03.05.2012

Charles Taylor – kein Urteil im Namen des Volkes

Analyse von Luke Samuel

Das Urteil des internationalen Sondertribunals gegen den Ex-Präsidenten Liberias, Charles Taylor, ist eine Niederlage für die Demokratie in Westafrika. Anstatt ihm selbst den Prozess zu machen, mussten die Menschen dort zusehen, wie westliche Elitejuristen den Job machten

Letzte Woche wurde Charles Taylor durch den Sondergerichtshof für Sierra Leone (SCSL) wegen Beihilfe zu Kriegsverbrechen während des Bürgerkriegs in dem westafrikanischen Land für schuldig befunden. Wegen „persönlicher Beteiligung“ an den gleichen Verbrechen wurde er freigesprochen. Die Anklage stand im Zusammenhang mit den Aktivitäten der Revolutionary United Front und der von Charles Taylor geführten Patriotic Front of Liberia, die versuchten die gewählte Regierung von Sierra Leone im Jahr 1991 zu stürzen. Dies hatte einen elfjährigen Bürgerkrieg zur Folge, in dem 50.000 Sierra Leoner ihr Leben ließen.

So wurde Taylor – Präsident des benachbarten Liberia zur Zeit des Bürgerkriegs in Sierra Leone – zum ersten afrikanischen Staatsoberhaupt, das von einem internationalen Tribunal verurteilt wurde. Für viele im Westen ist der Schuldspruch ein Sieg der internationalen Justiz. Elise Kepler von Human Rights Watch nannte das Urteil einen „Sieg für die Opfer in Sierra Leone“. Amnesty International Deutschland sprach von einem „Meilenstein in der internationalen Strafgerichtsbarkeit“.  Es zeigt, dass sogar Regierungspolitiker auf „höchster Ebene“ durch internationale Gerichte zur Rechenschaft gezogen werden können Brenda Hollis, die derzeitige Chefanklägerin des Gerichts, sagte: „Dieser Tag ist den Menschen in Sierra Leone gewidmet, die so furchtbar an den Taten Charles Taylor und seine Streitkräfte gelitten haben.“

In Wirklichkeit hatte der Fall Charles Taylor nichts mit den „Menschen in Sierra Leone“ zu tun. Tatsächlich wird den Menschen in Sirra Leone gerade durch die Existenz eines solchen Sondergerichts jegliches Mitspracherecht über Taylors Schicksal aus den Händen genommen und – vielleicht noch wichtiger – gleiches gilt auch für die Menschen in Liberia, über die der Taylor als demokratisch gewählter Präsident herrschte, als er 2003 angeklagt wurde.

Werfen wir einen genaueren Blick auf den Sondergerichtshof, der den Fall Taylor verhandelt: Nur vier der zwölf gegenwärtig in der SCSL sitzenden Richter wurden von der Justiz von Sierra Leone ernannt. Der Rest wurde von den Vereinten Nationen aus anderen Ländern berufen. Der Chefankläger, der auch entscheidet, wer vom Gericht belangt werden kann, wurde vom Generalsekretär der Vereinten Nationen ernannt. Jeder Chefankläger in der Geschichte des Gerichtshofs kam bisher entweder aus Großbritannien oder den Vereinigten Staaten. Der Posten des stellvertretenden Generalstaatsanwalts, dessen Ernennung eigentlich der Regierung Sierra Leones zusteht, ist aktuell unbesetzt. All das Gerede von der „Gerechtigkeit für die Menschen in Sierra Leone“ übersieht die Tatsache, dass es die Elite der westlichen Rechtsszene ist, die ohne jeden demokratischen Rekurs auf den Souverän des Landes – das Volk von Sierra Leone – die Entscheidungen im Sondergericht fällt.

In der Tat war es die Angst vor der Bevölkerung Sierra Leones, die die UN veranlasste, den Prozess aus der sierra leonischen Hauptstadt Freetown im Jahr 2006 in die Gebäude des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) in der Nähe des niederländischen Den Haag zu verlegen. Die Chefanklägerin rechtfertigte damals die Verlegung damit, dass Taylors Aufenthalt in Sierra Leone eine „Bedrohung für die Stabilität und den Frieden“ des Landes darstelle. Dies deutet darauf hin, dass selbst die UNO anerkannte, dass Taylor immer noch Anhänger unter den Menschen in Sierra Leone hatte.

Auch weil die in der Vergangenheit getroffenen Entscheidungen des SCSL destabilisierende Auswirkungen auf Westafrika hatten, sollte man nicht in die Jubelsänge auf den Schuldspruch mit einstimmen. Als Taylor im Juni 2003 angeklagt wurde, befand sich Liberia mitten im eigenen Bürgerkrieg. Taylor selbst hatte gerade versucht, mit liberianischen Rebellen zu verhandeln. Die Entscheidung, während dieser Gespräche einen internationalen Haftbefehl gegen Taylor auszustellen, ermutigte die liberianische Rebellen-Armee, die Verhandlungen abzubrechen und ihre Angriffe auf die liberianische Hauptstadt Monrovia wiederaufzunehmen. Viele Kommentatoren wiesen zu dieser Zeit darauf hin, dass die Entscheidung, Taylor bei den sensiblen Verhandlungen anzuklagen, „schlechtes Timing“ gewesen war und letztlich den liberianischen Bürgerkrieg verlängerte.

Die Realität ist, dass die Menschen in Sierra Leone und Liberia im Prozess gegen Charles Taylor schlichtweg ignoriert wurden. Hinter der Existenz des SCSL steckt die gleiche Grundüberzeugung, die die Existenz aller internationalen Gerichtshöfe rechtfertigt: dass westliche Juristen mit einigen Schurken besser fertig werden als die Menschen aus den Ländern, in denen sie einst herrschten. In dieser Denke werden komplexe politische Konflikte auf Fußnoten in den Gerichtsakten reduziert, die berufenen Richtern nur noch zur Aburteilung vorlegt werden müssen. Die Tatsache, dass die UN und westliche NGOs nun versuchen, dies als einen „Sieg des Volkes“ zu präsentieren, ist ein Witz. In der Tat ist es nur ein Sieg für die westliche Juristenteams, die so an der Gestaltung der Zukunft West-Afrikas mitmischen können.

Für Charles Taylor beginnt jetzt eine lange Haftstrafe in Belmarsh im Süden Londons – tausende Meilen von seinem ehemaligen Regierungssitz in Liberia entfernt. Wir sollten uns für die Abschaffung aller internationalen Gerichtshöfe und den anti-demokratischen Gerechtigkeitsbegriff, den sie propagieren, einsetzen. Vielleicht bekommt dann auch das „Volk“ der Länder, über die diese Gerichte ihre Urteile sprechen, ein bisschen mehr Freiheit, selbst über ihre eigene Zukunft zu bestimmen.

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