09.10.2015

Denormalisierung der Realität

Kommentar von Barry Curtis

Tabakgegner in Großbritannien haben sich für das Dampfen von E-Zigaretten geöffnet. Dahinter steckt aber nur ihr angestammtes Ansinnen, das Rauchen zu denormalisieren.. Das reale Leben soll zum vermeintlichen Schutz Minderjähriger zensiert werden.

Während E-Zigaretten in Deutschland offiziell vom Staat kritisch betrachtet werden, werden sie in Großbritannien seit Kurzem von offizieller Seite gefeiert. Im August nämlich hat die halbstaatliche Organisation Public Health England (PHE) den britischen Ärzten empfohlen haben, E-Zigaretten auf Kosten des staatlichen Gesundheitsdienstes NHS zu verschreiben. [1]

PHE stellt die E-Zigaretten als gesunde Möglichkeit für Raucher dar, mit dem Rauchen aufzuhören. So missversteht man das Dampfen. Jawohl, es ist gesünder. Und ja: Es kann dabei helfen, sich das Rauchen abzugewöhnen. Allerdings nur nach mittel- bis langfristigem Gebrauch. Das liegt daran, dass E-Zigaretten eher ein Freizeitvergnügen als ein Medikament sind, und das Aufhören mit dem Tabak nur als Nebenprodukt ihrer fortgesetzten Nutzung auftritt. Sie wie Antibiotika-Rezepte zu behandeln, geht an ihrer Natur vorbei. Wenn sie von Hausärzten nicht über einen unbegrenzten Zeitraum verschrieben werden, handelt es sich dabei um eine verfehlte medizinische Strategie.

Dass PHE die E-Zigaretten und das Dampfen missversteht, kann kaum überraschen. Man ist dort nicht daran interessiert, E-Zigaretten zu feiern, und das Dampfen zu ermutigen, sondern vielmehr daran, Tabak zu stigmatisieren und die Raucher zu dämonisieren. Die staatliche Förderung von E-Zigaretten ist in Wahrheit Bestandteil eines breitgefächerten Angriffs auf die Rechte der Raucher in der Gesellschaft. In Großbritannien ist seit 2007 das Rauchen an allen Arbeitsplätzen einschließlich Bars und Restaurants verboten, in öffentlichen Gebäuden, auf Bahnsteigen und an Bushaltestellen. Darüber hinaus wird es ab Oktober strafbar sein, wenn Eltern im eigenen Auto in Gegenwart ihrer Kinder rauchen, sogar wenn Fenster und Sonnendach geöffnet sind.

„Raucher werden als ‚abnormal‘ tituliert“

Doch selbst diese Flut von Anti-Rauchergesetzen reicht den Gesundheitseiferern nicht aus. Die jetzt von ihnen betriebenen Rauchverbote begründen sie nicht mit einem Risiko für die Volksgesundheit, sondern damit, dass der Anblick von Rauchern wohl einen schlechten Einfluss auf Kinder habe. Daher erwägt man in Brighton ein Rauchverbot an den Stränden, und Bristol testet ein Verbot auf städtischen Plätzen. Schlimmer noch: Am Horizont scheint sich die neue Straftat des Rauchens im Freien abzuzeichnen. Die Königliche Gesellschaft für Volksgesundheit (Royal Society for Public Health, RSPH) will das Rauchen an etlichen Orten in Außenbereichen verboten sehen: Parks, öffentliche Plätze, Strände, Schuleingänge und Biergärten.

Einige Kritiker der RSPH-Forderungen, darunter die Raucherinteressengruppe FOREST und Nigel Farage von der UKIP, finden ein Freiluft-Rauchverbot autoritär und gehen davon aus, dass sich die Kneipenschließungen beschleunigen, da die Raucher den Kneipenbesuch gänzlich aufgeben werden. Doch der Entwurf der RSPH ist schlimmer, als seine Kritiker sich ausmalen. Die RSPH, ähnlich wie die EU-Kommission und Organisationen in Deutschland, sagt offen, dass „das Rauchen denormalisiert werden muss“, damit die nächste Generation nicht unsere offensichtlichen Fehler nachmacht.

Selbst die RSPH würde sich nicht zu behaupten trauen, dass vom Rauchen in Freien eine Gesundheitsgefahr ausginge. Stattdessen tituliert sie Raucher als „abnormal“. Sie behauptet, dass ein Kind nur jemanden beim Rauchen erblicken müsste, um später mit dem Rauchen anzufangen. Die RSPH will das Kind davon abhalten, ein schlechter Erwachsener zu werden, indem sie verhindert, dass es irgendjemanden an einem öffentlichen Ort beim Rauchen sieht. Nicht etwa weil der Rauch eine körperliche Bedrohung wäre, wird das Verbot gefordert, sondern vielmehr, weil er den jungen Geist beeinflussen könnte. Die RSPH scheint zu glauben, dass es nur ihr und ihresgleichen erlaubt sein sollte, Einfluss auf jugendliche Gemüter zu nehmen.

„Das soziale Leben soll sich der Vision einer raucherfreien Normalität anpassen“

Die Strategie der „Denormalisierung“ hat zwei Komponenten: Mittel und Ziele. Ihr Ziel ist es, eine Generation zu schaffen, die von Tabak noch nicht einmal in Versuchung zu bringen ist. Um dies zu erreichen, gehört zum Mittelrepertoire die zwangsweise Zensur der Realität. Über eine gesetzliche Regelung soll das soziale Leben in eine Zwangsjacke gesteckt werden, um sich der Vision der Entscheidungsträger von einer raucherfreien Normalität anzupassen.

Traditionell haben Liberale dem Prinzip angehangen, dass man frei sein soll, zu tun, was immer man will, so lange es nur Dritten nicht schadet. Doch im Schatten der Denormalisierung ist ein neues, nicht liberales Prinzip aufgetaucht: Dass man nur das tun soll, wovon der Staat sagt, dass es normal sei. Obwohl die Raucherquoten im Westen zurückgegangen sind, so legt der Umstand, dass es selbst in Großbritannien noch zehn Millionen Paffer gibt, doch nahe, dass das Rauchen eine ziemlich normale Tätigkeit bleibt.

Um es abnormal erscheinen zu lassen, verändern die Gesundheitseiferer die Bedeutung der Normalität. In Wahrheit wollen sie zum Ausdruck bringen, dass Raucher unerwünscht sind. Und dementsprechend werden sie auch zunehmend als Unerwünschte dargestellt. Die Denormalisierung umfasst auch die Zensur der Realität. Man hat sich schon daran gewöhnt, dass die Autoren von Seifenopern das Rauchen einer Figur als Symbol für deren Unmoral oder Kriminalität verwenden.

Die Denormalisierung wendet das gleiche Drehbuch auf das echte Leben an. Das Verhalten eines jeden hat nun permanent die richtige moralische Botschaft auszusenden. Im Ergebnis beginnt die Gesellschaft wie ein offenes Gefängnis zu wirken. Weiß der Himmel, welche Lehren über Erwachsene Kinder aus all diesem ziehen werden, es ist aber zweifelhaft, dass auch nur eine davon positiv sein wird.

„Denormalisierungs-Taktik schränkt hauptsächlich die Freiheiten Erwachsener ein“

Die Gesundheitsfundis werden jetzt sagen, „dass das Ziel die Mittel rechtfertigt“. „Natürlich müssen wir tun, was wir können, um das Leben der Kinder zu retten“, wird man aus ihrem Munde hören. Aber sie irren. Ihr Traum, durch Denormalisierungs-Taktik eine rauchfreie Generation heranzuziehen, ist illusorisch. So hat beispielsweise in Australien der Tabakkonsum junger Leute seit der Einführung der Denormalisierungs-Maßnahme Einheitsverpackung (Plain Packaging) sogar zugenommen, möglicherweise weil sich junge Leute vom rebellischen Aspekt des Rauchens angezogen fühlen.

Und in den USA, wo Freiluft-Verbote seit Mitte der 1990er-Jahre an Tempo gewonnen haben, sind die Raucherquoten unter jungen Leuten seit Beginn der 2010er-Jahre praktisch nicht zurückgegangen. Nicht unerwähnt bleiben sollte in diesem Zusammenhang, dass eine deutliche verbesserte E-Zigaretten-Technologie zu einem gewissen Rückgang geführt hat; das lässt darauf schließen, dass der heute geringfügig geringere Tabakgebrauch junger Amerikaner mehr dem Popularitätsschub der E-Zigaretten als irgendwelchen Denormalisierungs-Strategien zuzuschreiben ist.

Die britische Regierung sollte zugeben, dass der Haupteffekt der Denormalisierungs-Taktik darin besteht, die Freiheiten Erwachsener einzuschränken, und nicht etwa die Raucherquoten Jugendlicher zu senken. Es ist ein Teil jugendlicher Natur, mit verschiedenen Dingen zu experimentieren – und das beinhaltet auch, sich eine Zigarette anzustecken. Unter denen, die das ausprobieren, geben es viele vor ihrem 30. Lebensjahr wieder auf, bevor ein langfristiger Gesundheitsschaden entstanden ist. Und diejenigen, die es nicht aufgeben, sind sich des Risikos durchaus bewusst. Gesundheitsfundis müssen sich darüber klar werden, dass die Fähigkeit, herumzuexperimentieren, zu einer freien Gesellschaft gehört.

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