracking-Verbot, könnte die Förderung in weniger als einem Jahr gestartet und der Anteil heimischen Gases innerhalb weniger Jahre ohne nennenswerte Umweltbelastung wieder auf 20 Prozent erhöht werden. Zudem ist auch bei der konventionellen Förderung noch viel möglich.

„Verzichtet man auf überbordende Bürokratie und beendet das seit 2017 geltende Fracking-Verbot, könnte die Förderung in weniger als einem Jahr gestartet werden.“

Was für Deutschland gilt, gilt auch in vielen anderen Ländern Europas. Nicht nur im Norddeutschen Becken könnten große Mengen Schiefergas gefördert werden, auch in Frankreich, Polen, den Niederlanden, Belgien, Großbritannien, Dänemark, Norwegen, dem Baltikum, der Slowakei, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, Kroatien, Serbien und der Ukraine scheint einiges zu holen zu sein. Auch in Hinblick auf die CO2-Emissionen ist heimisches Gas deutlich besser als importiertes, das mit hohem Energieaufwand verflüssigt und über Tausende von Kilometern transportiert wird.

Keine Knappheit in absehbarer Zukunft

Amerika profitiert enorm von niedrigen Gaspreisen. Die Produktion hat sich seit 2005 fast verdoppelt und der Verbrauch ist ebenfalls um rund 50 Prozent angestiegen. Das billige Fracking-Gas hat dazu geführt, dass Kohle für die Stromproduktion weitgehend verdrängt wurde und so die CO2-Emission erheblich reduziert wurden. Zudem konnten in den USA viele Fabriken entstehen, die sonst anderswo in der Welt gebaut worden wären. Auch die Privathaushalte haben sich in ihrem Konsumverhalten auf billiges Gas und billigen Strom eingestellt. Ohne Fracking wären die Lebenshaltungskosten deutlich höher.

Wenn Deutsche Klimaaktivisten so tun, als ob der vermeintlich den Gashahn zudrehende Biden ein Vorbild für den Ausstieg aus dem Gas wäre, etwa wenn Petter Lydén von der Organisation Germanwatch verkündet „US-Präsident Biden setzt ein klares Signal gegen fossiles Gas“, machen sie sich lächerlich. Wenn Biden ein Zeichen setzt, dann dafür, wieviel Wert er auf billiges Gas für die US-Industrie und die Verbraucher legt.

Es gibt also gute Gründe, weshalb das US-Energieministerium nicht scharf darauf ist, die Gaspreise steigen zu lassen. Allerdings dürften auch schon die erheblichen Unsicherheiten hinsichtlich der langfristigen Profitabilität der Exportinfrastruktur dazu führen, dass sich Investoren zurückhalten und der Ausbau eher zögerlich verlaufen würde, selbst wenn schnell noch weitere Genehmigungen erteilt würden.

„Im Moment sieht es so aus, als ob sich die Lage auf dem Gasmarkt weiter entspannen wird."

Denn im Moment sieht es so aus, als ob sich die Lage auf dem Gasmarkt weiter entspannen wird. Laut dem mittelfristigen Marktbericht Gas 2023 wird die weltweite Gasnachfrage zwischen 2022 und 2026 im Durchschnitt um 1,6 Prozent pro Jahr steigen. Dies ist ein Rückgang gegenüber dem vorherigen Fünfjahresdurchschnitt von 2,5 Prozent pro Jahr zwischen 2017 und 2021. Morgan Stanley zufolge wurde die Preisprognose für 2024 bereits von 43,8 Euro auf 34,5 Euro pro Megawattstunde gesenkt. Gleichzeitig werden die Exportkapazitäten nicht nur in den USA ausgebaut. Laut Neil Beveridge, Managing Director bei Sanford C Bernstein & Co, wird das Angebot in den nächsten drei Jahren um etwa 140 Millionen Tonnen (das entspricht 30 Prozent des derzeitigen weltweiten LNG-Marktes) erweitert werden. Es wird erwartet, dass zahlreiche Projekte in Nordamerika und Katar ans Netz gehen werden. Darüber hinaus werden laut Bloomberg NEF bis 2030 mehr als 300 Millionen Tonnen an neuen LNG-Kapazitäten hinzukommen – ein beträchtlicher Anstieg von 70 Prozent gegenüber heute.

Selbst wenn die deutschen Energiewendeideologen nicht von ihrem Kurs abrücken und deutsches Gas im Boden bleibt, gibt es also keinen Grund, uns wieder bei Putin anzubiedern. Schöner wäre es aber natürlich, wenn Europa zur Vernunft käme und selbst wieder mehr Gas förderte und vor allem ins Fracking einstiege, um den großen Kostenvorteil einer regionalen Erzeugung zu nutzen und gleichzeitig die bisherige Abhängigkeit von russischem Gas nicht durch eine Abhängigkeit von relativ teurem LNG-Gas zu ersetzen.

Aber das ist wahrscheinlich mal wieder zu optimistisch gedacht.

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