04.05.2020

Die Freiheit, sich anzustecken

Von Andrea Seaman

Lockdowns und Zwangsisolation durch die vorherrschende Corona-Politik sind eine Überreaktion, geschürt durch Angst. Wir sollten uns unsere Selbstbestimmung nicht nehmen lassen.

Einst wurde es gepriesen, wenn man Leib und Leben zugunsten der Freiheit riskiert. Heute, in der Corona-Ära, haben wir dieses Prinzip ins Gegenteil verkehrt. Man rät uns, wir sollten um unser Leben willen Freiheit riskieren und unterminieren. Gesundheit, so der Refrain, sei die erste Priorität von Politik und Gesellschaft. Am Altar der Gesundheit stechen wir in einem Panikwirbel der ökonomischen Freiheit, Demokratie und Selbstverantwortung des Bürgers in die Brust. Restaurants, Geschäfte, Kleinbetriebe und Parlamente wurden geschlossen, Millionen in die Arbeitslosigkeit oder Kurzarbeit gestürzt, die gesunde Bevölkerung zwangsisoliert: Leben zerstört, um Leben zu schützen; Freiheit entwendet, damit möglichst kein Leben durch Covid-19 endet.

Das neue Dogma der Gesundheit und die daraus resultierenden Lockdowns gefährden und entwerten menschliches Leben. Sie gefährden es durch die staatlich verordnete Lahmlegung der Wirtschaft. Die darauf folgende Verarmung und Arbeitslosigkeit vieler Personen wird, wie bei ökonomischen Katastrophen üblich, auf Dauer Tote und Gesundheitsprobleme verursachen. Aller Wahrscheinlichkeit nach schadet die momentane wirtschaftliche Selbstzerstörung langfristig der Gesundheit der betroffenen Bevölkerung mehr, als es das Coronavirus je zu tun vermag.

Durch die Einschränkung unserer Freiheit wird unser Leben entwertet. Man sagt uns, wir sollen zuhause bleiben. Denn wenn wir in die Öffentlichkeit gehen würden, gefährdeten wir Fremde, indem wir diese möglicherweise mit dem Virus ansteckten. Aber das ist nur eine Seite der Medaille. Wenn ich in die Öffentlichkeit gehe, setze ich mich nämlich auch der Gefahr aus, selbst infiziert zu werden. Dieses Risiko ist das wichtigere, da es jedem freistehen sollte, es auf sich zu nehmen. Wenn jemand eine Ansteckung riskieren will, sollten wir ihn das Risiko eingehen lassen. Wenn nicht, soll er zuhause bleiben. Mit anderen Worten: Wir hätten diejenigen von uns, die sich nicht selbst isolieren wollten, in Frieden lassen sollen. Bloß in Altersheimen und dort, wo ein Coronavirusfall unausweichlich eine ganze Gruppe Gefährdeter wohl gegen ihren Willen ansteckt, hätte man einen Minilockdown anordnen müssen.

„Eine rationale Politik hätte gefährdete Individuen und Gruppen gezielt abgeschirmt, nicht die gesamte, gesunde Bevölkerung.“

Im Falle von mündigen, verantwortungsfähigen, selbständig lebenden Individuen – ob jung oder alt –, sollte der Staat kein Recht besitzen, ihnen den Ausgang und die soziale Geselligkeit im Restaurant, in der Bar, am Arbeitsplatz oder auf einem öffentlichen Platz mit anderen zu verweigern. Es sind in vielen Fällen gerade die Alten, welche der ihnen noch verbleibenden Zeit ein wenig mehr Leben einhauchen wollen. Einige Menschen wollen das Leben bis zum Ende genießen und nicht so lange wie möglich ohne die Freuden des Lebens weiterleben. Dazu gehören soziale Kontakte mit Freunden, Familie und Fremden. Die Lockdowns und Kontaktverbote bereiten vielen eine unschöne Schlusserfahrung während der letzten Momente auf diesem Planeten. Manch ein alter Mensch würde lieber riskieren, infiziert zu werden, als dass seine Freiheit, mit anderen sozial zu interagieren, beschnitten wird. Darüber hinaus stört es ihn auch, dass man die Freiheit der gesamten Gesellschaft um ihretwillen beeinträchtigt.

Personen, die sich aus gesundheitlichen Gründen selbst isolieren wollten, hätten bei ihrem Vorhaben in jeder nötigen Hinsicht Hilfe und Unterstützung erfahren sollen. Die freiwillige Selbstisolierung hätte ergänzt werden können durch Freistellung von der Arbeit und durch ein Heer von Freiwilligen, die in ihrer Freizeit bereit sind, für diejenigen, die nicht ihre Wohnung verlassen wollen, Lebensmittel- und andere Einkäufe zu erledigen und Dienstleistungen bereitzustellen. In vielen Fällen ist dies ja auch ehrenamtlich geschehen. Wir hätten unsere Freiheit und frei gestaltbare Freizeit als unser größtes Gut und unsere größte Stärke nutzen können, um uns noch stärker zugunsten der Bedürftigen solidarisch zu organisieren. Stattdessen haben wir nicht einmal kreativ darüber nachgedacht, wie wir eine Pandemie überwinden können, ohne unsere Freiheit zu verlieren, geschweige denn herauszufinden, wie wir die Freiheit bei diesem Unterfangen hätten stärken können.

Was rechtfertigt die drakonischen Maßnahmen gegen Covid-19? Wir wussten bereits vor den Lockdowns, dass Covid-19 von den meisten Menschen problemlos oder sogar symptomlos überstanden werden kann, während insbesondere ältere, gesundheitlich angeschlagene Menschen ernsthaft und oft tödlich durch das Virus bedroht sind. Covid-19 ist freilich ein neuer Virus. Er ist jedoch nichts Neues für gesundheitlich gefährdete ältere Menschen, die sich seit jeher vor Grippe und bestimmten anderen gewöhnlichen Krankheiten in Acht nehmen müssen, weil dabei eine Todesgefahr für sie besteht. Eine rationale Politik hätte demgemäß gefährdete Individuen und Gruppen in Spitälern, Altersheimen und anderswo vor gefährlicher Infektion gezielt abgeschirmt, nicht die gesamte, gesunde Bevölkerung.

„Die Ursache der Überreaktion waren offenbar geschürte Angst und Panik in den Medien und der Politik.“

Es war nicht das Virus selbst, das uns in diese Lockdowns versinken ließ. Die Ursache der Überreaktion waren offenbar geschürte Angst und Panik in den Medien und der Politik. Lord Jonathan Sumption, „der gescheiteste Mann in England“, Historiker und ehemaliger Richter am Obersten Gerichtshof des Vereinigten Königreichs, meint dazu folgendes:

„Das eigentliche Problem ist, dass wenn menschliche Gesellschaften ihre Freiheit verlieren, dann in der Regel nicht, weil Tyrannen sie ihnen genommen haben. In der Regel liegt es daran, dass Menschen ihre Freiheit bereitwillig aufgeben, wenn sie im Gegenzug Schutz vor einer äußeren Bedrohung erhalten. Und die Bedrohung ist meist real, aber meist auch übertrieben. Ich befürchte, dass wir genau das gerade erleben.“

Covid-19 ist eine reale Bedrohung, so echt wie die Grippe – aber bei weitem nicht viel tödlicher. Manche empören sich über Vergleiche des Coronavirus mit der Grippe. Doch dieser Vergleich ergibt Sinn und drängt sich mit der steigenden Datenmenge zu Covid-19 immer mehr auf. John Ioannidis – Epidemiologe an der Universität Stanford – bemerkt: „Unsere Daten deuten darauf hin, dass Covid-19 eine Sterblichkeitsrate aufweist, die in der gleichen Größenordnung liegt wie die saisonale Grippe.“ Es stimmt zwar, dass wir ein gewisses Maß an Herdenimmunität gegen die Grippe besitzen, nicht aber gegen das neue Coronavirus. Doch gegen letzteres hätten wir diese Herdenimmunität in einer ansonsten freien und offenen Gesellschaft mit nur minimalen, nötigen Einschränkungen für die meisten Bürger aufbauen sollen. Trotz dieses Umstands: Ioannidis‘ Befund „legt nahe, dass wir, auch wenn es sich [bei Covid-19] um ein sehr ernstes Problem handelt, keine Angst haben sollten“.

„Bereits vor der Coronavirus-Ära haben wir Grundfreiheiten aufgegeben.“

Gerade in dieser Ähnlichkeit zwischen den tödlichen Wirkungen der Grippe und des Coronavirus, sowie in der markant unterschiedlichen Art und Weise, wie wir auf beide Gefahren reagieren, liegt der Beweis dafür, dass wir mit den Lockdowns massiv unverhältnismäßig gehandelt haben.

Unsere Freiheiten wurden uns durch Übertreibungen zu Unrecht entzogen. Soweit behält Lord Sumption Recht. Eine ausreichende Erklärung für die vehementen Maßnahmen gegen das Coronavirus beinhaltet jedoch nicht nur den Verweis auf Panik und Angst. Ein weiterer Grund liegt in der geringen Wertschätzung, die wir der Freiheit schon vor den Lockdowns entgegengebracht haben. Bereits vor der Coronavirus-Ära haben wir Grundfreiheiten wie die Redefreiheit aufgegeben, indem wir z.B. die Umsetzung von Gesetzen gegen Hate Speech erlaubt haben. Unsere Selbstbestimmung haben wir uns durch Bevormundung seitens supranationaler Institutionen wie der EU und die zunehmende formelle wie informelle Regulierung des Alltagslebens einschränken lassen. Wenn uns Freiheit wirklich wichtig ist, obliegt es unserer Verantwortung, gegen diese Lockdowns vorzugehen. Freiheit ist riskant. Nehmen wir uns die Freiheit, uns anzustecken. 

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