10.06.2009

Angst als Wahlgewinner

Kommentar von Frank Furedi

Weil sie nicht in der Lage waren, die Menschen für das Projekt Europa zu begeistern, bestand der Wahlkampf der europäischen Eliten hauptsächlich aus der Dämonisierung ihrer Gegner. Dies wird der europäischen Angstpolitik künftig noch weiteren Auftrieb geben.

Europas politische Führer hatten schon vor längerer Zeit ihre Bemühungen eingestellt, die Bürger mit guten Gründen zur Wahl zu bewegen. Stattdessen setzte man hauptsächlich auf schlechte Gründe und auf Panikmache. Schenkt man den kulturellen und politischen Eliten Europas Glauben, so steht Europa einer dynamisch wachsenden Koalition aus Protestgruppen und verhärmten Euroskeptikern sowie kraftstrotzenden rechtsnationalen, xenophoben und faschistoiden Organisationen gegenüber. Sogar religiöse Führer und selbst muslimische Gruppen aus zahlreichen EU-Staaten fühlten sich bemüßigt, diese Gefahren zu betonen und zum Wählengehen aufzufordern.

Diese Form der negativen und angstbefeuerten Wahlermunterung führt jedoch dazu, dass die inhaltliche Selbstauflösung von Politik forciert wird und der demokratische Akt des Wählens weiter an Bedeutung verliert. Das Wählen des Mainstreams wird in den Rang einer öffentlichen und moralischen Pflicht erhoben, der man genüge tun müsse, um Extremisten aus dem Parlament herauszuhalten.

Europas Politik der Angst basiert auf der Dämonisierung marginaler politischer Gruppierungen sowie auf einer immer weiter ausufernden Definition dessen, was unter „Extremismus“ zu verstehen sein soll. „Extremistisch“ ist nach Lesart der EU-Oligarchen jeder, der die politischen und kulturellen Vorstellungen des sogenannten EU-Mainstreams nicht teilt: Hierunter werden kurzerhand alle subsummiert, die Kritik an der EU äußern, unabhängig davon, ob sie sich als proeuropäisch und demokratisch verstehen oder nicht. Tatsächlich verwenden EU-Bürokraten die Begriffe „Extremist“ und „Euroskeptiker“ mittlerweile fast als Synonyme. So auch der Präsident der EU-Kommission José Manuel Barroso, der warnte, eine geringe Wahlbeteiligung erlaube es „Euroskeptikern und Extremisten, unsere Debatte über unsere Zukunft zu dominieren“. Zwar ist unklar, welche Debatte Barroso gemeint haben könnte – schließlich ist die Kommission alles andere als ein Ort des freien Wortes und der demokratischen Mitbestimmung –, umso klarer aber ist seine Intoleranz gegenüber jedem, der abweichende Meinungen vertritt.

In Großbritannien trieb die bewusste Panikmache im Vorfeld der Wahlen besonders schrille Blüten. In einem regelrechten Hetzartikel mit der Überschrift „Anti-gay, climate change deniers: meet Cameron’s new friends“ beschuldigte die linksliberale Tageszeitung The Guardian den Führer der konservativen Torys, David Cameron, ein europaweites Bündnis konservativer Euroskeptiker schmieden zu wollen (http://www.guardian.co.uk/politics/2009/jun/02/david-cameron-alliance-polish-nationalists). Der Artikel führte kurzerhand alle als verwerflich und politisch unkorrekt geltenden Stereotypen zusammen und verwob sie inhaltlich miteinander: Vorurteile gegen Homosexuelle, Rassismus, fundamentaler Katholizismus standen plötzlich in einem direkten politischen Zusammenhang mit dem zentralen ökologischen Kapitalverbrechen unserer Zeit: dem Leugnen der apokalyptischen Bedrohung durch den Klimawandel. Klar, dass man gegen diese braun-reaktionäre, weltzerstörende und unheilige Allianz vorzugehen und daher zur Europawahl zu gehen habe.

Das Fehlen inhaltlicher Orientierung und Klarheit bezüglich der Zukunft Europas wird der Politik der Angst weiteren Auftrieb geben. Die Politisierung und das gezielte Schüren von Ängsten mag zwar aus Sicht der herrschenden Eliten Europas dazu dienen, den eigentlich notwendigen, für sie aber zutiefst unangenehmen Debatten über die Beschaffenheit der Europäischen Union aus dem Wege zu gehen und somit zumindest die eigene inhaltliche Zersplitterung und Erosion notdürftig zu verschleiern. Der Haupteffekt der Angstpolitik ist aber die Zementierung der Vorstellung, dass es zum Status quo ohnehin keine Alternative geben könne. Die unauflösbare Abhängigkeit der EU von einer sie stützenden Negativmoral wird die Abkapselung der Politik vom realen Leben der Menschen vorantreiben und den Zynismus und die Abkehr der Menschen vom politischen Prozess weiter verstärken.

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