11.11.2015

Schutzbedürftigkeit statt freier Entscheidung

Kommentar von Juanita Henning

Das geplante Prostituiertenschutzgesetz unterstellt, dass eine Vielzahl der im Bereich der Sexdienstleitungen Tätigen des Schutzes durch den Staat bedarf. Damit soll Regulierung begründet werden.

Am 29. Juli 2015 veröffentlichte die Bundesregierung den unter Federführung von Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) verfassten „Entwurf eines Gesetzes zur Regulierung des Prostitutionsgewerbes sowie zum Schutz von in der Prostitution tätigen Frauen“. Der „freiwilligen Prostitution“ – dem Ausgangspunkt und Leitbild des Prostitutionsgesetzes von 2002 – wird als Bezugspunkt keinerlei Bedeutung mehr beigemessen. Von freier oder freiwilliger Entscheidung in der Sexarbeit ist nur noch dann die Rede, wenn es darum geht, deren Existenz in Abrede zu stellen. [1] Betont wird demgegenüber die vermeintlich allgegenwärtige „Fremdsteuerung“ und „Fremdbestimmung“ von Sexarbeitern in der Prostitution. [2]

Ihren Höhepunkt findet diese stigmatisierende Perspektive auf Prostituierte in der Konstruktion dreier besonders schutzbedürftiger „Fallgruppen“ [3] von Sexarbeitern, denen die Ausübung der Prostitutionstätigkeit von vornherein zu verbieten sei. Diese drei Fallgruppen liegen vor, wenn

  1. „eine Prostituierte oder ein Prostituierter nicht über die zum eigenen Schutz erforderliche Einsicht verfügt,
  2. eine Person unter 21 Jahren durch Dritte zur Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitution gebracht wird oder werden soll, oder
  3. eine Person von Dritten durch Ausnutzung einer Zwangslage, ihrer Hilflosigkeit, die mit ihrem Aufenthalt in einem fremden Land verbunden ist, ihrer persönlichen oder wirtschaftlichen Abhängigkeit zur Prostitution gebracht oder diese Person von Dritten ausgebeutet wird oder werden soll.“ [4]

„Das Prostituiertenschutzgesetz misst einer Kategorisierung und Etikettierung von Sexarbeitern unter dem Gesichtspunkt der Schutzbedürftigkeit große Bedeutung bei“

Auf diese drei Fallgruppen beziehen sich explizit allein 5 der 39 Paragrafen des Prostituiertenschutzgesetzes. [5] Das zeigt, welche Bedeutung das Prostituiertenschutzgesetz einer Kategorisierung und Etikettierung von Sexarbeitern unter dem Gesichtspunkt der Schutzbedürftigkeit beimisst.

Einsichtsfähigkeit

Im Unterschied zur Gruppe der „Heranwachsenden“ (Fallgruppe II) und der Gruppe der „Zwangsprostituierten“ (Fallgruppe III) ist die Konstruktion einer Gruppe geistig minderbemittelter Sexarbeiter mit „unzureichender Einsichtsfähigkeit“ eine originäre Neuschöpfung des Prostituiertenschutzgesetzes. Offenbar reichten den Verfassern des vorliegenden Gesetzentwurfs die beiden bislang geläufigen, aus dem Strafgesetzbuch übernommenen Fallgruppen hilfs- und unterstützungsbedürftiger Sexarbeiter nicht aus, um den öffentlich proklamierten Schutzanspruch des „Prostituiertenschutzgesetzes“ glaubwürdig erscheinen zu lassen.

Bei dieser Gruppe von Sexarbeitern handelt es sich um Personen, die „nicht die Fähigkeit besitzen, die Reichweite ihres Handelns zu erkennen und einzuschätzen“. [6] In diesem Kontext kann eine „stark ausgeprägte Intelligenzminderung“ vorliegen, die mit „emotionaler und sozialer Unreife einhergeht“, wobei die betreffende Person „zu einer außerordentlich psychischen Abhängigkeit …neigt“. [7] Die Gefahr bestünde darin, dass solche Personen sich „völlig naiv auf eine Tätigkeit als Prostituierte einlassen“. [8] Sie besäßen „erkennbar sehr naive Motive oder unrealistische Vorstellungen von der Tätigkeit als Prostituierte“ [9], verfügen nicht über die „erforderlichen elementarsten Grundkenntnisse“. Es mangelt ihnen „aufgrund psychischer oder geistiger Einschränkungen“ an der „ausreichenden Einsichtsfähigkeit“. [10]

„Man lässt die absurde Behauptung einer Allianz von Prostitution und Schwachsinn wieder aufleben

„ Die bloße Tatsache, dass die Annahme einer derartigen Fallgruppe in einem Gesetz zur gewerberechtlichen Regulierung eines Berufes zu einem Bezugspunkt wird, kann nur als Anknüpfen an berüchtigte und unheilige Traditionen früherer Jahrhunderte gedeutet werden. Man lässt damit die absurde Behauptung einer Allianz von Prostitution und Schwachsinn wieder aufleben, die unter den Nazis tödliche Folgen für die Betroffenen hatte. Mit der Konstruktion einer solchen „Fallgruppe“ werden gezielt ausländische Sexarbeiter aufs Korn genommen.

Heranwachsende

Auch der Gruppe der 18- bis 21-jährigen Sexarbeiter („Heranwachsende“) wird ohne empirische Belege eine „gesteigerte Schutzbedürftigkeit“ [11] attestiert. Die Rede ist von einer „besonderen Anfälligkeit von Heranwachsenden für Ausbeutung durch Dritte“. [12] Angesichts der zuletzt zwei Verurteilungen pro Jahr im Falle von „Ausbeutung in der Prostitution“ (§ 180a StGB) fragt sich, woher die Verfasser des Gesetzentwurfs ihr Wissen beziehen. Die angebliche „besondere Vulnerabilität“ [13] dieser Fallgruppe soll gleichwohl rechtfertigen, dass die öffentliche Fürsorge „auf Heranwachsende zielende Sonderregelungen“ [14] einführen müsse.

Verwiesen wird dabei auf eine entsprechende Regelung im Strafrecht (§ 232 Abs. 1 S. 2 StGB). Dort wird speziell der Gruppe der 18- bis 21-Jährigen die Eigenschaft „Opfer von Menschenhandel“ nicht aufgrund der Ausnutzung einer Zwangslage oder aufgrund erlittener Gewalt zugeschrieben, sondern allein wegen der bloßen Zugehörigkeit zu einer bestimmten Altersgruppe. Im europäischen Recht zum Umgang mit „Menschenhandel“ findet das keine Entsprechung. Man hat es also mit deutschem Sonderrecht gegen Sexarbeiter zu tun, das nun zum Zwecke der gewerberechtlichen Regulierung von Prostitution erneut instrumentalisiert wird.

„Nicht Prostitution ist problematisch, sondern das Bild, das von ihr gezeichnet wird

„ Die Annahme einer besonderen Gefährdung der 18- bis 21-Jährigen im Prostitutionsgewerbe hat sich bislang noch nie bestätigt. [15] Die entsprechende Passage in § 232 StGB erweist sich als anachronistisches Relikt eines per Strafrecht exekutierten Erziehungsauftrags. Die exklusiv auf Prostitutionstätigkeit fokussierte öffentliche Fürsorge in Bezug auf Heranwachsende offenbart ihren stigmatisierenden Charakter insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Staat keine Scheu hat, Minderjährige (!) für die Bundeswehr anzuwerben und Auslandseinsätze von Personen beiderlei Geschlechts ab 18 Jahren zu erlauben und für gut zu befinden. [16]

Unter Zwang tätig?

Hierbei soll es sich um Personen handeln, die sich „in einer durch Gewalt, Drohung oder Ausbeutung geprägten Situation“ und damit in einer „subjektiv alternativlosen Lage“ befinden. [17] Der Entschluss, der Prostitution nachzugehen, sei „in hohem Maße fremdbestimmt“. [18] Der Gesetzentwurf zeichnet sich dadurch aus, zu diesem Punkt keine näheren Angaben zu machen. Auf empirische Bezüge wird auch hier verzichtet, was auf eine Konstruktion der Schutzbedürftigkeit von Sexarbeitern verweist.

Allenthalben wird der Eindruck erweckt, dass die überwiegende Zahl der Sexarbeiter unter Bedingungen tätig sei, die einen freien Entschluss ausschließen. Sämtliche Sexarbeiter stehen damit unter Generalverdacht, entweder unfreiwillig in der Prostitution tätig zu sein bzw. einer der drei „Fallgruppen“ anzugehören, die von vornherein aus der Prostitution auszuschließen sind. Deutlich wird daran: Nicht Prostitution ist problematisch, sondern das Bild, das von ihr gezeichnet wird.

Die Grundannahme, man habe es in der Prostitution „nicht selten“ mit angeblich vulnerablen Personengruppen zu tun, hat für die Sichtweise der Verfasser des Gesetzentwurfs eine unverzichtbare Funktion. Denn sie lässt die allenthalben beschworenen „Risiken“ der Prostitutionstätigkeit in noch krasseren Licht erscheinen.

„Die Gefahr geht – aus Sicht der Regierung – bereits von der Prostitution selber aus

„ Die Botschaft lautet: Wenn sich grundsätzlich schutzbedürftige Personengruppen in einem Wirtschaftszweig betätigen, der an und für sich risikobehaftet ist, bleibt dem Staat gar nichts anderes übrig, als „Schutz“ zu gewähren. Es bedarf dann gar nicht mehr des Hinzutretens äußerer Faktoren wie „Menschenhandel“ etc., um Selbstbestimmung und Freiwilligkeit in der Prostitution zu gefährden. Denn die Gefahr geht – aus Sicht der Regierung – bereits von der Prostitution selber aus. Die abolitionistische Grundannahme des Gesetzentwurfs, wonach der Wirtschaftszweig Prostitution als solcher „spezifische Risiken“ bis hin zu einer Gefährdung der Grundrechte der dort tätigen Menschen beinhalte, ist für die Bundesregierung durchaus vorteilhaft und entlastend. Denn sie lenkt den Blick weg von tatsächlich vorfindlichen Risiken, die sich unbestreitbar aus den problematischen rechtlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen heutiger Prostitutionsausübung ergeben. Wer in der Prostitution tätig ist, geht sehr wohl Risiken ein, z.B.

  • das Risiko rechtlicher Sonderbehandlung nach Maßgabe hergebrachter Moral;
  • das Risiko gesellschaftlicher Ausgrenzung durch Stigmatisierung;
  • das Risiko erniedrigender Behandlung durch Polizei und Behörden;
  • das Risiko räumlicher Ausgrenzung durch Sperrgebiete und Baurecht;
  • das Risiko ökonomischer Diskriminierung z.B. durch Sonderbesteuerung;
  • das Risiko, permanent Projektionsfläche der Opfer- und Rettungsphantasien einer medial verblendeten Öffentlichkeit zu sein.


Auf derartige, von der politischen Klasse zu verantwortende Risiken mit Auswirkungen auf die gesundheitliche und psychische Verfassung der Betroffenen nimmt der Gesetzentwurf des Bundesfamilienministeriums verständlicherweise keinen Bezug.

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