18.11.2019

Die Neuauflage des „alten, weißen Mannes“

Von Nico Hoppe

Titelbild

Foto: RitaE via Pixabay / CC0

„Ok, Boomer“ ist ein neues Internet-Meme gegen die Babyboomer-Generation. Im digitalen Generationenkonflikt zeigt sich das Bedürfnis nach bequemen Feindbildern besonders unverhohlen.

Wer im Internet das letzte Wort hat, geht meist als Gewinner aus dem Ring. Doch dabei geht es weniger um überzeugende Argumente oder schale Kompromisse, dafür aber um knackige Sprüche, schlagfertige Entgegnungen und Witze auf Kosten des Gegners. Das Internet liest schließlich mit – und Recht hat, wer die Mehrheit hinter sich weiß. In nicht allzu seltenen Fällen entwickelt sich so aus banalsten Sprüchen in einer beliebigen Kommentarspalte ein virales Phänomen, zum Beispiel ein sogenanntes Meme. Dabei handelt es sich meist um lustige Bilder, Videos oder Sätze, die im Internet zügig Verbreitung finden. Ein solches Meme hat nun, nachdem es besondere Popularität im amerikanischen Raum erreichte, für Furore gesorgt: Der Spruch „Ok, Boomer“ soll durch das Video eines älteren Mannes, der über junge Leute, ihren angeblichen Mangel an Selbstständigkeit und ihre utopischen Träume klagt, inspiriert worden sein. Was also anfangs mit dem für sich genommen verständlichen Belächeln von absurdem Altherren-Gezetere begann, bekam jedoch bald eine politische Dimension.

Mit der kurzen, spöttisches Desinteresse signalisierenden Antwort werden vor allem jene bedacht, deren altkluge, hämische Kommentare die sogenannte Generation Y (von den früheren 1980er-Jahren bis 1997) und die Generation Z (von 1997 bis 2012) in Zukunft nicht mehr ernst nehmen wollen: Angehörige der von etwa 1946 bis 1964 andauernden Babyboomer-Generation. Jene Jahrgänge also, denen man vorwirft, im Gegensatz zu den Millennials über alle Privilegien verfügt und vom Wohlstand der Nachkriegsjahre profitiert zu haben, werden zur neuen Zielscheibe.

Das geschieht wohl nicht nur, weil man sich nicht ernst genommen fühlt, sondern auch aufgrund der Annahme, die Babyboomer-Generation hinterlasse den jungen Menschen heute eine durch Umweltzerstörung dem Kollaps entgegenschreitende Welt. Die Jungen werfen den Alten letztlich verantwortungslosen Konsum, gewissenlose Untätigkeit gegenüber den dadurch geschaffenen Problemen und paternalistischen Umgang mit den Generationen nach ihnen vor. Hinter dem Begriff des „Boomers“ versteckt sich die in den vergangenen Monaten häufig frequentierte Rede vom „alten, weißen Mann“ – nun jedoch geschlechtsneutral und im soziologischen Fachjargon.

„Verwunderlich ist leider kaum, dass Linke beim identitätspolitisch kolorierten Draufspucken auf die Alten mitmachen.“

Der virale Hype spricht dabei für sich: In kurzen Videos mit mehreren Millionen Klicks auf der Plattform TikTok, in Reddit-Foren und auf Twitter erreichte das Meme eine ungebrochene Popularität. Mit dem markanten Spruch bedruckte Kleidung lässt sich bereits über das Internet bestellen. Sogar im neuseeländischen Parlament quittierte die Abgeordnete Chlöe Swarbrick den Zwischenruf eines älteren Herren mit „Ok, Boomer“, was ihr viel Zuspruch in den sozialen Netzwerken einbrachte. Die 25-jährige Politikerin der Grünen Partei Neuseelands sagte später, der Konter sei Ausdruck „kollektiver Erschöpfung, die junge Leute vor allem dann erleben, wenn sie immer wieder Fakten in die Debatte einbringen, man ihnen aber nur mit Dogmen begegnet.“ Kritik daran kam wiederum von der New York Times: Diese titelte, dass „Ok, Boomer“ für das Ende der freundlichen Beziehungen der Generationen stehe.

Jenes scheinbare Ende ist allerdings nicht das Problem – intergenerationelle Differenzen und  Gemecker der Generationen übereinander gab es stets. Dass irgendwann entsprechend harsch auf die reichlich geübte Kritik reagiert wird, ohne ihren möglicherweise wahren Kern anzuerkennen, mag ebenso verständlich sein. Das „Ok, Boomer“-Meme kommt dabei jedoch zusätzlich dem sowieso schon herrschenden Zeitgeist entgegen: In ihm verdichtet sich sowohl die umweltbewegte Anklage an ältere Generationen, man habe den jungen Menschen die Zukunft gestohlen, als auch das gehässige, allseits beliebte Lachen über alte, als ahnungslos imaginierte Menschen. Dass letzterer Umstand, der im verbalen Draufhauen auf die Abgehängten aufkeimt, keinerlei Kritik erfährt, zeigt, dass sozialchauvinistische Untertöne heute schon lange kein Tabubruch mehr sind, solange es die Richtigen trifft: all jene, auf die man sich milieuübergreifend als Sündenböcke einigen kann.

Was aus Sicht der „Millennials“ als besonders pfiffig und gewagt daherkommen soll, vollzieht einfach nur das nach, was heute zum guten Ton gehört: das, was ohnehin fällt – in diesem Fall die gesellschaftliche Macht der konservativen, ignoranten Alten – auch noch zu stoßen. Verwunderlich ist es leider kaum, dass Linke beim identitätspolitisch kolorierten Draufspucken auf die Alten mitmachen. Wo früher einmal der Begriff der Klasse und die Solidarität mit den sozial Schwachen dominierte, verfügt man heute über dutzende Identitätskategorien, an denen man alle Gruppen fleißig nach Geschlecht, Hautfarbe, Sexualität – und natürlich Alter – sortieren kann.

„‚Boomer“ wird zum Signalwort für das vermeintlich Konservative und Altbackene.“

Wer am wenigsten privilegiert und am meisten unterdrückt scheint, bekommt die Aufmerksamkeit linker Antidiskriminierungsvereine. Alle anderen werden ignoriert oder ihnen wird – wie im Falle der Alten – ihr Privileg gleich zum Vorwurf gemacht. Urplötzlich sind so auch von der im Sozialpädagogen-Jargon sattelfesten Linken erfundene Termini wie „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ und „Ageism“ (die Diskriminierung aufgrund des Alters) vergessen, sobald die ‚richtige‘ Seite das Alter zum Nonplusultra der Kritik erhebt.

Vergessen werden sollte dennoch nicht, dass der nun von zahlreichen Medien beschworene Generationenkonflikt zwischen „Boomern“ und „Millennials“ ein gern gesehener Anlass ist, die jeweils andere Generation als willkommenes Feindbild auszuschmücken, um sich im Stolz auf die eigene Generation zu üben. Während beispielsweise aus dem Gemecker älterer Menschen über Langzeitstudenten in geisteswissenschaftlichen Fächern immer schon das Ressentiment gegen die Unproduktiven, der Neid auf den Müßiggang und die Lust an der Aufwertung seiner eigenen Generation sprach, können die „Millennials“ kaum verbergen, dass das „Ok, Boomer“-Meme ebenfalls eine Manifestation der eigenen, vermeintlich taffen Überlegenheit sein soll. Man braucht sich gegenseitig, um die eigene Generation durch Abgrenzung schärfer zu definieren.

Wer da nicht mitspielt oder das ganze Spektakel gar mit Skepsis beäugt, wird prompt zum verbitterten Spielverderber abgestempelt. Das gemeinschaftliche Schmunzeln will man sich nicht nehmen lassen. Jeder, der es nicht versteht oder ablehnt, muss wohl selbst ein „Boomer“ sein – so zumindest die Logik in den Kommentarspalten der sozialen Netzwerke. Es ist also folgerichtig, wenn der Begriff des „Boomers“ irgendwann so inflationär verwendet wird, dass jeder alles in ihn hineinlegen kann. Mit der Anmerkung, dass das Boomer-Sein vor allem eine Frage der Einstellung und nicht der Generationszugehörigkeit sei, trifft es inzwischen auch alle jene, die im Verruf stehen, hinter dem Zeitgeist zurückzubleiben. „Boomer“ wird zum Signalwort für das vermeintlich Konservative und Altbackene: Wer es liest, kann alles sofort einordnen und braucht sich nicht weiter inhaltlich auseinanderzusetzen.

In regelmäßigen Abständen lässt sich dieses Phänomen im Internet, aber ebenso darüber hinaus beobachten: Ist erst einmal ein hinreichend unscharfer, sowie weitgehend unsympathischer Sozialtypus gefunden, kann das Ressentiment am jeweils aktuellen schwarzen Schaf ausagiert werden. Je mehr Menschen mitmachen, desto umfassender die kollektive, zusammenschweißende Triebabfuhr und desto gestillter vorerst auch der Hunger des Internet-Mobs.

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