01.07.2000

Ying-Yang- Kling Klang

Analyse von Bernd Herrmann

Bernd Herrmann über die EXPO einst und jetzt.

1.


Einerseits gibt es seit 0,15 Millennien Weltausstellungen; andererseits erst seit 149 Jahren; die erste Weltausstellung fand 1851 in London statt. Was lehrt uns das? In den Worten der Macher des EXPO-Themenparks so dies und das:“Objekte und rhythmisches Licht vermitteln die ganze Fülle und Widersprüchlichkeit menschlicher Vorstellungen von der Zukunft. Tag und Nacht erhellen oder verdunkeln die Szenerie, gerade so, als ob sich die Dinge einmal zum Guten, einmal zum Schlechten wenden würden.”
Bei der Weltausstellung in Wien 1873 brach die Cholera aus; bei der EXPO in Sevilla 1992 nicht. Was das bedeutet? In den Worten der Macher des EXPO-Themenparks viel und nichts:
“Nie gab es mehr Reichtum und Wissen, nie gab es so viele medizinische Innovationen. Noch nie änderten sich aber auch die Bedingungen für Gesundheit so schnell wie heute: Die Kluft zwischen Arm und Reich wächst, die Lebenserwartung steigt und die Städte wachsen immer schneller.”
So gesehen war der Eiffelturm bei der Weltausstellung 1889 das höchste Gebäude der Welt; anders gesehen ist er das heute nicht mehr. Was sagt uns das? In den Worten der Macher des EXPO-Themenparks so dieses und jenes:“Träume von einer besseren Welt und der Angst vor ihrem Untergang, Utopien und Schreckensvisionen bewegten Menschen zu jeder Zeit. (...) Tag oder Nacht erhellen oder verdunkeln die Szenerie, gerade so, als ob sich die Dinge einmal zum Guten, einmal zum Schlechten wenden würden.”


2.


Mit dem Fortschritt verhält es sich heute wie mit den Beipackzetteln zu Medikamenten. Dort erfährt man, meist in zwei knappen Sätzen, wozu das Mittel taugt, worauf eine dreiseitige Kontraindikation folgt, die, liest man sie, jedem leicht die Einnahme verleiden kann. Dass dem verheißungsvollen “einerseits” immer ein unheilschwangeres “andererseits” beigepackt wird, betrifft heute nicht nur die Gegenwart (und Zukunft), auch die Vergangenheit wird entsprechend neu verpackt.In Winfried Kretschmers lesenswerter Geschichte der Weltausstellungen trifft man beständig auf dieses Phänomen. Was brachten die Weltausstellungen von einst? Was setzten sie durch, was machten sie bekannt? – Die Glasarchitektur, die Stahlarchitektur, die Aluminiumbauweise, den Aufzug und die Rolltreppe; das Fahrrad, das Auto und die Elektromotoren; die elektrische Beleuchtung, Beschallung, Tonaufzeichnung und Filmprojektion. Um nur einige Beispiele zu nennen.
Und wie wurden solche Errungenschaften von den Zeitgenossen gesehen? Ein deutscher Berichterstatter schrieb über die erstmals auf der Weltausstellung 1878 in Paris in großem Maße eingesetzte elektrische Beleuchtung:“Die elektro-dynamische Maschine liefert Strahlen, welche in sanften weißen Schwingungen, dem Lichte des Vollmonds gleich, unser Auge erfreuen; sie dringen von dem Felsenriffe meilenweit hinaus auf die tobende See, um dem ratlosen Schiffer die Gefahren zu zeigen, denen er entfliehen muss; sie erhellen das Innere der Erde, wenn es der Mensch mit der Bohrmaschine aushöhlt, um Gebirgswälle zu durchbrechen, oder einen unterseeischen Schienenstrang zu führen; sie beleuchten den tiefen Meeresgrund, dessen Schrecken für uns weichen, welcher von uns durchforscht und durchfurcht werden kann. Fürwahr ein großartiger Sieg des menschlichen Geistes, der ewige Umsatz von Stoff und Kraft! Durch die elektro-dynamische Maschine wird mechanische Bewegung in Electricität, Electricität in Licht, Licht in Wärme verwandelt; die zur Bedienung des Motors, zur Gewinnung der mechanischen Kraft erforderliche Kohle aber führt zu dem blendenden Lichtstrahl, der uns ganz neue Welten erschließt.”Diese Begeisterung für das Erschließen neuer Welten, dieses Zutrauen, Probleme zu meistern, kennzeichnet viele frühere Weltausstellungen. In Kretschmers Buch stößt man diesbezüglich aber auf eine heute weitverbreitete Reaktion. Einerseits lässt sich der Autor von dem Geist der alten Weltausstellungen immer wieder mitreißen; andererseits folgt darauf ein mitleidiges Kopfschütteln und ein immer wieder herauszulesender Aufseufzer: “Ach, wie naiv!” Diese Reaktion findet man heute ganz ähnlich dann, wenn es nicht etwa um die Vergangenheit, sondern um ehrgeizige Entwicklungspläne in Afrika, Asien oder Lateinamerika geht. – Ein Staudamm zur Elektrizitätserzeugung in Afrika? Massenmotorisierung in Asien? Eigenheime für alle in Lateinamerika? – “Ach wie naiv!” Diese Reaktion hat wenig mit Fakten und Möglichkeiten zu tun. Sie drückt zwei widersprüchliche Positionen aus: Einerseits sind im Westen gerade die meinungsbildenden Eliten materiell gut ausgestattet, haben aber andererseits keinen Plan mehr davon, wie sich die Welt insgesamt weiter entwickeln li
ließe.Aber zurück zu den Weltausstellungen. Jeder Bruch braucht seine Begründung. Da auch heute, trotz aller kopfschüttelnden “Ach wie naiv!” kaum jemand Elektrizität, moderne Architektur, sanitäre Anlagen und Massenkommunikation abschaffen möchte, braucht es für die ständige Relativierung dieser Errungenschaften einen besonderen Grund.
Auch hier liefert Kretschmer prompt die landläufige Erklärung. Zwar versucht er, schon einen Bruch zwischen den Weltausstellungen des 19. und des frühen 20. Jahrhunderts zu behaupten – eine Ermüdung, wie er es nennt, des “Fortschrittglaubens”. Dies stimmt im Hinblick auf Europa ein wenig, wird von den amerikanischen Ausstellungen, vor allem denen 1933 in Chicago und 1939 in New York aber ad absurdum geführt.
Bei Kretschmer heißt es über die erste große europäische Weltausstellung nach dem Zweiten Weltkrieg, 1958 in Brüssel:“Schwerer als die fast 20-jährige Unterbrechung durch den Zweiten Weltkrieg und die Unsicherheiten, die der Kalte Krieg mit sich brachte, wog für die Weltausstellungsidee allerdings der tiefgreifende Wandel in der Bewertung und Wahrnehmung des technischen Fortschritts. Mit dem Zweiten Weltkrieg war die naive Ära, in der technischer Fortschritt an und für sich als gut und nützlich galt, unwiederbringlich zu Ende gegangen. Im Faschismus und Krieg hatte der technische Fortschritt das andere Gesicht seines Januskopfes offenbart: Die Fratze der Massenvernichtung.”
Das ist heute Common Sense. Es lassen sich auch einige Zitate finden, die Ähnliches schon 1958 besagten. Es ist allerdings ganz und gar nicht so, dass dies 1958 Common Sense gewesen wäre. Vielmehr wird dem Holocaust (auch ein in seiner heutigen Bedeutung recht neues Wort) erst neuerdings dieses Moment zugeschrieben. In den 50er (und auch den 60er und mehrheitlich in den 70er Jahren) wurde technischer Fortschritt durchaus nicht so gesehen. Wahrzeichen der Brüsseler Ausstellung 1958 war das Atomium. Es stand für die Hoffnung, durch die friedliche Nutzung der Atomenergie – gerade nach dem Zweiten Weltkrieg und gerade auch nach Hiroshima und Nagasaki – ein Zeitalter einleiten zu können, in dem eine neue Energie, die Atomenergie, dauerhaften Wohlstand, konkret: Wärme, Licht und Arbeit, für alle bringen könne.
Etwas hat sich seither ganz entschieden verändert. Dies aber weder durch den Ersten Weltkrieg, noch durch den Zweiten Weltkrieg, noch durch den Holocaust oder die Atombombe. Die Verschiebung fand in der viel näheren Vergangenheit statt.


3.


Die EXPO 2000 hat zwei Logos. Das erste hat keinen Namen – und es sieht auch so aus. Oder wie die Macher der EXPO es ausdrücken:
“Das Logo der EXPO 2000 ist kein statisches Logo im klassischen Sinne. Es ist ein prozesshafter Impuls [mit dem Anspruch] flexibel auf zukünftige Entwicklungen zu reagieren, ohne dabei an Identität zu verlieren. (...) Das Logo weist weit über den Horizont linearen Denkens und Handelns hinaus.”
Und – möchte man hinzufügen – sorgt auch dafür, dass auf den EXPO-ICEs sich Fliegendreck, Sonnenschein, Regenschmutz und Trassenstaub harmonisch in das EXPO-Logo einpassen. Irgendwas, das zu allem passt, ist nichts.Darum gibt es auch ein zweites Logo. Es heißt Twipsy – und es sieht auch so aus. Oder wie die Macher der EXPO es ausdrücken:“Es ist ein bisschen verrückt und sehr verspielt, ein wenig frech und sehr schlau, manchmal kritisch, manchmal sehr lustig, alles in allem ein liebenswerter und offener Charakter mit Ecken und Kanten. (...) An seinem rechten Fuß trägt Twipsy einen Herrenschuh, an seinem linken einen Damenschuh.”
Twipsy könnte also genauso gut Twingo oder Scharping heißen oder von McDonalds oder Greenpeace sein oder… Aber ist das jetzt nicht ein wenig oberflächlich? Einerseits schon; andererseits nein. Nein! Ganz und gar nicht.Das Wahrzeichen der Weltausstellung von 1851 war der Kristallpalast; 1889 war es der Eiffelturm, 1958 das Atomium. Bei der EXPO 2000 ist es nebst den Logos ein Pavillon in Form eines gläsernen Wals. Crystal Palace, Eiffelturm und Atomium standen für das Beste ihrer Zeit. Sie waren Symbole, die eine Hoffnung, ein Zutrauen, ein Selbstvertrauen verkörperten – auf eine bessere, von Menschen gestaltete, menschlich gestaltete Zukunft.Heute haben wir dafür einen walförmigen Pavillon. Der Wal sagt uns, dass ein Säugetier, mit dem die Evolution nicht Besseres zu tun hatte als es beinzuamputieren, mit viel Fett einzuwickeln und in die kalten Meere zu schicken, irgendwie besser sei als alles, was der Mensch so auf die Reihe kriegt.
Dann aber gute Nacht. Oder besser doch nicht. Einerseits gibt es den Wal, anderseits Twipsy. Mehr als die beiden Knallchargen kriegen wir aber locker auf die Reihe. Mit links. Jederzeit.

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