12.09.2013

Ein philosophischer Universalreiniger für klare Verhältnisse

Rezension von Günter Ropohl

Die Philosophin Nicole C. Karafyllis sieht Putzen als Selbstverwirklichung und hinterfragt den Wunsch, nie wieder putzen zu müssen. Eine Sternstunde der Philosophie.In der Robotik sieht man bereits die Morgenröte eines Lebens ohne Putzen heraufziehen.

Seit dreitausend Jahren hat die Philosophie nicht viel Neues gebracht, sagen böse Zungen. Gewiss, auf die klassische Grundfrage: „Warum gibt es überhaupt Etwas, und nicht etwa Nichts?“, haben die Denker bis heute keine schlüssige Antwort gefunden.

Doch da ist ein Problem, das uns im praktischen Leben fortwährend umtreibt: „Warum gibt es überhaupt Schmutz, und nicht etwa Nichts?“ Gute Philosophie zeichnet sich dadurch aus, dass sie die richtigen Fragen stellt. Diese im Alltag banale, in der Philosophie aber höchst innovative Frage entdeckt zu haben, ist das Verdienst der Philosophin Nicole C. Karafyllis, die hier mit der „pragmatischen Wende“ Ernst macht: von der blutleeren Ontologie zur erfahrungsgesättigten Pragmatik. Wahrhaft eine Sternstunde der Philosophie!

Im ersten Teil gibt die Verfasserin einen Überblick über das Wesen der Putzarbeit und ihrer möglichen Ausgestaltungsformen. Für Hannah Arendt, die eine der ganz wenigen philosophischen Untersuchungen über das tätige Leben geschrieben hatte, bestand der Sinn der Hausarbeit darin, in der ewigen Wiederkehr von Verausgabung und Erschöpfung den menschlichen Lebensprozess zu erfahren. Nicole Karafyllis geht weiter, wenn sie das Putzen nicht allein als bloße Arbeit, sondern in seinen würdigsten Momenten als regelrechtes Handeln auffasst, nach Arendt die Höchstform menschlicher Tätigkeit, die individuelle und kollektive Geschichte zu erzeugen vermag.

Das freilich geschieht allein dann, wenn man das Putzen als einen Akt der Selbstverwirklichung in die eigene Hand nimmt und nicht arbeitsteilig an Putzfrauen oder Putzmänner (einschließlich der in manchen Damenkränzchen beliebten Nacktputzer) delegiert oder gar auf den technischen Fortschritt der Robotik hofft, der in Wirklichkeit noch weit davon entfernt ist, die Hausarbeit automatisieren zu können. Für die Produktion erwarten Optimisten in naher Zukunft die „Fabrik 4.0“, die Vierte Industrielle Revolution, doch im Alltagsleben hat es bislang noch keine putztechnische Revolution gegeben.

Wer vom Putzen redet, kann über den Schmutz nicht schweigen. Lehrreich ist eine Typologie der Verunreinigungen, die dem Putzlaien neue Einsichten vermittelt: vom einfachen Staub über Kalkablagerungen, Gemenge aus Stäuben und Fettschichten, Rostspuren bis hin zu den Bakterienkulturen. Beispielhaft für das Programm einer Synthetischen Philosophie ist die Souveränität, mit der die Verfasserin erfahrungswissenschaftliche Befunde aus den verschiedensten Disziplinen in ihre gedankenreichen Reflexionen integriert. Den wahren Putzfreunden empfiehlt sie dann eine lange Liste von Vorkehrungen, mit denen sie die Reinigungsaufgaben steigern können.

„Wie in der Erkenntnistheorie gibt es auch hier kein schlüssiges Verfahren, um ein ‚Urputzen‘ zu identifizieren, in dem alles Putzen seinen definitiven und ultimativen Grund fände. Den Putzenden öffnet sich das Unendliche …“

Im zweiten Teil versucht Nicole Karafyllis, einige allgemeine Probleme der Philosophie auf das Phänomen des Putzens anzuwenden: das Universalismusproblem, das Reduktionismusproblem, das Individualismusproblem, das Partikularismusproblem und das Interdependenzproblem. Es ist hier nicht der Ort, diese großen Begriffe zu erläutern, zumal die Autorin ihre Überlegungen in dieser Hinsicht recht frei assoziiert, ohne freilich mit immer wieder überraschenden Einsichten zu sparen.

Überzeugend ist ihre Interpretation des infiniten Regresses, in der Philosophie die Kalamität, dass jede Begründung selber wieder einer Begründung bedarf, derart, dass es nie eine Letztbegründung, also auch nie eine „erste Ursache“ geben kann. Beim Putzen äußert sich das darin, dass die Putzutensilien ihrerseits geputzt werden müssen, derart, dass die dafür eingesetzten Mittel wiederum der Reinigung bedürfen, usw. usw. Wie in der Erkenntnistheorie gibt es auch hier kein schlüssiges Verfahren, um ein „Urputzen“ zu identifizieren, in dem alles Putzen seinen definitiven und ultimativen Grund fände. Den Putzenden öffnet sich das Unendliche …

Im dritten Teil wendet sich die Verfasserin den unterschiedlichen Menschentypen zu, die ihre je eigene Einstellung zur unabwendbaren Aufgabe des Putzens kultivieren. Da gibt es den „Hygieniker“, der das Reinemachen vor allem als Gesundheitskult betreibt und von einer keimfreien Umgebung träumt. Dem „Ästheten“ geht es besonders um den schönen Schein; Schmutz, den man nicht sieht, ist überhaupt kein Schmutz, lautet seine Maxime. Der „Funktionalist“ hält nur das für reinigungsbedürftig, was er gerade benutzt; ob auch all die überflüssigen Dinge, mit denen sich die Menschen regelmäßig umgeben, einmal zu säubern wären, das kümmert ihn einen feuchten Kehricht. Anders der „Psychoanalytiker“, dem gerade der verborgene Schmutz und seine geheimnisvollen Geschichten am Herzen liegen. Leider teilt Nicole Karafyllis, sonst mit persönlichen Bekenntnissen nicht gerade zurückhaltend, dem neugierigen Leser nicht mit, welchem Putztyp sie sich selber zurechnet.

Im vierten Teil schließlich geht es um die Frage, ob der Wunschtraum, nie wieder putzen zu müssen, eine menschenwürdige Utopie sein kann. Da die Autorin, wie schon im Buchtitel avisiert, „Putzen als Passion“ betreibt, kann sie solch einer Zukunftsvision wenig abgewinnen und meint, diese sei ebenso abwegig wie die Idee vom ewigen Leben auf Erden. Hier zögert der Rezensent mit seiner Zustimmung, weil Nicole Karafyllis das Konzept der „konkreten Utopie“ nicht in Betracht zieht, das wir Ernst Bloch verdanken. Konkret ist eine Utopie, wenn sie sich in realen Möglichkeiten abzuzeichnen beginnt, Möglichkeiten also, die in der Wirklichkeit keineswegs mehr völlig latent sind. Dazu aber gehören unbedingt die Entwicklungstendenzen der Robotertechnik, die zwar noch weit von der praktischen Bewährung entfernt ist, aber doch bereits die Morgenröte am Horizont erahnen lässt. Dann erginge es diesem Buch wie der berühmten Wittgenstein’schen Leiter: Man entledigt sich ihrer, wenn man sie erklommen hat.

Doch dafür ist es ohne Zweifel noch viel zu früh. Darum gehört dieses ebenso tiefgründige wie unterhaltsame Büchlein in jede putzende Hand!

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