14.08.2023

AfD-Wähler können nicht ewig ignoriert werden

Von Sabine Beppler-Spahl

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Foto: JouWatch via Flickr / CC BY-SA 2.0

Der Aufstieg des Populismus löst bei den deutschen Eliten eine Hysterie aus.

Nun hat sich also auch der Kanzler in den Streit um die Äußerungen von Friedrich Merz zur AfD eingemischt. „Es kann und darf keinerlei Zusammenarbeit mit dieser Partei geben“, sagte er der Thüringer Allgemeinen am Samstag. Gebetsmühlenartig wiederholte er damit, was andere vor ihm ebenfalls beteuert haben.

Im Wesentlichen geht es dabei darum, den Cordon sanitaire, den alle etablierten Parteien um die AfD gelegt haben, aufrechtzuerhalten. Merz wird vorgeworfen, mit dem Gedanken zu spielen, ihn durchbrechen zu wollen. Erhoben wurde er, nachdem der CDU-Vorsitzende in einem ZDF-Interview auf die Frage, wie mit den Wahlerfolgen der AfD in manchen ostdeutschen Kommunen umzugehen sei, geantwortet hatte: „Das haben wir doch zu akzeptieren. Und natürlich muss in den Kommunalparlamenten dann auch nach Wegen gesucht werden, wie man gemeinsam die Stadt, das Land, den Landkreis gestaltet.“

Eigentlich sollte sich die CDU, als Oppositionspartei, nicht von der großen Hysterie, die das Interview ausgelöst hat, beeindrucken lassen. Doch es war vor allem die Kritik aus den eigenen Reihen, die Merz zu einem schnellen und demütigenden Rückrudern zwang. In einem Tweet schrieb er, wenige Stunden später: „Um es noch einmal klarzustellen, und ich habe es nie anders gesagt: Die Beschlusslage der CDU gilt. Es wird auch auf kommunaler Ebene keine Zusammenarbeit der CDU mit der AfD geben“.

„Wenn die CDU die AfD-Wähler für sich gewinnen will, dann muss sie vor allem ernsthaft damit anfangen, die Themen anzusprechen, die diesen Wählern wichtig sind."

Natürlich hat auch seine schnelle Klarstellung die Gemüter nicht beruhigen können. So sprach z.B. Kevin Kühnert von einem „Tabubruch". Das sei das klassische Muster, bei dem man versuche, die rote Linie Schritt für Schritt zu verschieben und wenn man merke, dass man zu weit gegangen sei, dann wolle man es nicht so gemeint haben, sagte er.

Der Streit zeigt einmal mehr, wie sehr die Parteien – und vor allem die CDU – inzwischen durch die AfD unter Druck geraten sind. Zwar liegt die CDU in Umfragen vorne, aber ihre Zustimmungswerte stagnieren seit Monaten bei etwa 27 Prozent. Und ironischerweise war es Merz, der 2018, als er sich für den Parteivorsitz bewarb, versprach, die AfD halbieren zu wollen: „Das traue ich mir zu, die AfD zu halbieren – das geht“, sagte er damals. Seit er im Januar 2022 zum Parteivorsitzenden gewählt wurde, hat sich die Zahl der potentiellen AfD-Wähler jedoch eher verdoppelt als halbiert.

Offensichtlich haben die Versuche, die AfD auszugrenzen, nicht funktioniert. Wenn überhaupt, hat diese Strategie die AfD in ihrem Anspruch bestärkt, die einzige Partei zu sein, die sich dem Establishment widersetzt. Die ständigen Verweise auf die rote Linie wirken nicht nur kopflos und panisch, sondern marginalisieren auch die große Zahl derer, die der AfD ihre Stimme geben wollen (laut Umfragen könnte das etwa ein Fünftel der Wählerschaft sein). Das allein müsste Grund genug sein, die alte Strategie zu überdenken.

Wenn die CDU die AfD-Wähler für sich gewinnen will, dann muss sie vor allem ernsthaft damit anfangen, die Themen anzusprechen, die diesen Wählern wichtig sind. Leider scheint sie im Moment dazu nicht in der Lage zu sein. Sie ist eine tief gespaltene Partei, mit einer schwachen Führung. Merz, der vom rechten Rand der Partei kommt, wird von den Anhängern der früheren Kanzlerin Angela Merkel, die die CDU in eine beliebigere und grünere Richtung geführt hat, immer noch angefeindet. Obwohl er gerne um AfD-Wähler werben würde (er bezeichnete seine Partei kürzlich sogar als „Alternative für Deutschland mit Substanz"), wird der Merkel-Flügel der Partei alles in seiner Macht stehende tun, um dies zu verhindern. Und so hat sich Merz, abgesehen von der einen oder anderen unvorsichtigen Bemerkung, bisher kaum zu Migration, Klimapolitik oder gar Wirtschaft geäußert – den zentralen Themen, die die AfD-Wähler bewegen.

„Obwohl Merz gerne um AfD-Wähler werben würde, wird der Merkel-Flügel der Partei alles in seiner Macht stehende tun, um dies zu verhindern".

Deutschland steht  vor gewaltigen Herausforderungen. Das Land befindet sich in einer Rezession. Der IWF erwartet, dass die deutsche Wirtschaft in diesem Jahr schlechter abschneiden wird als die aller anderen G7-Länder. Nur in Deutschland soll die Wirtschaft schrumpfen. Die Energiepreise und die Inflation sind nach wie vor hoch, was durch die grüne Energiepolitik der Regierung und den Ausstieg aus der Kernenergie noch verstärkt wird. Auch das Thema Einwanderung und Asyl steht wieder auf der Tagesordnung. Laut offiziellen Statistiken ist die Zahl der Asylbewerber (Erstanträge) im Vergleich zum letzten Jahr um 78 Prozent gestiegen.

Dies sind alles legitime Themen, die viele Wähler angehen wollen. Die Parteien der Mitte müssten sich viel stärker bemühen, eigene Lösungen für diese Probleme anzubieten. Sie könnten auch versuchen, sich durch eine offene Debatte von der AfD abzugrenzen. Stattdessen aber besteht ihre Standardantwort darin, die AfD, mit allen Mitteln, von der Macht fernzuhalten – und ansonsten die Themen, die so viele Bürger bewegen, möglichst zu ignorieren. Daran haben auch die „Bürgerdialoge“, die der Kanzler neuerdings führt, wenig geändert; denn echte Gespräche und Debatten lässt dieses Format nicht zu. (Bei dem jüngsten Bürgerdialog, das in Erfurt stattfand, kam das Thema Migration nicht einmal zur Sprache).

Dass die CDU aus der großen Schwäche der Regierung keine Vorteile ziehen kann, ist bezeichnend. Aber solange sie eine gespaltene Partei ist, wird sich daran wenig ändern. Die Strategie, AfD-Wähler durch die Ausgrenzung der AfD zurückgewinnen zu wollen, ist in jedem Fall zum Scheitern verurteilt.

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