26.05.2023

Cancelt Roger Waters nicht!

Von Daniel Ben-Ami

Titelbild

Foto: Melissa Askew (CC0)

Auch wenn die Antisemitismus-Vorwürfe zutreffen, folgt daraus nicht, dass dem ehemaligen Pink-Floyd-Frontmann sein Auftritt in Frankfurt verboten werden sollte.

Roger Waters, ehemaliger Pink-Floyd-Frontmann und altgedienter Anti-Israel-Aktivist, wird am 28. Mai in Frankfurt auftreten – nach monatelangem Streit über Antisemitismus-Vorwürfe. Auf der einen Seite der Kontroverse stehen diejenigen, die argumentieren, dass Waters ein Auftrittsverbot erteilt werden sollte, weil er antisemitisch sei. Ihrer Ansicht nach ist seine Kritik an Israel eine kaum verhüllte Form des Antisemitismus.

Auf der anderen Seite bestehen der Rockmusiker und seine Unterstützer darauf, dass er auftreten darf, da er nicht antisemitisch, sondern israelfeindlich sei. Sie behaupten, dass die Israel-Befürworter den Vorwurf des Antisemitismus zynisch als Waffe einsetzen, um seine berechtigte Kritik zum Schweigen zu bringen und damit seine Meinungsfreiheit zu beschneiden.

Leider wurde eine dritte Möglichkeit, mit der Debatte umzugehen, nicht einmal in Erwägung gezogen. Selbst wenn Waters ein Antisemit ist, sollte es ihm erlaubt sein, aufzutreten. Der Versuch, ihn zu canceln, hat es ihm ermöglicht, sich als Märtyrer der Meinungsfreiheit darzustellen. Er hat auch nicht dazu beigetragen, den Judenhass zu bekämpfen. Die Diskussion wurde, ganz im Gegenteil, noch weiter durcheinander gebracht.

Dieser Streit zieht sich durch Waters' Europa- und Südamerika-Tournee „This Is Not a Drill" im Jahr 2023, aber Frankfurt ist besonders in den Fokus gerückt. Das liegt zum Teil daran, dass die Festhalle, sein Konzertort in der Stadt, der öffentlichen Hand gehört. Am 24. Februar gaben die Eigentümer, die Stadt Frankfurt und das Land Hessen, bekannt, dass sie ihm ein Auftrittsverbot erteilen wollten, um ein Zeichen gegen den Antisemitismus zu setzen. Die Tatsache, dass die Konzerthalle 1938 dazu diente, Juden zusammenzutreiben, um sie in Gefängnisse und Konzentrationslager zu transportieren, hat die Debatte emotional zusätzlich aufgeladen.

„Es gibt durchaus plausible Gründe, Waters des Antisemitismus zu bezichtigen.“

Waters und seine Unterstützer initiierten eine konzertierte Medien- und juristische Kampagne gegen das Verbot. Anfang März startete Katie Halper, eine amerikanische politische Aktivistin, eine Change.org-Petition, die mehr als 36.000 Unterschriften sammelte. Darunter befanden sich die von hochrangige Musikern, Künstlern, Journalisten und Schriftstellern.

Am 16. März veröffentlichte Waters auf Twitter eine Ankündigung unter der Überschrift „Hey Frankfurters, leave free speech alone“ (Hallo Frankfurter, rührt nicht an der freien Meinungsäußerung). Er teilte mit, dass seine Anwälte Maßnahmen ergreifen würden, um sicherzustellen, dass die Konzerte in München – das ebenfalls kurzzeitig bedroht war – und Frankfurt stattfinden würden. In der Erklärung hieß es weiter:

„Ich möchte ein für alle Mal zu Protokoll geben, dass ich kein Antisemit bin oder je gewesen bin, und nichts, was irgendjemand sagen oder veröffentlichen kann, wird daran etwas ändern. Meine weithin bekannten Ansichten beziehen sich ausschließlich auf die Politik und die Handlungen der israelischen Regierung und nicht auf die Völker in Israel. Antisemitismus ist abscheulich und rassistisch, und ich verurteile ihn ebenso wie alle Formen von Rassismus vorbehaltlos."

Schließlich entschied ein Frankfurter Gericht, dass Waters das Recht habe, in der Festhalle aufzutreten. Waters wertete das Urteil als Bestätigung seiner Auffassung, dass er kein Antisemit sei. Die Stadt Frankfurt und das Land Hessen beschlossen, keine Berufung gegen die Entscheidung einzulegen.

Führende Vertreter jüdischer Gemeinden haben kürzlich erneut ihre Bestürzung darüber zum Ausdruck gebracht, dass Waters auftreten darf. Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, erklärte: „Roger Waters überträgt seinen Hass auf Israel auch auf Juden, indem er wissentlich mit Ressentiments spielt".

Es gibt durchaus plausible Gründe, Waters des Antisemitismus zu bezichtigen. Eines der auffälligsten Merkmale seiner monatelangen Tournee war ein riesiges aufblasbares Schwein, das über der Bühne schwebte und an der Seite einen Davidstern trug. Bei seinem jüngsten Konzert in Berlin wurde das traditionelle jüdische Emblem durch den Schriftzug „Elbit Systems" – einen israelischen Waffenhersteller –, ersetzt. Bei seinen Konzerten trug er auch eine Uniform der Waffen-SS, und andere Künstler auf der Bühne trugen ebenfalls Nazi-Utensilien. Waters behauptet, dies sei eine Parodie auf das Dritte Reich und eine Warnung vor dem, was er als das derzeitige Wiederaufleben des Faschismus ansieht.

„Es ist natürlich völlig richtig und wichtig, dass Menschen gegen Waters‘ bizarre politische Kundgebungen, und um nichts anderes handelt es sich, demonstrieren.“

Im April sah man ihn in einem kurzen Videoclip auf Twitter in Tränen aufgelöst, in dem er sagt: „Es ist immer das Gleiche. Tag für Tag, verdammt. Was stimmt bei den verdammtem („fucking“) Israelis nicht? Was stimmt bei ihnen nicht?" Vermutlich sahen einige seiner Anhänger darin einen Ausdruck tief empfundener Emotionen, auf andere aber wirkte er ziemlich gestört.

Waters Beschäftigung mit Israel ist typisch für die Boykott-, Desinvestitions- und Sanktionsbewegung (BDS), da sie weit über eine Auseinandersetzung mit dem Land Israel und seiner Politik hinausgeht. Sie ist zu einem zentralen Bestandteil der Identität derjenigen geworden, die diese besondere Art von Radikalismus vertreten. In seiner Twitter-Erklärung zum Frankfurter Urteil sieht er seine Unterstützung für BDS als Teil einer „Antikriegs-, antirassistischen, antikapitalistischen, antiautoritären, Anti-Establishment-Bewegung". Aus dieser Perspektive ist die Kampagne gegen Israel symbolisch für einen breiteren Kampf gegen globale Unterdrückung.

Diese Verknüpfung von Israel und seiner weiteren Weltanschauung wurde während seines Konzerts in Berlin ebenfalls immer wieder deutlich. Neben „Fuck the occupation" („Fuck Besatzung“), blinkten auf einer riesigen Leinwand auch Begriffe wie „reproduktive Rechte" und „Trans-Rechte" auf. Er verwendet alle gängigen Stereotype, um Israel als Siedler-Kolonialstaat, Apartheidstaat und Völkermörder zu beschuldigen.

Leider haben viele auf Waters mit dem Ansinnen reagiert, er solle gecancelt. So wurde zu einer Kundgebung am 24. Mai in Frankfurt aufgerufen, unter dem Titel „Antisemitismus als Meinungsfreiheit? Nicht mit uns!". Dazu gehörte auch eine Diskussion über Antisemitismus und die Vorführung eines Dokumentarfilms über die Geschichte der Festhalle, wo die Nazis Juden zusammentrieben.

Es ist natürlich völlig richtig und wichtig, dass Menschen gegen Waters‘ bizarre politische Kundgebungen, und um nichts anderes handelt es sich, demonstrieren. Ziel solcher Demonstranten sollte es sein, das seltsame Spektakel als das zu entlarven, was es ist –  und gegen seine Politik zu argumentieren.

„Nur durch die direkte Konfrontation – statt ihnen durch Verbote aus dem Weg zu gehen – können solche giftigen Ansichten besiegt werden.“

Die Forderung, ihn zu verbieten, ist jedoch eine ganz andere Sache. Ein solcher Schritt ist prinzipiell verwerflich, weil er einen klaren Verstoß gegen die freie Meinungsäußerung darstellt. Aber es gibt auch praktischere Gründe, diesen Weg nicht einzuschlagen.

Zunächst einmal haben die Bestrebungen, Waters zu verbieten, es ihm ermöglicht, sich als Märtyrer der Meinungsfreiheit darzustellen. Er hat die Gelegenheit ergriffen, sich als prinzipientreuer Verteidiger der Freiheit gegenüber den autoritären Behörden zu präsentieren.

Es besteht auch die Gefahr, dass Versuche, ihn zu verbieten, seinen abwegigen Verschwörungstheorien Glaubwürdigkeit verleihen. Er kann sich als tapferer Kämpfer gegen finstere Mächte darstellen, die ihn ausschalten wollen. In einer Zeit, in der Verschwörungstheorien vielen glaubhaft erscheinen, kommt es darauf an, ihnen nicht noch mehr Glaubwürdigkeit zu verleihen.

Schließlich führen die Versuche, den Antisemitismus zu verbannen, nur dazu, dass er verdecktere Formen annimmt. Die zugrundeliegende Stimmung wird nicht einfach dadurch verschwinden, indem man Verbote ausspricht. So tarnt sich der Antisemitismus heute oft als eine politische Kritik an Israel, weil Juden offen anzugreifen verpönt ist.

Stattdessen muss Waters einer strengen Prüfung unterzogen werden. Seine bizarren Behauptungen sollten in Frage gestellt und seine Argumente kritisch angegangen werden. Nur durch die direkte Konfrontation – statt ihnen durch Verbote aus dem Weg zu gehen – können solche giftigen Ansichten besiegt werden.

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