01.07.2000

Zu leichte Kost mit fetter Ideologie

Analyse von Thilo Spahl

Die Frage “Was braucht der Mensch?” will die Buchreihe zur EXPO beantworten. Doch was herauskommt sind abenteuerliche und nebulöse Ernährungstheorien, die jedweder Wissenschaftlichkeit entbehren.

Die EXPO ist nicht nur zum Anschauen, sie ist auch zum Nachlesen. Die Theorie zur Ausstellung liefern 12 “wegweisende” Bände der EXPO-Buchreihe, die bei Campus erschienen sind – von “zwölf realisierbaren Visionen und aktuellen Reports zu den wichtigsten Zukunftsthemen der Menschheit” spricht Birgit Breuel in ihrem Vorwort.
Wem also die “sinnlich erlebbaren” Arrangements des Themenparks nicht tief genug gehen, der mag guten Willens zum Buche greifen, in der Hoffnung, hier die intellektuelle Substanz zu erhalten, die in den Lösungen für die Zukunftsthemen der Menschheit ja irgendwo auch enthalten sein sollte.

Zwei der Bände beschäftigen sich mit der Ernährung – zweifellos ein Menschheitsthema. Die Herausforderung ist klar: gute Ernährung für alle Menschen.
Von heute sechs Milliarden Menschen sind fast eine Milliarde weit davon entfernt, eine gute und ausreichende Ernährung zu erhalten. Mit welchen Methoden wollen wir zehn oder zwölf Milliarden Menschen ernähren? Ein Blick zurück macht Hoffnung. In den letzten 50 Jahren ist es – vor allem durch die Einführung von Hochleistungssorten und den Einsatz von Agrarchemie – gelungen, die Getreideproduktion um rund 300 Prozent zu steigern. Die zu beantwortende Frage ist: welche neuen Methoden und Techniken sind erforderlich, um in den nächsten Jahrzehnten noch einmal zu verdoppeln?

Während der Lektüre der beiden Bücher sucht man nach einer ernsthaften Auseinandersetzung mit dieser Frage leider vergebens. Bei der Auswahl der Autoren wurde offenbar sorgsam darauf geachtet, ja keine Wissenschaftler zu Wort kommen zu lassen. Stattdessen findet man eine zusammengewürfelte Ansammlung von Versatzstücken der Öko-Ideologien der letzten hundert Jahre, von noch älteren Weisheiten ganz zu schweigen.
Die “zwölf realisierbaren Visionen” bewegen sich auf einem gar schauerlichen Niveau. Am deutlichsten wird das in dem Beitrag eines Dünnbrettbohrers namens Gunter Pauli (“Mein Name ist Gunter Pauli. Von Beruf bin ich Volkswirtschaftler.”). Er identifiziert die Herausforderung (“Unser gegenwärtiges Modell muss mit einem Quantensprung an Effizienz verbessert werden”), doch er liefert Lösungen, die an Dürftigkeit kaum zu überbieten sind.
Ich zitiere zwei Kostproben aus seinem Beitrag in dem Band Was braucht der Mensch?:

1. Den Kindern in Afrika beibringen, wie sie sich ihre Nahrung selbst suchen.

“Stellen wir uns ferner ein Bildungssystem vor, in dem alle Kinder in der Schule nicht nur lesen und schreiben lernen, sondern sich auch Fertigkeiten aneignen, wie sie Energie gewinnen und sich selbst mit Nahrungsmitteln versorgen können, selbst wenn sie auf entlegenen Inseln wohnen oder kaum Gelegenheit haben, Holz als Brennmaterial zu sammeln. (...) Hilfsorganisationen könnten das Geld hierfür beisteuern, damit die Kinder lernen, wie man sich mit dem ernährt, was das Ökosystem in der Umgebung liefert. Wenn eines Tages alle Schulen in Afrika dazu imstande sind, dann werden Hunger und Unterernährung der Vergangenheit angehören.” (S.184)

2. Afrika mit Brauereiabfällen ernähren

“Alle Brauereien der Welt nutzen ihr verbrauchtes Getreide nicht, um Nahrung und Energie zu gewinnen – ein Fehler. (...) Warum kann nicht neben jeder Brauerei eine Bäckerei stehen? (...) Wenn ein Bierbrauer das gesamte verbrauchte Getreide zum Brotbacken verwendete, würden durch die erzeugte Wertschöpfung mehr Arbeitsplätze geschaffen und erhalten, als wenn das verbrauchte Getreide einfach mit dem Lastwagen auf eine Mülldeponie oder einen Bauernhof geschafft wird. Dieses Brot würde zudem das aus frischem importierten Getreide gebackene Brot vom Markt verdrängen, (...) so dass sich jetzt auch Menschen, für die importiertes Getreide zu teuer ist, Brot leisten könnten.” (S.185/190)

“Man braucht sich nur noch einen Camembert einzuverleiben, und schon weiß man, wie eine Käserei funktioniert”

Fast noch düsterer, weil ganz und gar verworren, sieht es in dem Band Ernährung in der Wissensgesellschaft aus. Hauptautoren sind José Lutzenberger, Umweltschutzaktivist und Träger des Alternativen Nobelpreises, und Franz-Theo Gottwald, Vorstand der Schweisfurt-Stiftung.
Wie sollen die Menschen in Zukunft essen? Sollen sie gut, gesund, ausreichend essen? Nein, aus Sicht der beiden Autoren sollen sie “informiert” essen.
Der Beitrag beginnt mit einem Rundumschlag gegen die moderne Landwirtschaft und Lebensmittelindustrie. Es ist die Rede von “Konzentrationslagern” für Hühner, von einer “Denaturierungs- und Kontaminationsindustrie”, vom “kulturellen Genozid” an den traditionellen Bauern, von der “Verschwörung großer transnationaler Konzerne im Falle der Biotechnologie”, von “monströsen Züchtungen” und den “gewaltigen Verlusten durch die grüne Revolution”.
Das alles ist wenig originell, ähnliche Auslassungen kann man heute tagtäglich in unzähligen Öko-Magazinen lesen. Interessanter wird es im folgenden Abschnitt, in dem die Autoren sich als Theoretiker versuchen. Das Buch trägt ja den Titel Ernährung in der Wissensgesellschaft, also muss ein bisschen mehr hinein geschrieben werden, als dass die ökologische Landwirtschaft klasse sei. Die Message ist einfach: Der aufgeklärte Verbraucher der Zukunft wird über die Entstehung seines Essens in ganzheitlicher Betrachtung reflektieren und unter Nutzung seiner Konsumentenmacht dafür sorgen, dass das Böse aus der Nahrungserzeugung verschwindet. Damit diese Botschaft mehr hermacht, haben sich die Autoren ein paar richtig witzige Sätze ausgedacht. Zum Beispiel: “Somit entsteht ein wissenschaftlich gestütztes Verständnis von Ernährung, das eine weiterentwickelte Informationstheorie zur Grundlage hat. Der Verzehr eines Lebensmittels ist ein informationsübertragendes Ereignis (...) Es werden die Informationen vermittelt, die während der Be- und Verarbeitung beispielsweise aus der Milch den Käse entstehen lassen.” Wie praktisch! Man braucht sich nur noch einen Camembert einzuverleiben, und schon weiß man, wie eine Käserei funktioniert. Da kann ja noch nicht mal das Internet mithalten. Gerne würde man mehr über diese “weiterentwickelte Informationstheorie” erfahren, die beschreibt, wie aus einem “scheinbar bloß physiko-chemischen Ereignis” ein “ganzheitlicher Informationstransfer” wird. Doch kaum ist der Wissenshunger richtig erwacht und man hört das Gehirn lauthals knurren, da ist der Abschnitt auch schon zu Ende, und es geht weiter mit dem “Lebensmittel als Heilmittel”. Hier lernen wir, dass in Zukunft Lebensmittel möglichst auch gesundheitsförderlich sein sollten, leider aber nichts darüber, ob man sein Medizinstudium dann in der Kantine absolvieren kann.
Was gibt es noch Bemerkenswertes in diesem Buch? Auf Seite 83 erfahre ich, wie man modern für Ökobauernhof sagt: “High Tech Self-Providing im Rahmen einer auf Suffizienz und Bedürfnisbefriedigung hin ausgerichteten Lebensführung – das ist das Leitbild von morgen.”

Das klang bei Erhard Eppler, im Band Was braucht der Mensch?, irgendwie noch schöner:

“Der Großvater mähte mit Sense oder Sichel die Wegränder, die Großmutter bereitete das Frühstück, während die Mutter die Kleinsten versorgte. Die Kinder halfen, Obst oder Kartoffeln in Säcke zu lesen, die ledig gebliebene Tante nähte Schürzen und Hosen, der Vater fütterte das Vieh, das die größeren Kinder schon melken konnten. Familie war einst ein geordneter Betrieb, der fast alles herstellte, was zum Leben nötig war.” (S.82)

“Wer Appetit auf esoterischen Hokuspokus hat, wird gut und reichhaltig bedient”

Auf Seite 88 folgt ein Grundkurs in Biologie:
“Bäume, Urwald, Sümpfe, die winzigen Algen der Ozeane – sie alle sind unsere Organe, ebenso sehr Teil von uns wie Lunge, Herz, Leber oder Milz. Wir können sie unsere externen Organe nennen, im Unterschied zu unseren inneren Organen, für die wiederum wir die externen Organe sind.”

Wer noch mehr Appetit auf esoterischen Hokuspokus hat, wird auch auf den Seiten 97ff gut und reichhaltig bedient: Aufgetischt wird ein Menü so genannter “unkonventioneller Meßverfahren (...) zur objektiven Bestimmung von Mitweltverträglichkeit und Lebensqualität”, darunter die “Biophotonenmessung”, die “Kupferchloridkristallisation” und die “Steigbild- oder Tropfenmethode zur Messung der inneren Vitalaktivität”.
Auf Seite 101 blitzt dann doch wieder die “weiterentwickelte Informationstheorie” auf: Wir lernen etwas über “die Zusammenhänge zwischen Lebensmitteln und Bewußtsein”:


“Wenn ihre Gemeinschaft anfängt, hauptsächlich Importwaren zu essen, dann erweitert sich das Bewußtsein zwar horizontal und der Stamm bekommt möglicherweise weltmännische Weitsicht. Verlustig geht er aber der mystischen Tiefe.”


Wenn es schließlich darum geht, wie die Vision vom besseren Essen in die Tat umgesetzt werden soll, müssen mal wieder die Kinder herhalten:


“Eine sinnlich orientierte ökologische Ernährungserziehung wird in den Schulen des 21. Jahrhunderts einen besonderen Platz bekommen. (...) Die Schulküchen werden zum Lernfeld für eine vernünftige Lebensführung (...) das gemeinsame Mahl und der gemeinsame Genuß sind eine sinnliche und zugleich sittliche Schulung für das Leben ohnegleichen.” (S.111)

Soviel zur Zukunft der Bildung. Aber können wir nicht vielleicht auch gleich noch etwas über die Zukunft der Arbeit lernen? Gewiss. Wozu Arbeitslosigkeit?, fragen sich die Autoren, wo die Leute sich doch damit beschäftigen könnten, ihre eigenen Nahrungsmittel zu erzeugen. Was laut Pauli für die Kinder auf “entlegenen Inseln” Afrikas gilt, sollte es nicht auch für die arbeitslosen Jugendlichen in Detroit gelten? Die können sich doch in Blumenkästen ihr Gemüse anbauen. Das nennt sich dann “Bioblock-Projekt” (Bioblock heißt der hierfür entwickelte Blumenkasten, der es “selbst Laien ohne fachliches Know-how möglich macht, Gemüse und Kräuter im eigenen Zimmer, auf Balkonen oder Dächern zu ziehen.”) Aus Sicht der Autoren ein gutes Beispiel für “Neue Lebensperspektiven mittels Selbstversorgung”, das natürlich nicht auf die USA beschränkt bleiben sollte, sondern auch “besonders für die neuen Bundesländer” geeignet sei: “Man denke dabei nur an ein Industriegebiet wie Bitterfeld”

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