05.09.2018

Die Sprache sieht Sterne

Von Ilka Bühner

Der Versuch, den Genderstern in die deutsche Sprache einzuführen, sexualisiert ein geschlechtsneutrales Sprachsystem unnötig und verlagert Auseinandersetzungen auf die rein symbolische Ebene.

Stellen Sie sich vor, Sie hören Rolf Zuckowskis Lied „Wie schön, dass du geboren bist“, aber statt der Textzeile „Alle deine Freunde freuen sich mit dir“ heißt es auf einmal: „Alle deine Freunde, Freundinnen und Kinder mit intersexuellem Hintergrund freuen sich mit dir.“

So oder so ähnlich könnte sich der bekannte Vers anhören, wenn der sprachliche Gender-Unsinn weiter fortschreitet. Oder das Lied wird gar nicht mehr gesungen oder gegen ein gendergerechtes Kinderlied ausgetauscht. Rolf Zuckowski selbst hält es für möglich, dass seine Lieder bald nicht mehr in öffentlichen Einrichtungen dargeboten werden dürfen, da seine Texte nicht „gegendert“ sind. Er argumentiert, dass die Kinder vielleicht bald gar nicht mehr verstehen, dass mit Freund gleichzeitig auch Freundin gemeint ist und sich die Mädchen dadurch ausgeschlossen fühlen.

Noch ist offiziell nichts passiert, aber der Stein des Anstoßes wurde bereits ins Rollen gebracht. Unlängst hat der Rat für deutsche Rechtschreibung (RdR) getagt, um über das Gendersternchen abzustimmen. Das Gendersternchen ist ein Satzzeichen, das zwischen die maskuline Schreibweise und die feminine Endung eines Wortes gefügt wird und dort als Platzhalter fungiert. Es würde dann beispielsweise nicht mehr Lehrer-/innen heißen, sondern Lehrer*innen. Damit soll die Geschlechtsneutralität des Begriffes verdeutlicht werden, außerdem sollen damit intersexuelle Menschen angesprochen und miteinbezogen werden.

„Die Debatte folgt der irrigen Vorstellung, ‚sprachliche Gerechtigkeit‘ würde zu real gelebter Gerechtigkeit führen.“

Ausgelöst wurde die Diskussion durch eine Anfrage der Landesstelle für Gleichbehandlung in Berlin. Diese wollte wissen, wie man „angemessen über Personen jenseits der beiden klassischen Geschlechter Mann und Frau schreiben kann“. Als orthografische Möglichkeit kam nun das Gendersternchen auf den Tisch, dass die Vielfalt der Geschlechter bedenken und somit die Gleichbehandlung jedes Geschlechts unterstützen soll. Damit folgt die Debatte der irrigen Vorstellung, „sprachliche Gerechtigkeit“ würde zu real gelebter Gerechtigkeit führen

Auch wenn sich der RdR vorerst darauf geeinigt hat, dass zum geschlechtergerechten Schreiben die bestehende männliche und weibliche Schreibweise genügt, hat das Gendersternchen dennoch bereits Einzug in die Gesellschaft gehalten. Manche Studenten bringen es sogar sprachlich zum Ausdruck, indem sie zwischen den Wortteilen eine Pause machen. Also beispielsweise: „Lehrer (Pause) innen“ und auch einige Politiker benutzen das Sternchen bereits in ihren Zeitungsbeiträgen und wollen damit ihre angebliche Weltoffenheit und Toleranz demonstrieren. Das Gendersternchen folgt damit den Inklusionsversuchen von geschlechtergerechter Sprache, wie dem Binnen-I oder dem Gender Gap, die sich bisher auch nicht offiziell durchsetzen konnten.

Das Binnen-I beispielsweise wurde bereits in den 80er-Jahren von der Schweizer WOZ und Teilen der deutschen taz als Mittel geschlechtergerechten Schreibens in ihren Beiträgen eingeführt. Allerdings konnte es sich nicht einmal in der taz ganz durchsetzen, da einige Autoren/Redakteure, selbst Feministinnen, den aus ihrer Sicht damit verbundenen Emanzen-Stempel scheuen. Hieran wird ersichtlich, zu welchen paradoxen Konsequenzen sprachliches Gendern führen kann.

„Die eigentlichen Probleme von Transgendern werden damit nicht gelöst.“

Wird der Genderstern ungeachtet dessen verwendet, verbreitet sich ein nicht anerkanntes sprachliches Mittel. Das kann in der Gesellschaft den Eindruck vermitteln, es wäre richtig und wichtig, diese Schreibweisen zu benutzen. Die Tatsache, dass die offizielle deutsche Rechtschreibung diese Formen als unnütz ablehnt, wird für die Befürworter kein Gewicht mehr haben. Jeder Gegner wird von nun an in die Ecke der Intoleranz gestellt. Denn „Weltoffenheit“ ist mittlerweile gleichbedeutend mit der Bejahung und der uneingeschränkten Anerkennung jeder noch so kleinen Befindlichkeit einer Randgruppe. Wenn man jeder einzelnen Befindlichkeit nachgeht, wird es aber unmöglich, einen für alle geltenden Konsens zu finden. Vor allem dann, wenn die Forderung aus einer rein symbolischen Maßnahme besteht, die an der realen Problematik nichts ändert.

Wenn man nämlich so tut, als seien sprachliche Mittel ein sinnvoller Weg, sich wirklich um die Belange Unterdrückter zu bemühen, wieso sollte sich dann noch jemand in anderer Weise darum kümmern? Sich mit Toleranz schmücken ist angesagt wie selten zuvor, aber diese auch zu leben verkommt daneben zu einer blassen Randerscheinung, der niemand Bedeutung beimisst. Mit Dingen wie dem Gendersternchen erhält die Welt ein Mittel, das Verständnis und Akzeptanz stärken soll, allerdings in den meisten Fällen nur dazu beiträgt, dass sich Diskussionen darüber auflösen, da man ja ein Wort dafür gefunden hat, mit dem man so tun kann, als hätte man sich gekümmert.

Die eigentlichen Probleme von Transgendern werden damit nicht oder kaum gelöst. Denn durch das Gendersternchen und das daraus resultierende schriftliche Chaos ergibt sich erst einmal eine Sonderstellung für die Betroffenen. Dass das den Betroffenen eher schadet als nutzt, liegt auf der Hand. Aber was wünschen sich Transgender eigentlich? Liest man sich beispielsweise durch die Beiträge der Transgender Germany – TGG in Facebook erhält man den Eindruck, dass es zu aller erst um Akzeptanz und Toleranz Transgendern gegenüber geht. Ein selbstbestimmtes Leben ohne Einschränkungen, Anfeindungen und Beeinflussungen, die sie in eine festgelegte Geschlechterrolle hineinpressen will. Die Zeitschrift Emma hat Raewyn Connel interviewt. Raewyn ist eine australische Soziologin, die 60 Jahre als Mann lebte, bevor sie sich für eine Transition entschied. Sie wünscht sich, nicht als drittes Geschlecht klassifiziert zu werden. „Ich glaube, dass es eine wichtige Herausforderung für Feministinnen ist, transsexuelle Frauen nicht als eine Art drittes Geschlecht zu denken. Sondern als Teil der Vielfalt von Frauen, wie junge oder alte Frauen, Frauen mit Behinderung oder Frauen mit Migrationshintergrund."

„Das Genus-System der deutschen Sprache richtet sich nicht generell nach dem biologischen Geschlecht.“

Mit der Einführung des gendergerechten Schreibens will man ein System ändern, was überhaupt keiner Änderung bedarf! Das Genus-System der deutschen Sprache ist formal und richtet sich nicht generell nach dem biologischen Geschlecht. Ein gutes Beispiel dafür ist das Wort „Mädchen“, welches das Genus im Neutrum hat, obwohl ein Mädchen biologisch eindeutig weiblich ist – wie schon Mark Twain im 19. Jahrhundert erstaunt feststellen musste.1 Wie dieses System im Laufe der Zeit entstanden ist, also wie welches Nomen seinen Genus bekommen hat, lässt sich heute nicht mehr einwandfrei nachvollziehen. Nun mögen auch die zur entsprechenden Zeit herrschenden Machtstrukturen zur Zuweisung der Genera geführt haben, wie es die Linguistin Luise Pusch anführt, aber warum man dieses System deswegen gänzlich in Frage stellen muss, erschließt sich mir nicht. Was außer Unsicherheit und Verwirrung erreicht man dadurch? Der Wunsch, mit dieser neuen Schreibweise mehr Gerechtigkeit und Sicherheit in diese Welt zu bringen, wird unerfüllt bleiben. Durch die Sexualisierung des neutralen Genus-Systems richtet man den Fokus erst auf die Andersartigkeit der Geschlechter und steht dem Anspruch auf Gleichheit im Wege. Die angebliche Diskriminierung, die man zu verhindern sucht, wird so erst erzeugt. 

Zu oft wird versucht, die Misogynie und die Diskriminierung von Andersartigkeit in früheren Epochen einfach auszulöschen, als hätte diese Zeit nie stattgefunden. Also darf auch in der Sprache nichts mehr daran erinnern, dass es einmal eine Zeit gab, in der Frauen und Transsexuelle in diesem Land unterdrückt wurden. Eine tatsächliche Änderung der Zustände erreicht man dadurch nicht. Im Gegenteil. Das Thema Gender wird von der breiten Masse nicht ernst genommen und kommt eher wie ein Kreuzzug daher, der all die dummen Unwissenden mit schier unermesslicher Weisheit belehren und bekehren will.

Die Vergangenheit lässt sich aber nicht auslöschen. Was man tun kann, um einen guten Umgang mit ihr zu finden, ist, sie zu akzeptieren und den nachfolgenden Generationen zu erklären, warum etwas war und warum es gut ist, dass manches heute nicht mehr so ist. Mit Verboten und Zensur erreicht man hauptsächlich, dass sich die Menschen dagegen auflehnen. Um gesellschaftlichen Fortschritt zu erreichen, muss man einen anderen Weg beschreiten.

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