26.02.2016

Die Oscars sind nicht rassistisch

Analyse von Lukas Mihr

Werden schwarze Schauspieler weniger häufig für den Oscar nominiert als weiße? Will Smith ist dieser Meinung. Weitere Darsteller haben sich der Kritik angeschlossen. Mit den Fakten hat der Vorwurf nichts zu tun. Mit Farbenblindheit auch nicht.

Am kommenden Sonntag werden zum 88. Mal die Academy Awards, besser bekannt als Oscars, verliehen. Das Medienereignis, bei dem Hollywood vor allem sich selbst feiert, wird in diesem Jahr jedoch überschattet. „Rassismus!“, so lautet der Vorwurf, den vor allem schwarze Prominente in den vergangenen Wochen geäußert haben: Alle nominierten Schauspieler sind weiß. Nicht nur in diesem Jahr, sondern auch im Vorjahr wurden Schwarze bei der Vorauswahl für den wichtigsten Filmpreis der Welt übergangen. Wichtigster Wortführer der Debatte unter dem Hashtag #oscarssowhite ist der beliebte Schauspieler Will Smith (Independence Day), der die Preisverleihung boykottieren will. Auch seine Ehefrau Jada-Pinkett Smith (The Matrix: Revolutions) und der bekannte Regisseur Spike Lee (Malcolm X), selbst Oscar-prämiert, schlossen sich ihm an.

Unbestritten war Hollywood in der Vergangenheit rassistisch – wie alle US-amerikanischen Eliten. Im frühen 20. Jahrhundert gab es praktisch keine schwarzen Schauspieler. Falls nötig, wurde ein weißer Schauspieler einfach mit entsprechend viel Make-up bearbeitet – das sogenannte „Blackfacing“. Als Hattie McDaniel 1940 für ihre Rolle in Vom Winde verweht als erste schwarze Person einen Oscar gewannt, musste sie bei der Zeremonie an einem separaten Tisch sitzen. Aufgrund der gesetzlichen Bestimmung zur Zeit der Rassentrennung war es ihr sogar untersagt, zur Premiere ihres eigenen Filmes zu erscheinen.

Die Debatte erinnert an die Diskussion über angeblichen Rassismus unter US-Polizisten. Auch dort wird mit der rassistischen Vergangenheit Amerikas argumentiert; in diesem Fall, um die Vielzahl schwarzer Todesopfer bei Polizeieinsätzen zu erklären. [1] Dass die USA sich seitdem stark gewandelt haben und 2008 erstmals einen Schwarzen ins Weiße Haus wählten, fällt dabei oft unter den Tisch. Tatsächlich sind in beiden Fällen, ob nun Hollywood oder Polizei, die Beweise nur äußerst dürftig. Ging es in der Debatte um rassistische Polizeigewalt noch um Leben oder Tod, stellt sich nun lediglich die Frage, ob ein schwarzer Schauspieler ganz oben oder eben nur weit oben auf der Karriereleiter steht. Ein Luxusproblem, mehr nicht.

„Wer kann schon genau sagen, ob weiße Schauspieler im zurückliegenden Kinojahr nicht tatsächlich um eine Nuance besser waren?“

Die Gegner der diesjährigen Oscar-Zeremonie fordern unentwegt, dass die Hautfarbe kein Kriterium bei den Auszeichnungen sein darf – aber legen diesen Maßstab im gleichen Moment selbst an, wenn sie genau kontrollieren, ob auch ja genug Schwarze berücksichtigt wurden. Ist es überhaupt wünschenswert, dass Angehörige der Minderheiten stets unter den Nominierten vertreten sind? Wäre es nicht viel eher angebracht, wenn die Jury wirklich farbenblind – also rein nach der künstlerischen Leistung und nicht nach der Hautfarbe – urteilen würde? Wer kann schon genau sagen, ob weiße Schauspieler im zurückliegenden Kinojahr nicht tatsächlich um eine Nuance besser waren?

Die Oscars sind bunt

Ja – weder in diesem, noch im Vorjahr waren Schwarze unter den Nominierten vertreten. Dennoch ist die bevorstehende Zeremonie nicht völlig weiß. Der schwarze Comedian Chris Rock wird die Preisverleihung, deren Produktion der ebenfalls schwarze Filmregisseur Reginald Hudlin übernimmt, moderieren. Außerdem treten als Musiker, Laudator oder in sonstiger Funktion auf:

Comedian Kevin Hart, Quincy Jones, Produzent des King of Pop Michael Jackson, der Sänger/Rapper Pharrell Williams, die Schauspielerin Kerry Washington, bekannt aus Django Unchained, und Oscar-Preisträgerin Whoopi Goldberg (alle schwarz). Ferner erscheinen die Schauspielerin Priyanka Chopra (indisch), die Schauspieler Byung-hun Lee und Olivia Munn (beide asiatisch) sowie Oscar-Preisträger Benicio del Toro (hispanisch).

Zudem gibt es abseits der Schauspiel-Kategorien eine schwarze Nominierung, die in der erhitzten Debatte völlig übersehen wurde: Der R&B-Künstler The Weeknd geht mit dem Song Earned It aus dem Film Fifty Shades of Grey ins Rennen. Im letzten Jahr gewannen die beiden Schwarzen John Legend und Common einen Oscar für den Song Glory aus dem Film Selma, der das Leben Martin Luther Kings nachzeichnet.

Chris Rock moderiert im Übrigen bereits zum zweiten Mal nach 2005 die Oscar-Verleihung. Von 1994 bis 2002 begleitete Whoopi Goldberg insgesamt vier Mal als Moderatorin die Veranstaltung. In der jüngeren Vergangenheit waren Schwarze also zweifach stärker als ihr Bevölkerungsanteil vertreten.

2014 durfte Will Smith die berühmten Worte „And the oscar goes to...“ aussprechen, als er die Goldstatue für den besten Film an 12 Years a Slave überreichte. Das Drama setzt sich kritisch mit der Geschichte der Sklaverei in den USA auseinander – wohl kaum ein Beweis für Rassismus in Hollywood. In den Vorjahren überreichten weitere Schwarze den Oscar in der wichtigsten Kategorie Bester Film, die traditionell den Abend abschließt: First Lady Michelle Obama, Denzel Washington, Sidney Poitier und Eddie Murphy.

Auch sonst war bei den vorherigen Oscar-Verleihungen die polit-korrekte Forderung nach mehr „Diversity“ (Vielfalt) stets erfüllt. 2015 moderierte der schwule Schauspieler Neil Patrick Harris die Zeremonie – eine Aufgabe, die zuvor schon zwei Mal von der lesbischen Komikerin Ellen DeGeneres ausgeübt wurde. Der Schauspieler Sean Penn wurde für seine Rolle als homosexueller Politiker Harvey Milk mit dem Oscar ausgezeichnet, genau wie sein Kollege Jared Leto, der die begehrte Auszeichnung für seine Darstellung eines Transsexuellen erhielt. Der Film The Danish Girl, der vom transsexuellen Maler Einar Wegener (nach seiner Geschlechtsumwandlung: Lili Elbe) handelt, ist bei der diesjährigen Preisverleihung gleich vierfach nominiert.

Farbenblinde Statistiken

Zur Erinnerung: Die Auszeichnungen für die besten Schauspieler werden in insgesamt vier Kategorien vergeben; nämlich beste Hauptrolle, jeweils männlich und weiblich, sowie beste Nebenrolle, ebenfalls männlich und weiblich. Nominiert sind in jeder Kategorie fünf potentielle Preisträger. Jährlich gibt es also immer 20 Kandidaten für die begehrte Trophäe. Berücksichtigt man, dass Schwarze ca. 12,5 Prozent der US-Bevölkerung stellen, wären bei jeder Preisverleihung 2,5 Nominierte zu erwarten. Aber halt: In diesem Jahr sind unter den 20 Nominierten sogar nur neun US-Amerikaner, dafür aber sechs Briten, zwei Iren, eine Kanadierin, eine Australierin und eine Schwedin.

„Ist es überhaupt so ungewöhnlich, dass in diesem Jahr keine schwarzen Schauspieler in die engere Auswahl für den Oscar kamen?“

Statistisch wären daher unter 2,5 schwarze Nominierte zu erwarten. Dass die Zahl in manchen Jahren auf null sinkt, kommt zwar seltener vor, ist aber nicht unmöglich, genau wie der umgekehrte Fall. 2001 waren drei Schwarze nominiert, 2004 gleich fünf, 2006 ebenfalls fünf, 2009 immerhin noch drei, 2013 ebenfalls drei.

Unter den Oscar-Preisträgern der letzten 20 Jahre lässt sich keine Diskriminierung schwarzer Schauspieler erkennen. Ausgezeichnet wurden als:

  • Männliche Hauptdarsteller: Denzel Washington, Jamie Foxx und Forest Whitaker
  • Männliche Nebendarsteller: Cuba Gooding Jr. und Morgan Freeman
  • Weibliche Hauptdarsteller: Halle Berry
  • Weibliche Nebendarsteller: Jennifer Hudson, Monique Hicks, Octavia Spencer und Lupita Nyong’o.

Von den insgesamt 80 Preisträgern waren zehn schwarz, also 12,5 Prozent. Unter den 48 US-amerikanischen Siegern waren neun Schwarze, was 19 Prozent entspricht und damit sogar über dem schwarzen Bevölkerungsanteil in den USA liegt.

Selbstverständlich lassen sich viele schwarze Schauspieler aufzählen, die nicht nominiert wurden. Das Magazin Entertainment Weekly [2] nennt zum Beispiel: Idris Elba (Beasts of No Nation), Michael B. Jordan, Tessa Thompson (beide Creed), Jason Mitchell (Straight Outta Compton), und Will Smith (Concussion). Nur: Die Liste weißer Schauspieler, die ebenfalls von der Jury verschmäht wurden, wäre dementsprechend umso länger. [3]

Eine gewisse Plausibilität erhalten die Rassismusvorwürfe dadurch, dass die Jury der Academy of Motion Picture Arts and Sciences zu 94 Prozent aus Weißen besteht – wenngleich ihre Präsidentin, Cheryl Boone Isaacs, schwarz ist. Alte, weiße Männer, die in verrauchten Hinterzimmern ihrem Rassismus frönen – wer kann sich das nicht sofort bildlich vorstellen? Aber nur, weil dieses Vorurteil in unserem Kopf gut funktioniert, ist es noch lange nicht wahr. Die Jurymitglieder dürften aus einem ganz einfachen Grund gegenüber Diskriminierung sensibilisiert sein. Denn die wichtigsten Studiobosse sind – in diesem Fall stimmt das Klischee – Juden. [4]

Hollywood ist linksliberal

Kenner der USA wissen: Hollywood ist den Konservativen als linksliberaler Sündenpfuhl verhasst. Die meisten Filmschaffenden stehen in gesellschaftspolitischen Fragen links der Mitte (neben der Befürwortung der erwähnten LBGT-Rechte auch bei den Themen Sterbehilfe und Todesstrafe) und engagieren sich gegen die Republikaner. Die Demokraten können auf die Unterstützung Hollywoods zählen. Größen wie J.J. Abrams, Peter Chernin, David Geffen, Brad Grey, Alan Horn, Bob Iger, Lawrence Kasdan, Jeffrey Katzenberg, Barry Meyer, Ronald Meyer, Leslie Moonves (Neffe des israelischen Ministerpräsidenten David Ben-Gurion), Michael Lynton, Amy Pascal, Tom Rothman, Steven Spielberg und Harvey Weinstein zählen zu den Großspendern der Demokraten.

Es war Künstleragent Ariel Emanuel, der Barack Obama während seiner Präsidentschaftskandidatur in die Glitzerwelt Hollywoods einführte. Sein Bruder Rahm wurde bald darauf zum Stabschef im Weißen Haus ernannt. Für die amerikanischen Rechtsextremen der Beweis, dass Juden und Schwarze sich gegen die weiße Rasse verbündet haben.

„Jemand, der überall Rassismus vermutet, findet irgendwann kein Gehör mehr“

Was ist eigentlich mit Will Smith selbst? In den Jahren 2001 und 2006 war er für den Oscar nominiert, ging aber leer aus. Doch mit Rassismus hat dies nichts zu tun, denn die Sieger hießen Denzel Washington und Forrest Whittaker – beide schwarz. In den 2000ern zählte Smith zu den bestbezahlten Schauspielern. 2008 erzielte er sogar die höchste Gage in ganz Hollywood. In den letzten Jahren ist Smith’ Stern im Sinkflug begriffen. An seiner Hautfarbe kann dies nicht liegen, denn er war ja bereits als Fresh Prince von Bel Air schwarz. Vielleicht ist Smith’ Zuwendung zur Psychosekte Scientology der Grund, dass er seinen Zenit als Künstler überschritten hat. Ihm stößt wohl sauer auf, dass er in diesem Jahr nicht für seine Rolle in Concussion nominiert wurde. Ist der Rassismusvorwurf an die Jury nur ein Ablenkungsmanöver, um das eigene Scheitern zu kaschieren?

Wer so handelt, verspielt seine Glaubwürdigkeit. Jemand, der überall Rassismus vermutet, findet irgendwann kein Gehör mehr – wie Äsops Hirtenjunge, der ständig vor dem Wolf warnt. Smith und seine Mitstreiter machen es schwarzen Schauspielern nicht leicht. Clarence Thomas, als Yale-Absolvent und Mitglied des Obersten Gerichtshof sicherlich ein brillanter Jurist, zählt zu den entschiedenen Gegnern der Affirmative Action (Quotensystem). Er klagte, dass ihm in seiner Karriere immer wieder vorgehalten wurde, sein Studium nur wegen seiner Hautfarbe und nicht wegen seiner Leistungen geschafft zu haben. Nun wird sich der nächste schwarze Oscar-Gewinner denselben Vorwurf anhören müssen.

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