24.01.2023

Die Führungsschwäche des Herrn Scholz

Von Sabine Beppler-Spahl

Titelbild

Foto: boellstiftung via Flickr / CC BY-SA 2.0

Fast ein Jahr nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine hat es sich gezeigt: Scholz will oder kann nicht führen.

Olaf Scholz hat es zum zweifelhaften Ruhm geschafft. Er ist Namensgeber eines neuen Begriffs: „Scholzing“. Erfunden hat das Wort der britische Historiker Timothy Garton Ash. Was es bedeutet, erläuterte er in einem Tweet: „Gute Absichten zu kommunizieren, nur um dann jeden erdenklichen Grund zu nutzen/finden/erfinden, um diese zu verzögern  und oder zu verhindern.“

Der unmittelbare Anlass des Spotts ist die anfängliche Weigerung des Kanzlers, die Ausfuhr von Leopard-Kampfpanzern an die Ukraine zu genehmigen. Dahinter aber verbirgt sich eine tiefere Frustration mit der deutschen Ukraine-Politik, die ein Bild des Chaos und der Unentschlossenheit abgibt.

„Wer bei mir Führung bestellt, bekommt sie auch“, war der Spruch, mit dem sich Scholz als Kanzlerkandidat empfahl. Das traf damals schon auf viel Skepsis, denn der Mann war keiner, der mit mutigen Vorschlägen oder neuen Ideen glänzte. Fast ein Jahr nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine aber hat es sich gezeigt: Scholz will oder kann nicht führen.

„Deutschland steht fest auf der Seite der bedrohten Ukraine“, beteuert der Kanzler immer wieder. Doch sobald die Unterstützung mehr erfordert als leere Worte, ziert er sich. Zu jedem Schritt der konkreten Hilfe, musste er gedrängt werden. Das galt für die Lieferung von Schützenpanzern, Flugabwehrsystemen, Flakpanzern und nun auch für die Leopard 2 Kampfpanzer. Zwar ist die Liste der Waffen, die zugesagt oder bereits geliefert wurden, wie es aus dem Verteidigungsministerium heißt, recht beachtlich. Aber jedem Schritt ging der Druck der Bündnispartner voraus. Die Folge ist, dass die Bundesregierung im Ruf eines wankelmütigen oder unzuverlässigen Partners steht.

„Das Vertrauen in die Fähigkeiten des Kanzlers habe einen nie gekannten Tiefpunkt erreicht."

Dass Scholz Gründe für sein Lavieren hat, steht außer Frage. Er will sich bei seiner SPD und den vielen Wähler, die den Waffenlieferungen skeptisch gegenüberstehen, beliebt machen. Deswegen sendet er, wann immer er sich äußert – und das ist nicht oft – unterschiedliche Signale. Aber das ist keine überzeugende Strategie, wie die schlechten Umfragewerte zeigen. Das Vertrauen in die Fähigkeiten des Kanzlers habe einen nie gekannten Tiefpunkt erreicht, ergab z.B. eine Forsa Umfrage Anfang dieses Jahres. Nur noch 33 Prozent hieß es da, vertrauten Scholz. Und im Herbst gaben 55 Prozent der Befragten einer repräsentativen Insa-Umfrage (im Auftrag der Bild-Zeitung) an, den Kanzler für überfordert zu halten.

Führungsstärke bedeute nicht, auf der Barrikade zu stehen und ‚Auf in den Kampf‘ zu rufen, sagte Scholz in einem Interview vor wenigen Wochen. Viele, betonte er, machten sich große Sorgen über den Krieg: „Führungsstärke bedeutet in dieser Situation, die eine Gefahr für den Frieden auf der ganzen Welt darstellt, die Nerven zu haben, das Richtige zu tun", fügte er hinzu. Doch Scholz‘ Zögern hat nichts mit einer prinzipiellen Haltung zu tun. Sie ist rein taktisch – oder besser gesagt: opportunistisch. Denn, wenn er gute Gründe dafür hätte, keine Waffen an die Ukraine zu liefern, so müsste er sie bekannt geben. Auch müsste er offen und ehrlich dazu stehen – unabhängig von dem Druck der Bündnispartner. Warum? Weil er am Ende nur seinem eigenen Land und den Wählern rechenschaftspflichtig ist.

Doch Scholz liefert am Ende doch – und vermeidet die Debatte, wo es geht. Eine Erklärung darüber, welche Strategie er verfolgt, wie er sich die Zukunft Europas, die Sicherheitsstruktur des Kontinents und Deutschlands Verhältnis zu den USA vorstellt, bleibt er den Wählern schuldig.

„Die Führungsschwäche und die in sich widersprüchliche Haltung der Bundesregierung in diesem Krieg sind schlecht. Nicht nur für die Ukraine, sondern für uns alle."

Der Krieg in der Ukraine aber hat unsere Welt verändert. Er hat die Schwächen des rein pragmatischen, auf kurzfristige Vorteile schielenden Politikstils, der die offene Debatte scheut, wie der Teufel das Weihwasser, bloßgelegt. Als Scholz vor über einem Jahr Kanzler wurde, war das Bild noch nicht ganz so klar. Im Wahlkampf empfahl er sich als der natürliche Nachfolger Angela Merkels, die diesen technokratischen Stil bis zur Perfektion beherrschte. Ihre Entscheidungen präsentierte sie den Wählern als alternativlos und grundvernünftig. (Heute wissen wir, dass sie im Gegenteil oft höchst unvernünftig und radikal waren wie z.B. der über Nacht erfolgte Beschluss zum Atomausstieg, die harten Corona-Lockdowns oder auch die chaotisch verlaufende Grenzöffnung im Jahr 2015). Bis heute weigert sich die ehemalige Kanzlerin von Fehlern – auch im Umgang mit Putin – zu sprechen. Die Zeiten aber, in denen Politiker glauben, ihre Wähler nicht konsultieren zu müssen sind vorbei. Und auch deswegen hat Scholz an Vertrauen eingebüßt.

Scholz weiß genau, was in diesem Krieg auf dem Spiel steht. Er weiß, dass die Ukraine ihre Souveränität und Freiheit – vor einer brutalen Fremdherrschaft – nur mit Waffen verteidigen kann. Er weiß auch, wie unrealistisch – zumindest im Moment – das Mantra, wir bräuchten Worte statt Waffen, ist. Alles an Putins Verhalten – von den Bombardierungen der ukrainischen Städte bis hin zur Zerstörung der Infrastruktur – zeigt, wie wenig bereit sein Regime zu ernsthaften Friedensgesprächen ist. Wer, wie so viele Pazifisten hierzulande, meint, Frieden sei das oberste Ziel, beruhigt zwar sein Gewissen, spart sich aber, wie die Journalistin Cordula Tutt in der Wirtschaftswoche schreibt, eine Antwort auf eine wichtige Frage: Wie kann man eine aggressive Regierung gewähren lassen, ohne über kurz oder lang die eigene Freiheit und Sicherheit zu gefährden? Und weil Scholz all das weiß, kann er seine zögerliche Haltung zu Waffenlieferungen nicht glaubhaft begründen.

Die Führungsschwäche und die in sich widersprüchliche Haltung der Bundesregierung in diesem Krieg sind schlecht. Nicht nur für die Ukraine, sondern für uns alle. Sie basieren auf Unehrlichkeit und der Illusion, Deutschland könne sich – als das größte Land Europas – aus den Konflikten heraushalten – oder sich irgendwie durchwurschteln. Der Hinweis, Deutschland sei wegen des Zweiten Weltkriegs nicht in der Lage, für die Prinzipien der Freiheit und Souveränität einzustehen, ist eine billige Ausrede. Sie kennzeichnet eine politische Elite, die Angst vor Entscheidungen und Führung hat. Doch, wer die Entscheidung scheut, wirkt am Ende nicht nur wie ein Getriebener, sondern ist auch einer.

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