03.07.2014

Abschiedsessen in der Abschiebehaft

Kommentar von Sabine Beppler-Spahl

Das Drama um die von Flüchtlingen besetzte Schule in Kreuzberg offenbart einmal mehr die Inhumanität der europäischen Asylpolitik. Sabine Beppler-Spahl spricht mit dem Jesuitenpater Frido Pflüger, Mitglied der Berliner Härtefallkommission, über die Lebensbedingungen der Asylbewerber

„Herr Phan (Name geändert) sollte sich um drei Uhr zur Abschiebung nach Vietnam bereithalten. Dieser Aufforderung kam er nicht pünktlich nach: Er hatte drei Uhr nachmittags verstanden, die Ausländerbehörde hatte drei Uhr nachts gemeint. Deshalb wurde er am Morgen der geplanten und verpassten Abschiebung von der Bundespolizei festgenommen und in die Abschiebungshaft nach Berlin-Köpenick gebracht (…). Wir bemühten uns, seine Freilassung bis zur Abschiebung zu erwirken, zumal Herr Phan sich immer zuverlässig bei der Behörde gemeldet hatte. „Wer untertauchen will, geht nicht kurz vor der Abschiebung noch zur Ausländerbehörde“, argumentierte ich. Das Gericht sah das aber anders, und Herr Phan musste im Gefängnis bleiben. Er wartete dort 70 Tage auf den nächsten Flieger nach Vietnam. Am Tag vor seiner Abschiebung gab er ein Abschiedsessen für seine Landsleute in der Haft (..) und mich.“ - Berlin, im März 2012, Pater Ludger Hillebrand -


Es ist ein früher Nachmittag an einem kalten Berliner Februartag und ich bin mit Pater Frido Pflüger vom Jesuiten Flüchtlingsdienst Deutschland verabredet. Den Bericht von dem Abendessen in der Abschiebehaft habe ich auf der Webpage der Organisation entdeckt und will mehr wissen. Wie geht diese Stadt mit Flüchtlingen um? Wie wird der Widerspruch zwischen Humanität und Abschiebung gehandhabt?

Pater Pflüger ist ein freundlicher, vertrauenserweckender Mann. Das ist wichtig, denn zu ihm kommen diejenigen, für die es keine legale Möglichkeit mehr gibt, in Deutschland zu bleiben. „Sie werden entweder von Freunden und Bekannten, ihren Anwälten oder, im günstigsten Fall, sogar von der Ausländerbehörde geschickt“, erzählt er. Ihnen kann nur noch die sogenannte Härtefallkommission in Berlin helfen, deren Mitglied er ist. Da in Deutschland über 71 Prozent der Asylanträge abgelehnt werden, ist die Zahl der illegal Eingewanderten hoch. Im Jahr 2012 wurden insgesamt nur 9000 Personen als Flüchtlinge anerkannt.

„Wer abgelehnt wird, versucht häufig, sich als sogenannter „Illegaler“ durchzuschlagen.“

Ob ein Flüchtling asylberechtigt ist, entscheidet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Das seien intensive Befragungen, um Informationen über die persönliche Geschichte der Person herauszubekommen, so Pflüger. Es werde geprüft, ob eine Verfolgung vorgelegen habe. Käme ein Einreisender jedoch aus einem Land, das vom Auswärtigen Amt als „sicher“ eingestuft wird, werde eine politische Verfolgung von vornherein ausgeschlossen. Das sei z.B. für viele Roma ein Problem, weil es keine Rolle spiele, was eine Person als Einzelner erlebt habe, und ob ihm Unrecht widerfahren sei. „Ihm kann das Haus angezündet worden sein oder er ist aus seiner Wohnung vertrieben worden und hat keine Chance auf einen Arbeitsplatz, all das zählt nicht als Asylgrund.“ Warum? Weil das Gesetz bestimmte Klassifizierungen vornimmt, die sich nach den Herkunftsländern richteten und nicht nach den Einzelschicksalen.

Wer abgelehnt wird, versucht häufig, sich als sogenannter „Illegaler“ durchzuschlagen. Wie viele das sind, wisse keiner, so Pflüger. Den Begriff des „Illegalen“ mag er nicht. Als illegal könnten Handlungen bezeichnet werden, aber nicht Menschen. Manche von ihnen lebten seit vielen Jahre hier: „Wir haben sehr häufig Leute, die zwischen 1995 und 1999 nach Deutschland gekommen sind.“ Viele seien ehemalige Flüchtlinge aus Bosnien, die 1999 hätten zurückgehen müssen - mit dem Ende des Krieges sei auch der Asylgrund weggefallen. Andere lebten schon seit 10 oder mehr Jahren mit einer so genannten Duldung. Duldung hieße, jederzeit eine Ausreiseaufforderung erhalten zu können. Viele der Geduldeten oder „Illegalen“ sind hier zuhause und haben Kinder, die zur Schule gehen.

Für diese Fälle gibt es die Berliner „Härtefallkommission“, deren Aufgabe es ist, humanitäre Gründe zu finden, die gegen eine Abschiebung sprechen. „Menschen, die nicht im Besitz eines Aufenthaltstitels sind und vollziehbar ausreisepflichtig sind, können sich an die Berliner Härtefallkommission wenden und um Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für Härtefälle gemäß §23a AufenthG ersuchen. Voraussetzung ist, dass dringende humanitäre oder persönliche Gründe die weitere Anwesenheit im Bundesgebiet rechtfertigen“, heißt es auf der Webpage des Senats. Die sieben Mitglieder, die zur Härtefallkommission gehören sind Vertreter der beiden großen Kirchen sowie der Wohlfahrtsverbände, des Flüchtlingsrats und der zuständigen Senatsstelle. In etwa 60 Prozent der in Berlin vorgelegten Fälle entscheidet die Härtekommission positiv.

So erleichternd diese „Härtefallregelung“ für diejenigen ist, die vor der Abschiebung bewahrt werden, so klar ist Friedo Pflüger auch, dass es sich um eine Art „Gnadengesuch“ handelt und keinesfalls um ein Recht. Er finde die 60 Prozent Quote zu niedrig und habe dies dem Senator für Inneres, Frank Henkel, auch schon gesagt. Die Mitglieder der Kommission seien bemüht, alles, was für ein Bleiberecht spreche, in einen Antrag zusammenzufassen: „Wir schauen, ob die Kinder in die Schule oder in die Kita gehen und, ganz wichtig, ob die Familie die Möglichkeit hat, ihren Lebensunterhalt selber zu bestreiten. Manchmal kommt auch Krankheit hinzu, weshalb eine Abschiebung nicht möglich ist.“ Vorübergehender Abschiebeschutz besteht für jeden, dessen Antrag von der Senatsbehörde für die Härtefallkommission angenommen sei, was dem Betroffenen zumindest eine Atempause verschafft.

„Die Leute werden morgens aus den Heimen abgeholt und direkt abgeschoben.“

Den 60 Prozent der Fälle, die positiv beschieden werden, stehen 40 Prozent gegenüber, für die das Votum des Berliner Senats, der die endgültige Entscheidung trifft, negativ ausfällt. Damit stellt die Stadt keinen Einzelfall dar. Jedes Jahr werden allein über die Flughäfen mehrere Tausende aus Deutschland abgeschoben (in einem Beitrag der Frankfurter Rundschau vom November vergangenen Jahres wurde die Zahl 3000 für Flughafenabschiebungen genannt. Abschiebegefängnisse, deren Insassen auch vom Flüchtlingsdienst der Jesuiten betreut werden, befinden sich u.a. in Berlin-Köpenick und Eisenhüttenstadt. Dabei sei allerdings, so Pflüger, die Zahl derer, die in Berlin-Köpenick in Abschiebehaft säßen in den vergangenen Jahren extrem zurückgegangen, weil die Haft nach deutschem Gesetz nur als letzte Möglichkeit in Betracht gezogen werden dürfe. Die meisten Abschiebungen erfolgen ohne vorige Abschiebungshaft: „Die Leute werden morgens aus den Heimen abgeholt und direkt abgeschoben“. Seit Januar gebe es einen neutralen Abschiebebeobachter an den Berliner Flughäfen, der den Prozess beobachte, um Missstände öffentlich machen zu können. Trotzdem, so Pflüger, sei die Abschiebung eine schlimme Erfahrung, und oft spielten sich dabei menschliche Dramen ab.


Dieser Artikel ist zuerst in der Novo-Printausgabe (#117 - I/2014) erschienen. Kaufen Sie ein Einzelheft oder werden Sie Abonnent, um die Herausgabe eines wegweisenden Zeitschriftenprojekts zu sichern.

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