14.07.2014
Burkaverbot: Unverhüllte Hilflosigkeit
Kommentar von Sabine Beppler-Spahl
In der Debatte um das Burkaverbot manifestieren sich die Ängste westlicher Gesellschaften gegenüber dem Islam. Aber Toleranz beweist sich gerade gegenüber dem, was einen stört, meint Sabine Beppler-Spahl. So wird der Ganzkörperschleier ironischerweise zum Symbol der Freiheit.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat das „Burka-Verbot“ in Frankreich für legitim befunden, wenn damit das Zusammenleben in einer Gesellschaft geschützt werden soll. Wie ist es zu erklären, dass einem Stück Stoff, das nur von wenigen Hunderten Frauen getragen wird, so viel Bedeutung zugesprochen wird? Das Urteil immerhin spricht ehrlich aus, um was es bei der Verbotsdebatte geht: nicht um Frauenrechte oder Menschenwürde, sondern um die Ängste einer nach Selbstbestätigung suchenden europäischen Gemeinschaft.
„Die Burka ist ein Symbol der Unterdrückung und nicht dessen Ursache“
Das Argument, die Burka müsse als Ausdruck der Frauenunterdrückung verboten werden, stand von Anfang an auf wackeligen Füßen. Zu Recht hatten Kritiker darauf hingewiesen, die Verschleierung sei, wenn überhaupt, nur ein Symbol der Unterdrückung der Frau und nicht deren Ursache. Das selbstbewusste, kämpferische Auftreten zahlreicher europäischer Burkaträgerinnen brachte dieses Argument dann gänzlich zu Fall. (In Frankreich z.B. kam es, nachdem das Verbot 2010 in Kraft getreten war, immer wieder zu öffentlichkeitswirksamen Auseinandersetzungen zwischen verschleierten Frauen und Polizisten.) Es mag als Ironie des Schicksals gelten, dass ausgerechnet dieses rückständige Kleidungsstück zu einem Symbol des Widerstands gegen staatliche Verbotskultur und Bevormundung geworden ist.
Vor diesem Hintergrund ist es nur schlüssig, dass der Europäische Gerichtshof einen anderen Weg wählen musste, um ein Verbot zu rechtfertigen. “Das Gericht“, so die nun veröffentlichte Erklärung, „konnte den Standpunkt nachvollziehen, demzufolge einzelne Bürger es ablehnen könnten, im öffentlichen Raum Praktiken oder Haltungen zu sehen, welche die Möglichkeit offener zwischenmenschlicher Beziehungen infrage stellen“ 1. Nicht der Schutz der unmittelbar betroffen Frauen, die dem Bild des Opfers einfach nicht entsprechen wollten, sondern die Rücksichtnahme auf diejenigen, die sich durch den Anblick einer Burka gestört fühlen könnten, steht also im Mittelpunkt des Richterspruchs.
Es braucht nicht betont zu werden, dass in einem solchen Urteil Gefahren für eine freiheitliche Gesellschaft liegen. Schon John Stuart Mill hat in seinem weitsichtigen Aufsatz Über die Freiheit vor der Tyrannei der Mehrheit gewarnt, die dann eintritt, wenn verboten werden darf, was den meisten nicht gefällt. Die Burka ist, eben weil sie auf eine große Mehrheit von uns (viele Muslime eingeschlossen) so abstoßend wirkt, zu einem Lackmustest der Toleranz geworden. Dürfen wir verbieten, was uns stört, auch wenn es uns nicht unmittelbar an unserem eigenen Glück hindert? Stünde es uns in Europa nicht besser an, ein souveränes, großzügigeres Verhältnis zu religiösen Praktiken zu pflegen, die uns befremdlich erscheinen?
„Durch das Burka-Verbot wird keine Gefahr gebannt, es ist ein Ausdruck der Hilflosigkeit“
Dass die Burka für Abschottung steht, wissen wir auch ohne dieses Urteil. Der ganze Sinn des Kleidungsstücks ist es schließlich, die sozialen Beziehungen seiner Trägerinnen einzuschränken. Trotzdem ist das Verbot Ausdruck der Hilflosigkeit. Es erinnert an überholte Zeiten, in denen unbeliebte Minderheiten per Dekret an der Ausübung ihres Glaubens gehindert wurden. Dabei geht es nicht darum, eine wirkliche, konkrete Gefahr zu bannen. Die Burka ist so unattraktiv, dass sie kaum eine Frau trägt, und selbst die Vertreter des Europäischen Gerichtshofs dürften nicht glauben, sie stelle eine ernstzunehmende Bedrohung für unser Zusammenleben dar.
Vielmehr hat es sich das Gericht, wie auch zuvor viele Politiker, einfach gemacht. Durch das Urteil wurde nicht nur ein Streit mit den Mitgliedsländern Frankreich und Belgien umgangen, sondern auch eine tiefer gehende Debatte darüber vermieden, was uns in Europa – im positiven Sinne – zusammenhalten sollte. Es ist einfach, gegen fremdartige Symbole zu wettern, um einen Zusammenhalt zu beschwören. Schwer ist es dagegen, wirkliche europäische Werte zu definieren. Deswegen kommt die Vollverschleierung für viele in diesen Zeiten der Orientierungslosigkeit gerade recht: Ein Kontinent, der eigentlich tief gespalten ist, soll sich wenigstens in der Ablehnung der Burka geeint wissen. Das aber ist kein gutes Zeichen für die Zukunft Europas!