01.11.2008

Es gibt keinen neuen Kampf um Afrika

Analyse von Stuart Simpson

Die intensiver werdenden Wirtschaftsbeziehungen Chinas zu Afrika sind für den Westen keineswegs eine Bedrohung – vielmehr profitieren alle bedeutenden Volkswirtschaften davon, wenn Afrika kein „hoffnungsloser Fall“ mehr ist.

Europa ist der größte Handelspartner Afrikas. Viele multinational operierende europäische Unternehmen haben im Verlauf des 20. Jahrhunderts oder noch früher intensive Beziehungen zum afrikanischen Kontinent entwickelt und sind hier stark engagiert. Anscheinend aber gerät diese vorherrschende Stellung Europas zunehmend ins Wanken: China gewinnt in Afrika zunehmend an Einfluss. Die Bedeutung Afrikas in der globalen Wirtschaft verändert sich langsam. 60 Jahre lang war der Anteil des schwarzen Kontinents am Welthandel rückläufig, aber seit ein paar Jahren ist eine Umkehr dieses Trends festzustellen. Aber hinter diesem Wandel verbirgt sich eine kompliziertere Dynamik als nur der Konflikt externer Mächte um die Nutzung des rohstoffreichen Kontinents.

Der Westen, aber auch China selbst haben viel Wirbel um Chinas Engagement auf dem Kontinent gemacht. Der Volksrepublik wurden die unterschiedlichsten Rollen zugeschrieben – darunter die des wirtschaftlichen Konkurrenten des Westens, des neuen Unterdrückers, aber auch des Retters Afrikas. Einige sehen in China sogar den Vorkämpfer westlicher Bemühungen um die Verankerung von Menschenrechten und Demokratie auf dem Kontinent; man denke nur an die Begeisterung über die Rolle Chinas bei der Vereinbarung der Entsendung von UN-Truppen zur Überwachung des Sudan. Dass China als Wettbewerber auftritt, ist aber noch keine ausreichende Erklärung für das wachsende wirtschaftliche Interesse Europas und der USA an Afrika. Vor diesem Hintergrund lohnt es sich, die Entwicklung der chinesisch-afrikanischen Beziehungen genauer zu beleuchten. Im November 2006 hatte China 48 afrikanische Staatsoberhäupter im Rahmen des Forums für chinesisch-afrikanische Zusammenarbeit (FOCAC) in Peking empfangen. Die feierliche Veranstaltung zog weltweites Interesse auf sich, und es wurden Geschäfte in Höhe von mehreren Milliarden US-Dollar sowie ein Fonds von 5 Milliarden US-Dollar zur Förderung weiterer Investitionen in Afrika angekündigt. Aber auch zwei Jahre danach stehen wir mit unserem Verständnis der sich intensivierenden chinesisch-afrikanischen Beziehungen immer noch am Anfang.

Fakt ist: China ist auf dem besten Weg, das angestrebte Handelsvolumen von 100 Milliarden US-Dollar mit Afrika bis zum Jahr 2010 zu erreichen. Die vergangenen Zielvorgaben wurden vorzeitig erreicht, und das Handelsvolumen Chinas ist von 10 Milliarden im Jahr 2000 auf über 50 Milliarden US-Dollar im Jahr 2006 gestiegen. Das Reich der Mitte befeuert seine Wirtschaft weiterhin durch den Import von Öl und anderen Rohstoffen aus Afrika und liefert im Gegenzug Industrieprodukte. Aber bei der wirtschaftlichen Beziehung Chinas zu Afrika geht es nicht nur um Handel. China ist zu einem wichtigen Anbieter von Finanzen, sowohl bezüglich ausländischer Direktinvestitionen (ADI) als auch bei Konzessionskrediten geworden. Im November 2007 investierte die Industrial and Commercial Bank of China (ICBC) mehr als 5 Milliarden US-Dollar und übernahm einen 20-prozentigen Anteil an der Standard Bank, dem größten Kreditinstitut Afrikas. Einen Monat zuvor hatte China bereits einen Konzessionskredit von in Höhe von 5 Milliarden US-Dollar für die Demokratische Republik Kongo angekündigt, der dem Wiederaufbau der Infrastruktur und der Bergbauindustrie des Landes zugute kommen soll. Und das sind nur die größten und medienwirksamsten Geschäfte.

China ist darüber hinaus ein wichtiger Anbieter der für die produktive Nutzung dieser Investitionen und der Handelserträge erforderlichen Kapazitäten. Mittlerweile sind 20 Prozent der afrikanischen Bauwirtschaft in der Hand chinesischer Bauunternehmen. Damit bleibt China zwar immer noch hinter dem 50-prozentigen Anteil der europäischen Unternehmen zurück, dennoch ist das chinesische Engagement sehr wichtig. Das Volumen der afrikanischen Bauwirtschaft hat sich in den letzten fünf Jahren verdoppelt – ohne chinesische Kapazitäten wäre das nicht möglich gewesen. Die massive Expansion des afrikanischen Bauwesens zeigt aber auch: Chinesische Unternehmen mögen auf dem Markt zwar mittlerweile von großer Bedeutung sein, doch das hat keineswegs zu einer Verdrängung amerikanischer oder europäischer Unternehmen geführt. Im Gegenteil: Da lediglich Südafrika über eine funktionierende inländische Bauindustrie verfügt, konnten sowohl Europa und die USA als auch China ihre Geschäftsaktivitäten auf dem Kontinent ausbauen.

Afrika als Chance

Das ist wichtig für das Verständnis des Einflusses, den China und andere aufstrebende Volkswirtschaften heute auf Afrika haben. So kommentierte Louis Michel, Europakommissar für Afrikabeziehungen, im Dezember 2007 mit Blick auf den zu jener Zeit in Lissabon stattfindenden EU-Afrika-Gipfel, Afrika gelte „nicht mehr als ‚Belastung‘ sondern als Gelegenheit“. Der zunehmende Einfluss Chinas in Afrika wird heute häufig diskutiert, ohne dass dabei die Situation berücksichtigt wird, in der sich viele afrikanische Länder befinden. Im Gegensatz zu Simbabwe, dessen Wirtschaft zusammengebrochen ist, wachsen viele afrikanische Volkswirtschaften schneller als die Weltwirtschaft, und das bereits seit einigen Jahren. Der Export von Rohstoffen ist bei diesem Wachstum natürlich ein wichtiger Faktor. Experten sehen für diese Entwicklung aber verschiedene Ursachen. Afrika verfügt mittlerweile über neue Finanzierungsquellen, denn der Kontinent gilt mit seinen inzwischen relativ stabilen aufstrebenden Volkswirtschaften als neuer High-Risk- und High-Return-Zielort für Investitionen. Dieses neue Geld trifft auf neue Investitionsgelegenheiten in einem politisch und wirtschaftlich zunehmend stabilen und vielversprechenden Umfeld. Vodafone hat beispielsweise in den vergangenen Jahren in Indien, China und der Türkei expandiert und nun seine Aufmerksamkeit auf Afrika gerichtet. Das Unternehmen ist nicht mehr weit davon entfernt, sich den Löwenanteil am afrikanischen Telekommunikationsmarkt zu sichern. Auch der Bauboom auf dem afrikanischen Kontinent ist nicht nur durch chinesisches Geld und das Engagement chinesischer Unternehmen entstanden, sondern er spiegelt die angesichts der expandierenden Volkswirtschaften steigende Notwendigkeit von Infrastrukturmaßnahmen wider. Länder, deren Volkswirtschaft zehn Jahre lang fünf bis sechs Prozent jährlich gewachsen sind, brauchen jetzt neue Straßen, Kraftwerke und andere Anlagen, um die Bedürfnisse der rasant gewachsenen Wirtschaft befriedigen zu können.

So baut zum Beispiel Ghana mithilfe chinesischer Konzessionskredite ein neues hydroelektrisches Kraftwerk. Dieses Projekt ist eine Folge des Wachstums in Ghana und nicht des Engagements Chinas auf dem Kontinent. Zwar wird oft behauptet, der chinesische Rohstoffbedarf hätte in den letzten Jahren große Teile des Booms in Afrika befördert, aber tatsächlich ist die Situation viel komplexer. Ghana ist ein Ölimporteur, und der Anstieg der Rohstoffpreise hat daher zu einem Transfer von Wohlstand von Ghana an Afrikas Ölexporteure geführt. Wie viele andere afrikanische Länder war auch Ghana letztlich ein Verlierer des jüngsten Rohstoffbooms. Das Land hat auch nicht von den Exporten an China profitiert. Die meisten Exporte Ghanas fließen nach Europa und nicht nach China. Trotzdem ist Ghana das beste Beispiel für die Transformation des afrikanischen Kontinents sowie ein Beleg dafür, dass der wirtschaftliche Aufschwung bei Weitem nicht nur vom Rohstoffhunger Chinas abhängt. Das Wachstum in Afrika ist auch nicht nur die Folge der direkten Beziehungen, die afrikanische Länder mit China und anderen aufstrebenden Volkswirtschaften entwickelt haben. Die Annahme, China sei „durch und durch an Afrika beteiligt“, stimmt einfach nicht. Der Pomp der chinesischen Diplomatie und die Umschmeichelung der afrikanischen Staatsoberhäupter täuschen über die Tatsache hinweg, dass die chinesischen Investitionen und der chinesische Handel größtenteils die Muster des westlichen Handels und der westlichen Investitionen reflektieren. Die meisten chinesischen Investitionen werden in einigen wenigen afrikanischen Ländern getätigt, die mit Ausnahme Südafrikas überwiegend Rohstoffe exportieren. Der Handel Chinas unterscheidet sich nur darin vom westlichen Handel, dass China mehr Industrieerzeugnisse nach Afrika exportiert und weniger importiert.

Chinas Grenzen

Die Wettbewerbsfähigkeit der chinesischen Industrie wird häufig überschätzt. Chinesische Unternehmen haben zwar durchaus einige Vorteile gegenüber westlichen multinational operierenden Unternehmen: billige Arbeitskräfte, lockere Umwelt- und Sozialstandards, die Möglichkeit, mit sogenannten „Schurkenstaaten“ zu handeln sowie die Unterstützung durch billige, von staatlichen Banken gelieferte Kredite. Dies macht aber gleichzeitig auch die Schwächen Chinas deutlich: Chinesische Unternehmen können immer noch nicht unter gleichen Bedingungen mit westlichen multinational operierenden Unternehmen konkurrieren. Die meisten chinesischen Investitionen gehen daher in den Sudan, da dies der einzige Ort ist, an dem die Chinesen sich nicht dem Wettbewerb mit den Ölgiganten stellen müssen, die die lukrativsten Ölfördergebiete in Afrika bereits unter sich aufgeteilt haben. China hat Schwierigkeiten, sich in Nigeria, dem größten Ölproduzenten Afrikas, zu platzieren; und in Angola ist es weiterhin nur ein kleiner Akteur, trotz der viel beachteten Verlängerung der billigen Milliarden-Kredite an die angolanische Regierung.

Außerhalb der Rohstoffindustrien hoffen chinesische Unternehmen auf Märkte in Bereichen, die von westlichen Unternehmen verschmäht werden, weil sie zu klein sind. So haben chinesische Unternehmen z.B. begonnen, Autos speziell für den afrikanischen Markt herzustellen. Diese Autos sollen auf einem Markt wettbewerbsfähig sein, auf dem Gebrauchtwagen dominieren, die aus Europa verschifft werden. Die weltweit führenden Autohersteller sind kaum an Geldinvestitionen in die Entwicklung von Billigautos für einen kleinen Markt interessiert. Aber chinesische Unternehmen, die mit Toyota oder General Motors nicht konkurrieren können, haben kaum andere Möglichkeiten. Der erwähnte jüngste Kauf einer Minderheitsbeteiligung an der Standardbank zeigt das gleiche Muster. An den reifen Märkten Europas und der USA sind chinesische Banken nicht wettbewerbsfähig; aber auf expandierenden Märkten, die noch nicht angemessen bedient werden, können sie eine Präsenz erreichen.

Kein neuer „Kampf um Afrika“

Im November 2007 veröffentlichte die Weltbank einen Bericht über den wirtschaftlichen Ausblick für Afrika. Die African Development Indicators 2007 warnen zwar immer noch vor dem ungleichmäßigem Wachstum auf dem Kontinent, aber sie verweisen auch darauf, dass das aktuelle rasante Wachstum mehr ist als nur eine Wiederholung der stets im Sande verlaufenen Rohstoffbooms der Vergangenheit. John Page, Chefökonom der Weltbank, zeigte sich „weitgehend optimistisch“, dass „in Afrika derzeit ein grundsätzlicher Wandel stattfindet“. Das anhaltende Wachstum in Afrika und die nüchternere Einschätzung des chinesischen Wettbewerbs erklärt auch die recht optimistische Haltung von US-Finanzminister Hank Paulson bezüglich des Vorstoßes Chinas in traditionell europäisches und US-amerikanisches Territorium. Auf die Frage, ob das chinesische Engagement in Afrika zulasten von US-Interessen gehe, sagte er: „Die Region profitiert von mehr Investitionen. Ich predige keineswegs win-lose, sondern win-win.“

China ist immer noch ein sich entwickelndes Land, und selbst seine am weitesten entwickelten Branchen reflektieren dies. Die chinesische Industrie ist noch nicht der wettbewerbsfähige Leviathan, als der sie oft dargestellt wird. Der Erfolg chinesischer Unternehmen auf dem afrikanischen Kontinent geht nicht zulasten bestehender westlicher Interessen. China tritt entweder in exandierende Märkte ein oder eröffnet potenziell neue Märkte. Die derzeitige Situation ist keineswegs ein „Kampf“ um die Neuaufteilung des schwarzen Kontinents. Afrikanische Länder verzeichnen vielleicht ein nachhaltiges Wachstum, aber viele bleiben immer noch hinter den dynamischeren aufstrebenden Wirtschaften Asiens, Osteuropas und Lateinamerikas zurück.

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