17.06.2015

Die Wandlungen der Gentechnik-Kritik

Kommentar von Gerd Spelsberg

Früher lehnten die Grünen noch Gentechnik im Ganzen ab. Inzwischen werden Rote und Weiße Gentechnik aufgrund einer hohen Umweltverträglichkeit akzeptiert. Was bleibt ist die Grüne Gentechnik, die nun mit denselben Geschützen wie einst bekämpft wird. Die letzte Bastion?

Bei der Gentechnik scheint es, als gebe es zwei völlig verschiedene Welten: Rote und Weiße Gentechnik bleiben laut Vorstellung von Öko-Aktivisten in einem „geschlossenen System“. Daher gelten sie als beherrschbar. Grüne Gentechnik finde dagegen in der „freien Natur“ statt. Unter „Weißer Gentechnik“ versteht man den Einsatz gentechnologischer Verfahren bei der industriellen Produktion. „Rote Gentechnik“ meint den Gentech-Einsatz in der Medizin. Bei der grünen Gentechnik geht es um gentechnisch veränderte Pflanzen. Und das sind inzwischen die Bösen.

Einmal in die Umwelt freigesetzt, sollen gentechnisch veränderte Pflanzen nicht mehr zu kontrollieren und vor allem nicht rückholbar sein. Die eine Gentechnik gilt daher als „gut“ und wird weitgehend akzeptiert, die andere als „böse“ und trifft in der Gesellschaft auf eine breite, zuweilen leidenschaftliche Ablehnung. Aktionsgruppen, Umwelt- und Verbraucherverbände, ja sogar Unternehmen bedienen sich des Gegensatzes von „geschlossenem System“ und „freier Natur“, um ihren Kampf gegen die Grüne Gentechnik zu begründen. Beispiele: Die Lebensmittelkette Tegut, Greenpeace oder die „Zivilcourage“ genannten Aktionsgruppen aus Süddeutschland [1].

Das war vor nicht allzu langer Zeit ganz anders. Noch bis vor gut zehn Jahren wurden Produktionsanlagen, in denen gentechnisch veränderte Mikroorganismen Arzneimittelwirkstoffe, Vitamine oder Waschmittelenzyme produzieren, von den Grünen, Umweltverbänden und Anwohnergruppen (wie etwa die „Schnüffler un‘ Maagucker“ in Frankfurt / Höchst) mit großer Leidenschaft bekämpft. „Kritische Wissenschaftler“, etwa vom Freiburger Öko-Institut, wiesen in immer wieder neuen Gutachten für jede der damals geplanten Anlagen akribisch nach, wie wenig dicht sie tatsächlich waren. Zudem sei es technisch kaum möglich, alle sich im Abwasser der Anlagen befindenden Gv-Mikroorganismen mit absoluter Sicherheit zu sterilisieren. Kurz: Dass die gentechnischen Produktionslangen nicht geschlossen sind – wie von den Unternehmen und den mit ihnen verbundenen Wissenschaftlern behauptet – war das wichtigste und wirksamste Argument der Gentechnik-Gegner.

„Die bis zum Überdruss wiederholten Warnungen hatten an Glaubwürdigkeit verloren“

Sind „genmanipulierte“ Mikroorganismen erst einmal aus den Anlagen entwichen, könne niemand wissen, wie sie sich in der Umwelt verhielten: Ob sie dort überleben, sich ausbreiten und andere Mikroorganismen verdrängen. [2] Vor allem die Antibiotikaresistenz-Marker, die auch in vielen Gv-Produktionsorganismen verwendet werden, seien eine große Gefahr für die Gesundheit. Sie nehmen angeblich Resistenzgene von Krankheitserregern auf und machen Antibiotika damit unwirksam. [3]

Das alles hatte großen Einfluss auf das politische Handeln. Allen voran der grüne Umweltminister in Hessen, Joschka Fischer, schaffte es, die in Frankfurt seit dem Jahr 1984 geplante Anlage zur Produktion von Insulin durch immer neue technische Auflagen und Gutachten zum biologischen „Restrisiko“ zu verzögern. Erst im Jahr 1998 konnte die aus dem Unternehmen Höchst hervorgegangene Aventis die Insulinanlage in Betrieb nehmen. Doch da war es bereits zu spät: Die Diabetes-Patienten in Deutschland bezogen ihr gentechnisch hergestelltes Humaninsulin längst von ausländischen Herstellern. [4]

Heute will man davon nichts mehr wissen: Obwohl die gesetzlichen Vorschriften für die gentechnischen Produktionsanlagen in der Zwischenzeit mehrfach gelockert und sie damit immer weniger „dicht“ wurden, haben die heutigen Gentechnik-Kritiker Weiße und Rote Gentechnik in ein „geschlossenes System“ gepackt und damit auch politisch entsorgt.

Was war da eigentlich geschehen? Innerhalb weniger Jahre änderte sich im grün-alternativen Lager die Bewertung der Gentechnik fundamental: Während man sie anfangs grundsätzlich als unbeherrschbar und „unnatürlich“ ablehnte, wurden plötzlich und ohne großes Aufhebens zwei Sparten – und sogar die ökonomisch erfolgreichsten – aus der Kritik herausgelöst. Spätestens, als im Jahr 1998 die ersten „Gen-Sojabohnen“ in Europa ankamen, hatte die Rot-Weiße Gentechnik ihre Schuldigkeit als Kampagnenthema getan. Der Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen nahm weltweit an Fahrt auf und mit „Lebensmitteln aus dem Genlabor“ konnte man die Verbraucher viel wirksamer verunsichern als mit Arzneimitteln oder Waschmittelenzymen.

Vor allem aber: All die Schreckensszenarien von unkontrollierbaren, aus den Anlagen entweichenden Gv-Mikroorganismen waren nicht eingetreten: Kein biologischer GAU, keine neuen Mikrobenstämme, die sich in Gewässern und Kläranlagen etabliert hatten, keine Giftstoffe produzierenden Bakterien und Hefen in der Umwelt. Die bis zum Überdruss wiederholten Warnungen vor den besonderen biologischen Risiken gentechnischer Anlagen hatten an Glaubwürdigkeit verloren.

Spätestens da war es für die Grünen geboten, ihre Gentechnik-Programmatik zu modernisieren. Dabei machten sie es sich ziemlich einfach: Obwohl die alten Risikoszenarien von der Praxis widerlegt wurden, übertrug man sie schnell und schematisch auf gentechnisch veränderte Pflanzen. Eine selbstkritische Reflexion, das Eingeständnis des Irrtums ist bis heute ausgeblieben.

Bis sich allerdings die Grünen von der Fundamental-Kritik an der Gentechnik verbschiedet hatten, gab es heftige interne Konflikte. Im Jahr 1996 schrieb der damalige Bundestagsabgeordnete Manuel Kiper ein Strategiepapier [5] gegen die „einseitige Verteufelung der Gentechnik“. Er warnte davor, „wirksame Genarzneimittel aus ideologischen Gründen abzulehnen“ und sah gentechnisch hergestellte Enzyme als Beitrag zu einer „sanften Chemie“. Auf einem Parteikongress [6] blieb er im Jahr 1997 mit seinen Positionen allein. Gentechnik sei eine Risikotechnologie und „unnatürlich“. Deshalb lehnten die Grünen sie „grundsätzlich und für alle Anwendungsbereiche ab“. Kiper wurde bei der Bundestagswahl im Jahr 1998 nicht mehr aufgestellt. [7]

„Die Grünen übertrugen die alten, widerlegten Risikoszenarien schematisch auf gentechnisch veränderte Pflanzen“

Im Parteiprogramm zur Bundestagswahl 2009 sind Bündnis 90 / Die Grünen immer noch gegen die Gentechnik – aber nur „auf dem Teller und auf dem Acker“. Dazu gibt es allein 19 Fundstellen im Programm – zu Weißer und Roter Gentechnik keine einzige. [8] Das Thema ist abgeschlossen. Lothar Willmitzer, Direktor des Max-Planck-Instituts für Molekulare Pflanzenphysiologie in Potsdam, fasst den Sachverhalt folgendermaßen zusammen:

„Es ist eine Ironie der Geschichte, dass heute ausgerechnet Teile der Grünen unter anderem mit ökologischen Argumenten einen verstärkten Einsatz der Gentechnik in der Roten und Weißen Biotechnologie unterstützen. Den Verweis auf eine erhöhte Umweltfreundlichkeit biotechnologischer Verfahren brachten dagegen schon in den 1980er-Jahren die Befürworter dieser gentechnischen Verfahren vor, sie wurden aber von den Kritikern unter Hinweis auf angebliche Gefahren für Leib und Leben abgeschmettert.“ [9]

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