05.02.2021

Die Meereschemie beeinflussen, um den Klimawandel zu bekämpfen

Von Wil Burns und Greg H. Rau

Titelbild

Foto: jaggarcia via Pixabay (CC0)

Die Verwitterung von Gestein entzieht der Atmosphäre CO2. Durch eine Beschleunigung dieses Prozesses könnte man den CO2-Anstieg deutlich bremsen.

Die Weltgemeinschaft ist weit davon entfernt, die im Rahmen des Pariser Klimaabkommens vereinbarte Begrenzung des globalen Temperaturanstiegs auf weniger als zwei Grad Celsius gegenüber vorindustriellen Werten zu erreichen. Ganz zu schweigen vom noch ehrgeizigeren 1,5-Grad-Ziel.

Der jüngste Emissions Gap Report 1 der Vereinten Nationen merkt an: „Es gibt keine Anzeichen dafür, dass die globalen Treibhausgasemissionen ihren Höchststand erreicht haben“. Einer anderen Studie 2 zufolge beträgt die Wahrscheinlichkeit, dass die Menschheit die Erwärmung bis zum Jahr 2100 auf zwei Grad begrenzen kann, nicht mehr als fünf Prozent, und der Temperaturanstieg zum Ende Jahrhunderts wird wahrscheinlich irgendwo zwischen 2,6 und 3,7 Grad Celsius liegen.

Aufgrund dieser bedrohlichen Trends rücken nun zunehmend Wege zur Abscheidung von CO2 aus der Atmosphäre ins Blickfeld. Zu den untersuchten Methoden gehört auch die Nutzung der Ozeane zur Absorption und/oder Speicherung des Kohlenstoffs durch Einbringen von zerkleinertem Gestein oder anderen Säurebindern, die mit dem CO2 im Meerwasser reagieren, um es somit letztlich der Atmosphäre zu entziehen. Könnte diese Art der CO2-Abscheidung im großen Stil funktionieren? Eine nähere Betrachtung verdeutlicht die ökologischen Vor- und Nachteile der marinen Kohlendioxidbeseitigung und ihre komplexen technischen, ökonomischen und völkerrechtlichen Aspekte.

Zu Wasser und zu Land

Wir und andere Forscher 3 sehen in den Ozeanen den besten Ort für die Suche nach neuen Möglichkeiten zur Beseitigung von Kohlendioxid, da sie derzeit pro Jahr etwa zehn Gigatonnen (zehn Milliarden Tonnen) davon passiv absorbieren, also etwa ein Viertel der weltweiten jährlichen Emissionen. Darüber hinaus enthalten sie erheblich mehr CO2 als die Atmosphäre, alle Böden, Pflanzen und Tiere zusammen. Und sie könnten vielleicht noch Billionen zusätzliche Tonnen CO2 speichern.

Der jüngste Bericht des Weltklimarats beschäftigte sich maßgeblich mit Methoden der Kohlendioxidabscheidung und -speicherung zu Land. Eine prominente Technologie ist die Bioenergie mit CO2-Abscheidung und Speicherung (bioenergy with carbon capture and storage, BECCS) 4, bei der pflanzliches Material zur Energiegewinnung verbrannt und das dabei entstehende Kohlendioxid unter Tage verbracht wird.

„Wir und andere Forscher sehen in den Ozeanen den besten Ort für die Suche nach neuen Möglichkeiten zur Beseitigung von Kohlendioxid.“

Allerdings gibt es Einwände gegen den massiven Einsatz von BECCS und andere pflanzenbasierte Methoden auf dem Land aufgrund möglicher Nebenwirkungen 5 und insbesondere der Sorge, dass große Ackerflächen dem Anbau spezieller Nutzpflanzen gewidmet würden. Dies könnte einkommensschwachen Menschen den Zugang zu Nahrungsmitteln erschweren 6, große Mengen Wasser verbrauchen 7 und die Biodiversität nachteilig beeinflussen. 8

Geochemie beschleunigen

Die wohl bekannteste – und manchmal kontroverse 9 – Methode der marinen Kohlendioxidabscheidung ist die Stimulation der Photosynthese 10 zur Erhöhung der CO2-Absorption. In Regionen, in denen beispielsweise das Pflanzenwachstum durch einen Mangel an Eisen begrenzt ist, kann dieses ausgebracht werden, um die CO2-Aufnahme zu erhöhen. Der hierbei in der Biomasse gebundene Kohlenstoff sinkt schließlich auf den Meeresboden und wird dort eingelagert. Andere Ansätze verfolgen die Kultivierung von Meerespflanzen oder -mikroben, wie etwa das Blue-Carbon-Programm. 11

Eine andere in Betracht gezogene Methode ist die Beschleunigung der chemischen Reaktion von CO2 mit gewöhnlichem Felsgestein 12, in der Natur auch als chemische Verwitterung bezeichnet. Eine chemische Reaktion von Regenwasser mit alkalischem Gestein und CO2, die im Boden durch biologische Aktivität katalysiert werden kann, überführt das CO2 in lösliche Hydrogenkarbonat- und Karbonationen, welche schließlich in die Meere gespült werden, wo der Kohlenstoff in dieser Form Jahrtausende lang verbleibt, bevor er als Karbonatmineral zu Boden sinkt. Das Prinzip der erweiterten Verwitterung besteht in der erheblichen Beschleunigung dieses Prozesses durch Hinzufügen von zerkleinertem Gestein oder anderen Säurebindern, die letztendlich atmosphärisches CO2 verbrauchen und es in Form von zusätzlichem Hydrogenkarbonat und Karbonat im Meerwasser speichern. Die Gesteinsverwitterung spielt eine wesentliche Rolle als Senke für überschüssiges atmosphärisches CO2, allerdings nur auf geologischen Zeitskalen 13 – 100.000 Jahre oder länger.

Eine Reihe verschiedener Möglichkeiten zur Beschleunigung der chemischen Verwitterung und marinen Kohlenstoffspeicherung wurden bereits vorgeschlagen, so z.B. das Einbringen feingemahlener alkalischer Minerale oder industriell hergestellter basischer Chemikalien wie etwa Brandkalk (CaO), Kalziumhydroxid (Ca(OH)2) oder Natriumhydroxid (NaOH) in das Oberflächenwasser. Befinden diese sich einmal im Meer, reagieren sie mit überschüssigem CO2 im Wasser und in der Luft, bilden stabile Bikarbonate und scheiden somit CO2 ab.

„In Regionen, in denen beispielsweise das Pflanzenwachstum durch einen Mangel an Eisen begrenzt ist, kann dieses ausgebracht werden, um die CO2-Aufnahme zu erhöhen.“

Solch eine Alkalisierung des Meerwassers könnte durch Ausbringung von der Küste oder von Schiffen aus erreicht werden. Auch wurde vorgeschlagen, die Alkalinität des Meerwassers mit Hilfe lokaler mariner Energiequellen zu erzeugen, z.B. durch elektrischen Strom 14, der aus dem hohen vertikalen Temperaturgradienten der Ozeane gewonnen wird. Eine andere Option 15 wäre die Reaktion von CO2 mit Gestein an Land und das Verklappen der gelösten Karbonate im Meer. All dies würde die ohnehin riesige Menge von Hydrogenkarbonat und Karbonaten im Meer nur unwesentlich vergrößern.

Als zusätzlicher Vorteil wirkt die Alkalisierung der Ozeanversauerung entgegen, also dem „anderen CO2-Problem“ 16, das von der Absorption des überschüssigen CO2 aus der Luft herrührt. Die Versauerung beeinträchtigt die Fähigkeit kalkbildender Organismen, wie z.B. Austern, Muscheln und Korallen, ihre Kalkskelette oder -schalen aufzubauen, und beeinflusst darüber hinaus weitere pH-sensitive biogeochemische Prozesse.

Machbarkeit und Folgen

Das tatsächliche Potenzial der Meeresalkalisierung, dem Klimawandel und der Ozeanversauerung entgegenzuwirken, bleibt ungewiss. 17 Unter Berücksichtigung von Logistik, Kosten und Wirkung von Erzeugung und Verbreitung der Säurebinder kommen Studien zu dem Schluss, dass die absolute CO2-Konzentration in der Luft maximal um geschätzte 30 ppm (parts per million, tausendstel Promille) abnehmen könnte. 18 Angesichts der vorindustriellen CO2-Konzentration von 260 bis 270 ppm und dem aktuellen Wert von 410 ppm wäre dies durchaus hilfreich.

Wir haben errechnet, dass – einen anthropogenen Ausstoß von nahezu null vorausgesetzt – eine globale Verringerung des atmosphärischen CO2 um 30 ppm die Abscheidung von etwa 470 Gigatonnen CO2 erfordert. Um dies zu erreichen, müssten mindestens ca. 500 Gigatonnen Gestein zur Alkalisierung eingesetzt werden. Die weltweite Gesteinsförderung beträgt aktuell rund 50 Gigatonnen pro Jahr. 19 Bei einer Erhöhung der Förderleistung um 50 Prozent könnte das Ziel von 30 ppm also theoretisch in 20 Jahren erreicht werden, ohne für andere Zwecke auf das Gestein verzichtet werden muss. Um die global realistisch erzielbaren Kapazitäten und Mengen zu ermitteln, muss dies natürlich zunächst in viel kleinerem Rahmen getestet werden.

„Eine andere in Betracht gezogene Methode ist die Beschleunigung der chemischen Reaktion von CO2 mit gewöhnlichem Felsgestein.“

Gleichwohl geht es nicht allein um die technische Machbarkeit. Auch mögliche negative Auswirkungen einer Meeresalkalisierung auf marine Ökosysteme 20 müssen berücksichtigt werden. Zusätzlich zum Anstieg von pH-Wert und Alkalinität 21 (unmittelbar oder graduell) würden zusammen mit den Säurebindern wahrscheinlich auch andere Elemente und Verbindungen, wie z.B. Spurenelemente und Silikate, in den Ozean eingebracht, die Auswirkungen auf die Biogeochemie des Meeres haben können. Es gab bislang diesbezüglich wenig Forschung, allerdings legen die bisher vorliegenden Ergebnisse 22 keine oder positive Effekte auf das Meeresleben nahe. Weitere Untersuchungen sind nötig, um die ökologischen Auswirkungen vollständig zu verstehen, praktische Versuche in kleinem oder mittlerem Rahmen eingeschlossen.

Jede praktische Umsetzung im großen Stil würde strikte Vorgaben zur Überwachung sowohl des tatsächlichen Nutzens als auch der negativen Auswirkungen voraussetzen. Die Tatsache, dass sich die marinen Ökosysteme offensichtlich seit Milliarden Jahren an den ständigen Zufluss von Säurebindern durch natürliche chemische Verwitterung (aktuell ca. eine Gigatonne umgesetztes und gespeichertes CO2 pro Jahr) angepasst haben – und diesen womöglich auch benötigen –, mag sich positiv auf die Akzeptanz der Meeresalkalisierung auswirken. Dennoch erfordert die Option einer erheblichen und zugleich sicheren Verstärkung dieses natürlichen Prozesses weitere Forschung.

Rechtliche Fragen

Auf internationaler Ebene müssten sich die Nationen mit den juristischen Aspekten des Verfahrens auseinandersetzen. Das Pariser Klimaabkommen würde aufgrund der dort vereinbarten Klimaziele vermutlich einige Rahmenbedingungen vorgeben. Sollte die Meeresalkalisierung eine Rolle beim Erreichen der jeweils zugesicherten Emissionsreduzierungen spielen, müssten die Unterzeichner verpflichtet sein, mögliche Auswirkungen ihrer Durchführung zu erfassen. Das Pariser Abkommen könnte dies erleichtern, da es bereits verschiedene Verpflichtungen zur Abschätzung der Folgen von Klimaschutzmaßnahmen auf Ökosysteme, Nachhaltigkeit, Entwicklung und Menschenrechte festschreibt.

Abkommen zum Schutz des Meeres, wie z.B. die Londoner Konvention, das UN-Seerechtsübereinkommen mit dem zugehörigen Protokoll oder die Biodiversitätskonvention, könnten ebenfalls als Rahmenwerke zur Regulierung und Überwachung in Betracht gezogen werden. Eine zusätzliche Herausforderung beim Einsatz der Meeresalkalisierung bestünde in der Koordination möglicher Interventionen auf Basis all dieser verschiedenen Verträge, was jedoch auch bei vielen anderen Verfahren zur CO2-Abscheidung mit länderübergreifenden Auswirkungen der Fall wäre.

Das Schreckgespenst eines möglicherweise katastrophalen Klimawandels zum Ende des Jahrhunderts hat das Interesse an einer Reihe neuer technologischer Ansätze zur groß angelegten CO2-Abscheidung aus dem Meer und der Atmosphäre geweckt. Deren Anwendung könnte aber selbst Risiken bergen. Der Einsatz von Säurebindern zur Beschleunigung der chemischen Verwitterung ist eine solche Option, die ernsthafte Beachtung verdient, jedoch nur nach gründlicher Überprüfung.

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