08.03.2016
Eine Quote für das Eigenlob
Analyse von Sabine Beppler-Spahl
Die Unterstützer der Frauenquote feiern sich selbst. Der Emanzipation der Frau haben sie nicht geholfen. Die Quote verstößt gegen grundlegende Freiheitsrechte.
Endlich haben Deutschlands Frauen es geschafft. Die Herrschaft der Männer ist überwunden. Das zumindest war die Botschaft des vor einem halben Jahr verabschiedeten Quotengesetzes. Ab Januar müssen die ca. 100 börsennotierten und mitbestimmungspflichtigen Unternehmen für zu besetzende Aufsichtsratsposten eine 30–Prozent-Frauenquote einhalten. Weitere 3500 Firmen sollen eine flexible, „selbstverordnete Quote“ einführen, über deren Fortschritt ab September zu berichten ist.
Wer die Bundestagsdebatte am Tag der Verabschiedung des Gesetzes verfolgte, erlebte, wie sich Teile des Parlaments überschwänglich selbst feierten. Bundesfrauenministerin Manuela Schwesig sprach von einem Kulturwandel und Justizminister Heiko Maas erkannte gar den größten Beitrag zur Gleichberechtigung seit Einführung des Frauenwahlrechts. Die Lobbygruppe FidAR, „Frauen in die Aufsichtsräte e.V.“, spendete Beifall. Die Vorsitzende, Monika Schulz-Strelow, die im Publikum saß, hatte bereits im Jahr 2013 das Bundesverdienstkreuz am Bande erhalten – für ihren unermüdlichen Einsatz für die Chancengleichheit, wie es hieß. Diese Chancengleichheit beschränkt sich freilich auf eine kleine Gruppe Mittel- und Oberschichtsfrauen, denn die allermeisten Berufstätigen werden von der Quote nichts spüren. Laut einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) wird sie etwa 200 Frauen in eine Aufsichtsratsposition katapultieren.
Lieblingsprojekt einer kleinen Elite
Das ist nicht gerade umwerfend, und einem Gesetz, das eine so kleine Gruppe privilegiert, haftet der Geruch des Lobbyismus an. Im Namen der vermeintlichen Chancengleichheit für Frauen aber scheint vieles durchzugehen, was in anderen Zusammenhängen den härtesten Protest hervorrufen würde. Trotzdem geht es um mehr als Lobbyismus, denn die Quote vereint Interessen, die weit über den Einflussbereich einer kleinen Gruppe wie FidAR hinausgehen. Niemals hätte das Gesetz eine so einhellige Zustimmung im Bundestag finden können, wenn es nicht auch den Nerv der Zeit treffen würde. (Auch die Opposition wollte die Frauenquote und kritisiert lediglich, dass sie nicht hoch genug sei, weshalb die Grünen 40 Prozent, die Linke 50 Prozent forderten.). Wie die Debatte zeigt, bietet die Quote einer Politikerschicht ein dankbares Betätigungsfeld. Wer die Sprache der Frauenemanzipation für sich in Anspruch nehmen kann, steht heutzutage auf der Gewinnerseite. Im Namen von Frauen kann sich die Politik ohne Risiko als handlungsfähig und zukunftsweisend präsentieren. Schließlich würde niemand, außer einigen reaktionären Ewiggestrigen, behaupten, es sei richtig, Menschen wegen ihres Geschlechts zu benachteiligen.
„Einem Gesetz, das eine so kleine Gruppe privilegiert, haftet der Geruch des Lobbyismus an“
Eine breit angelegte politische Bewegung für die Quote mit Protestmärschen, Demonstrationen und zivilem Ungehorsam (wie zu Zeiten des Kampfes für das Frauenwahlrecht) gab es nie. Sie war stets das Lieblingsprojekt einer kleinen Politelite. Von großer Begeisterung war folglich nach ihrer Verabschiedung wenig zu spüren. Trotzdem wäre es falsch zu behaupten, es gebe in der Öffentlichkeit keine Sympathie. Sie erklärt sich daraus, dass nicht wenige Frauen aus ganz pragmatischen Gründen hoffen, das Gesetz könne für sie und andere nützlich sein. Positiv ist in ihren Augen, dass es sich dem realen Problem der Benachteiligung von Frauen in der Wirtschaft widmet. Laut Statistik verdienen Frauen in Deutschland nach wie vor weniger Bruttolohn als ihre männlichen Kollegen (manche sprechen gar von 22 Prozent, was aber umstritten ist) und sind im oberen Management deutlich unterrepräsentiert. 1
Die Quote, so die Meinung einiger, sei die schnellste und effizienteste Art, vorhandene Diskriminierungen aufzuheben. Deswegen sind viele Frauen und Männer bereit, grundsätzliche Bedenken gegen die Quote hintanzustellen. Kritiker wie z.B. Kristina Schröder, die ehemalige Familienministerin, sind ziemlich isoliert. Diese hatte zu Recht gesagt, die gesetzliche Quote sei ein empfindlicher Eingriff in die unternehmerische Freiheit und nehme Menschen in Haftung für ihr Geschlecht. 2 (Leider jedoch ist auch sie nicht grundsätzlich gegen eine Quote, sondern möchte nur, dass diese auf Freiwilligkeit basiert. Das wiederum schwächt ihr Argument und stärkt die Quotenbefürworter.) Bei der Verfolgung des vermeintlich höheren Ziels, bessere Aufstiegschancen für Frauen zu erreichen, werden Bedenken, wie die, dass die Quote Freiheitsrechte unterbindet, als störend oder ablenkend empfunden. EU-Kommissarin Viviane Reding z.B. sagt dazu: „Ich mag die Quote nicht, aber ich mag, was sie bewirkt“ 3.
Skrupellos und autoritär
Doch was bewirkt die Quote, das Frau Reding mag? Aus ihrer Äußerung spricht ein hohes Maß an politischer Skrupellosigkeit. Können wir eine Politik befürworten, die sich an Kennzahlen abarbeitet, aber gleichzeitig gegen Prinzipien verstößt, die uns wichtig und teuer sein sollten? Wieder müssen wir uns fragen, ob wir genauso unkritisch wären, wenn diese Haltung in anderen Bereichen angewandt würde (z.B. wenn privaten Kindergärten vorgeschrieben würde, mindestens einen männlichen Berufsanfänger einzustellen). Individuelle Rechte und der Schutz vor staatlicher Intervention sind Kernstücke liberaler Politik und kommen, anders als die Frauenquote, allen Bürgern (und somit auch Frauen) zugute. Es ist besorgniserregend, wenn sie so leichtfertig wegen eines vermeintlich höheren Ziels übergangen werden.
Es ist Mode geworden, technokratische Lösungen für soziale Probleme zu suchen. Auch dies ist ein Symptom unserer Zeit, in der der Glaube an grundlegende soziale Veränderungen nicht mehr vorhanden ist. Die Schwierigkeiten, die viele Frauen haben, haben etwas mit der Art und Weise zu tun, wie unsere Gesellschaft und Wirtschaft strukturiert sind. Die Energie, die Frauen in die Familie und Kindererziehung stecken wollen (und müssen), ist mit Karriereerfordernissen nicht wirklich kompatibel (daran ändern auch die vielen Auszeichnungen für „kinderfreundliche Betriebe“ nichts).
„Es ist Mode geworden, technokratische Lösungen für soziale Probleme zu suchen“
Das erklärt, warum viele Frauen lieber Teilzeit als Vollzeit arbeiten, warum der Karriereknick nach einer Erziehungszeit für viele Realität ist, warum manche Arbeitgeber (und Arbeitgeberinnen) zweimal überlegen, ob sie eine junge Frau im gebärfähigen Alter in eine zentrale Position holen usw. Das spüren viele Frauen (auch solche, die gar keine Familie planen) und sind zu Recht unzufrieden. Deswegen ist die Rhetorik, mit der das Gesetz verabschiedet wurde, so irreführend. Jungen Frauen mag man verzeihen, wenn sie ihre Hoffnungen in die Quote setzen. Politiker aber müssten es besser wissen. Eine akademische Studie, die die Situation in Norwegen zehn Jahre nach Einführung einer 40-Prozent-Frauenquote für Aufsichtsräte untersuchte, kam zu dem wenig überraschenden Schluss, dass diese zwar einigen Firmenleiterinnen geholfen, für den allergrößten Teil der Frauen jedoch nichts bewirkt habe. Sie habe weder zu höheren Gehältern geführt, noch die Anzahl von Frauen in Management signifikant verändert. 4
In diesem Sinne ist die Quote nichts anderes als Symbolpolitik, bei der es vor allem um schönen Schein und ein gutes Gefühl geht. Das Gesetz ist im Kern illiberal, denn der Staat geriert sich als Erzieher der Bürger. Eine vermeintlich weitsichtige Politik gibt vor, die angebliche Rückständigkeit der Gesellschaft zu bekämpfen. Typisch für diese Haltung ist ein Beitrag im Berliner Tagesspiegel. Unsere Kultur und Gesellschaft, so das Argument der Autorin, seien von der Männlich-Weiblich-Einteilung so tief durchdrungen, dass es kaum möglich wäre, ihr zu entkommen. Nur die Quote könne einen allgemeinen Bewusstseinswandel auslösen, weil mit ihr Frauen in der Öffentlichkeit endlich sichtbarer werden. Der Bürger gewöhne sich so an die Idee, dass auch Frauen Führungspositionen übernehmen könnten. Die Wirksamkeit sieht die Journalistin, welch Überraschung, bei einer Frauenquote von 30 Prozent 5. In die gleiche Richtung geht die Behauptung der Familienministerin, Deutschland brauche einen „Kulturwandel“.
Nichts als Symbolpolitik
Die Behauptung, Frauen seien in der Öffentlichkeit nicht sichtbar, ergibt aber überhaupt keinen Sinn. Wer so redet, spielt die Leistungen unserer Mütter und Großmütter, die erfolgreich für Gleichheit gekämpft haben, sowie alle positiven Errungenschaften der letzten Jahrzehnte herunter. Hier wird ein Bild von Frauen als ewige Opfer verbreitet, und das in einem Land, das seit dem Jahr 2005 von einer Frau regiert wird. Frauen haben Ministerposten inne (darunter das Verteidigungs-, das Forschungs- und das Arbeitsministerium) und erobern immer mehr Bereiche, die früher fest in Männerhänden waren. Dazu gehört der Beruf des Arztes. Nicht nur ist die Zahl der Studienanfängerinnen im Fach Medizin bei 63 Prozent angelangt, auch der Frauenanteil der berufstätigen Mediziner liegt unterdessen bei über 45 Prozent 6. Am altehrwürdigen Gymnasium unterrichten bereits rund 50 Prozent Frauen. Gute Nachrichten gibt es sogar aus der größten aller Männerdomänen: dem Ingenieursberuf. So meldet die Website Gate4Engineers, dass die Zahl der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Ingenieurinnen in den letzten zehn Jahren um mehr als 20 Prozent (das sind 12.000 Beschäftigte mehr) gestiegen ist7.
„Wie auch immer unsere Probleme aussehen, die Quotenpolitik wird sie verschlimmern“
Bei diesen Beispielen geht es nicht darum, Erfolge hochzujubeln und zu behaupten, in Deutschland könne es kaum besser laufen, aber wie auch immer unsere Probleme aussehen: Die Quotenpolitik wird sie verschlimmern. Sie fördert eine rein technokratische Politik, die sich allein an Kennzahlen orientiert. Sie gaukelt uns vor, dass nicht strukturelle Hindernisse, sondern individuelle Vorurteile das Problem unserer Zeit seien. Sie verstößt gegen liberale Prinzipien und ist zudem spalterisch, weil sie Mittelschichtsfrauen gegen andere Frauen und Männer ausspielt. Im Wettbewerb um Spitzenpositionen erhalten fortan manche Frauen, durch den väterlichen (oder ist es der mütterliche?) Druck des Staates, einen Vorteil. Mit Demokratie und Gleichberechtigung hat dies nichts zu tun.
Den Vorkämpfern für das Frauenwahlrecht ging es nicht um Sonderprivilegien, sondern um demokratische Bürgerrechte. Eine der bekanntesten war Hedwig Dohm, die Großmutter von Katia Mann. In ihrer scharfen und klaren Streitschrift Die Antifeministen von 1902 kritisiert sie auch diejenigen Frauen, die „in dem Weib etwas Selbsteigenes, das nur seine eigene Entwicklung sucht“ sehen 8. An anderer Stelle kritisiert sie sogar den Begriff „Frauenrechtlerin“. Dazu schreibt sie: „Es (das Wort, d. Red.) schmeichelt sich nicht gerade ins Ohr. Warum beseitigen wir nicht ein schlecht klingendes Wort, das dazu noch von unseren Gegnern ersonnen ist und das einen etwas ironischen, nörglerischen Beigeschmack hat.“ Sie schlägt stattdessen die Bezeichnung „radikal“ vor: „Radikal heißt wurzelhaft und bezeichnet am besten das Wollen und Handeln jener streitbaren Frauen, die die Axt an die Wurzeln der Übel legen“. Der geringe Frauenanteil in Aufsichtsräten ist gewiss nicht die Wurzel der Übel. Deshalb hat auch keine radikale Bewegung dafür gekämpft. Stattdessen haben uns ein paar Politiker damit beglückt, um sich selbst feiern zu können.