23.03.2016

Die neuen Kindermacher

Essay von Lena Wilde

Das Recht auf Fortpflanzung unterliegt nur der eigenen Verantwortung. Deswegen sollten wir moderne Kinderwunschbehandlungen möglichst vielen Menschen zugänglich machen.

Eines unserer größten, aber völlig unterschätzten Freiheitsrechte ist das Recht auf Fortpflanzung. Als selbstverständlich gilt, dass jeder, sofern er kann und will, Kinder bekommen darf. Egal wann, egal wie viele, egal unter welchen Umständen und erst recht egal mit wem. Wer das nicht so einfach kann, aber dennoch will, dem kann die moderne Reproduktionsmedizin helfen. Mit ihrer Unterstützung sind auch jenseits von medizinisch notwendigen Behandlungen ganz neue Familienformen möglich. Theoretisch können damit lesbische Paare mit Hilfe eines Samenspenders und schwule Paare mit Hilfe einer Leihmutter Eltern werden. Sogar alleinstehende Personen könnten so Kinder bekommen.

Doch die Kinderwunschindustrie unterliegt einer strengen Regulierung, die sich von Land zu Land unterscheidet. In Deutschland ist sie sehr restriktiv: Offiziell werden nur heterosexuelle Paare behandelt. Grund für den Ausschluss lesbischer Paare oder alleinstehender Frauen ist eine Richtlinie der Bundesärztekammer aus dem Jahr 2006, die aus der Perspektive des Kindswohls heraus die künstliche Befruchtung von Frauen ohne Partner oder mit Partnerin ausschließt. Schwulen Paaren oder alleinstehenden Männern sind rechtlich noch höhere Hürden gestellt: Sie würden für die Zeugung und Austragung eines eigenen Kindes eine gespendete Eizelle und eine Leihmutter benötigen – beides ist nach dem deutschen Embryonenschutzgesetz aber verboten.

Doch auch bei heterosexuellen Paaren wird noch einmal ein Unterschied gemacht, denn nur Ehepaare erhalten einen Zuschuss zu den teuren Behandlungen von den gesetzlichen Krankenkassen. Dieser beläuft sich auf die Hälfte der Kosten für drei künstliche Befruchtungen und hängt vom Alter der Eltern ab. Außerdem ist er gebunden an die Verwendung nur der eigenen Zellen. Keine Frage: Die neue Machbarkeit braucht sinnvolle Regeln, immerhin bringt sie neue Menschen hervor. Aber der Wunsch nach eigenen Kindern liegt zuallererst in der Verantwortung der Eltern und nicht in der von Medizinern oder Juristen, die sich schließlich auch nicht im Vorfeld in die natürliche Familienplanung einmischen dürfen, sondern sich allenfalls dann um das Kindswohl kümmern, wenn bereits ein Kind da ist.

Vom Retortenbaby zum Wunschkind

Als die Reproduktionsmedizin noch in den Kinderschuhen steckte und die Vorbehalte ausgeprägt waren, fasste man die auf diese Weise gezeugten Menschen unter dem etwas unschönen Begriff Retortenbabys zusammen. Als erstes im Reagenzglas gezeugtes Baby gilt die Britin Louise Brown, die heute 37 Jahre alt ist. Sie entstand mit Hilfe der In-Vitro-Fertilisation (IVF), bei der die Befruchtung der Eizelle außerhalb des Körpers der Frau stattfindet. Ungeachtet der damaligen Befürchtungen, es könne dadurch zu Missbildungen oder gar der Entstehung einer neuen Menschenrasse kommen, war Brown gesund, erlernte einen ganz normalen Beruf und bekam schließlich selbst – auf natürlichem Wege – Kinder. Auch das hatten manche für nicht möglich gehalten.

„Als die Reproduktionsmedizin noch in den Kinderschuhen steckte, waren die Vorbehalte ausgeprägt“

Das Deutsche Ärzteblatt berichtete im Jahr 2012, dass weltweit über fünf Millionen Menschen ihre Entstehung einer künstlichen Befruchtung verdankten. Aktuellere globale Zahlen sind seitdem nicht mehr veröffentlicht worden. Das Deutsche IVF-Register schreibt in seinem Jahrbuch von 2013, dass über 80.000 Behandlungen an deutschen Reproduktionskliniken stattgefunden haben, die jedoch nur zu knapp 12.000 Lebendgeburten führten. Etwa die Hälfte davon entfallen auf ICSI-Behandlungen (Intrazytoplasmatische Spermieninjektion), bei der eine ausgewählte Samenzelle per Injektion in einer Eizelle platziert wird. Eine weitere häufige Behandlungsform ist neben der schon genannten IVF die Intrauterine Insemination (IUI). Bei dieser werden aufbereitete Samen mittels Katheter zum richtigen Zeitpunkt in die Gebärmutter eingebracht und die Befruchtung läuft ab dann weitestgehend normal ab – hier werden allenfalls noch Hormongaben zur Steigerung der Erfolgsaussichten eingesetzt.

Individueller Wunsch oder medizinische Notwendigkeit?

Hinter diesen Zahlen steckt die Arbeit von Reproduktionsmedizinern an Universitätskliniken, Privatkliniken und gynäkologischen Zentren, die so nachgefragt sind, dass Interessenten sich auf monatelange Wartezeiten einstellen müssen. Längst ist die künstliche Kinderzeugung ein Geschäft geworden, das sich irgendwo zwischen medizinischer Notwendigkeit und individueller Wunscherfüllung verorten lässt. So ist es nur konsequent, dass aus dem misstrauisch beäugten Retortenbaby das gut geplante Wunschkind wurde und dass Paare sich nun offiziell ihren Kinderwunsch erfüllen. Dass diese Umfirmierung dem Marketing der Kinderwunschzentren dienlich ist, ist dabei nur die eine Seite der Medaille. Die andere Seite hilft den werdenden Eltern und entlastet sie bei der Begründung ihrer Behandlung: Sie pfuschen der Natur nicht länger ins Handwerk, sie spielen nicht länger Gott – sie erfüllen sich einen sehnlichen Wunsch. So wie andere Eltern auch, nur eben etwas anders.

Zahlreiche hochwirksame Verhütungsmöglichkeiten und die Entkoppelung von Sexualität und Fortpflanzung haben aus der Zeugung von Kindern eine bewusst getroffene Entscheidung gemacht. Doch der Raum für Kinder ist in vielen Biografien zusammengeschrumpft und muss sich hinter Ausbildung, Studium, Auslandserfahrung und erster Berufspraxis anstellen. Das Durchschnittsalter von Müttern bei der Geburt ihres ersten Kindes liegt inzwischen in Deutschland bei 31 Jahren. Rund 20 Prozent der Mütter sind bei der Geburt bereits zwischen Mitte 30 und Ende 40, was aus medizinischer Sicht schon im Bereich der Risikoschwangerschaft liegt. Die angesprochenen Zielgruppen von Reproduktionszentren sind infolge dessen nicht mehr nur von diagnostizierter Unfruchtbarkeit Betroffene, sondern auch gesunde Paare, die für die natürliche Zeugung bloß zu lange gewartet haben.

„Wie sinnvoll ist es, vor der künstlichen Zeugung auf partnerschaftlichen Bedingungen zu bestehen, die sich nachträglich ohnehin wieder ändern können?“

Ein gutes Beispiel für die Weiterentwicklung eines medizinischen Verfahrens, das erst Kranken und nun auch Gesunden dient, ist das Social Freezing: Frauen können sich in jungen Jahren Eizellen entnehmen und einfrieren lassen und sie später auftauen und befruchten lassen. Das Verfahren war ursprünglich für Patientinnen entwickelt worden, die aufgrund einer Krebstherapie unfruchtbar zu werden drohten und vorher ein paar Eizellen retten konnten. Heute bieten Unternehmen wie Apple und Facebook ihren jungen weiblichen Angestellten an, das Verfahren zu bezahlen, und so, natürlich nicht uneigennützig, die späte Familienplanung zu fördern.

Medizinische und ethische Perspektive

Doch trotz der wachsenden Möglichkeiten und Angebote, so diskussionswürdig sie im Einzelnen vielleicht auch sind, sollte nicht in Vergessenheit geraten, dass Kinderwunschbehandlungen nach wie vor etwas sehr Exklusives sind. Die Berechtigung dazu ist rechtlich stark eingeschränkt, die hohen Kosten im zumeist vierstelligen Bereich verkleinern den Kreis der Nutznießer zusätzlich. Die entscheidende Frage ist: Wie sinnvoll ist die Regulierung des Zugangs zu diesen Behandlungsformen auf Basis des Beziehungsstatus der Patienten? Und wie sinnvoll ist es, vor der künstlichen Zeugung auf partnerschaftlichen Bedingungen zu bestehen, die sich nachträglich ohnehin wieder ändern können?

Zur reproduktiven Autonomie gehört die Freiheit, kein Kind zu bekommen, indem ein Mittel der Verhütung gewählt wird. Außerdem die Freiheit, ein bestimmtes Kind nicht zu bekommen und es abzutreiben. Und natürlich die Freiheit, ein Kind ganz bewusst zu bekommen. Im Rahmen der natürlichen Zeugung sind hier, wie gesagt, keine rechtlichen Grenzen gesetzt. Teenager bekommen Kinder und selbst 70-Jährige können nochmal Vater werden. Ob man das nun persönlich gutheißt oder nicht, ist unerheblich, denn gesetzlich verboten oder bürokratisch erschwert ist es nicht. Natürlich gezeugte Kinder können auch Verhütungsunfälle sein, ungeplant und vielleicht sogar ungewollt und ungeliebt.

„Gesetzesgrundlage und finanzielle Förderung von Kinderwunschpatienten gehen von einem konservativen Familienmodell aus“

Das individuelle Recht, sich fortzupflanzen, ist also nicht eingeschränkt, aber ergibt sich daraus das Recht auf eine Kinderwunschbehandlung für jedermann, beziehungsweise die Pflicht des Gesetzgebers, die vorhandenen Einschränkungen zurückzunehmen und künstliche Befruchtungen jedem Paar und jeder Person zugänglich zu machen? Und was ist mit Behandlungen, die bislang in Deutschland untersagt sind, die aber für manche Paare oder Personen die einzige Möglichkeit darstellen?

Mehr Freiheiten per Gesetz

Die bestehende Gesetzesgrundlage und die derzeitige finanzielle Förderung von Kinderwunschpatienten gehen von einem konservativen Familienmodell aus, das seine Basis in einem heterosexuellen Ehepaar hat. Doch nach dem aktuellen Familienreport des Bundesministeriums für Familie leben von den gut 8 Millionen Familien mit minderjährigen Kindern nur 5,7 Millionen nach diesem Modell. Gut anderthalb Millionen Elternteile sind alleinerziehend, knapp eine Million lebt in nichtehelichen, davon eine kleine Minderheit in gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften. Ist bei all diesen zuletzt genannten Familienformen per se das Wohl der Kinder gefährdet? Das unterstellt nicht einmal der Gesetzgeber.

Er lässt auch jene Paare und Personen in Ruhe, die nicht das konservative Familienmodell leben und sich den Kinderwunsch in Eigenregie erfüllen. So gibt es mit der sogenannten Co-Elternschaft auch Kinder, die auf der Basis von Sympathie oder Freundschaft entstehen. Hier sind im Internet längst Plattformen entstanden, um beispielsweise gleichgeschlechtliche Paare und Singles mit Kinderwunsch zusammenzubringen. Eine jüngst vom Vater publik gemachte Familiengeschichte 1 handelt von einem lesbischen Paar und einem Single-Vater, die gemeinsam eine Co-Familie gründeten. Für Frauen gibt es die Möglichkeit, in Nachbarländern – etwa in Dänemark oder den Niederlanden ­– gespendeten Samen zu bestellen und damit Mutter zu werden. Und Männer können beispielsweise in Amerika oder Osteuropa Eizellspenden und die Dienste von Leihmüttern in Anspruch nehmen. Wenn diese Familiengründungen also bei selbst bewerkstelligter Umsetzung erlaubt sind, warum sollten sie dann in den Kliniken untersagt bleiben?

„Der deutsche Staat will bewusst gewollte Kinder verhindern und beklagt sich gleichzeitig über den demografischen Wandel“

Das alles schreit förmlich nach einem zeitgemäßen Gesetz zur Fortpflanzungsmedizin. Eine Gruppe von Juristen der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) und der Universität Augsburg haben vor zwei Jahren einen solchen Entwurf formuliert 2. Jens Kersten von der LMU beschreibt die zentrale Aussage des Gesetzes so, „dass jeder das Recht hat, Methoden der medizinisch unterstützten Fortpflanzung in der Bundesrepublik in Anspruch zu nehmen. Das heißt auch: nicht nur Ehepaare, sondern auch Paare, die in einer Lebensgemeinschaft leben, Alleinstehende sowie gleichgeschlechtliche Paare. […] Es ist uns bewusst, dass es mit Konflikten verbunden sein kann, wenn mehrere Menschen bei der Erzeugung und Geburt eines Kindes beteiligt sind. Aber zu schweren Konflikten mit und um Kinder kann es auch in der klassischen Ehe und Familie kommen.“

Was hat der Staat davon?

Ein liberal gestaltetes Reproduktionsgesetz würde nicht nur mit der nicht nachvollziehbaren Ungleichbehandlung von Paaren und Personen mit Kinderwunsch aufräumen, es könnte auch einen nicht unerheblichen Einfluss auf die demografische Entwicklung des Landes ausüben. Insbesondere Industrienationen, die mit einer hohen Anzahl kinderloser Bürger konfrontiert sind, können sich damit selbst helfen. Hierfür müssen sie auch niemanden (finanziell) zum Kinderkriegen animieren, es reicht vermutlich schon, den bereits vorhandenen Wunsch in der Bevölkerung nicht weiter einzuschränken. Rund anderthalb Millionen Menschen gelten in Deutschland als ungewollt kinderlos3; in diese Kategorie fallen alle Paare, bei denen sich nach einem Jahr des Versuchens keine natürliche Schwangerschaft einstellt. Singles und gleichgeschlechtliche Paare sind da noch nicht mit eingerechnet.

Der schwedische Ökonom Anders Svensson hat in einer Studie ermittelt, dass die Bevölkerung seines Landes ohne die Anwendung von künstlichen Befruchtungen bereits deutlich geschrumpft wäre. Der Anteil der damit gezeugten Kinder lag bei rund drei Prozent. Es erscheint absurd, dass der deutsche Staat sich darauf konzentriert, bewusst gewollte Kinder zu verhindern und sich gleichzeitig über den demografischen Wandel beklagt. Er sollte es der Entscheidung seiner mündigen, erwachsenen Bürger überlassen, ob sie Kinder bekommen und welche reproduktionstechnischen Methoden sie für sich selbst verantworten können.

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