24.01.2024

Die Bauernrevolte

Von Sabine Beppler-Spahl

Titelbild

Foto: Kolja Zydatiss

Der groß angelegte Protest der Landwirte erfährt breitere Unterstützung als frühere Aktionen. Folgen von Inflation und Klimapolitik machen sich in der ganzen Bevölkerung bemerkbar.

Stundenlang stockte vor einer Woche, am  Montagmorgen, in Berlin der Verkehr. Rund 6000 Traktoren bahnten sich ihren Weg in die Innenstadt. Ihr Ziel war das Brandenburger Tor, wo am Vormittag eine Protestkundgebung stattfand, an der viele Tausende (die Organisatoren sprachen von 30.000) teilnahmen. Die wichtigste Botschaft der Proteste, die auf zahlreichen Transparenten zu lesen war, lautete: „Die Ampel muss weg". Das war eine Forderung, die auch immer wieder bei den Teilnehmern vor dem Brandenburger Tor anklang. Auf die Frage, warum sie zu der Kundgebung gekommen waren, gaben sie Antworten wie: „Weil diese Politik nicht nur die Landwirte, sondern das ganze Land kaputt macht" oder „weil es so nicht weitergehen kann“.

Es war dumm von der Regierung zu glauben, sie könne ihre Steuererhöhungen auf landwirtschaftlich genutzte Maschinen und Diesel mit dem Argument, klimaschädliche Subventionen steichen zu wollen, einfach so durchpeitschen. Offensichtlich hatte sie keine Ahnung davon, wie groß die Unzufriedenheit bei den Bauern ohnehin schon war. Weil Teile der chemischen Industrie ihre Produktion wegen der viel zu hohen Energiekosten gedrosselt haben, sind auch die Preise für Düngemittel exorbitant gestiegen, was den Bauern ebenfalls zu schaffen macht. 

Jeder, der am Montag dabei war, merkte schnell, dass es bei den Protesten um viel mehr ging als um Subventionen oder Steuern. Seit Jahren wächst unter den Landwirten der Unmut über immer schärfere Umweltauflagen und eine zeitraubende Bürokratie. Im Jahr 2019 blockierten Landwirte die Straßen Berlins, nachdem die Merkel-Regierung im Rahmen ihres Agrarpakts eine 20-prozentige Reduzierung des Düngemitteleinsatzes angekündigt hatte. Diesmal standen auch Biobauern am Brandenburger Tor, die von der Dieselpreiserhöhung besonders stark betroffen sind.

„Die Entschlossenheit der Landwirte und das Ausmaß der Proteste haben die Regierung unvorbereitet getroffen."

Bestrebt, die strengen Nitratvorschriften der EU zu erfüllen, kündigte die Regierung im vergangenen Sommer weitere Richtlinien zu Nitraten, Pestiziden und Tierhaltung an. Im Rahmen des „Green Deal" der EU sollen landwirtschaftliche Flächen renaturiert werden. Die Folge ist, dass manche Landwirte schon jetzt ihren Tierbestand reduzieren mussten, weil Weidegebiet wegfällt. Zwar sagten viele, sie nähmen die Klimaerwärmung ernst, aber die Maßnahmen, die die Regierung beschließt, seien falsch und nutzlos. Zudem sind die Bauern seit Jahren zur Zielscheibe radikaler Klimaaktivisten geworden, die die Tierhaltung am liebsten ganz abschaffen würden. Dass ausgerechnet ein Grüner das Ministerium für Landwirtschaft und Ernährung leitet, sei für die Bauern nicht gut, so das Urteil einer Frau aus Schleswig-Holstein. Viele warfen dem zuständigen Minister, der Vegetarier ist, vor, keinerlei Ahnung von der Landwirtschaft zu haben. Cem Özdemirs Äußerung bei „Hart aber fair“ im letzten Jahr, als er sagte, „Wenn wir alle zusammen weniger Fleisch essen, leisten wir einen Beitrag für den Planeten“, dürfte die Bauern kaum davon überzeugt haben, dass dieser Minister ihre Interessen im Sinn hat.

Die Entschlossenheit der Landwirte und das Ausmaß der Proteste haben die Regierung unvorbereitet getroffen. Am vergangenen Montag sagten viele Demonstranten, sie kämpften für nichts Geringeres als das Überleben ihrer Branche. Ohne die Freiheit zu entscheiden, was und wie sie anbauen, habe die Landwirtschaft in Deutschland keine Zukunft. Die neuen Verordnungen würden noch mehr Bauern in den Ruin treiben. Tatsächlich mussten schon in den letzten zwei Jahrzehnten fast 50 Prozent der Betriebe schließen: Die Zahl der Höfe ging von 450.000 im Jahr 2001 auf 256.000 im Jahr 2022 zurück. „Stirbt der Bauer, dann stirbt auch das Land“, war ein beliebter Spruch, der auf den Transparenten an den Traktoren zu lesen war.

Das Besondere an den Protesten ist, dass sie auf so breite Unterstützung stoßen. Anders als 2019 wirken die Bauern nicht mehr isoliert. Vor dem Brandenburger Tor standen zahlreiche Spediteure, Handwerker, Gastwirte und Jäger, um ihre Unterstützung zu zeigen. Und als die Traktoren durch Berlin rollten, sah man unzählige Menschen, die ihnen zuwinkten und den Daumen nach oben reckten. Eine Umfrage der Berliner Zeitung ergab, dass 65 Prozent der Berliner auf der Seite der Bauern steht.

„Es wird der Regierung nichts helfen, die Landwirte und ihre Anhänger als ‚von rechts unterwandert' darzustellen."

Für die Regierungskoalition, die in Umfragen ihre Mehrheit längst verloren hat, sind die Proteste ein weiterer Tiefpunkt. „Diese Regierung", so ein Teilnehmer der Demonstration, „hat keine Legitimität mehr". Die Landwirte erhalten auch deshalb so viel Rückhalt in der Bevölkerung, weil immer mehr Menschen die Auswirkungen der steigenden Lebenshaltungskosten zu spüren bekommen. „Wir können die Menschen nicht dazu bringen, mehr für Lebensmittel zu bezahlen. Die müssen doch selbst schauen, wie sie über die Runden kommen ", erklärte ein Weinbauer, der mit Frau und Kind aus der Pfalz angereist war. Leider reagiert die Regierung, wie so oft, hilflos. An der schrittweisen Kürzung der Steuererleichterung für Agrardiesel will sie festhalten.

Als sich Olaf Scholz letzte Woche endlich zu den Protesten äußerte, fiel ihm nichts Besseres ein, als die Bauern vor einer Radikalisierung zu warnen: „Wenn an sich legitime Proteste umkippen – und zwar pauschal in Wut oder Missachtung für demokratische Prozesse und Institutionen, dann verlieren wir alle", sagte er. Solche Warnungen sagen mehr über ihn und seine Angst vor den Wählern aus als über die Teilnehmer der Kundgebung. Die reagierten mit Spott, als sie auf Berichte über die Unterwanderung ihrer Proteste durch rechtsextreme Gruppen angesprochen wurden. „Sehen Sie hier irgendwelche Rechte?", fragte einer. „Solches Gerede dient doch nur dazu, die Leute zu verunsichern", meinte ein anderer. Eine Frau sagte, es habe ein paar wenige rechte Gruppierungen gegeben, die versucht hätten, die Proteste zu instrumentalisieren. Man habe sich aber von Anfang an von ihnen distanziert. 

Einzelne AfD-Fahnen waren im Umfeld des Brandenburger Tors zu sehen. Aber nur sehr wenige. Bisher war die AfD bei den Bauern nicht besonders beliebt. Bei der letzten Bundestagswahl 2021 stimmten nur 8 % der Landwirte für die Partei – und damit weniger als der Durchschnitt der Bevölkerung. Bei den Landtagswahlen in Bayern im letzten Jahr gaben 52 % ihre Stimme der CSU und 37 % den Freien Wählern. Nur 6 % bevorzugten die AfD. Es wird der Regierung nichts helfen, die Landwirte und ihre Anhänger als „von rechts unterwandert“ darzustellen. Damit bestätigt sie nur, was manche der Protestierenden ohnehin schon vermuten: „Jeder, der mit dieser Politik nicht übereinstimmt, wird als Rechtsradikaler diffamiert“.

Die breite Unterstützung der Bevölkerung dürfte das bisher positivste Ergebnis der Proteste gewesen sein. Sie zeigt, dass die Zeiten, in der die Regierung ihre grüne Agenda weitgehend ohne öffentliche Kritik durchsetzen konnte, endgültig vorbei sind.

jetzt nicht

Novo ist kostenlos. Unsere Arbeit kostet jedoch nicht nur Zeit, sondern auch Geld. Unterstützen Sie uns jetzt dauerhaft als Förderer oder mit einer Spende!