15.01.2022

Warum haben Wissenschaftler die Labor-Theorie unterdrückt?

Von Matt Ridley

Titelbild

Foto: Dean Calma via Flickr / CC BY 2.0

Dass das aktuelle Coronavirus aus dem Labor in Wuhan stammt, hielten Wissenschaftler unter vier Augen für plausibel, stellten dies in der Öffentlichkeit aber als Verschwörungstheorie hin.

Im August 2007 kam es auf einem Bauernhof in Surrey zu einem Ausbruch des Maul- und Klauenseuche-Virus. Dieser war nur wenige Kilometer vom weltweit führenden Referenzlabor für die Identifizierung von MKS-Ausbrüchen entfernt. Niemand hielt dies für einen Zufall, und tatsächlich stellte sich bald heraus, dass ein undichtes Rohr im Labor die Quelle war: Ein Kanalisationsbauer hatte im Labor und anschließend auf dem Bauernhof gearbeitet.

Im Dezember 2019 brach in China ein neuartiges, von Fledermäusen übertragenes Sars-ähnliches Coronavirus aus, nur wenige Kilometer vom weltweit führenden Labor für die Sammlung, Untersuchung und Manipulation neuartiger, von Fledermäusen übertragener Sars-ähnlicher Coronaviren entfernt. Uns wurde von führenden Wissenschaftlern in China, den USA und dem Vereinigten Königreich versichert, dass es sich wirklich um einen Zufall handelte. Und das sogar noch, als die neun engsten Verwandten des neuen Virus in der Gefriertruhe des betreffenden Labors, des Wuhan Institute of Virology, auftauchten.

Jetzt wissen wir, was diese führenden Wissenschaftler wirklich dachten. Aus E-Mails, die nach einer Telefonkonferenz am 1. Februar 2020 zwischen ihnen ausgetauscht wurden, und die erst jetzt durch die Republikaner im US-Kongress an die Öffentlichkeit gelangten, geht hervor, dass sie nicht nur davon ausgingen, dass das Virus aus einem Labor entwichen sein könnte, sondern dass sie unter vier Augen noch viel weiter gingen. Sie hielten es für sehr wahrscheinlich, dass die Genomsequenz des neuen Virus absichtlich manipuliert wurde oder versehentlich im Labor mutierte. Später verfassten sie jedoch einen Artikel für eine wissenschaftliche Fachzeitschrift, in dem sie argumentierten, dass die Vermutung nicht nur eines manipulierten Virus, sondern sogar eines versehentlichen Austretens getrost als abwegige Verschwörungstheorie abgetan werden könne.

„Sie hielten es für sehr wahrscheinlich, dass die Genomsequenz des neuen Virus absichtlich manipuliert wurde oder versehentlich im Labor mutierte."

Jeremy Farrar – der die Telefonkonferenz am 1. Februar zusammen mit Patrick Vallance, Francis Collins, Anthony Fauci und einem Who's Who der Virologie organisierte – hatte in seinem im letzten Jahr erschienenen Buch „Spike" bereits einiges verraten. Er schrieb, dass er Anfang Februar 2020 eine 50-prozentige Wahrscheinlichkeit sah, dass das Virus manipuliert wurde, während Kristian Andersen vom Scripps Research Institute von einer 60- bis 70-prozentigen Wahrscheinlichkeit ausging und Eddie Holmes von der Universität Sydney von einer 80-prozentigen. Einige Zeit nach dem Telefonat änderten sie jedoch alle ihre Meinung. Und warum? Sie haben uns nie eine Antwort gegeben.

Nun aber liegt eine E-Mail von Farrar vor, die am Sonntag, dem 2. Februar, an Francis Collins, Leiter der National Institutes of Health, und Anthony Fauci, Leiter des National Institute of Allergy and Infectious Diseases, geschickt wurde. Darin werden die nächtlichen Überlegungen von zwei anderen Virologen, die Farrar konsultiert hatte, Robert Garry von der Tulane University und Michael Farzan vom Scripps Research Institute, sowie Farrars eigene Überlegungen wiedergegeben. Selbst nach dem Telefonat konzentrierte sich ihre Sorge auf ein Merkmal des Sars-Cov-2-Genoms, das zuvor noch bei keinem anderen Sars-ähnlichen Coronavirus beobachtet worden war: die Insertion (im Vergleich zum am nächsten verwandten Virus in Fledermäusen) einer 12-Buchstaben-Gensequenz, die eine so genannte Furin-Spaltstelle bewirkt, die das Virus viel infektiöser macht.

Farzan, so Farrar, „hat Schwierigkeiten, das außerhalb des Labors zu erklären", und Garry „kann sich kein plausibles natürliches Szenario vorstellen [...], kann nicht herausfinden, wie das in der Natur zustande komme". Farrar selbst meinte an jenem Sonntag, dass „eine wahrscheinliche Erklärung etwas so Einfaches wie die Passage [von] Sars-ähnlichen Covs in Gewebekulturen auf menschlichen Zelllinien (unter BSL-2) über einen längeren Zeitraum sein könnte, wobei versehentlich ein Virus geschaffen wird, das für eine schnelle Übertragung zwischen Menschen durch Gewinnung einer Furin-Stelle (aus der Gewebekultur) und Anpassung an den menschlichen ACE2-Rezeptor durch wiederholte Passage gerüstet ist". Übersetzt heißt das: Wenn ein Virus im Labor wiederholt in menschlichen Zellen gezüchtet wird, verändert sich sein Genom durch natürliche Selektion, so dass es sich an menschliche Wirte anpasst.

Dies sind genau die Verdachtsmomente, die im April 2020 in einem sorgfältig verfassten Aufsatz des russisch-kanadischen Biotech-Unternehmers Yuri Deigin geäußert wurden, der damals von Garry und den anderen als Unsinn abgetan wurde. In dem einflussreichen Artikel, den Andersen, Garry und Holmes gemeinsam mit zwei anderen Virologen verfasst hatten, vertraten sie eine ganz andere Auffassung als in ihrem privaten Austausch und behaupteten, dass Furin-Spaltstellen-Insertionen auf natürliche Weise entstehen könnten und dass man sie bald in einem Virus in einer wildlebenden Fledermaus finden würde.

„Donald Trump zu widersprechen, den Ruf der Wissenschaft um jeden Preis zu schützen und sich mit denjenigen gut zu stellen, die hohe Zuschüsse vergeben, sind ziemlich starke Anreize, seine Meinung zu ändern."

Zwei Jahre später ist in den vielen natürlich vorkommenden Sars-ähnlichen Viren, die seither gefunden wurden, noch keine solche natürliche Furin-Spaltstelle gefunden worden. Was jedoch aufgetaucht ist, ist ein Förderantrag, der 2018 bei der Defense Advanced Research Projects Agency (DARPA) der USA eingereicht wurde, um Experimente zu finanzieren, bei denen absichtlich neue Furin-Spaltstellen in neuartige Sars-ähnliche Coronaviren eingefügt werden, damit diese im Labor wachsen können. Und wer war an diesem Vorschlag beteiligt? Natürlich das Wuhan Institute of Virology. Das Institut hatte nämlich bereits einige Jahre zuvor ein ähnliches Experiment mit dem Spike-Protein eines Mers-ähnlichen Virus durchgeführt. Es ist zwar kein eindeutiger Beweis, da der Antrag abgelehnt wurde, aber es ist ein offenes Geheimnis in der Wissenschaft, dass man manchmal Dinge in Förderanträge schreibt, mit denen man bereits begonnen hat, und die Chinesische Akademie der Wissenschaften finanzierte ohnehin den größten Teil der Arbeit im Wuhan Institute of Virology.

Die in dieser Woche enthüllten E-Mails zeigen keinen einzigen guten wissenschaftlichen Grund dafür, warum diese führenden Virologen ihre Meinung änderten und zu Leugnern wurden, anstatt an die auch nur entfernte Möglichkeit eines Lecks im Labor zu glauben, und das alles in nur wenigen Tagen im Februar 2020. Keine neuen Daten, keine neuen Argumente. Aber sie offenbaren sehr deutlich einen eklatanten politischen Grund für die Kehrtwende. Spekulationen über ein Leck im Labor, so Ron Fouchier, ein niederländischer Forscher, könnten „der Wissenschaft im Allgemeinen und der Wissenschaft in China im Besonderen unnötigen Schaden zufügen". Francis Collins war markiger und befürchtete, „der Wissenschaft und der internationalen Harmonie potenziell großen Schaden zuzufügen". Donald Trump zu widersprechen, den Ruf der Wissenschaft um jeden Preis zu schützen und sich mit denjenigen gut zu stellen, die hohe Zuschüsse vergeben, sind ziemlich starke Anreize, seine Meinung zu ändern.

Im August 2020 gehörten Kristian Andersen und Robert Garry zu den leitenden Forschern, die 8,9 Millionen Dollar für die Erforschung neu auftretender Infektionskrankheiten erhielten, und zwar im Rahmen eines Förderprogramms des National Institute of Allergy and Infectious Diseases von Anthony Fauci, das zu den National Institutes of Health von Francis Collins gehört.

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