16.05.2018

Besser sprechen für eine bessere Welt

Von Matthias Kraus

Titelbild

Foto: taniadimas via Pixabay / CC0

Wenn „Fahrzeugführende“ auf „zu Fuß Gehende” treffen, freuen sich Gendergerechtigkeit Pflegende über so viel sprachliche Korrektheit.

Die heteronormative Mehrheit kommt mit gendergerechter Sprache nicht gut klar. Sie stammt halt nicht aus der Gosse der Umgangssprache, ganz im Gegenteil, man hat sie an Universitäten ersonnen und setzt sie nun von oben um. Bei „Belles Lettres“ – Deutsch für Dichter und Denker“ sezierte Sprachästhet und Schriftsteller Daniel Scholten schon 2014 die Hintergründe und Konsequenzen dieser Ausdrucksoptimierung. Zum Beispiel wurde 2013 die deutsche Straßenverkehrsordnung genderneutral umgeschrieben. Fußgänger sind nun „zu Fuß Gehende“. Viele Wörter, für die bislang die Unschuldsvermutung galt, werden heute als diskriminierend erkannt. Also werden sie so umformuliert, dass die ihnen innewohnende toxische Männlichkeit nicht länger Schaden anrichten kann.

Sage ich beispielsweise „Die Politiker haben’s nicht leicht“, geht aus dem Satz nicht eindeutig hervor, ob er auch Personen wie Angela Merkel, Sahra Wagenknecht und Theresa May einbezieht oder ob ich ausschließlich mit ihren männlichen Kollegen mitfühle. „Die Politiker“ ist nämlich grammatikalisch gesehen jener Allzweckfall, der seit indoeuropäischer Vorzeit alles Männliche, Weibliche und Sächliche in einen Topf wirft, man nennt ihn generisches Maskulinum. Das Problem damit ist, dass das Weibliche/Sächliche zwar sehr wohl mitgemeint sein kann, beim Empfänger aber anscheinend nicht mitgedacht wird. Dieser Effekt ist eindeutig, denn er wurde von zwei Psychologinnen sogar ohne Beteiligung von Sprachwissenschaftler_innen entdeckt. Es bedurfte dazu nicht einmal aufwändiger wissenschaftlicher Fachstudien; einfache Sprachtests genügten, um dem Schlamassel auf die Spur zu kommen. In unserem Beispiel also sieht das geistige Auge beim Wort „Politiker“ nur Anzug-, aber keine Kostümträger_innen. Geht also gar nicht. Die Formel „Politiker und Politikerinnen“ wiederum würde uns aufs Zweigeschlechtliche festlegen. Der Weg raus aus der ewig gestrigen binären Sichtweise führt über das Partizip. Und es stimmt: „Die Politik Betreibenden haben’s nicht leicht.“ Irre, wie leicht unbedachter Sprachgebrauch diskriminieren kann!

Der tägliche Gebrauch durch Millionen Muttersprachler und Zugereiste verändert Sprache ständig. Würden uns Zeitreisende aus dem 19. Jahrhundert besuchen, verstünden sie nur Bahnhof – ja, noch nicht mal das, es gab damals noch keine. So wie sich unser Umfeld ändert, zum Beispiel Bahnhöfe entstehen, so wandeln sich Bedeutungen, entstehen neue Begriffe. Mühelos passen wir unsere Ausdrucksweise dem aktuellen Bedarf an – LOL.

„Niemand lässt sich etwas so Grundlegendes wie das Sprechen und Schreiben gerne vorschreiben.“

Die heute vorherrschende Theorie im progressiven Lager dreht Ursache und Wirkung um. Sie besagt, dass nicht wir unsere Sprache ständig nach Bedarf umformen, vielmehr sei es umgekehrt, die Sprache forme uns und unser Denken. Wofür es keine Worte gibt, das existiere für uns nicht, weshalb gewisse Amazonasstämme angeblich nicht bis drei zählen, ja, noch nicht einmal denken können, sie haben nämlich kein Wort dafür. Korrigiere man das „Framing“ einer Sache, ändere sich automatisch unsere Haltung dazu, zum Beispiel, indem man „Steuern“ umbenennt in „Mitgliedsbeiträge“. Gemäß dieser Denkschule ist es nur folgerichtig, der Sprache eine erzieherische Wirkkraft zuzuschreiben. Wollte man also ein kollektives Umdenken erzielen, müsste man nur die Sprache geschickt modifizieren.

Allerdings: Um einer freien Gesellschaft mit Hilfe von gendergerechter Sprache die unreinen Gedanken auszutreiben, bräuchte es schon ein bisschen Zwang, denn niemand lässt sich etwas so Grundlegendes wie das Sprechen und Schreiben gerne vorschreiben. Und siehe da: In Bildungseinrichtungen wird bereits nachgeholfen. Meine Kinder, allesamt Schüler_innen, sind gymnasial angehalten, geschlechtsneutral zu formulieren. An der Uni droht Notenabzug bei Nichtbeachtung. Das Verrückte ist, dass bei unseren unverklemmt sozialisierten Teenies diese Form von Spracherziehung gar nicht nötig wäre, sie haben nämlich weder ein Problem mit Sexualität jenseits von hetero noch mit männlichem und weiblichem Rollenverhalten jenseits von Klischees. Auch ihr eingebautes Sprachzentrum ist schon viel weiter und erkennt ganz intuitiv inhaltliche Zusammenhänge, zum Beispiel, welche Sorte von Geschlechtsgenoss_innen mit dem generischen Maskulinum jeweils gemeint ist.

Warum Risiken eingehen, denken sich vielleicht die verantwortlichen LSBTTIQ-Beauftragtinnen und verfassen Leitfäden zum Sprachgebrauch. Es sollen zum Beispiel bitte alle Gemeinten ausdrücklich genannt werden, damit keine(r) ausgeschlossen ist. Unser angeborenes Sprachmodul muss dazu freilich überlistet werden. Es erkennt zwar mühelos kontextabhängige Bezüge, versteht aber nichts von gesellschaftlicher Ausgrenzung. Deshalb ist gegenderte Sprache mental so anstrengend. Grammatikalisch steht sie sowieso auf schwankendem Boden. Die „Sprechenden“ und „Schreibenden“ müssen den auf sie zukommenden Diskriminierungen sprachlich ebenso weiträumig ausweichen wie die „Auto Fahrenden“ den „entgegenkommenden Fahrzeugführenden“ in unserer Straßenverkehrsordnung.

Schreiben und Sprechen war bislang ein natürlicher Vorgang. Für die gute Sache erfolgt er nunmehr mit freiwilliger Selbstkontrolle und -überlistung. Mal sehen, ob die sprachlich trainierte Jugend wirklich zur sexuell egalitären Gesellschaft heranreift, die wir jetzt angeblich noch nicht sind. In der Zwischenzeit küren die naiven Provinzler Conchita Wurst und Netta zu ESC-Sieger_innen.

Dieser Text erscheint als Teil der Reihe „Losing my religion” von Matthias Kraus.

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