08.04.2021

Alternativlosigkeit und Landwirtschaft (3/3)

Von Rainer Maurer

Titelbild

Foto: martinclark via Pixabay / CC0

Die Deutschen Akademien der Wissenschaften fordern beim Thema Landwirtschaft die Bürger zu Verhaltensänderungen und Wertewandel auf statt verschiedene Politikansätze rational zu diskutieren.

Geht man, wie die deutschen Akademien der Wissenschaften (DAW) in ihrer Stellungnahme zum Thema „Biodiversität und Management von Agrarlandschaften“, davon aus, dass es gesellschaftlicher Konsens ist, die biologische Vielfalt künftigen Generationen zu erhalten, stellt sich die Frage, mit welchen agrarpolitische Strategien dieses Ziel erreicht werden kann. Doch eine offene Diskussion der Vor- und Nachteile unterschiedlicher agrarpolitischer Strategien bieten die Akademien in ihrer Stellungnahme nicht. Die von den Akademien angestrebte weitere Extensivierung der landwirtschaftlichen Produktion würde den derzeitigen Flächenverbrauch in Deutschland dauerhaft auf hohem Niveau festschreiben. Die Strategie der Akademien zielt im Wesentlichen auf eine Umlenkung bisheriger Agrarsubventionen in die Förderung der ökologischen Landwirtschaft.1 Sie gründet sich auf die Hoffnung, dass dadurch die  beschriebenen Bestandsrückgange und Verluste an Artenvielfalt umkehren lassen. Die genannten Forschungsarbeiten, die in Frage stellen, ob die ökologische Landwirtschaft überhaupt geeignet ist, Biodiversitätsverluste zu vermeiden (Mondelaers et al., Gabriel et al., Schneider et al.), werden bei dieser Strategiewahl systematisch ausgeblendet. Wohlbegründete Zweifel, ob diese Strategie überhaupt zielführend ist, werden also erst gar nicht diskutiert.

Diese Einseitigkeit ihrer Strategiewahl kombinieren die Akademien mit Forderungen zur „Verhaltensänderung“ und zum „Wertewandel“ an die Bürger. Den Bürgern wird also nicht nur die Wahl zwischen alternativen Strategien vorenthalten, sie werden zusätzlich noch aufgefordert, ihr politisches Wertesystem so anzupassen, wie es die Akademien für richtig halten. Dadurch soll sich insbesondere das Konsumverhalten ändern. Dazu „gehört mit höchster Priorität ein geringerer Fleischkonsum“ und eine „Veränderung des Kaufverhaltens in Richtung biodiversitätsfreundlich erzeugter Lebensmittel“, denn „nur auf diese Weise sind eine sinnvolle Landwirtschaft und der Ausbau und die Erweiterung biodiversitätsfreundlicher bewirtschafteter Flächen, angesichts deren geringerer Produktivität, möglich“.2

Biokraftstoffe

Gar nicht zur Diskussion gestellt wird dagegen die gesetzlich verordnete Mehrnachfrage nach Biokraftstoffen, die auf das 2006 erlassene Biokraftstoffquotengesetz zurückgeht, mit dem die EU-Biokraftstoffrichtlinie aus dem Jahr 2003 umgesetzt wurde. Initiiert wurde die EU-Biokraftstoffrichtlinie vom damaligen energiepolitischen Sprecher der Fraktion der Europäischen Grünen Partei im Europaparlament, dem heutigen Luxemburger Energieminister Claude Turmes. Mittlerweile wurde das Biokraftstoffquotengesetz in Deutschland durch die Biokraftstoff-Nachhaltigkeitsverordnung revidiert. Demnach gelten Biokraftstoffe nur noch dann als nachhaltig hergestellt, wenn sie unter Berücksichtigung der gesamten Lieferkette im Vergleich zu fossilen Kraftstoffen mindestens 35 Prozent an Treibhausgasen einsparen. Auch die Beschaffenheit und Herkunft der Anbauflächen wird reguliert. Überwacht werden soll das Ganze von nationalen und internationalen Zertifizierungsstellen. Dadurch ist ein hochkomplexes Regulierungsgeflecht entstanden. Art und Umfang des Anbaus von Energiepflanzen in Deutschland haben sich dadurch so gut wie nicht verändert.

„Die Nutzung landwirtschaftlicher Produktionsflächen zur Energiegewinnung ist sowohl aus ökologischer als auch aus ökonomischer Sicht höchst fragwürdig.“

Eine ganze Reihe von Studien und Dokumentationen deuten darauf hin, dass diese Gesetze in Europa aber auch weltweit zu einer erheblichen Ausdehnung landwirtschaftlicher Nutzflächen zulasten natürlicher Habitate – in Deutschland auch als „Vermaisung der Landschaft“ bezeichnet – geführt haben (z.B. hier, hier und hier). Nach Einschätzung des Weltklimarates ist Habitatverlust, neben invasiven Spezies und Raubbau, einer der Hauptgründe für das derzeit beobachtbare Artensterben.3 Zwar erkennen die Akademien an, dass sich „Brachflächen [...] positiv auf die Artenvielfalt z.B. bei Vögeln aus[wirken]“ und „Stilllegungsflächen [...] positive ökologische Nebenwirkungen [haben]“, zur Erklärung des Rückgangs der Brachflächen (die grüne Linie in Abbildung 1 entspricht Abbildung 9 der Stellungnahme der Akademien) ziehen sie jedoch vor allem die Preisentwicklung auf den Weltmärkten und die darauf folgende Aussetzung der Stilllegungsverpflichtung heran. Die Entwicklung der Anbaufläche „nachwachsender Rohstoffe“, die zu ca. 90% für „Energiepflanzen“ benötigt werden (die rote Linie in Abbildung 1), erwähnen sie nicht. Diese Anbaufläche hat mittlerweile einen Anteil von 15% der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche Deutschlands erreicht. Auf rund 65% der Anbaufläche für Energiepflanzen wachsen vor allem Mais und Getreide für die Biogasproduktion; auf 34% wächst vor allem Raps und Getreide für die Produktion von Biodiesel und Bioethanol; knapp 1% dient der Produktion von Festbrennstoffen.4 Die Nutzung landwirtschaftlicher Produktionsflächen zur Energiegewinnung ist sowohl aus ökologischer als auch aus ökonomischer Sicht höchst fragwürdig.

Abb. 1: Brachen und Anbaufläche nachwachsender Rohstoffe in Deutschland: 2000-2019, Quelle: DAW (2020, Abbildung 9, S.28), BEMEL (2015), BMEL (2020)

Aus ökologischer Sicht zeigen empirische Studien, dass gerade Feldlerchen, deren Bestandsverluste von den Akademien beklagt werden, sowohl unter Mais als auch unter Rapskulturen besonders leiden. So zeigt eine Studie von Kolecek et al., dass Feldlerchen in Rapsfeldern nicht brüten können, weil dort die Vegetationsdichte zu hoch ist. Maisfelder bieten dagegen eine gute Vegetationsdichte, die der natürlicher Steppen ähnelt. Allerdings finden Praus und Weidinger, dass der Bruterfolg von Feldlerchen in Maisfeldern im statistischen Mittel trotzdem geringer ist als in anderen Getreidefeldern. Die Forscher vermuten, dass Nesträuber in Maisfeldern einen leichteren Zugang zu den Nestern finden. In einer Simulationsstudie zeigen Everaars et al. auf Basis eines ökologischen Modells, dass die Bestände an Feldlerchen unter einer Ausweitung des Energiepflanzenanbaus besonders leiden. Gutzler et al. haben in einer Szenariostudie für das Land Brandenburg u.a. die Folgen einer stärkeren Subventionierung von Energiepflanzen untersucht und kommen zu dem Ergebnis, dass die Bestände an Feldlerchen dadurch noch weiter schrumpfen würden.

Fragwürdig ist aus ökologischer Sicht auch die Treibhausgasbilanz der meisten Energiepflanzen. Negativ in der Treibhausgasbilanz von Energiepflanzen schlagen sich sowohl indirekte Landnutzungseffekte, die resultieren, wenn für den Anbau von Energiepflanzen Wald gerodet wird, als auch Lachgasemissionen, die bei der Düngung von Energiepflanzen freigesetzt werden. Bei einer Auswertung des derzeitigen Forschungsstandes kommen Whitaker et al. in einer Übersichtsstudie zu dem Ergebnis, dass nur bei mehrjährigen Pflanzen, wie Miscanthus-Gräsern oder Weiden und Pappeln auf Kurzumtriebsplantagen, aufgrund des niedrigen Bedarfs an Dünger, Bodenbearbeitung und Bodenqualität, ein Potential zur Netto-Verringerung von Treibhausgasemissionen besteht.

„Energiepflanzen sind vor allem aufgrund ihrer niedrigen technischen Energieeffizienz nicht wirtschaftlich.“

Aus ökonomischer Sicht sind Energiepflanzen vor allem aufgrund ihrer niedrigen technischen Energieeffizienz nicht wirtschaftlich. Pflanzen können im Idealfall rund 5%, unter realistischen Bedingungen rund 1% der einfallenden Lichtenergie bei der Photosynthese in chemische Energie umsetzen. Herkömmliche Silizium-Solarzellen setzen dagegen bereits ca. 20% der einfallenden Lichtenergie in elektrische Energie um. Selbst bei einer Kopplung mit einer Elektrolyse-Anlage zur Herstellung von Wasserstoff oder einer Fischer-Tropsch-Synthese-Anlage zur Herstellung von Kraftstoffen für Verbrennungsmotoren, die einen Wirkungsgrad von gut 60% erzielen, wäre also die Energieeffizienz mit rund 12% noch höher. Weiter verschlechtert wird der ökonomische Ertrag von Energiepflanzen durch die Kosten, die aufgrund von Düngung und Bodenkultivierung entstehen. Das Thünen-Institut (ehem. Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft) kommt in einer umfangreichen Analyse verfügbarer Biokraftstoffe zu dem Ergebnis: „Die Wärmebereitstellung auf Basis von Holz, welches in Kurzumtriebsplantagen produziert wird, ist unter den hier unterstellten Annahmen wirtschaftlich. Alle anderen analysierten Formen der Bioenergie-Produktion sind - solange sie in Deutschland mit einheimischen Rohstoffen betrieben werden - ohne erhebliche staatliche Unterstützung nicht wirtschaftlich. Das heißt, nur aufgrund politischer Eingriffe wird unter den aktuellen Rahmenbedingungen in relevantem Maßstab in Deutschland Bioenergie auf Ackerflächen produziert“.5

Interessanterweise kommt auch die Leopoldina in einer Studie aus dem Jahr 2013 zu dem Ergebnis, „dass mit Ausnahme der Nutzung von biogenen Abfällen die Verwendung von Biomasse als Energiequelle in größerem Maßstab keine wirkliche Option für Länder wie Deutschland ist“.6 In der Stellungnahme der Akademien finden diese Studien jedoch keine Erwähnung. Es wird lediglich an einer Stelle darauf hingewiesen, dass „sowohl die regionale als auch die globale Flächennutzung [...] heute maßgeblich durch den Bedarf landwirtschaftlicher Rohstoffe als Bioenergie (vor allem Biokraftstoffe) und die steigende Fleischproduktion geprägt“ werden.7 Warum dann später im Abschnitt „Handlungsoptionen“ lediglich „mit höchster Priorität ein geringerer Fleischkonsum“8 angemahnt wird, nicht aber eine Abkehr vom Biokraftstoffquotengesetz, erschließt sich dem Leser nicht. Angesichts der beschriebenen Probleme, fällt es schwer, im Biokraftstoffquotengesetz etwas anderes zu sehen als einen desaströsen Fehlschlag der europäischen Umwelt- und Agrarpolitik. Das einzige Ziel, das damit tatsächlich erreicht wird, besteht in der Schaffung einer zusätzlichen Einkommensgrundlage für landwirtschaftliche Betriebe. Dieses Ziel ließe sich aber zu weitaus geringeren ökologischen und ökonomischen Folgekosten durch ungebundene Einkommenstransfers an diese Betriebe erreichen. Für den Wähler hätte dies auch den Vorzug einer größeren Transparenz der Verwendung von Steuermitteln.

Die Alternative zur Extensivierung

Eine Alternative zur Strategie der Akademien besteht im Abbau aller direkten und indirekten Subventionen des Agrarsektors. Allein die direkten Subventionen des Agrarsektors machen im aktuellen EU-Haushalt mit 57,9 Mrd. Euro noch immer den größten Anteil der Gesamtausgaben aus. Hinzu kommen noch indirekte Subventionen, wie sie aus der Nachfragewirkung der EU-Biokraftstoffrichtlinie resultieren. In Deutschland werden derzeit rund 6,7 Mrd. Euro pro Jahr über die beiden Säulen der europäischen Agrarpolitik an die Land- und Forstwirtschaft verteilt. Ein Großteil der Subventionszahlungen erfolgt in Form von „Direktzahlungen“. Nach offizieller Lesart dienen solche Direktzahlungen der Entkopplung von Produktionsleistung und Subventionszahlung. Da die Direktzahlungen aber nicht ungebunden sind, sondern pro Hektar Produktionsfläche gezahlt werden, haben sie trotzdem eine starke produktionsfördernde Wirkung. Denn ohne diese Zahlungen ist eine Bewirtschaftung vieler Produktionsflächen nicht kostendeckend möglich. In einer Simulationsstudie kommen Brady et al. zu dem Ergebnis, dass bei einer Streichung der sogenannten Direktzahlungen die Nutzung landwirtschaftlicher Produktionsflächen in der EU um 6,5 Prozent sinken würde. Eine Abschaffung der Subventionen wird einen Strukturwandel in der Landwirtschaft in Gang setzen. Dieser wird zum einen die Zusammenlegung ertragreicher Flächen mit entsprechenden Produktivitätssteigerungen führen.

„Der Versuch, eine ‚kleinbäuerliche Landwirtschaft‘ zu erhalten, dürfte genauso kostspielig werden wie etwa der Versuch, eine ‚kleinunternehmerische Stahlindustrie‘ zu erhalten.“

Das Leitbild einer „kleinbäuerlichen Landwirtschaft“ lässt sich also mit einer derartigen Intensivierungsstrategie nicht realisieren. Vor dem Hintergrund der technologischen Entwicklung dürfte der Versuch, eine „kleinbäuerliche Landwirtschaft" zu erhalten, genauso kostspielig werden wie etwa der Versuch, eine „kleinunternehmerische Stahlindustrie“ zu erhalten. Marginale Flächen, die unter den vorherrschenden natürlichen oder regulatorischen Rahmenbedingungen ohne Subventionen nicht mehr kostendeckend bewirtschaftet werden können, werden stillgelegt. Nach fünf Jahren werden solche Flächen zu Dauergrünland, das nicht mehr ohne weiteres in Ackerfläche umgewandelt werden darf. Die Bodenpreise für solche Flächen würden in der Folge sinken. Mit einem Teil der freiwerdenden Subventionsmittel könnte der Staat zusammenhängende Flächen erwerben und auf der Basis ökologischer Landschaftskonzepte renaturieren. Um typischen Spezies der Steppe Rückzugflächen zu bieten, könnte dazu auf Konzepte zurückgegriffen werden, die bereits bei der Pflegenutzung von Heidelandschaften praktiziert werden. Auch experimentelle Konzepte, wie sie etwa in niederländischen Naturentwicklungsgebieten erprobt werden, könnten angewendet und weiterentwickelt werden.

Auf den landwirtschaftlichen Nutzflächen, deren Bewirtschaftung auch ohne Subventionierung der Betriebe rentabel ist, kann eine Intensivierung der Produktion nach Maßgabe der Potentiale des landwirtschaftlichen Produktivitätsfortschritts stattfinden. Selbstverständlich stünde auch einer Bewirtschaftung von Flächen auf Basis der Prinzipien der ökologischen Landwirtschaft nichts im Wege, solange es Käuferschichten gibt, die bereit sind, die dazu notwendigen kostendeckenden Preise zu zahlen. Der Anteil von Bioprodukten an den Lebensmitteleinkäufen der Haushalte insgesamt (197,9 Mrd. Euro) lag im Jahr 2018 bei rund 5 Prozent.9

Langfristig ist sicherlich damit zu rechnen, dass Grundnahrungsstoffe wie Zucker, Stärke und Eiweiß auch ohne Inanspruchnahme landwirtschaftlicher Nutzflächen hergestellt werden. Auf Laborebene liegen die Technologien zur künstlichen Herstellung von Kohlenhydraten schon seit langem vor. Auch die Herstellung von Eiweiß mit Hilfe von Mikroben auf Basis von elektrischer Energie und Kohlendioxid gelingt bereits im Labormaßstab. Wie eine Studie von Dinger und Platt zeigt, hängt die Wettbewerbsfähigkeit solcher Prozesse zum einen von der Kostenentwicklung der Wasserstoffelektrolyse ab und zum anderen vom Grad der praktizierten Internalisierung externer Kosten der Landwirtschaft. Je stärker also ökologische Schadwirkungen der Landwirtschaft durch regulatorische Auflagen den Verursachern angelastet werden, desto eher wird ein solcher Übergang einsetzen. Die Bepreisung solcher Schadwirkungen ist aber letztlich immer eine politische Entscheidung. Ein technologieoffener Ansatz erscheint vor diesem Hintergrund am besten geeignet, die langfristigen Chancen des technologischen Fortschritts zur Verbesserung der Umweltqualität zu nutzen.

Durch den Abbau von Agrarsubventionen wird die landwirtschaftliche Produktion der EU sinken. Dies wird zu einer globalen Verlagerung der Agrarproduktion vor allem in solche Länder führen, die aufgrund ihrer klimatischen Voraussetzungen eine höhere landwirtschaftliche Produktivität besitzen. Der internationale Handel mit landwirtschaftlichen Gütern wird sich damit wieder stärker an den natürlichen komparativen Vorteilen orientieren. Dies wird auch helfen, Migrationsdruck aufgrund von Agrarsubventionen zu reduzieren. Allerdings wird es auch dazu führen, dass in diesen Ländern Anreize zur Ausweitung der landwirtschaftlichen Nutzfläche entstehen. Falls dies zur Rodung komplexer Ökosysteme, wie etwa Regenwald, führt, resultiert aus umweltpolitischer Sicht ein normativer Zielkonflikt. Die Renaturierung landwirtschaftlicher Nutzflächen in Europa würde zulasten ökologisch wertvoller Ökosysteme in außereuropäischen Ländern gehen.

„Man kann kaum bestreiten, dass es mehr als eine Strategie gibt, um das Handlungsziel eines langfristigen Erhalts der Artenvielfalt anzustreben.“

Gemildert würde ein solcher Zielkonflikt durch die Abschaffung indirekter Subventionen in Form der EU-Biokraftstoffrichtlinie. In vielen südlichen Ländern wird dies sicherlich zu einem Rückgang der Nachfrage nach Anbauflächen für Palmöl oder Sojabohnen führen. Eine weitere Möglichkeit zum Schutz komplexer Ökosysteme außerhalb Europas bestünde in der entsprechenden Verwendung eines Teils der freiwerdenden Subventionsmittel. So könnte damit z.B. ein Fonds eingerichtet werden, aus dem Kompensationszahlungen für den Verzicht auf Abbau von Ressourcen an Biodiversitätsbrennpunkten finanziert werden. Eine solche Möglichkeit hätte z.B. im Rahmen der gescheiterten Yasuni-ITT-Initiative in Ecuador bestanden. Zu überlegen wäre auch, ob durch die Schaffung geeigneter institutioneller Rahmenbedingungen private Investitionen in den Kauf komplexer Ökosysteme gefördert werden können. In Europa haben Finanzinvestoren seit der Finanzmarktkrise aus Gründen der Portfoliodiversifikation und eines gesteigerten Umweltinteresses verstärkt in Waldflächen investiert. Man kann deshalb davon ausgehen, dass ein solches Interesse auch für komplexe Ökosysteme in außereuropäischen Ländern besteht. Dazu müssten aber Rahmenverträge mit solchen Ländern abgeschlossen werden, die die effektive Durchsetzung von Eigentumsrechten gewähren, so dass eine illegale Degradation solcher Ökosysteme verhindert werden kann. Auf einem Markt für komplexe Ökosysteme dürften aufgrund der wachsenden Knappheit solcher Systeme recht schnell Wertsteigerungen resultieren, die weitere Investoren anlocken. Je höher der Marktpreis für komplexe Ökosysteme, desto geringer ist der Anreiz, sie zu zerstören.

Volkssouveränität statt Gelehrtenherrschaft

Man kann also kaum bestreiten, dass es mehr als eine Strategie gibt, um das Handlungsziel eines langfristigen Erhalts der Artenvielfalt anzustreben. Die von den Akademien als alternativlos propagierte subventionsbasierte Extensivierungsstrategie wird den landwirtschaftlichen Flächenverbrauch dauerhaft auf hohem Niveau festschreiben, obwohl es wohlbegründete Zweifel gibt, ob diese Strategie überhaupt zielführend im Sinne des Artenschutzes sein kann. Dem stehen Alternativen wie die Intensivierungsstrategie gegenüber, die zum einen durch die sofortige Freisetzung landwirtschaftlicher Nutzflächen die Einrichtung von Rückzugsräumen für bedrohte Arten ermöglicht und zum anderen nach Maßgabe des technologischen Fortschritts und des politisch gewünschten Umweltschutzes langfristig weitere Flächen freisetzen wird.

Chancen und Risiken verschiedener Strategien müssen immer gegeneinander abgewogen werden; Art und Umfang des Artenschutzes müssen festgelegt werden. Das geht nicht, ohne normative Bewertungen zu treffen. Dies ist jedoch nicht Aufgabe der Wissenschaft. Die Wissenschaft hat kein allgemein anerkanntes Verfahren zum Treffen normativer Entscheidungen. Sie kann die in Frage kommenden Alternativen lediglich beschreiben und auf mögliche Zielkonflikte hinweisen. Die Entscheidung muss aber letztlich der Souverän treffen. Nach Artikel 20 GG ist der Souverän in Deutschland das Volk, das von den gewählten Parlamenten in der Gesetzgebung repräsentiert wird. Der Stellungnahme der Akademien fehlt ein klares Bekenntnis zu diesem Prinzip. Appelle an den Souverän zur Verhaltens- und Bewusstseinsänderung fallen ihnen offensichtlich leichter als eine politische Selbstbescheidung: „Ein nachhaltiger Schutz der Biodiversität ist allerdings nur mit einem grundlegenden gesellschaftlichen Wandel zu erreichen, weshalb nicht nur die landwirtschaftlichen Betriebe, die Agrar- und Umweltpolitik und das Agrar- und Umweltrecht einbezogen werden sollten, sondern auch Bildung, Werte, Handel, Märkte, Konsum und Wissenschaft in den Blick genommen werden müssen“.10 Man kann bezweifeln, ob die Akademien mit dieser Art von Selbstverständnis langfristig die gesellschaftliche Akzeptanz für wissenschaftliche Beratung erhöhen werden.

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