18.05.2016

Die moderne Hexenverbrennung

Kommentar von Frank Schäffler

Die Debatte um das Freihandelsabkommen TTIP ist zu einer einzigen Angstkampagne verkommen. Nur eine unnachgiebige Aufklärung kann da noch helfen.

Mit Angst wird Politik gemacht. Nicht erst seit gestern, sondern heute umso mehr. Als die Eisenbahn als Fortbewegungsmittel die Postkutschen ersetzte, empfanden viele dies als Bedrohung. Wohin sollte diese Schnelllebigkeit denn führen? Ist es denn gut und richtig, dass Reisen jetzt für jedermann erschwinglich werden? Können die einfachen Bürger denn mit dieser Freiheit überhaupt umgehen? Als die kabellose Welt des Internets durch WLAN und Hotspots aufkam, sahen viele die Gefahr der Strahlenbelastung und des Elektrosmogs aufkommen. Viele meinten damals, diese Entwicklung könne nicht gut sein. Wer weiß, welche gesundheitlichen Schäden dadurch alles verursacht würden? Nicht ohne Grund gibt es in Deutschland bei der Anwendung der Gentechnik eine breite Front der Gegnerschaft. Diese darf so lange nicht breit eingeführt werden, bis deren noch nicht bekannten Nachteile nicht gründlich auf ihre langfristigen Folgen untersucht wurden.

Die Neigung, erst die Risiken zu sehen und die Chancen zu vernachlässigen, ist gerade in unserem Land besonders ausgeprägt. Intelligente Kampagnen setzen auf diese Ängste. Sie sind vorherrschend in der aktuellen Debatte um das Freihandelsabkommen TTIP. Hier werden Antiamerikanismus und vermeintlicher Verbraucherschutz in eine dicke Suppe gerührt. Die jüngsten Pseudoenthüllungen von Greenpeace und einiger Medien sind ein Beispiel dafür. Da werden Verhandlungsziele beider Seiten skandalisiert und dies von zwangsbeitragsfinanzierten Medien publiziert, als wären es Ergebnisse eines umfangreichen Enthüllungsjournalismus.

„Die Neigung, erst die Risiken zu sehen und die Chancen zu vernachlässigen, ist gerade in unserem Land besonders ausgeprägt“

Der Kern dieser Enthüllungen ist, dass die Amerikaner in ihrer Verhandlungsstrategie besonders ihre Nahrungsmittelexporte in die EU erhöhen und die EU die Automobilexporte für den amerikanischen Markt verbessern wollen. Wer hätte das gedacht? Plötzlich werden gefühlt Millionen von Chlorhühnern über Deutschland geschüttet und Abermillionen manipulierte VWs verpesten Arizona. Das kann nicht gut sein, sagen uns die öffentlich-rechtlichen Angestellten vom NDR und WDR im Enthüllerhemd und die Kampagnenprofis von Greenpeace positionieren sich vor dem Brandenburger Tor und zeigen nebenan auf die Politiker im Büßerhemd.

Drei Dinge sollten uns allen Sorge machen:

Erstens: Freihandel hat keine Lobby. Die Gegner des weltweiten ungebremsten Austauschs von Waren und Dienstleistungen sind auf dem Vormarsch. Sie alle glauben, dass sie althergebrachte Privilegien verlieren. Sie sind gesellschaftspolitisch nicht einer bestimmten Schicht oder politischen Richtung zuzuordnen, sondern überall vertreten.

Zweitens: Die Medien unterstützen in einer großen Mehrheit diesen Skeptizismus. Insbesondere die öffentlich-rechtlichen Medien von ARD und ZDF spielen eine unrühmliche Rolle. Aber nicht nur, auch die Tageszeitungen schreiben ungeprüft und unreflektiert ab. Sie müssen sich nicht über pauschale Urteile wundern.

Drittens: Der Ton macht die Musik. Die Tonalität wird schärfer, verletzender und erbitterter. Eine Verstumpfung und Verflachung macht sich breit im Land eines Goethe und Schillers.

„Wahrscheinlich hilft nur Aufklärung“

Wohin das führt, ist nicht absehbar. Doch für eine freie Gesellschaft sind das Entwicklungen, die uns herausfordern sollten. Was hilft gegen mediale Panikmache? Was hilft gegen Verlustängste von gesellschaftlichen Gruppen? Was hilft gegen die Verrohung der Sitten? Gesetze, staatliche Ordnungsmacht oder Zwang werden es sicherlich nicht sein. Wahrscheinlich hilft nur Aufklärung. Das ist die schwierigste, aber zugleich wirkungsvollste Herangehensweise. Doch die Geschichte sollte uns Mut machen.

Die Hexenverbrennung hörte in der frühen Neuzeit nicht deshalb auf, weil die Gesellschaft der Auffassung war, man habe nunmehr alle Hexen verbrannt oder ersäuft. Es lag wahrscheinlich daran, dass irgendwann die Erkenntnisse der Menschen so weit entwickelt waren, dass der Irrtum als solcher erkannt wurde, willkürlich einzelne Menschen für Katastrophen oder Naturereignisse verantwortlich zu machen. Daraus folgt: Alles wird gut! Wahrscheinlich hilft nur Aufklärung. Das ist die schwierigste, aber zugleich wirkungsvollste Herangehensweise. Doch die Geschichte sollte uns Mut machen.

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