13.01.2016

Selbstoptimierung mal ganz anders

Kurzrezension von Christoph Lövenich

Sean Brummel – Einen Scheiß muss ich – Das Manifest gegen das schlechte Gewissen von Tommy Jaud (Fischer, 2015, 319 S., EUR 16,99)

Zu Weihnachten sind wahrscheinlich wieder unheimlich viele Ratgeber-Bücher verschenkt worden. Ebenfalls kein Mangel, und das jahreszeitunabhängig, herrscht an zeigefingerschwingenden Hinweisen zur korrekten Lebensführung in allen Bereichen. Das rief Tommy Jaud auf den Plan, einst Comedyautor für Fernsehshows und seit Längerem Schriftsteller – mit Millionen verkaufter und teils verfilmter Bücher.

Jaud schuf mit Sean Brummel aus dem südkalifornischen Paso Robles ein Alter Ego, das „in weiten Strecken das komplette Gegenteil“ seiner selbst bildet, wie er in einem SWR-Interview durchblicken ließ. Brummel, der fiktive Autor eines Konter-Ratgebers, erzählt, wie er sich bis zu einem Erweckungserlebnis von Fitnessstudio-Besuchen und vegetarisch-salzarmer Ernährung piesacken und von einem schlechten Gewissen wegen nicht erledigter Arbeiten plagen ließ. Erst mit seinem neuen Motto „Einen Scheiß muss ich“ – ratgebertypisch als ESMI-Prinzip abgekürzt – gewann er neue Freiheit und Lebenszufriedenheit.

Aufräumen, am Wochenende viel unternehmen, sich ständig Gedanken um die Gesundheit machen oder gar aufs nächste Bier verzichten – einen gottverdammten Dreck müssen wir. Nicht zu allem eine Meinung haben zu müssen, nicht nach dem Lebenssinn suchen zu müssen, keine Familie gründen zu müssen, nicht überall dabei zu müssen – diese Haltung entlastet und entspannt.

Jaud karikiert die gängige Ratgeber-Literatur, indem er neben dem entsprechenden Tonfall kapitelbezogene Checklisten oder einen Sportsucht-Test mit Fragen einbaut. Aber er bedient sich auch realer Studien, die zur Untermauerung nachdenkenswerter Thesen dienen, etwa zur Gesundheitswirkung des Sports oder zu guten Vorsätzen fürs neue Jahr, die ohnehin kaum einer umsetzt und die man sich deshalb besser gleich sparen sollte.
 


Die Vermutung, es gebe „mehr alte Kettenraucher als alte Veganer“ ist vermutlich noch nicht empirisch überprüft worden, dürfte nach der Lebenserfahrung aber stimmen. Vielen von Brummels Empfehlungen kann man ohne weiteres zustimmen, etwa: „Tun Sie einfach das, was Sie wollen und nicht das, was ein magersüchtiger Lifestyle-Redakteur in die verkrustete Tastatur zittert.“ Oder zum Thema Joggingwahn bzw. Laufband: „Sie haben nur ein Leben. Laufen Sie ihm nicht davon.“ Erst recht gilt dies bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO): „Warum sollten wir uns in unserer Lebensweise nach einer Organisation richten, die aus dem jämmerlichsten Hühnerfurz die höchste Pandemie-Stufe macht?“

Berechtigte Kritik an „Nachhaltigkeitsaposteln in bunten Gewändern“ wechselt sich mit augenzwinkernden Betrachtungen ab. So ist Jauds Buch von allem ein bisschen: Humorvoll, erzählerisch, gelegentlich politisch und durchaus eine nützliche Anleitung, selbst- und fremdauferlegte Zwänge mal kritisch zu hinterfragen. Zum Buch gibt es auch einen Song und eine fränkische Biermarke. Muss ich die kaufen? Einen Scheiß muss ich.

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