14.02.2024

Die Inflation der „Rechtsextremen”

Von Frank Furedi

Titelbild

Foto: Bundesarchiv via Wikimedia / CC-BY-SA 3.0

Der Begriff „rechtsextrem" ist zu einem Schimpfwort verkommen, mit dem jede Bewegung bedacht wird, die die Hegemonie der herrschenden Eliten bedroht – selbst der Bauernprotest.

Kaum hatten die europäischen Landwirte ihren Protest gestartet, schlugen die Mainstream-Medien und die politischen Kommentatoren der Mitte Alarm wegen einer weiteren Bedrohung durch die „extreme Rechte". „Brüssel bemüht sich, die Landwirte zu beschwichtigen, während die extreme Rechte die Proteste schürt", schreibt die Financial Times (FT).

In einem ähnlichen Tonfall warnt Politico: „Wie die Rechtsextremen die Empörung der Landwirte nutzen wollen, um in Europa an die Macht zu kommen". France24 fragt: „Wenn die Rechtsextremen die Wut der Landwirte in der ganzen EU für ihre Zwecke gebrauchen, können dann grüne Reformen die Landwirte ‚in Gespräche einbeziehen‘? Und wenn es um die Panikmache vor der existenziellen Bedrohung durch Rechtsextreme geht, ist die BBC nie weit. Sie schlägt Alarm und meldet: „Deutschlands Rechtsextreme wollen Revolution durch Bauernproteste".

Glaubt man den Mainstream-Medien, so steht hinter jedem protestierenden Landwirt ein externer rechtsextremer Agitator. Den Reportern der FT zufolge „haben EU-Landwirte, die von der extremen Rechten angestachelt wurden, Mist vor Regierungsgebäuden verteilt, Straßen verbarrikadiert und großflächige Verwüstungen angerichtet, während Brüssel darum kämpft, den Landwirtschaftssektor bei seiner grünen Umstellung an Bord zu halten."

Glauben diese Reporter wirklich, dass Europas verärgerte Landwirte von böswilligen rechtsextremen Agitatoren „angestachelt" werden müssen? Haben sie so wenig Ahnung von der misslichen Lage, in der sich die Landbevölkerung befindet, dass sie nicht begreifen können, dass viele Landwirte buchstäblich um ihre Lebensgrundlage kämpfen? Was auch immer hinter der Anti-Bauern-Propaganda steckt, es ist offensichtlich, dass das Gespenst der Rechtsextremen, das in Europa umgeht, ihre Phantasie beflügelt hat.

„Angesichts der ständigen semantischen Ausweitung des Begriffs „rechtsextrem" ist es nur eine Frage der Zeit, bis jeder, der rechts von der Antifa steht, mit diesem Begriff umetikettiert werden kann.“

Die Angstmache vor den Rechtsextremen ist allgegenwärtig und nimmt oft die Form einer sorgfältig kultivierten politischen Hysterie an. Die Medien können sich durchgängig auf eine Riege wissenschaftlicher Experten stützen, die Inhalte zur Förderung ihrer Politik der Angst liefern. „Die Wut der Landwirte ist für die Rechtsextremen in ganz Europa zu einem wichtigen Thema geworden", erklärte Kevin Cunningham, ein Politikwissenschaftler, der die Anhängerschaft der Rechtsextremen für den European Council on Foreign Relations untersucht.

Man braucht nur Léonie de Jonge zuzuhören, einer Politikwissenschaftlerin an der Universität Groningen, die eine „Expertin" für die extreme Rechte ist. Sie behauptet, dass sich „Bauernanliegen durch Nostalgie für die Vergangenheit und ‚Blut und Boden‘-Motive für rechtsextreme Ideologie [eignen]“. Anders formuliert: Bauernprotest mutiert mühelos zu der Politik, die mit der Nazi-Parole von Blut und Boden verbunden ist.

Die Assoziation mit der giftigen „Blut und Boden"-Ideologie der 1930er Jahre soll den Eindruck erwecken, dass die extreme Rechte eine eindeutige und gegenwärtige Gefahr darstellt. Ungeachtet der Tatsache, dass die Anhänger dieser Ideologie durch Abwesenheit glänzen, stellen die Ideologen des „es ist genau wie in den 30er Jahren" ständig die drohende Gefahr, die von den Rechtsextremen ausgeht. Wie alle Hirngespinste ist auch dieses nicht beweispflichtig. Vielmehr ist der Begriff „rechtsextrem" zu einem Schimpfwort geworden, mit dem Gegner verleumdet werden. Die Bezeichnung rechtsextrem dient als Zeichen des Bösen.

Wie definiert man „rechtsextrem“?

Die Erfindung des Narrativs über die von den Rechtsextremen ausgehende Bedrohung beruht auf einer karikaturhaften Sicht der politischen Gewalt im Europa der 1930er Jahre. Der Begriff „rechtsextrem" hat sich aus seinem spezifischen historischen Kontext gelöst und ist zu einem frei schwebenden Schmäh-Ausdruck geworden, der jeder beliebigen Zielperson einfach so angehängt werden kann. Historisch gesehen bezog sich diese Bezeichnung auf gewalttätige antidemokratische, autoritäre und fremdenfeindliche Bewegungen. In jüngster Zeit hat sich der Begriff schleichend weiterentwickelt, so dass nun auch Standpunkte damit in Verbindung gebracht werden, die früher nicht als rechtsextrem galten. In der „Encyclopedia of Politics: The Left and the Right“ wird behauptet, dass rechtsextreme Politik „Personen oder Gruppen [umfasst], die extreme nationalistische, fremdenfeindliche, rassistische, religiös-fundamentalistische oder andere reaktionäre Ansichten vertreten".1 Der Verweis auf „religiös-fundamentalistische oder andere reaktionäre Ansichten" ist insofern von Bedeutung, als er sich prinzipiell auf ein breites Spektrum antimodernistischer Einstellungen beziehen kann.

Die Gleichsetzung von „rechtsextrem" mit „reaktionär" bedeutet, dass jeder, der starke konservative Ansichten vertritt, zu einem gewalttätigen Extremisten umgedeutet werden kann. Nach dem Cambridge Dictionary ist ein Reaktionär eine Person, „die gegen politische oder soziale Veränderungen oder neue Ideen ist". Das Vorhandensein solcher Ansichten macht einen Menschen noch nicht zum Rechtsextremisten. Angesichts der ständigen semantischen Ausweitung des Begriffs „rechtsextrem" ist es nur eine Frage der Zeit, bis jeder, der rechts von der Antifa steht, mit diesem Begriff umetikettiert werden kann.

„Die Definition der Rechtsextremen als eine Bewegung, die eine rechtsextreme politische Einstellung hat, wiederholt lediglich die banale Aussage, dass die extreme Rechte die extreme Rechte ist.“

Dass es dem Begriff der extremen Rechten an Klarheit und Präzision mangelt, wurde deutlich, als Lord Pearson im Juni 2023 eine parlamentarische Anfrage stellte, in der er wissen wollte, ob die britische Regierung zu „einer einheitlichen Definition des Begriffs ‚rechtsextrem' gekommen ist, und wenn ja, zu welcher“. In seiner Antwort im Namen der Regierung zitierte Lord Sharpe, parlamentarischer Staatssekretär im Innenministerium, einen Bericht des Geheimdienst- und Sicherheitsausschusses, in dem der Begriff „rechtsextrem" definiert wird als „ein Sammelbegriff für die gesamte Bewegung, die in Bezug auf Themen wie Kultur, Rasse, Einwanderung und Identität eine rechtsextreme politische Einstellung hat.“

Offenbar verwendet die britische Regierung die genannte tautologische „Definition" des Rechtsextremismus. Allerdings handelt es sich dabei nicht um eine Definition, sondern um eine ausweichende Erklärung. Die Definition der Rechtsextremen als eine Bewegung, die eine rechtsextreme politische Einstellung hat, wiederholt lediglich die banale Aussage, dass die extreme Rechte die extreme Rechte ist.

Rechts = Rechtsextrem

Eine der Folgen der Erfindung einer von der extremen Rechten ausgehenden Bedrohung besteht darin, dass die Unterscheidung zwischen ihr und der klassischen Rechten verschwimmt. In diesem Sinne behauptet eine Gruppe von Wissenschaftlern, dass mit dem Brexit und der Wahl von Donald Trump im Jahr 2016 die „extreme Rechte zu einer tragenden Säule" geworden sei, was zu einer „Verwischung der Grenzen zwischen Mainstream- und rechtsextremer Politik" führt. Die Erosion der Grenze zwischen rechts und rechtsextrem ist kein Naturereignis. Sie ist auf die ständige Wiederverwertung von Propaganda zurückzuführen, die die politische Rechte in die Rolle drängen will, die zuvor von der extremen Rechten eingenommen wurde. Somit laufen alle, die starke konservative Überzeugungen vertreten, Gefahr, als rechtsextrem eingestuft zu werden.

Die Behauptung, dass die „extreme Rechte zu einer tragenden Säule" geworden sei, beruht auf der Erkenntnis, dass die politische und ideologische Hegemonie der zentristischen technokratischen Eliten mit hoher Geschwindigkeit ins Wanken gerät. In früheren Zeiten konnte das politische Establishment abweichende Stimmen unter Quarantäne stellen. Doch jetzt können die Stimmen des Populismus in Europa nicht mehr überhört werden. Daher die Erfindung der angeblichen Bedrohung durch die extreme Rechte. Deshalb warnte ein Kommentator vor dem „‚Mainstreaming"-Effekt‘ des rechtsextremen Diskurses zu Schlüsselthemen wie der Einwanderung in der globalen Politik, insbesondere durch ‚Mainstream‘-Parteien von Mitte-Rechts“.

„Mit dem Begriff will man weit verbreitete Ansichten über nationale Souveränität, Tradition, Einwanderung, das Verhältnis zwischen Männern und Frauen oder das Ziel der Klimaneutralität zu delegitimieren.“

Gerade weil ein demokratisch inspirierter Populismus die etablierten Mitte-Rechts-Parteien unter Druck gesetzt hat, wurde der Begriff „rechtsextrem" mobilisiert, um diese Entwicklung zu diskreditieren. Es ist wichtig zu erkennen, dass die Verwendung dieses Begriffs nicht nur dazu dient, Gegner zu verleumden. Tatsächlich zielt sie darauf ab, weit verbreitete Ansichten über nationale Souveränität, Tradition, Einwanderung, das Verhältnis zwischen Männern und Frauen oder das Ziel der Klimaneutralität zu delegitimieren. Er ist Teil eines semantischen Projekts, das die Ansichten politischer Gegner isolieren und kriminalisieren soll.

Es ist denkbar, dass einige Kommentatoren die Fantasterei über die Bedrohung durch die extreme Rechte wirklich verinnerlicht haben. In einem Zeitalter intensiver politischer Polarisierung, in dem Angehörige der Medien und anderer kultureller Institutionen nur mit ihresgleichen sprechen, werden viele zu einer verzerrten Darstellung der Realität hingezogen. Die Leichtigkeit, mit der Worte wie „rassistisch", „homophob" oder „faschistisch" Menschen entgegengeschleudert werden, deren einziges Verbrechen darin besteht, eine gegenteilige Meinung zu vertreten, zeigt, wie sehr die Sprache der Politik verdorben worden ist.

Unabhängig davon, ob die Verfechter der Politik der Angst selbst an die von ihnen erdachte Geschichte glauben oder nicht, geht es hier um den Kampf um die Kontrolle der Sprache. Es kommt darauf an, ob die Worte, die zur Beschreibung unterschiedlicher politischer Ansichten verwendet werden, eine negative oder eine positive Bedeutung haben. Wenn das Vokabular, das darauf abzielt, in der Gesellschaft weit verbreitete Ansichten zu diskreditieren, einen beherrschenden Einfluss erlangt, werden diejenigen, die solche Ansichten vertreten, sich vielleicht davor hüten, sie zu äußern. Den derzeitigen Protest europäischer Bauern in eine rechtsextreme Ecke zu stellen, soll die Sympathie der Bevölkerung für ihre Anliegen untergraben.

Glücklicherweise kann nicht beliebig oft „Feuer" rufen, bevor die Menschen anfangen, die angstmachende Rhetorik über die extreme Rechte zu durchschauen. In der Zwischenzeit ist es notwendig, in die Offensive zu gehen und die Korrumpierung unseres politischen Vokabulars durch antidemokratische Semantiker zu bekämpfen. Zumindest sollten diejenigen, die das Hirngespinst einer allgegenwärtigen extremen Rechten verbreiten, wegen ihres politischen Analphabetismus zur Rede gestellt werden. Sie sollten auch als Verderber unseres politischen Vokabulars entlarvt werden.

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