06.02.2017

Die Wacht am Markt

Analyse von Jan Schnellenbach

Titelbild

Foto: Helloquence via Unsplash / CC0

Staatlicher Paternalismus kann auch durch nicht-staatliche Akteure ausgeführt werden, wie das Projekt „Marktwächter“ beispielhaft zeigt, das von den Verbraucherzentralen durchgeführt wird.

Wenn davon die Rede ist, dass Märkte reguliert werden, so denkt man meist an ein institutionelles Arrangement, das aus eindeutigen Regeln besteht, die von Vertretern der Exekutiven möglichst zuverlässig durchgesetzt werden. Auch solche Regeln können paternalistische Inhalte haben, sie stellen aber idealerweise zumindest auf der prozeduralen Ebene eine gewisse Verlässlichkeit und Berechenbarkeit sicher. Das Recht sagt uns, welche Erwartungen an unser Handeln gerichtet sind.

Das gilt natürlich auch für das Recht des Verbraucherschutzes. Hier ist klar definiert, was Anbieter nicht dürfen, wie etwa irreführende Werbung zu treiben, und was sie tun müssen, wie etwa transparente Informationen bereitzustellen, die es dem Verbraucher ermöglichen, sich eine eigene Meinung über das Angebot zu bilden. Gleichzeitig schränken sie die Freiheit der Verbraucher ein. Man kann sich etwa vorstellen, dass sich ein Konsument mit seiner Bank freiwillig und bei vollem Bewusstsein auf einen Kreditvertrag einigen würde, der aber aus vorgeblich verbraucherschützenden Motiven verboten ist. Zwischen den regulatorischen Leitplanken befindet sich aber immerhin noch ein – jedoch leider stetig schrumpfender – Raum der Freiheit, in dem sich Anbieter und Konsumenten als Vertragspartner begegnen und Vereinbarungen zum gegenseitigen Vorteil schließen können.

„Zwischen den regulatorischen Leitplanken befindet sich aber immerhin noch ein – jedoch leider stetig schrumpfender – Raum der Freiheit“

Was in diesem Raum passiert, hat oft einen experimentellen Charakter. Anbieter arbeiten auf der Grundlage von Vermutungen darüber, was die Konsumenten am Ende tatsächlich nachfragen werden, und auch die Konsumenten selbst experimentieren immer wieder mit für sie neuen Gütern, Dienstleistungen und Vertragsgestaltungen. Die wohlfahrtssteigernde Dynamik einer Marktwirtschaft gibt es nur, weil jeder einzelne Marktteilnehmer, ob Anbieter oder Nachfrager, sich jederzeit entscheiden kann, ein solches Experiment zu wagen. Wer sich als Anbieter innerhalb der regulatorischen Leitplanken im Bereich des legalen Handelns bewegt, wird im Fall eines gescheiterten Experiments mit ökonomischen Verlusten bestraft. Er bekommt die Waffe der Konsumenten zu spüren, die zu anderen Anbietern abwandern. Juristische Sanktionen, moralische Anwürfe oder gesellschaftliche Ächtung sollte er dagegen in diesem Fall nicht zu fürchten haben. Das ist eigentlich eine rechtsstaatliche Selbstverständlichkeit.

Nun kann man sich – rein hypothetisch natürlich – leicht eine Situation vorstellen, in der ein zum Paternalismus neigender Minister für Verbraucherschutz gerne eine engere verbraucherpolitische Regulierung durchsetzen möchte. Stellen wir uns weiter vor, er könne im Parlament für eine Veränderung der Rechtslage in einem konkreten Bereich der Verbraucherpolitik keine Mehrheit mobilisieren, etwa weil ein Koalitionspartner nicht mitspielt. Was kann ein solcher Minister tun?

Ein naheliegender Ansatzpunkt wäre die Suche nach einem Bündnispartner, der formal außerhalb der Politik zu verorten, faktisch aber aufs Engste mit ihr verwoben ist. Hier bieten sich die Verbraucherzentralen und ihr Bundesverband an. Sie sind nicht nur finanziell von Zuwendungen aus der Politik abhängig, sowohl in der Grundfinanzierung als auch in der Projektförderung. Darüber hinaus besteht auf der Führungsebene ein reger personeller Austausch, gerade mit dem sozialdemokratischen und grünen politischen Lager. Das ist keine Besonderheit; andere Parteien etablieren solche stabilen Kooperationsmuster mit anderen Organisationen. Aber es erschwert es eben doch sehr, vom System der Verbraucherzentralen als einer politisch unabhängigen Organisation zu sprechen.

Willkür der Marktwächter

So kam es dann, dass 2015 im Haushalt des Bundesministeriums für Justiz und Verbraucherschutz erstmals Geld bereitgestellt wurde zur Förderung eines Projektes, das die Verbraucherzentralen schon seit längerer Zeit politisch beworben hatten: die Marktwächter. Seit dem Februar 2015 gibt es diese für den Finanzmarkt und für die sogenannte „digitale Welt“; die Förderung aus Bundesmitteln beträgt jährlich zehn Millionen Euro. Sollten sich diese beiden Marktwächter bewähren, woran auch immer dies zu bemessen wäre, so ist eine Verlängerung des Projektes ebenso wahrscheinlich wie eine Ausdehnung auf weitere Märkte.

Die Aufgabe der Marktwächter ist weit definiert: Sie dienen zunächst einmal der Marktbeobachtung. Insbesondere sollen Daten, welche die Verbraucherzentralen im Rahmen ihrer Beratungstätigkeit generieren, aufbereitet und ausgewertet werden. Die konkrete Ausgestaltung dieses allgemeinen Auftrages ist aber weitestgehend Sache der Marktwächter selbst. Dies betrifft insbesondere auch die Definition vermeintlicher Missstände: Soll nur illegales Anbieterverhalten angeprangert werden? Oder auch solches, das professionelle Verbraucherschützer aus irgendwelchen anderen Gründen für problematisch halten? Die sehr offene Beschreibung des Aufgabengebietes erlaubt es den Marktwächtern, als verbraucherpolitische Freischärler auch solches Anbieterverhalten anzuprangern, das nach der jeweils geltenden Rechtslage vollkommen legal ist.

„Der Bundesminister für Justiz und Verbraucherschutz finanziert seine eigene, para-staatliche Lobbyorganisation“

Einen Vorgeschmack hierauf erhielt man bereits 2015 in einer Studie des Finanzmarktwächters, die medienwirksam behauptete, 95 Prozent der Privatkunden angebotenen Anlageprodukte seien nicht bedarfsgerecht. Zwar war die Studie methodisch vollkommen unbrauchbar, da sie auf Beratungsgesprächen in Verbraucherzentralen beruhte und so keinerlei valide Rückschlüsse auf die Grundgesamtheit aller Verbraucher zuließ – in der Regel geht niemand zur Verbraucherberatung, der vollkommen zufrieden ist. Das mediale Spielfeld für neue Forderungen zu paternalistischem Verbraucherschutz im Finanzsektor war damit aber bereitet.

Darüber hinaus erhalten die Marktwächter auch einen unmittelbaren Zugang zu Regulierungsbehörden. So sollen sie beispielsweise die BaFin (Finanzaufsicht) und die Bundesnetzagentur auf Sachverhalte hinweisen, die aus ihrer Sicht strukturelle Fehlentwicklungen darstellen.

Legales Verhalten angeprangert

Die Konstellation, die hier geschaffen wurde, ist durchaus kurios. Auf der Anbieterseite muss man nun systematisch damit rechnen, von einer staatlich finanzierten Organisation für legales Verhalten angeprangert zu werden, je nach Launen, Geschmäckern und Interessen der Akteure. Gleichzeitig finanziert der Bundesminister für Justiz und Verbraucherschutz seine eigene, para-staatliche Lobbyorganisation, deren Ziel natürlich eine Intensivierung von Regulierung und eine noch bessere finanzielle Ausstattung der Verbraucherzentralen selbst ist, die aber darüber hinaus auch noch einen privilegierten Zugang zu wichtigen Regulierungsbehörden hat.

Und die Verbraucher selbst? Hier gilt: Je naiver, desto besser. Die Tendenz in Veröffentlichungen und Stellungnahmen von Verbraucherzentralen und Ministerium geht dahin, den Konsumenten als möglichst hilfloses, stark betreuungsbedürftiges Mündel zu skizzieren. Das steht zwar im Widerspruch zur – auch und gerade verhaltensökonomischen – Fachliteratur. Mit dem oben beschriebenen Lobbyinteressen harmoniert ein solches Zerrbild, das zur Begründung immer neuer paternalistischer Interventionen herangezogen wird, aber ganz hervorragend.

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