25.06.2021
Die neue Ökomoderne
Von Christoph Lemmer
Der Atomausstieg ist deutscher Nationalkonsens. Man ignoriert sogar, dass er dem Ziel der CO2-Reduktion stark zuwiderläuft. In anderen Ländern geht man viel unideologischer mit dem Thema um.
„Mit dem Klimawandel verhält es sich so: Die, die am meisten darüber wissen, fürchten sich am stärksten. Mit Atomkraft verhält es sich so: Die, die am meisten darüber wissen, fürchten sich am wenigsten.“1
Gibt es irgendwo auf der Welt eine Panne in einem Atomkraftwerk, ist auf deutsche Medien Verlass. Wie dieser Tage, als irgendwas im Reaktor von Taishan passiert sein soll. Ein Ort, dessen Namen die meisten in Deutschland noch nie gehört haben dürften. Taishan liegt in Südchina. Da drohe „eine unmittelbare radiologische Bedrohung“, wie Christoph Seidler, Wissenschaftsredakteur des Spiegel, unter Berufung auf CNN sorgenvoll notiert.
„Experten sind besorgt über AKW-Panne in Chinas wichtigstem Industriezentrum“, titelt Benedikt Fuest, nicht minder angespannt, für die Welt. China spiele die Panne herunter. Die in der Überschrift versprochenen Experten fehlen leider im Kleingedruckten, jedenfalls sorgenvolle. Es finden sich nur „Experten“ der Betreiber, die sich freilich nicht sorgen, sondern Entwarnung geben. Der Meiler laufe innerhalb der vorgesehenen Werte.
Da wäre mehr drin gewesen, denn es gab durchaus Experten, die leicht aufzufinden waren. Einer von ihnen ist Mark Nelson. Nelson lebt in Santa Fe im US-Bundesstaat New Mexico und verfügt über eine beeindruckende Vita. Er hat einen MPhil der Universität Cambridge in Nuklearenergie. Mit dem Titel MPhil darf sich schmücken, wer ein Forschungsstudium an einer englischen, amerikanischen oder australischen Uni erfolgreich absolviert hat. Er ist außerdem Ingenieur für Flugzeugtechnik und Mechanik, studierte Russisch in Oklahoma, lebte einige Jahre in Russland und Tadschikistan, arbeitete dort u.a. in einer Hosenfabrik und forschte am Los Alamos National Laboratory in den USA. Derzeit, so schreibt er in seiner Vita, beschäftige er sich schwerpunktmäßig mit Fragen um die klimaverträgliche Energiegewinnung. Ihn interessierten schwerpunktmäßig die Elektrizitäts-Systeme in Deutschland und Frankreich.
„Gibt es irgendwo auf der Welt eine Panne in einem Atomkraftwerk, ist auf deutsche Medien Verlass.“
Zu Taishan wusste Nelson auf Twitter mitzuteilen, wie der Reaktor dort beschaffen sei und worin höchstwahrscheinlich das Problem liege. Es seien in geringer Menge Edelgase ausgeströmt. Das deute auf eine undichte Stelle an einem Brennstab. In so einen Brennstab, hergestellt aus Zirkonium, würden die energiereichen kleinen Nuklear-Pellets gefüllt. Die bestünden aus einem Keramik-ähnlichen Material – wobei er in seinem Thread dazuschrieb: Genau, Keramik, wie bei einer Kaffeetasse. Vorteil: Das Material sei ausgesprochen hitzebeständig. Nachteil: es sei zerbrechlich. Früher seien ständig mal Pellets gebrochen oder hätten Risse bekommen. Heute komme das nur noch selten vor, aber man könnte das eben nicht ganz vermeiden (wobei modernere Reaktor-Typen anders beschaffen sind und das Problem dort grundsätzlich nicht auftreten kann).
Die typische Konsequenz sei, dass Edelgase aus dem Brennstab strömten. Die seien zwar teils durchaus radioaktiv, was aber nicht besonders schlimm sei. Edelgase – wer Chemie hatte, erinnert sich vielleicht – reagieren nur sehr träge oder gar nicht mit anderen Elementen. Wer ein paar Moleküle einatme, der atme sie auch wieder aus, schreibt Mark Nelsen. Wie das eben so sei mit Edelgasen.
Keine Gefahr, dafür viel Framing
Nelson verlinkt dann auch zu einem Tweet von CNN. US-Behörden würden sich die Sache anschauen, aber noch kein Krisenlevel sehen, heißt es darin. In deutschen Redaktionen scheint dieser CNN-Tweet nicht angekommen zu sein, jedoch immerhin der ausführliche CNN-Artikel, in dem sich dieser Satz findet. Genau den verlinkt Christoph Seidler in seinem Spiegel-Bericht – wohl eher in der Hoffnung, dass niemand ihn klickt oder zu gründlich liest. Denn die Einschätzung der US-Regierung, von Krise könne keine Rede sein, verschweigt Seidler.
Hätte er das getan, hätte sich der sorgenvolle Sound seines Textes auch zerlegt. Seidler schreibt:
„Man muss nur einmal auf die Landkarte schauen, um sich zumindest ein paar Sorgen zu machen: Zeichnet man einen Kreis mit einem Radius von umgerechnet rund 150 Kilometern um den chinesischen Atommeiler Taishan, finden sich darin unter anderem diese Megastädte: Guangzhou (rund 20 Millionen Einwohner), Shenzhen (12 Millionen), Foshan (7 Millionen) und Hongkong (7,5 Millionen). Genau auf dieses Kraftwerk im Zentrum dieses Kreises richten sich gerade die Blicke von Experten wegen eines möglichen Problems – auch wenn sich aktuell kaum seriös sagen lässt, wie groß die Gefahr tatsächlich ist.“
Immerhin lässt sich in Seidlers Text bei aufmerksamem Lesen nachvollziehen, dass der Vorfall offenbar schon mehrere Tage alt war und dass CNN ihn deshalb exklusiv vermelden konnte, weil die US-Regierung von einer der beiden Betreiberseiten des Kraftwerks darauf aufmerksam gemacht wurde. Der Reaktor wird von einer chinesischen Firma betrieben und wurde gemeinsam mit der französischen Framatom gebaut. Framatom ist weiter für die Wartung mitverantwortlich. Gegen China bestehen freilich US-Sanktionen wegen der Unterdrückung der Uiguren und anderer Minderheiten. Framatom bat die US-Regierung offenbar deshalb ausdrücklich, in China aushelfen zu dürfen, um sich wegen der Unterstützung Chinas nicht auch Sanktionen einzufangen.
„Nichts war außer Kontrolle geraten. Es war wieder nur eine dieser Stories, die die diffuse Angst vor der Atomkraft am Köcheln halten sollen.“
Tatsächlich passiert war in Taishan jedoch: nichts – wieder mal nichts, wie das meistens so ist, wenn deutsche Medien sorgenvoll ihre nuklearen Angstpsychosen pflegen. Die chinesische Provinz Kanton und Hong Kong blieben unbehelligt. Kein Arbeiter im Atomkraftwerk bekam eine zu hohe Strahlendosis ab. Nirgendwo radioaktiver Fallout. Es war ein kleiner Zwischenfall, wie er mal passieren kann, routinemäßig und ohne viel Mühe lösbar. Nichts war außer Kontrolle geraten. Es war wieder nur eine dieser Stories, die die diffuse Angst vor der Atomkraft am Köcheln halten sollen.
Selbstverständlich haben weder Seidler noch Fuest die Sache weiter verfolgt und ihr Publikum darüber aufgeklärt, ob und wie das Problem erledigt wurde und wie klein es überhaupt war. Das geschieht nie nach solchen Vorfällen. Medial finden sie nur statt, solange die Lösung noch offen ist, sich also der GAU, gar der Super-GAU als Unhappy End herbeiphantasieren lässt. Das reale Happy End im Atomkraftwerk findet in Medien nicht statt.
Der Nazi-Esoteriker, der den Deutschen die Angst vor der Atomkraft beibrachte
Das dürfte mit der Grundstimmung in Deutschland zu tun haben, die ein wenig speziell ist. Ende der 1970er Jahre entdeckten die linken 68er den Umweltschutz als neues Mobilisierungsthema. Die Kritik an sozialen Folgen der Industrialisierung wurde auf die Folgen für die Natur erweitert. Einer der Köpfe der Grünen-Gründer war Baldur Springmann – freundlich lächelnder Rauschebart mit Kittelhemd, früherer SA-Mann, Mitglied des Reichsnährstandes (das sind die, die das Schwarzbrot propagierten, eine typisch deutsche Meise bis heute), vermögender Erbe einer Metallfabrik im Ruhrgebiet, Großbauer in Mecklenburg in der NS-Zeit, erster Ökobauer Westdeutschlands in Schleswig-Holstein in den 1950er Jahren.
Man mochte es diesem verschrobenen wirkenden Mann nicht zutrauen, aber er hatte machtstrategisch was drauf und dachte schon damals ganz ähnlich wie später Angela Merkel, speziell aber die Grünen bis heute.
„Ich denke, dass die andere sehr große Machtzentrale, die sich in den letzten Jahrzehnten herausgebildet hat, die Medien sind. Da lag wahrscheinlich ein richtiger Ansatzpunkt. Ich habe die Erfahrung gemacht, auch damals, als ich parteipolitisch tätig war, wie die Medien aus mir etwas ganz anderes gemacht haben als meine eigenen Parteifreunde. Von den Journalisten gab es ganz viele, die viel besser begriffen hatten, was ich wollte, als eigene Parteimitglieder. Die haben versucht, sehr viel von meinen Ansichten zu verbreiten. […] Weißt Du, wie meine politische Laufbahn angefangen hat? Ich hatte keine Ahnung von nichts. Ich bin nach Hamburg gefahren und habe mich durchgefragt. Die haben mich alle veräppelt und ausgelacht. Ich habe gesagt, ich wolle ins Fernsehen und den Leuten was erzählen (lacht). Zuletzt habe ich eine Frau gefunden, die hat eine Reportage gemacht, die war ganz prima. Und das war mein Einstieg, sonst hätten meine Freunde mich gar nicht gekannt, so konnte ich die Grünen gründen.“ (Baldur Springmann)
Schöne Entdeckung, das mit den Medien. Und es funktioniert ja auch. Heutige Grüne würden manches vielleicht anders formulieren als Springmann. Aber Sätzen wie diesen würden sie in der Sache zustimmen:
„Wenn wir das ganze Erdenleben mittragen und für seine Zusammenhänge und seine Gesundheit sorgen, dann sorgen wir für uns selbst am besten. Das ist die Grundlage. Und wenn das die Grundlage unseres Denkens ist, dann ergeben sich ganz logischerweise auf allen Gebieten totale Änderungen unserer Handlungen. Dann ist es z.B. unmöglich, irgendwelche Dinge zu tun, von denen wir nicht wissen, wie sie sich auswirken werden. Ein Kernkraftwerk ist immer ein gutes Symbol dafür. Das ist so dieser Kitzel, dieser Reiz. Großartig, dass wir das schon können. Genmanipulation ist so etwas Ähnliches. Da haben wir jetzt schon angefangen mit etwas, das vielleicht gar nicht so schlimm ist, aber das einfach noch nicht zu Ende gedacht ist. Das ist so, als wenn wir ein Flugzeug bauen und haben noch keine Landeklappen und keine Räder zum Landen, denn wir sind so ungeduldig: Piloten und Passagiere sagen, nun flieg mal los, es wird uns schon was einfallen, wie ihr wieder landen könnt. So ist es mit allen Dingen: Man darf das nicht machen, bevor man nicht weiß, wo man mit der Scheiße bleibt, die dabei anfällt.“
Ziemlich schiefes Bild. Falsch ist daran schon, dass ein Flugzeug ohne Räder erst gar nicht starten könnte. Landeklappen dagegen sind tatsächlich weder zum Starten noch zum Landen zwingend nötig. Die Höhenruder am Heck genügen vollauf. Aber Angst beruht ja gerade auf Unwissen. Auch diesen Satz würden heutige Grüne vermutlich immer noch unterschreiben oder wenigstens wohlwollend tolerieren:
„Ob das Wort Bauer noch stimmt, möchte ich bezweifeln. […] Es gibt nur noch einen Agraringenieur, das heißt einen, der wie ein Ingenieur manipuliert auf dem Sektor Natur. Und was die studieren, ist pflanzliche und tierische Produktion, das heißt, die Tiere und die Pflanzen sind Produktionsmittel. Wie Maschinenteile, das ist ihnen eingehämmert worden von diesen Wissenschaftlern.“ (ebd.)
Diese Wissenschaftler! Da klingt Baldur Springmann wie der heutige Ken Jebsen. „Follow the Science“ wäre eher nicht sein Motto gewesen. Aber das ist das Motto der Grünen auch nur zu einem einzigen Thema, nämlich dem Klimawandel. Und auch da meinen sie das in konsequent antiwissenschaftlicher Politisierung. Luisa Neubauer etwa argumentiert gern fehlerhaft-empirisch und ad hominem: Stets hat sie irgendeine Zahl oder eine Korrelation zur Hand, nie aber eine Ursache-Wirkung-Kausalität. Das war bei Elvis Presley schon so: Millionen Fans können nicht irren, hieß es. Also sagt Neubauer, auch 30.000 Wissenschaftler könnten nicht irren. Nicht, weil die Wissenschaftler recht hätten (was durchaus möglich ist), sondern weil es 30.000 sind.
„Kein anderes Land ist derart realitätsfern.“
Ansonsten ist Neubauer ganz bei Springmann, der Rest der Grünen ist es auch, ebenso die SPD, CDU und CSU, auch die studierte Physikerin Angela Merkel und der Populist Markus Söder. Atomausstieg ist deutscher Nationalkonsens und deutscher Sonderweg. Dass der Atomausstieg freilich dem Ziel der CO2-Reduktion und damit des Klimaschutzes frontal zuwiderläuft, wird ebenso konsensmäßig als lästiger Sachzwang weggedrückt.
Die Andersgrünen
Kein anderes Land ist derart realitätsfern. In Europa etwa vertreten die finnischen Grünen einen konsequenten Pro-Atomkurs – worüber deutsche Medien nicht berichten, durchaus aber der schweizerische öffentlich-rechtliche Rundfunk. Dort findet sich ein Zitat des grünen Parlamentsabgeordneten und Klimaforschers (!) Atta Harjane: „Wir befürworten jetzt alle kohlenstoffarmen Energiequellen, dazu gehört auch die Nuklearenergie.“
Harjane und Finnland bewegen sich damit in bester globaler Gesellschaft. Seit Jahren nimmt die Pro-Atomfraktion der Ökobewegung immer mehr Fahrt auf. Ausgelöst wurde die Wende wohl in den USA. Einer der Wortführer ist Stewart Brand, frühere Hippie-Ikone, Herausgeber des „Whole Earth Catalog“, ein Werk, das Apple-Gründer Steve Jobs als eine Art Google in Papierform vor der Popularisierung des Internet bezeichnete. „Wir sind wie Götter“, schreibt Brand im Vorwort, „und sollten unsere Fähigkeiten einsetzen.“ Der Katalog ist eine kunterbunte, riesige Sammlung an Weisheiten, technischen Diagrammen, Funktionsbeschreibungen und Waren-Empfehlungen, eine Art Bibel ökologisch gesinnter Nerds kurz vor der digitalen Revolution.
„Seit Jahren nimmt die Pro-Atomfraktion der Ökobewegung immer mehr Fahrt auf.“
2009 veröffentlichte Brand sein Buch „Whole Earth Discipline“. Darin markiert er seinen Seitenwechsel von der Anti- zur Pro-Atomfraktion. Er schildert einen Besuch in der Endlagerstätte Yucca Mountain, gelegen in einem Stammesgebiet der Schoschonen im US-Bundesstaat Nevada. Ausgesucht worden war diese Stätte als Atomlager wegen ihrer geologischen Stabilität (und vielleicht auch deshalb, weil sie dort vor allem nur ein paar Indianer stören könnte). Das Lager war auf 10.000 Jahre Haltbarkeit konzipiert. Und genau diese 10.000-Jahr-Perspektive war es, die Brand umdenken ließ:
„Wir verstanden, dass Yucca Mountain ein klassisches Beispiel für die Torheit derartiger Langfrist-Planungen ist – die Illusion, wir wüssten, wie wir das Richtige für die nächsten zehn Jahrtausende tun könnten.“2
Je detaillierter er darüber nachgedacht habe, desto absurder sei ihm die Idee eines Endlagers erschienen:
„Die übliche Kritik [an der Atomkraft und Endlagerung] lautet: ‚Du musst garantieren, dass die gesamte Radioaktivität im Müll für zehntausend Jahre eingesperrt bleibt (oder besser 100.000 Jahre, nein: eine Million Jahre). Und wenn Du das nicht garantieren kannst, dann darfst Du keine Atomkraft haben.‘ – Warum? – ‚Weil jegliches Quantum an radioaktiver Strahlung Menschen und andere Lebensformen verletzt. Es könnte ins Grundwasser sickern.‘“
Worauf Brand dann diesen Gedanken setzt:
„Welche Menschen? Wir scheinen anzunehmen, dass Menschen in der Zukunft exakt so wären, wie wir heute. Mit unseren heutigen Sorgen und unserer heutigen Technik. Aber was wird in, sagen wir, nur 200 Jahren sein? Wenn wir und unsere Technik sich weiterentwickeln, dann wird die Menschheit bis dahin unvorstellbare Fähigkeiten besitzen, verglichen mit unseren heute. Sie werden sich um viel interessantere Dinge zu kümmern haben als um ein bisschen leicht zu entdeckende, verstreute Radioaktivität irgendwo in der Landschaft. Schauen wir mal zurück in die Steinzeit: Ein paar seltsame Dosen Radioaktivität von damals wären heute unser kleinstes Problem. Denn das Problem wird mit der Zeit nicht schlimmer, sondern es verschwindet mit der Zeit.“
Und das, so Brand, unterscheide das Atommüllproblem fundamental von dem des Klimawandels. Der verschwinde nämlich mit Zeitablauf keineswegs einfach so. Das fundamentale Problem sei die Stromerzeugung mit Kohle, was jetzt nicht besonders originell oder neu ist (und schon beim Erscheinen seines Buches nicht war) – aber es ist nach wie vor die zentrale Erkenntnis. Anders als den deutschen Konsenspolitikern geht es Brand freilich nicht um irgendwelche veralteten Rechthabereien, sondern um reale Veränderung:
„Wenn sich Rollen verändern, dann haben sich auch Ideologien zu verändern. Ideologien hassen es aber, sich zu verändern. Das kann man mit Pragmatismus umgehen. […] Der Wandel geht viel tiefer, als dass nur eine Ideologie gegen eine andere ausgewechselt werden könnte. Der Wandel besteht darin, Ideologien insgesamt abzuschaffen.“
Ein bisschen davon sickert nun endlich doch auch nach Deutschland. Nicht unbedingt bei den Grünen, die sind – all ihre Vorfeldorganisationen eingeschlossen – unverbesserlich ideologisch. Aber ein paar Fachleute gibt es, die neuerdings auch öffentlich auftreten und den deutschen Anti-Atomkonsens angreifen.
Die Ökomoderne tastet sich nach Deutschland vor
Zu ihnen gehört etwa Reiner Moormann, bis zu seiner Pensionierung Experte für Reaktorsicherheit und Chemiker am Kernforschungszentrum Jülich. Oder Rainer Klute, Ex-Pirat, der den Verein Nuklearia führt. Oder die Technik-Historikerin Anna Vero Wendland, die nach und nach auch in Publikumsmedien als Expertin gefragt ist. Wendland propagiert den Begriff „Ökomoderne“. Sie fordert eine „Re-Alphabetisierung“ der Deutschen, nachdem die alte Ökobewegung sie beim Thema Atomkraft ent-alphabetisierte.
„Ein paar Fachleute gibt es, die neuerdings auch öffentlich auftreten und den deutschen Anti-Atomkonsens angreifen.“
Die Killerfrage der Atomgegner, nämlich die nach der Endlagerung von Atommüll, beantwortete Wendland in einem Cicero-Interview so:
„Das ist ein rein politisches, kein technisches Problem. Für die anti-Atom-orientierten Parteien war das fehlende Endlager ein Instrument, um die Betriebsgenehmigung von Kernkraftwerken anzufechten. Es gab also – ungeachtet legitimer Kritik in einzelnen Punkten – kein wirkliches Interesse an einer schnellen Endlagerfindung. Insofern ist es absurd, wenn Teile des linken Lagers nun beklagen, dass es kein Endlager gibt.“
Absurd? Wohl eher vorsätzliche Taktik. Im selben Interview kritisiert Wendland auch die Dämonisierung der Gentechnik in Deutschland:
„Auch hier wurde ein Mythos aufgebaut durch den Vorwurf, die Gentechnik sei ein unzulässiger Eingriff in die Ganzheitlichkeit von Naturzusammenhängen. Wobei vollkommen außer Acht gelassen wird, dass auch frühere Formen von Züchtung oder selbst die Öko-Agrarwirtschaft immer ein Eingriff und eine menschliche Manipulation von natürlichen Dingen gewesen ist. Auch die Kupferverbindungen, die Öko-Bauern auf ihre Felder ausbringen, sind nichts Natürliches. Diese Mythisierung muss man aufbrechen. Wir werden den Leuten Illusionen nehmen müssen über Öko.“
Damit ist sie ganz nahe bei Stewart Brand und frontal auf Crashkurs mit Baldur Springmann, dem Urvater des grünen Irrationalismus.
Brand stellt in Whole Earth Discipline trocken fest, dass die Menschheit seit ihrem Erscheinen den Planeten „terraformed“ habe. Die Erde sei nicht mehr dieselbe wie vor 10.000 Jahren. Der Mensch sei mit dem Terraforming gut gefahren und werde künftig nur dann gut weiterfahren, wenn er es fortsetze – in diesem Fall: das Klima ausbalanciere. Das, so Brand, müssten nun endlich auch die Grünen (gemeint: Grüne weltweit) einsehen:
„Zum Unglück für die Atmosphäre haben Umweltaktivisten dazu beigetragen, die kohlenstofffreie Atomkraft in den 1970er und 1980er Jahren in den USA und Europa (außer Frankreich) zu stoppen. Grüne verantworten damit Gigatonnen an CO2 in der Atmosphäre. Ich war einer von denen und ich entschuldige mich.“
Ob Angela Merkel, Markus Söder, Annalena Baerbock, Robert Habeck, Svenja Schulze, Luisa Neubauer und all die anderen, die es immer noch nicht verstehen wollen, zu dieser Einsicht fähig sind?