20.05.2022

Der arme Poet, Pardon: Student

Von Jörg Michael Neubert

Titelbild

Foto: nikolayhg via Pixabay / CC0

Einer Studie zufolge sind viele Studenten arm. Das ist statistisch irreführend und an sich noch kein Grund, das BAFöG zu erhöhen.

Nun also auch Studenten. Der Paritätische Wohlfahrtsverband hat eine Studie veröffentlicht, in der festgestellt wurde: Die meisten Studenten sind arm. Zugegebenermaßen war diese Bevölkerungsgruppe bisher nicht gerade als besonders wohlhabend aufgefallen, aber offenbar war dieser Fakt schwarz auf weiß wichtig genug, dass er von den Medien aufgegriffen wurde.

Ein kurzer Blick in die Studie zeigt auf den ersten Blick ein erschreckendes Bild. So gelten durchschnittlich 30,3 Prozent aller Studenten als arm. Betrachtet man nur die Untergruppe der Ein-Personen-Haushalte, sind es gar 79,2 Prozent. Erwartungsgemäß wird aus dieser Erkenntnislage gefolgert, dass der Staat seine Subventionen (in diesem Fall das BAFöG) deutlich erhöhen und natürlich ausweiten soll. Aber sind Studenten wirklich arm? Und ist es daher nötig, sie stärker zu subventionieren? Dagegen sprechen ein statistischer und ein grundsätzlicher Punkt.

Beginnen wir mit dem statistischen und der Frage, wie man in Deutschland eigentlich arm wird. Armut ist in Deutschland nämlich Definitionssache. Und das im wörtlichen Sinne. Als arm bzw. armutsgefährdet gilt, wer weniger als 60 Prozent des Medianeinkommens verdient. Laut Wohlfahrtsverband sind das für eine Einzelperson 1266 Euro pro Monat. Möglicherweise ist diese Zahl allerdings zu hoch. Die nicht gerade als turbokapitalistisch bekannte, gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung z.B. gibt die Armutsgrenze mit 1126 Euro an.

An der grundsätzlichen Problematik ändern diese unterschiedlichen Zahlen aber nichts. Warum stellt diese Berechnungsweise ein Problem dar, wenn man sie auf Studenten anwendet? Nun, weil hier Äpfel mit Birnen verglichen werden. Das relative Armutskonzept stellt darauf ab, dass die (statistische) Person mit dem Durchschnittseinkommen einen bestimmten Lebensstandard hat. Personen mit deutlich weniger Einkommen können sich diesen durchschnittlichen Lebensstandard nicht leisten und sind dadurch gesellschaftlich benachteiligt. Die Armutsdefinition muss daher aber auf Berufstätige bzw. solche, die es gerne wären, angewendet werden. Studenten sind aber keine klassischen Berufstätigen. Sie befinden sich vielmehr in einer Ausbildung.

„Das Ziel muss sein, dass sich Menschen selbst aus der Armut befreien und nicht, dass sie staatlich alimentiert in dieser verharren.“

Wenn man ihr Einkommen also schon vergleichen will, dann muss man es mit dem von Menschen tun, die sich in einer ähnlichen Situation befinden. Das wären z.B. Azubis. Und hier sieht die Situation schon wieder ganz anders aus. Das Durchschnittsgehalt von Azubis in Deutschland lag 2021 bei 987 Euro brutto, was ca. 789 Euro netto entspricht. Damit befinden Sie sich in guter Gesellschaft der Studenten, deren Medianeinkommen bei 802 Euro liegt. Natürlich gibt es auch Studenten mit weniger Einkommen, aber das gilt gleichermaßen für Azubis – und es geht hier nicht um eine Einzelfallbetrachtung. Studenten sind also gar nicht arm, zumindest wenn sie mit ihresgleichen vergleicht. Das schließt keineswegs aus, dass das BAFöG ausgeweitet werden kann, oder ein automatischer Inflationsausgleich eingeführt werden könnte. Es zeigt lediglich, dass es schon aus statistischen Gründen unsinnig ist, Studenten pauschal als arm zu bezeichnen.

Kommen wir nun zum grundsätzlichen und noch viel wichtigeren Punkt. Die pauschale Forderung nach Steuergeld (denn woher sonst soll das ganze BAFöG kommen?) verkennt einen zentralen Punkt am Studentendasein. Es ist nämlich nur temporär. Niemand (von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen) bleibt sein Leben lang Student. Staatliche Hilfen sind von ihrem Grundsatz her als Hilfe gedacht, eine zeitweise schwierige Situation zu überstehen. Genau das leistet das BAFöG für Studenten aus einkommensschwachen Familien. Sie sind allerdings nicht dafür gedacht, Menschen dauerhaft zu alimentieren, sprich sie auf oder knapp über einer wie auch immer definierten Armut zu halten, ohne dass diese sich aus dieser Situation wieder befreien. Oder plakativer ausgedrückt: Das Ziel muss sein, dass sich Menschen selbst aus der Armut befreien und nicht, dass sie staatlich alimentiert in dieser verharren.

Bei Studenten ist genau dieses Entkommen aus der (scheinbaren) Armut aber genau wie bei Azubis fest in deren Lebensplanung mit eingebaut. Natürlich wird es für viele Studenten am Monatsende mal knapp mit dem Geld werden. Es ist aber nicht die Aufgabe der Gesellschaft, dass Studenten immer ein „gutes“ Leben haben. Man muss schon etwas sozialromantisch sein, wenn man denkt, dass Studenten, wenn sie denn nur über genug Geld verfügen, sich ausschließlich auf ihr Studium konzentrieren. In der Realität wird es wohl eher so sein, dass ein gewisser Mangel auch dazu motiviert, sich um sein Studium zu kümmern, da das Geld für allzu ausschweifende andere Aktivitäten fehlt. Außerdem subventioniert die Allgemeinheit bereits die Ausbildungseinrichtungen von Studenten massiv, ohne dass diese einen Beitrag dafür leisten müssen. Nach einer halbwegs kalkulierbaren Zeit wird ein Student dann sein Studium abschließen und in den regulären Arbeitsmarkt einsteigen. Dann und nur dann ist es gerechtfertigt, sein Gehalt zu betrachten und mit anderen Arbeitnehmern zu vergleichen. Fast alle Studenten werden also auf Sicht ihrer prekären Einkommenssituation entkommen. Und nicht nur das. Viele von ihnen werden später mehr als der Durchschnitt verdienen, auch wenn sie dafür ein wenig länger warten mussten. Und das ist Studenten auch bewusst. Für sie stellt diese „Durstrecke“ eine zeitlich kalkulierbare Investition dar, die nötig ist, um später ein besseres Einkommen zu erzielen.

Studenten als arm zu bezeichnen und Geld von der Allgemeinheit für sie zu fordern, unterstellt also ein statisches Konzept von Armut. Genau das ist aber nicht der Fall. Über kurz oder lang werden sie sich selbst aus dieser Armut befreien und das sollte auch das Ziel für alle Armen sein. Weniger Alimentierung und mehr Aktivierung, die es wirklichen Armen möglich macht, diesem Zustand zu entkommen. Allerdings erfordert das komplexere Konzepte als die simple Forderung nach mehr Geld.

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