13.05.2010

Wirtschaftskrise = Politikkrise

Von Alexander Horn

Mit dem Griechenland-Debakel ist die europäische Politik wieder hart in der Realität aufgeschlagen – Strategien hat sie dennoch nicht.

Die vor knapp zwei Jahren ausgebrochenen Finanz- und Wirtschaftkrise hat der Politik einen gehörigen Glaubwürdigkeits- und Autoritätsgewinn gebracht. Die durch Gier beflügelte Risikobereitschaft – so zumindest die weit verbreitete Interpretation der Krisenursachen (siehe hierzu meine Artikel „Kreditdoping für die blutarme Realwirtschaft“ aus Novo99, 3-4 2009 sowie „Alles bloße Gier?“ aus Novo97, 11-12 2008) – hatte die Finanzwirtschaft an den Rand des Zusammenbruchs gebracht. Staaten sprangen ein und konnten mit der Finanzkraft der Steuerzahler diesen Zusammenbruch verhindern. Im Zuge dieser Notoperationen sank das Ansehen der Finanzbranche auf einen vorläufigen Tiefpunkt, und die Politik konnte sich in einem erfolgreichen, wenn auch für den Steuerzahler höchst kostspieligen, Krisenmanagement sonnen.


Durch die Griechenland-Krise ist die Politik nun wieder in der Realität angekommen. Der schöne Schein ist dahin. Es ist zu offensichtlich, dass mit Griechenland nun ein Staat weitgehend selbstverschuldet pleite ist. Diese Tatsache hat die Griechenland-Krise ausgelöst. Die griechische Politik hat es nicht verstanden rechtzeitig die entsprechenden Weichen zu stellen, um das nun ablaufende Szenario zu verhindern. Ebenso ist den europäischen Verbündeten der Vorwurf zu machen, die Probleme nicht rechtzeitig erkannt oder ignoriert zu haben. Offenbar wurden gemeinsame Lösungen nicht rechtzeitig gesucht, um sicherzustellen, dass die aufgestellten Regularien der Währungsunion nicht – wie jetzt geschehen – einfach ausgehebelt werden und im Nachgang die demokratische Legitimation eingeholt wird.


Griechenland ist in gewisser Hinsicht aber nur die Spitze des Eisbergs. Das griechische Verschuldungsproblem haben alle entwickelten Volkswirtschaften – nur eben nicht ganz so extrem und sicherlich auch stark befördert durch die Finanz- und Wirtschaftskrise der letzten Jahre. Dieses Verschuldungsproblem ist von der Politik zu verantworten.


Jedem vernünftigen Investor stellt sich die Frage, ob diese Schulden jemals zurückgezahlt werden können. Daher ist es völlig normal, dass sich Gläubiger und Investoren wie im Fall Griechenlands diese Frage stellen. Eine griechische Staatspleite würde bei einer Quote von 50 Prozent einen Verlust von bis zu 150 Mrd. EUR für diese Investoren bringen. Ein Austritt Griechenlands aus dem Euro würde die Verluste der Gläubiger möglicherweise noch viel höher ausfallen lassen. Die nun anlaufende Pensionierung von griechischen Ramsch-Anleihen bei der EZB birgt ein schwer kalkulierbares Inflationsrisiko und damit ein Abwertungsrisiko für den Euro und führt bereits heute zu seiner Abwertung. Die Angst vor all diesen Risiken zwingt die Gläubiger zu entsprechenden Maßnahmen zur Risikovermeidung und Risikoabsicherung. Sie versuchen daher Griechenland-Staatsanleihen oder Euro-Anlagen rechtzeitig zu verkaufen, bevor der befürchtete Kursverfall eintritt. Vor allem die Opposition im deutschen Bundestag, aber auch Teile der Bundesregierung erwecken den Anschein, als glauben sie, Investoren würden im Falle Griechenlands aus altruistischen Motiven handeln. Die Schuld für das 750 Mrd. Euro teure Griechenland-Debakel soll offenbar dem Finanzsystem, allen voran den „Spekulanten“ und den Rating-Agenturen in die Schuhe geschoben werden. Die Politik hingegen versucht, ihre Hände in Unschuld zu waschen.


Der Verweis auf die „Zocker an den Börsen“ (Sigmar Gabriel) und die nun insbesondere von der SPD forcierte Diskussion um eine Finanztransaktionssteuer ist nicht viel mehr als eine Nebelbombe. Sie verschleiert das offensichtliche Fehlen einer richtungsweisenden Perspektive und Strategie im Umgang mit und Prävention von Finanzkrisen, denn nun erleben wir innerhalb von zwei Jahren die zweite Finanzkrise, die das Finanzsystem und die Weltwirtschaft an den Rand des Abgrund gebracht hat und zu deren Vermeidung nun erneut hunderte Milliarden Steuergelder eingesetzt werden.


Solange es so weitergeht, dass Investoren, egal welcher Art, herausgehauen werden, falls sie an den übernommenen Risiken Bankrott zu gehen drohen, wird sich an dem bedauernswerten Umstand, dass diese Investoren regelmäßig mit einem blauen Auge davonkommen und der Steuerzahler blutet, nichts ändern. Aus der ersten Finanzkrise von vor zwei Jahren sind in dieser Hinsicht keine Konsequenzen gezogen worden. Im Falle Griechenlands hat sich die europäische Politik nun offenbar völlig unvorbereitet und naiv in der Situation befunden, Kreditgarantien zu geben, um eine unkontrollierbare Entwicklung zu vermeiden. Schon am 5. Mai, also noch vor der Bekanntgabe der 750 Mrd. Euro-Bürgschaft, hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrer Regierungserklärung zur Gewährung der Griechenland-Kredite eingeräumt, die sofortigen Hilfen seien das „letzte Mittel zur Gewährleistung der Finanzstabilität im Euro-Gebiet“. Sie müssten erfolgen, „damit es nicht zu einer Kettenreaktion im europäischen und internationalen Finanzsystem … kommt“. Zu spät also, um die Investoren, die an der Verzinsung ihrer Investments in der Vergangenheit mehr oder weniger gut verdient haben, nun in eine Umschuldung einzubinden.


Während es noch nicht gelungen ist, eine Strategie für den Umgang und die Vermeidung dieser Finanzkrisen zu entwickeln, tut man sich mit der Perspektive, wie die ausufernde Staatsverschuldung der entwickelten Volkswirtschaften in den Griff zu kriegen sind, offenbar auch sehr schwer. Es ist sicherlich nicht ausreichend auf die erforderlichen Sparanstrengungen hinzuweisen, denn im Falle Griechenlands wird möglicherweise selbst eisernes Sparen den vorläufig verschobenen Bankrott nicht vermeiden. Was fehlt ist eine Wachstumsstrategie, denn nur so kann es überhaupt gelingen, die enorme Schuldenlast ohne massive Rückschläge für den Lebensstandard zu bewältigen. Verfolgt man aber die gegenwärtig in Europa geführte Diskussion zu diesem Thema, so erscheint diese Option als abwegiger denn je.

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