22.06.2011

Agrarwissenschaftlicher Blindflug

Rezension von Erich Grantzau

Die Habilitationsschrift des Umwelthistorikers Frank Uekötter zeigt, wie man hierzulande ohne ausreichenden agrarwissenschaftlichem Sachverstand, dafür aber mit umso mehr grüner Ideologie zu Professorenweihen kommen kann.

Eine von Frank Uekötter vorgelegte Habilitationsschrift trägt den Titel „Die Wahrheit liegt auf dem Feld“ Der unbescheidene Untertitel lautet „Eine Wissensgeschichte der deutschen Landwirtschaft“. Der Autor legt mit dem stattlichen Buch (524 Seiten) seine umwelthistorische Habilitationsschrift vor. Das Buch ist gleichzeitig Band 1 in der Reihe „Umwelt und Gesellschaft“, die von Christoph U. Mauch, Helmut Trischler und dem Autor Frank Uekötter vom Rachel Carson Center, München, herausgeben wird.

Uekötter stellt seinem Werk ein Zitat Mao Tse-tungs voran: „Kuhmist ist wichtiger als Dogmen.“ Die Absicht des Autors ist es offensichtlich, das Zusammenspiel zwischen landwirtschaftlicher Praxis, den Agrarwissenschaften und der Agrarberatung zu durchleuchten und kritisch zu hinterfragen. Das geschieht vor dem Hintergrund der Entwicklung der landwirtschaftlichen Produktion in den vergangenen 200 Jahren. Dabei verfolgt er offenbar das Ziel, die ökologische Landwirtschaft als den Idealzustand der Landbewirtschaftung herauszustellen. Dem Leser wird diese Absicht von der ersten bis zur letzten Seite vermittelt.

Selektive Datenauswahl

Der Agrarwissenschaft und der Agrarberatung wird in der Einleitung unterstellt, „…nur jene Wissenselemente“ angewandt zu haben, die „kurzfristige Produktivitätsgewinne versprachen“. „Längerfristige Perspektiven wurden dagegen tendenziell ausgeblendet“, so Uekötter. Der Übergang zur Intensivlandwirtschaft ist aus seiner Sicht eine Art Blindflug gewesen, der nur deshalb „…nicht auf direktem Wege in eine ökologische Katastrophe führte, weil die in Mitteleuropa vorhandenen geomorphologischen und klimatischen Bedingungen eine im welthistorischen Bereich relativ hohe Fehlertoleranz implizierte“. Besonders kritisch setzt sich der Habilitand mit der chemischen Bodenuntersuchung und den darauf basierenden Düngeempfehlungen der Agrarberatung auseinander. Dabei geht der Historiker bei der Auswahl der Beispiele und deren Interpretation sehr selektiv vor. Mehrfach wird die Behauptung aufgestellt, dass ausschließlich die Daten der chemischen Bodenuntersuchungen bei der Düngerbemessung zu Rate gezogen würden. Dass diese Darstellung jeder Grundlage entbehrt, haben die Agrarwissenschaftler Bergmann und Kluge dem Autor aufgrund seiner Publikation im „Kritischen Agrarbericht 2010“ bereits ausführlich belegt und mitgeteilt. Dass erstellte Richtlinien für die Nährstoffversorgung der Nutzpflanzen kein starres System bilden, sondern im Verlauf der Zeit auch kritisch zu hinterfragen sind, ist eine Selbstverständlichkeit. Dass in diesem Zusammenhang z.B. die Arbeiten von Heimes (1971) und Köster und Schachtschabel (1976 u.1983) keine Erwähnung finden, ist bezeichnend für das einseitige, selektive Vorgehen des Autors.

Ganz wesentlich waren es die Arbeiten von Dr. Werner Köster, dem früheren Leiter der Landwirtschaftlichen Untersuchungs- und Forschungsanstalt Hameln der Landwirtschaftskammer Hannover, die dazu geführt haben, dass der Aufwand an Mineraldünger in der BRD drastisch gesenkt wurde, und zwar bei Phosphat um ca. 80%, bei Kalium um ca. 70% und bei Stickstoff um ca. 30%. Diese drastische Verringerung des Mineraldüngeraufwandes war nur deshalb möglich, weil neben den Bodenanalysen natürlich auch die Pflanzen, also das Erntegut, und die eingesetzten organischen Dünger hinsichtlich der aufgenommenen bzw. enthaltenen Nährstoffmengen untersucht wurden. Nur so ist die Agrarforschung in der Lage, die notwendigen Düngerbilanzen aufzustellen. Von „Blindflug“ kann also gerade in diesem Bereich nicht die Rede sein. Die häufig vom Autor gebrauchte Düngerdevise: „Viel hilft viel“ ist seit mindestens 3 Jahrzehnten dank der Agrarforschung der BRD in „Weniger ist mehr“ verkehrt worden. Die Aussage von Uekötter, dass die Düngerberatung auf der Basis der Bodengehalte in der Klassifizierung: „niedrig“ – „mittel“ – „hoch“ vorgenommen werde, trifft seit Jahrzehnten nicht mehr zu.  Es kommt vielmehr ein von Dr. W. Köster eingeführtes 5-stufiges Bewertungssystem zur Anwendung.  Auch deshalb ist die Aussage des Autors: „…da Fehler im Pflanzenbau durch exzessiven Ressourceneinsatz kompensierbar waren…“ seiner bodenlosen Unkenntnis geschuldet.

Gezielt ausgeblendet sind ganz offensichtlich die Arbeiten von Scharpf und Wehrmann zur N-min-Analyse landwirtschaftlich genutzter Flächen. Bereits Mitte der 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts wurde die systematische Stickstoffanalyse der landwirtschaftlichen Nutzflächen und daran orientierte Stickstoffdüngeempfehlungen erarbeitet (Scharpf 1977). Selbstverständlich begleitete man auch dieses Bodenuntersuchungsverfahren durch Pflanzenanalysen. Und auch hier ein exzellenter analytischer Sichtflug, der nicht nur für die Landwirtschaft von Bedeutung ist, sondern ganz wesentliche positive Auswirkungen auf die Umweltanalytik hat. Die Agrarforscher konnten mit Hilfe der N-min-Analyse beispielsweise einen ganz wesentlichen Durchbruch hinsichtlich einer deutlichen Verringerung der Auswaschung von Nitrat aus gemüsebaulich genutzten Flächen in das Grundwasser erzielen (Scharpf et.al. 1985, 1986, 1995). Auch dieser positive Meilenstein bezüglich der zielgerichteten Arbeit der Agrarforschung und Anwendung in der Praxis findet keine Erwähnung in der Habilitationsschrift Uekötters. Die Agrarforschung kann selbstverständlich mit umweltschutzrelevanten Forschungsarbeiten aufwarten. Eine Vorstellung, die Herrn Uekötter völlig fremd, ja unangenehm sein dürfte.

Ein weiteres wichtiges Arbeitsgebiet der Agrarforschung mit besonderer Umweltrelevanz ist die Erarbeitung der Fakten für die Klärschlammverordnung. Hier haben die Arbeiten der Agrarforschung ganz wesentlich zur Verringerung der Schadstoffgehalte in den Klärschlämmen beigetragen. Das hat zur Folge, dass Klärschlämme ein wichtiger Phosphatdünger in der Landwirtschaft sein können. Vor dem Hintergrund der schwindenden P-Reserven ist dies ein wichtiger Beitrag zur Ressourcenschonung. Herrn Uekötter fallen zum Thema Klärschlamm dagegen nur die akut umweltschädlichen Rieselfelder aus dem vorvorigen Jahrhundert ein. Wo bleibt der Hinweis des Autors auf diese umweltrelevante Entwicklung durch die Agrarforschung?

Weitere Meilensteine sind beispielsweise systematische Untersuchungen zum Nährstoffbedarf von Gehölz- und Gemüsekulturen. Umfassende Arbeiten zur Düngung und den Nährstoffbedarf von Gehölzen (Boden- und Pflanzenanalysen) liegen von Alt (1990) vor. Zahlreiche Arbeiten zum Nährstoffbedarf von Gemüsekulturen an Hand von Boden- und Pflanzenanalysen belegen den Fortschritt auch auf diesem Sektor seit Beginn der 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts (Fink et. al. 2001). Es kann also auch in den intensiv wirtschaftenden Bereichen des Gartenbaus nicht von Blindflügen die Rede sein.

Faktenunkenntnis und Zitate aus dem vergangenen Jahrhundert

Die praktizierenden Landwirte leiden laut Uekötter unter einer Zahlen- und Tabellenphobie und sind obendrein ungebildet. Um dieses Vorurteil des Historikers zu untermauern wird beispielsweise ein Autor aus dem Jahre 1926 bemüht. Landwirte können jedoch nicht nur rechnen, lesen und schreiben, sondern sind auch in der Lage beispielsweise mit dem knapp 1200 Seiten starken Tabellenwerk „Faustzahlen für die Landwirtschaft“ (14. Aufl. 2009) umzugehen. Die Tatsache, dass Landwirte ganz offensichtlich keine Probleme mit Tabellen u.a. Formen der Wissensvermittlung haben, wirft die Frage auf, warum der Autor seine zahlreichen Darstellungen zum Bildungsstand der Landwirte, dem Nährstoff- und Maschineneinsatz in der Landwirtschaft u.a. nicht mit faktenreichen tabellarischen und grafischen Darstellungen belegt hat. Das o. g. Nachschlagewerk des KTBL findet vor den Augen von Uekötter wahrscheinlich deshalb keine Gnade, weil neben dem KTBL auch die Düngerindustrie daran mitarbeitet.
Für einen Historiker sind Zitate natürlich das A und O. Deshalb nimmt der auch um die Fortbildung der Landwirte besorgte Umwelthistoriker die landwirtschaftlichen Fachzeitungen für Praktiker sehr kritisch unter die Lupe und bemängelt, u.a. die in der Regel nicht vorhandenen Literaturzitate. Letztlich findet jedoch das Mitteilungsblatt der Landwirtschaftskammer Münster Gnade vor dem kritischen Leser Uekötter.

Der Boden, die Bodenbiologie und die Biologie überhaupt werden in der agrarischen Wissensgesellschaft aus der Sicht von Uekötter völlig vernachlässigt, um nicht zu sagen, mit Füßen getreten. Zitiert wird u.a. die 6. Auflage (1966) von Scheffer/Schachtschabel „Handbuch der Bodenkunde“. Dass von diesem „Lehrbuch der Bodenkunde“ inzwischen die 16. Auflage aus dem Jahre 2009 vorliegt, ignoriert der Umwelthistoriker. Die Autoren der 16. Auflage des Lehrbuches der Bodenkunde führen den Leser ein in ihr Fachgebiet mit: „Böden – die Haut der Erde“ und „Böden als offene und schützenswerte Systeme“. Da sind Regenwürmer keine unerwünschten Schadorganismen wie Uekötter aus der Literatur des vorvorigen Jahrhunderts zitiert – weil es so schön in sein Weltbild passt?
Bodenorganismen, Bodenbiologie, physikalische und chemische Prozesse und Bodenschutz sind die Themen des aktuellen Lehrbuchs. Dieses Lehrbuch bildet übrigens die Basis für die pedologische Ausbildung der Agrarier. Wenn Herr Uekötter dieses und andere aktuelle Lehrbücher zu Rate gezogen hätte, dann wären ihm Ausrutscher wie seine Auslassungen zum pH-Wert von Böden und der Bodenversauerung durch Ammoniumdüngung so sicher nicht durchgegangen. Selbst so simple Analysengrößen wie der pH-Wert der Böden bedürfen grundlegende pedologische Kenntnisse. Wenn der Autor pH-Werte zwischen 5,5 und 5,0 als kritisch bezeichnet, dann lässt er dabei außer Acht, dass derartige pH-Werte beispielsweise für Sandböden optimal sind. Verwunderlich ist eine derartige Betrachtung durch den Autor wiederum nicht, denn er zitiert – wie könnte es anders sein – Literatur aus den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Das besonders versauernd wirkende Ammonium kann z.B. auf Kalkstein-Verwitterungs-Böden mit hohen pH-Werten vorteilhaft eingesetzt werden. Die Bodenversauerung läuft unter unseren Klimabedingungen alleine wegen der natürlichen CO2-Gehalte des Regenwassers prinzipiell ab. Die Bodenanalysen umfassen deshalb grundsätzlich den pH-Wert und eine daraus abzuleitende Kalkgabe in Abhängigkeit von der Bodenart und der Nutzung.

Ökoideologie anstatt Agrarwissenschaft

Die Kritik an dem versauernd wirkenden Ammonium richtet sich in Uekötters Betrachtungen ausschließlich gegen das Ammonium aus den „Reaktoren der Düngerindustrie“. Das „Bio-Ammonium“, das bei den vielfältigen biologischen Bodenprozessen entsteht, ist     offensichtlich das gute Ammonium, denn über die Wirkungen dieses Ammoniums auf den pH-Wert des Bodens verliert der Autor kein Wort. Übrigens ist seit langer Zeit auch in Kreisen der Agrarforschung bekannt,  dass durch regelmäßige Kompostgaben die pH-Werte der Böden angehoben bzw. stabilisiert werden können (Kluge 2008). Die vom Autor problematisierte Stickstoffimmobilisierung durch Strohdüngung hat natürlich auch positive Aspekte. Denn durch diesen mikrobiologischen Prozess wird der Mineralstickstoff des Bodens vorübergehend biologisch gebunden und ist so vor Auswaschung durch Niederschläge geschützt. Die biologischen Bindungs- und Freisetzungsprozesse des Stickstoffs in Böden u.a. Kulturmedien können von Seiten der Agrarwissenschaftler mit Hilfe von Brutversuchen – das ist Biologie mit chemischem Hintergrund – sehr gut dargestellt werden. Also auch in diesem Bereich der angewandten biologischen Bodenbiowissenschaften keine „Blindflüge“, sondern die Anwendung gesicherten Wissens.

Die Nutzung auch dieses Wissens der Agrarforschung ist sowohl für ökologisch wie konventionell wirtschaftende Landwirte möglich. Berater für ökologisch orientierte Landwirte sind seit längerer Zeit - lange vor der von Frau Künast eingeläuteten „Agrarwende“ - in die Beratungssysteme der Landwirtschaftskammern integriert. Von dieser Wende hatte der angehende Professor übrigens mehr erwartet, denn bisher werden nur ca. 5% der LN in der BRD ökologisch bewirtschaftet. Der von Frau Künast in Auftrag gegebene Statusbericht 2003 „Bewertung von Lebensmitteln verschiedener Produktionsverfahren“ ergibt indes keine qualitativ messbaren Unterschiede zwischen Nahrungsmitteln aus konventioneller oder ökologischer Produktion. Ein Ergebnis, das durch wiederkehrende Untersuchungen der Stiftung Warentest gestützt wird.

Die von Frau Künast eingeleitete Agrarwende ist allerdings dadurch gekennzeichnet, dass sie wissenschaftlich belegte Untersuchungen ablehnend begegnet. Wenn vorliegende Untersuchungen belegen, dass bezüglich der Qualität von Nahrungsmitteln keine Unterschiede zwischen den Produkten der verschiedenen landwirtschaftlichen Produktionsrichtungen zu verzeichnen sind, dann ist offensichtlich die angestrebte Agrarwende schon seit geraumer Zeit erreicht.

Abschließend ein Blick zurück auf das erste Zitat der Habilitationsschrift: „Kuhmist ist wichtiger als Dogmen“ des „Großen Vorsitzenden“ Mao Tse-tung. Auch in diesem Zusammenhang sei Herrn Uekötter empfohlen, einen Blick in jüngere Literatur zu tun. Ich empfehle das Buch „Wilde Schwäne“ von Jung Chang und die entlarvende Mao-Biographie „Mao. Das Leben eines Mannes, das Schicksal eines Volkes“ von Jung Chang und Jon Halliday. Der Aufruf Maos zum „Großen Sprung“ führte vor allem unter der Landbevölkerung zu einer katastrophalen Hungersnot, verbunden mit Massensterben. Dazu folgendes Zitat von Seite 575: „Mao dachte praktisch und sah in dem Massensterben auch Vorteile. „Die Toten sind nützlich“, sagte er am 9. Dez. 1958 vor den Spitzenfunktionären der Partei. „Sie können den Boden düngen.“ Ein außerordentlich makabrer „Großer Sprung“: Die verhungerten Bauern brauchen keine Nahrung mehr und liefern obendrein wertvollen Dünger – natürlich organisch für den ökologischen Landbau à la Mao.

Der Professorentitel ist Herrn Uekötter sicher, seine Arbeit wurde von der Fakultät für Geschichtswissenschaften, Philosophie und Theologie, Abt. Geschichte der Universität Bielefeld - eine Fakultät, frei von agrarischem Sachverstand - angenommen.

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