01.05.2002

“Wollen wir erfolgreich sein, müssen wir nach vorne investieren”

Kommentar von Stefan Chatrath

Sind 20 Millionen Euro auf dem Festgeldkonto besser angelegt als zum Beispiel in Borussia Dortmunds Amoroso Glamoroso? Ein Kommentar zur Kirch-Pleite.

Es ist eigentlich absurd: Da haben wir endlich einmal eine Branche, die boomt, die wächst, die so etwas wie Dynamik ausstrahlt, und dann ist das auch niemandem recht. Fast scheint es, als hätten manche der Kommentatoren den Einbruch der Kicker-Branche förmlich herbeigesehnt. Dass dem Einen oder Anderen angesichts der rasanten Expansion des Fußball-Marktes schwindlig wurde, verwundert natürlich nicht: Wachstumsraten von über zehn Prozent muten heutzutage schon seltsam an und gelten als verdächtig. Ein Markt, der geradezu explodiert – das kann doch nicht gut gehen, oder?

Glaubt man dem Heer von Experten, das sich zur Kirch-Pleite äußerte, dann war es höchste Zeit, dass der Fußball-Boom an seine Grenzen stößt: Im Rausch der versprochenen TV-Honorare hätte ein Großteil der Bundesligavereine unvernünftig gewirtschaftet. Anstatt Rücklagen und Reserven für schlechtere Zeiten zu bilden, habe man das Geld nur so verbrannt – für irrational überhöhte Spielergehälter und Transfers. Dem Millionen-Wahnsinn müsse nun ein Ende bereitet werden, forderte die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Darin waren sich denn auch alle einig: Politiker, Medien, Bundesliga-Manager und selbst Spieler ließen im einstimmigen Chor wissen: „So kann es nicht weitergehen“.

Konnte es tatsächlich nicht so weitergehen? Hätten die Vereine konservativer wirtschaften sollen? Sind also 20 Mio. Euro auf dem Festgeldkonto besser angelegt als zum Beispiel in Borussia Dortmunds Amoroso Glamoroso? Fragen über Fragen. Eines ist jedoch klar: Die Ball-Branche funktioniert nur bedingt wie ein konventioneller Markt. Das Produkt und der Erfolg sind allenfalls begrenzt planbar. Sie werden von vielen Unwägbarkeiten beeinflusst – beginnend beim Wetter über die Gesundheit der Spieler bis hin zum Losglück. Dazu kommt noch, dass im Fußball jeweils nur einer gewinnen kann. Der ganz große Gewinn winkt daher nur sehr wenigen Vereinen. Wer sportlichen und damit auch wirtschaftlichen Erfolg haben will, muss demzufolge investieren – und das nicht zu knapp. Wer dagegen behauptet, die Bundesligaklubs seien in ihrer Ausgabenpolitik zu weit gegangen, verkennt die Realität: In vielen Fällen muss die Vereinsführung hohe finanzielle Risiken eingehen. Alles andere wäre grob fahrlässig. Was nützt eine konservative Finanzpolitik, wenn der Verein am Ende der Saison zwar gesund ist, aber sportlich absteigt?

Natürlich muss langfristig ein finanzielles Gleichgewicht hergestellt werden. Voraussetzung dafür ist jedoch sportlicher Erfolg, der wiederum ohne eine hohe Risikobereitschaft nicht zu haben ist: Die Bundesligavereine investierten in den Neunzigern einen außerordentlich hohen Teil ihrer Einnahmen in ihr Personal. Nur aufgrund dieser Politik war die Verpflichtung von absoluten Spitzenspielern möglich. Dank Lizarazu, Zé Roberto, Elber und vielen anderen erhöhte sich zwangsläufig das Niveau des deutschen Vereinsfußballs. Die Distanz zur absoluten europäischen Spitze konnte zunächst reduziert und später eliminiert werden: Seit 1996/97 waren deutsche Mannschaften Jahr für Jahr unter den besten Vier in der Champions League vertreten. Ein Ergebnis, das zuletzt vor 20 Jahren erreicht wurde und das bestimmt nicht realisiert worden wäre, hätten die Vereinsführungen aus Angst vor schlechteren Zeiten zurückhaltend gewirtschaftet und ihre TV-Gelder größtenteils auf dem Bankkonto belassen.

Wer viel investiert und ein hohes Risiko eingeht, der kann natürlich auch tief fallen. Jetzt, wo das Geld erst einmal nicht mehr so fließen wird, wo ein Konsolidierungsprozess einsetzt, da wird so mancher Verein wohl von der großen Fußballbühne verschwinden. Es wird Pleiten geben, doch der deutsche Fußball wird auch dies überleben, da muss einem nicht bange sein. Die Spielergehälter und Transfersummen werden wieder sinken. Einige kleinere, existenziell bedrohte Vereine können eventuell mit Hilfe ligainterner Solidarzahlungen gerettet werden. Langfristig wird nun sogar über die Gründung eines Bundesliga-Fernsehkanals nachgedacht. An Konzepten für die Post-Kirch-Ära mangelt es also nicht. Der Großteil der Bundesligavereine wird daher die Kirch-Pleite verkraften. Eigentlich erstaunlich, wenn man sich noch einmal vor Augen hält, welch finanziell riskante Strategien in den letzten Jahren gefahren wurden.

Vor dem aktuellen Hintergrund mehren sich nun die Anzeichen, dass die Vereinsführungen in Zukunft vorsichtiger agieren wollen. Das ist einerseits sicherlich verständlich. Andererseits haben gerade die letzten Jahre gezeigt, dass guter Fußball nur dann möglich ist, wenn man bereit ist, auch Risiken einzugehen. Um es mit den Worten des Managers von Hertha BSC Berlin, Dieter Hoeneß, zu sagen: „Wollen wir erfolgreich sein, müssen wir nach vorne investieren.“ Recht hat er damit! Wer daher fordert, die Fußball-Branche solle sich in Zukunft mit ihren Investitionen in Spieler und Transfers zurückhalten, schadet dem Fußball und outet sich als Ahnungsloser. Man stelle sich vor, Borussia Dortmund hätte seine Millionen nicht in Amoroso, Koller und Rosicky gesteckt, sondern in Deutsche, Dresdner und Berliner Bank...

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