24.07.2023

Der woke Kapitalismus und seine nützlichen Idioten

Von Brendan O’Neill

Dem britischen Politiker Nigel Farage wurde sein Bankkonto aus politischen Gründen gekündigt. Der Vorgang zeigt beispielhaft, dass Unternehmen zunehmend Andersdenkende unter ihren Kunden bestrafen.

Na also: Nigel Farage, ehemaliger Chef von Ukip sowie der Brexit-Partei, wurde von der renommierten Privatbank Coutts wirklich wegen seiner politischen Ansichten abserviert. Weil er sehr für den Brexit ist, Donald Trump mag und Black Lives Matter kritisch gegenübersteht. Weil seine Ansichten, wie es in einem außerordentlichen internen Dossier von Coutts heißt, nicht mit den Werten der Bank „im Einklang stehen". In Wochen zuvor haben sich die tonangebenden Kreise über Farages Behauptung, Coutts verfolge ihn wegen seiner politischen Überzeugungen, noch lustig gemacht. Wie dumm – schlimmer noch, wie selbstgefällig angesichts der Tyrannei der Unternehmen – stehen diese Leute jetzt da.

Letzten Monat ging Farage mit der Schließung seines Coutts-Kontos an die Öffentlichkeit. Ich bin aus politischen Gründen rausgeschmissen worden, sagte er. Er sagte auch, dass neun andere Banken ihn seitdem als Kunden abgelehnt haben. Jetzt hat er ein Dossier veröffentlicht, das auf einer Sitzung des „Ausschusses für Reputationsrisiken“ von Coutts am 17. November 2022 verteilt wurde. Es ist eine wirklich erschreckende Lektüre. Es umfasst 36 Seiten. Es spreche viel für Farages „Exit“ aus der Bank, da seine öffentlich geäußerten Ansichten „im Widerspruch zu unserer Stellung als inklusive Organisation" stünden, heißt es darin. Die Stasi erstellte einst Akten über dissidente Aktivisten und Künstler, deren Ansichten im Widerspruch zu denen des DDR-Regimes standen. Jetzt scheint Coutts Ähnliches mit Kunden zu tun, die es wagen, sich gegen das woke Regime aufzulehnen.

In dem Dossier wird Farage im Grunde genommen ‚Fehldenken‘ vorgeworfen. Es hebt seine abtrünnigen Ansichten nicht nur zum Brexit und zu Trump hervor, sondern auch zur Klimaneutralität und sogar zu König Charles – er hat sich erdreistet, Seine Majestät zu kritisieren. Wie bei Dissidenten in Ostdeutschland werden auch seine Freundschaften gegen ihn verwendet. Seine Verbindungen zu Trump und dem Tennis-Champion Novak Đoković machen ihn offenbar verdächtig. Das Dossier zitiert den Independent, der Farages Besuch in Djokovics Trophäenzimmer in Belgrad, bei dem er die Ausweisung Đokovićs durch Australien kritisierte, weil er sich nicht gegen Corona hat impfen lassen, als „das rückgratlose, chaotische Verhalten eines Opportunisten" bezeichnet.

Vieles davon liest sich, als sei es von einem 25-jährigen, lilahaarigen Absolventen der Queer Studies geschrieben worden statt von Mitarbeitern einer 330 Jahre alten Bank für Betuchte. Vielleicht gibt es heutzutage keinen großen Unterschied mehr zwischen diesen beiden Gruppen. Das Dossier verurteilt Farage, weil er sich über Black Lives Matter lustig gemacht hat, und erinnert den Ausschuss daran, dass er BLM nach dem Sturz der Statue von Edward Colston in Bristol im Jahr 2020 mit den Taliban verglichen hat. Es schüttelt den Kopf über Tweets, in denen er sich für einen „Austritt aus der Europäischen Menschenrechtskonvention" aussprach. Es beschreibt ihn als „Klimaleugner / Gegner der Klimaneutralität". Es nennt ihn sogar einen „Schwindler". Dies sind jugendliche Beschimpfungen von der Twitter-Spielwiese – was haben sie in einem Dossier zu suchen, das für den Risikoausschuss einer Bank erstellt wird?

„Vieles im Dossier liest sich, als sei es von einem 25-jährigen, lilahaarigen Absolventen der Queer Studies geschrieben worden statt von Mitarbeitern einer 330 Jahre alten Bank für Betuchte.“

Eines der aufschlussreichsten Merkmale des Dossiers ist das Gezeter über Farages Verbindungen zu Trump. Er verteidigte sogar Trumps „Pack sie an der Muschi"-Kommentar, indem er darauf verwies, dass Trump „nicht für das Amt des Papstes kandidiert" (das war ein guter Spruch, Nigel). Aber wir müssen vorsichtig sein, heißt es im Dossier, weil viele Menschen Trump unterstützen, sogar Teile der „breiten Öffentlichkeit". Stimmt, auch die 74 Millionen amerikanischen Bürger, die ihn 2020 gewählt haben. Und es könnte den Anschein erwecken, dass wir „politisch Partei ergreifen", wenn wir Farage wegen seiner Verbindungen zu Trump in die Pfanne hauen, heißt es. Dann folgt die unaufrichtigste Bemerkung im gesamten Dossier, eine Zeile, die dem Begriff Doppelzüngigkeit eine neue Bedeutung verleiht. Farage loszuwerden, sei „keine politische Entscheidung", schreibt man, „sondern eine, bei der es um Inklusion und Aufgabenerfüllung geht".

Lassen wir einmal die Orwellschen Verrenkungen beiseite, die es braucht, um den Ausschluss eines Kunden mit dem Begriff der „Inklusion" zu rechtfertigen. Noch bemerkenswerter ist, mit welch geschäftsmäßiger Dreistigkeit man auf den politischen Ansichten eines Kunden herumhackt und dann behauptet, ihm zu kündigen, sei „keine politische Entscheidung". Doch, das war sie. Aus dem Dossier geht hervor, dass Farage ein guter Kunde ist. Er ist „professionell, höflich und respektvoll" und seine finanzielle Situation erfüllt die „Kriterien für kommerzielle Aufbewahrung" – das heißt, es fehlt ihm nicht an Scheinchen. Trotzdem muss er vielleicht gehen, weil... nun ja, wegen der Sache mit der Klimaneutralität, der Kritik an BLM, den Trump-Liebeleien und dem Gefühl der Medien, dass er „fremdenfeindlich" sei. Keine politische Entscheidung? Hört auf, uns hinters Licht zu führen.

Dieses Dossier ist nicht nur eine Anklage gegen Coutts und dessen völlig unangemessenen Umgang mit der Gedankenfreiheit seiner Kunden. Es ist auch ein Armutszeugnis für unsere faulen, selbstgefälligen Medien. Sie reagierten auf Farages Behauptung, er werde aus politischen Gründen angegriffen, im Wesentlichen mit Gelächter. Was für ein absurder Gedanke, kicherten sie. Die BBC berichtete sklavisch über die Behauptung von Coutts, Farage sei aus dem Bankhaus geworfen worden, weil er nicht genügend Geld auf seinem Konto habe – eine Behauptung, die durch die Bestätigung des Dossiers, dass „der wirtschaftliche Beitrag des Kunden jetzt ausreichend ist", völlig widerlegt wird. Die Twitteraten brandmarkten Farage als Fantast, als Verschwörungstheoretiker, als selbstmitleidige Schande. Man kann nichts von dem, was er sagt, „für bare Münze nehmen“, meinte der hochnäsige Radiomacher James O'Brien.

„Ein Mann wurde wegen vermeintlich falscher Ansichten wirtschaftlich entmündigt. Er wurde auf die schwarze Liste gesetzt, weil er in den großen Fragen der Tagespolitik ein wenig zu sehr abweicht.“

Einige Journalisten weigerten sich als Reaktion auf Farages Behauptungen über Coutts schlichtweg, Journalismus zu betreiben. Jon Sopel, ehemaliger BBC-Mitarbeiter und jetziger Moderator des nervtötenden Anti-Brexit-Podcasts „The News Agents“, lachte über Farages Behauptung, er sei das Opfer eines „Komplotts des Establishments", während sein Konto in Wahrheit geschlossen worden wäre, weil er „nicht reich genug für Coutts" sei. Selbst Linksradikale, die die letzten 15 Jahre damit verbracht haben, die Banken als Ursache für unser aller wirtschaftliches Elend zu beschimpfen, echoten die Behauptung von Coutts, die Schließung von Farages Konto sei eine rein finanzielle Entscheidung gewesen. Über Nacht gingen diese Leute von der Agitation gegen die Großbanken dazu über, deren schmutzige Propagandaarbeit in den sozialen Medien zu machen. Anhänger des früheren Labour-Chefs Jeremy Corbyn wurden zu Coutts' unbezahlten PR-Handlangern.

Diese Leute sind die nützlichen Idioten des woken Kapitalismus. Immer wieder haben sie die tyrannischen Eskapaden der Konzernwelt abgenickt. Als die milliardenschweren Herrscher der sozialen Medien begannen, Menschen für solche Sprachverbrechen wie die korrekte Bezeichnung biologischer Männer als „er" zu sperren, hieß es von ihnen: „Nun, es sind private Plattformen, die können tun, was sie wollen." Als die Chefetage anfing, genderkritische Feministinnen zu entlassen, waren sie damit einverstanden. Als Fundraising-Plattformen sich weigerten, der kanadischen Trucker-Bewegung Geld zu geben, zuckten sie nicht mit der Wimper. Als PayPal, Visa und andere damit drohten, die Zahlungsmöglichkeiten von „umstrittenen" Gruppen und Einzelpersonen einzuschränken, störte sie das nicht. Dass die Linken das Aufkommen und den Aufstieg dieses neuen Regimes der kapitalistischen Züchtigung für ‚Fehldenken‘ unbekümmerte hinnehmen, ist fast so beunruhigend wie das neue Regime selbst. Es hat sicherlich dazu beigetragen, arroganten Konzernen, die nicht nur unser Geld, sondern auch unsere Köpfe kontrollieren wollen, das Leben zu erleichtern.

Die Geschichte von Farage und Coutts ist wichtig, weil sie deutlich macht, welche enorme Bedrohung der woke Kapitalismus für Freiheit und Gerechtigkeit darstellt. Machen wir uns klar, was hier passiert ist: Ein Mann wurde wegen vermeintlich falscher Ansichten wirtschaftlich entmündigt. Er wurde auf die schwarze Liste gesetzt, weil er in den großen Fragen der Tagespolitik ein wenig zu sehr abweicht. Und das geschieht auch mit anderen – darunter solchen, die keinen Zugang zu denselben Medienplattformen wie Farage haben und daher über wenig Spielraum verfügen, um gegen ihre Verdrängung aus dem Wirtschaftsleben durch nicht gewählte, nicht rechenschaftspflichtige Banken und Unternehmen zu protestieren. Auf eigene Gefahr hin dulden wir diese kapitalistische Überwachung des Denkens. Es ist sicherlich an der Zeit, dass der Staat handelt und den Banken und Unternehmen die Flügel stutzt, die glauben, das Recht zu haben, Bürger für den Inhalt ihres Gewissens zu bestrafen. Heute mag Farage dran sein, morgen könnten Sie es sein.

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