04.02.2016

Abfallprodukt der Politikverwesung

Kommentar von Kai Rogusch

Warum ist die AfD gerade so beliebt? Das Schmiermittel der Rechtspopulisten – eine Melange aus Fortschrittspessimismus, Grenzendenken und Demokratieskepsis – gehört seit Jahrzehnten zum Standardrepertoire der politischen Eliten.

Die verstörenden Aussagen führender AfD-Politiker über Schießbefehle an der Grenze markieren einen weiteren Tiefpunkt in der Flüchtlingsdebatte. Dass diese Partei mit ihrer offen nationalistischen, in Teilen völkischen und auf Abschottung gerichteten politischen Positionierung auf einen beachtlichen Anklang in der Bevölkerung stößt, ist auch das Ergebnis einer seit vielen Jahren greifbaren Plan- und Konzeptlosigkeit unserer politischen Eliten angesichts der eigentlichen Herausforderungen, vor denen wir im 21. Jahrhundert stehen. Die aktuell von vielen Leuten betriebene Strategie der moralischen Stigmatisierung wird deshalb kaum zum Erfolg führen.

Bewegungen wie AfD oder Pegida nähren sich aus einem Zustand der Verwirrung und Desorientierung in Politik und Gesellschaft, ohne selber seriöse Konzepte anzubieten. Sie adressieren in schriller Rhetorik Vorwürfe wie „Unehrlichkeit“, „Realitätsferne“ oder gar des kriminellen „Rechtsbruchs“ an unsere Führungsschicht. Dabei schotten sich aber ihrerseits auf eine geradezu kindliche Art und Weise von der Komplexität und den Dilemmata ab, die die Flüchtlingskrise nun einmal mit sich bringt.

Warum gelingt es aber nicht so recht, AfD, Pegida & Co. in einer offenen Debatte die Grenzen aufzuzeigen? Die Antwort liegt darin: Weil die etablierten Kräfte an ihrem Aufstieg eine gehörige Mitverantwortung tragen. Das Schmiermittel des AfD-Erfolgs – eine Melange aus Fortschrittspessimismus, Grenzendenken und Demokratieskepsis – gehört seit Jahrzehnten zum Standardrepertoire der Politik.

„Anstelle einer wirklichen Alternative wird nur ein abgeschmackter Konservatismus angeboten“

Die so genannte „Alternative“ für Deutschland ist ein Abfallprodukt dieser Entwicklung. Die AfD macht sich zunutze, dass sich die Europäische Union vollends als ein Potemkinsches Dorf erweist – unfähig, die Flüchtlingskrise solidarisch zu bewältigen und zunehmend undemokratisch agierend. Auch der seit vielen Jahren vorherrschende Diskurs politischer „Alternativlosigkeit“ hat viele Menschen von der Politik entfremdet und zur Entstehung einer Stimmung geführt, in der humanistische Politikansätze leicht dem Vorwurf der Tagträumerei oder des „Gutmenschentums“ anheimfallen können.

Anstelle einer wirklichen Alternative wird von dieser Partei ein abgeschmackter Konservatismus angeboten - der durchaus „konsequent“ sogar dazu bereit zu sein scheint, mit nackter Waffengewalt vorhandene Besitzstände gegenüber Habenichtsen zu verteidigen. Die offene Menschenfeindlichkeit der AfD verstört die Etablierten, die nicht so recht zu erkennen scheinen, dass das inhumane Weltbild der „neuen Rechten“ die, wenn man so will, „alternativlose” Fortsetzung der visionslosen Politik der letzten Jahrzehnte darstellt.

Die Eliten haben eine Politik zu verantworten, die vormals positiv besetzte Begriffe des „Wandels“, der „Reform“ oder der „Erneuerung“ ad absurdum führten. Die Erwartungen an das, was Politik leisten kann, sind heute sehr niedrig. Kaum einer will noch so recht daran glauben, dass der Kuchen für alle – inklusive der eingewanderten Flüchtlinge – deutlich wachsen kann.

„Das inhumane Weltbild der neuen Rechten stellt die ‚alternativlose‘ Fortsetzung der visionslosen Politik der letzten Jahrzehnte dar“

Bürgerferne Kommissionen verordneten von oben herab entweder eine Anpassung an bescheidenere Lebensverhältnisse oder erschöpfen sich in reiner Umverteilungspolitik ohne reale Aussicht auf künftiges Wirtschaftswachstum. Im Zuge dieser Entwicklung wurden die „Grenzen des Wachstums“ und die Prämissen der umverteilenden Rationierung und der Sparsamkeit von vielen Leuten verinnerlicht.

Dass sich diese trostlose Gemengelage gerade jetzt besonders hässlich niederschlägt, sollte uns deshalb nicht überraschen. Die Flüchtlingskrise ist geradezu prädestiniert, das vorhandene Gefühl der Entfremdung gegenüber der Politik und die Furcht vor drohenden Verteilungskämpfen weiter zu steigern. Unterdessen hat sich in breiten Teilen der Bevölkerung ein Zynismus festgesetzt, der sich nun gegen führende Repräsentanten unserer Gesellschaft richtet.

Dabei stimmt auch der prinzipielle Unwille liberal-konservativer Kommentatoren und Verfassungsjuristen ärgerlich, sich konstruktiv und für alle gewinnbringend in die aktuelle Debatte einzumischen. Den bürgerlich-saturierten Kritikern der Merkel’schen Flüchtlingspolitik fällt nichts anderes ein, als auf eine arg vereinfachte Art das Mantra des angeblichen „Verfassungsbruchs“ der Bundesregierung im Zuge der Öffnung Deutschlands für notleidende Flüchtlinge herunterzubeten. Nach konstruktiven Vorschlägen, wie wir mit den schlicht unabweisbaren Herausforderungen umgehen sollen, die die Krise der EU und die gefährlich instabile Weltlage nun einmal mit sich bringen, fahndet man vergeblich. Die AfD wird’s freuen.

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