12.04.2021
„Wir befinden uns in einer großen Krise der Demokratie“
Interview mit Karl-Hermann Günther
Ein norddeutscher Kulturgastronom wird wegen seiner Proteste gegen die Corona-Politik von der Cancel Culture bedroht, Konzertagenturen wollen ihn boykottieren. Er setzt unbeirrt auf Dialog.
In Hamburg tobt eine Auseinandersetzung, wieviel Protest gegen die Coronapolitik als noch akzeptabel gilt. Die Klubs Große Freiheit 36 und Docks haben u.a. durch Aushänge, die die Maßnahmen und die gängigen Annahmen kritisieren, für Entrüstung gesorgt. Einige Konzertveranstalter drohten an, die Örtlichkeiten künftig boykottieren zu wollen, aus Mainstreammedien weht Gegenwind, der SPD-Kultursenator unterstellt den Clubs, dass sie „Verschwörungsmythen“ propagieren. Das Clubkombinat als örtlicher Dachverband hat schon im Sommer die Docks-Geschäftsführerin als seine Vorsitzende für abgesetzt erklärt. „Sind jetzt plötzlich alle Regierungskritiker rechts?“, fragte dazu das Magazin Oxmox und stellte die Vermutung in den Raum, man bange möglicherweise um „finanzielle Mittel durch die Kulturbehörde“, wenn man sich von unbequemen Kollegen nicht genügend distanziere.
Die Große Freiheit 36 auf St. Pauli knüpft seit 35 Jahren an die großen Traditionen der Musikclubs aus der Beatles-Ära an. Künstler wie R.E.M., Prince, Bon Jovi, Iggy Pop, Herbert Grönemeyer und Nena sind dort, in der Nähe der Reeperbahn, schon aufgetreten. Preisgekrönt wie die Location selbst ist auch der Gründer, der mit dem Ehrenpreis des Club Awards ausgezeichnet wurde: Karl-Hermann Günther (71), „einer der umtriebigsten Kluberfinder Norddeutschlands“, der in Schleswig-Holstein und Hamburg seit vielen Jahrzehnten erfolgreich Gastronomie, Events und vielfältige weitere Angebote verbindet. Neben der Großen Freiheit 36, dem Docks (und den jeweils angeschlossenen Gaststätten), verbindet sich mit seinem Namen insbesondere das „multikulturelle Veranstaltungszentrum“ TraumGmbH in Kiel.
Auch dort hat man Akzente in Sachen Corona-Protest gesetzt, nicht ohne eine Kontroverse zu erzeugen. Denn Karl-Hermann Günther ist nicht nur kulturgastronomischer Pionier und Geschäftsmann, sondern tritt seit Jahr und Tag immer wieder als politischer Aktivist hervor. Von der Zeit der Studentenbewegung 68er geprägt, war er lange bei den Grünen tätig, hat sich z.B. für Drogenlegalisierung und an vielen Stellen gegen Raucherdiskriminierung eingesetzt, womit er sich nicht nur Freunde gemacht hat.
Novo: Herr Günther, wie haben Sie als Kulturgastronom und als engagierter Bürger die bisherige Coronakrise bzw. -politik erlebt?
Karl-Hermann Günther: Ich erlebe das alles als große Krise, die sogar demokratiegefährdend ist. Symbol hierfür sind auch die Leitmedien, die über die vergangenen Jahrzehnte immer mehr von ihrer eigentlichen Aufgabe, die vierte Gewalt im Staate und damit ein Kontrollorgan der Regierenden zu sein, abgekommen sind. Guter kritischer Journalismus, der ohne diffamierende Begriffe auskommt, ist selten geworden.
Abb. 1: Karl-Hermann Günther vor der Großen Freiheit 36, Hamburg 2009.
Die Maßnahmen selbst sind vollkommen überzogen. Nicht nur leiden unzählige Menschen sehr stark unter den Maßnahmen, darunter Familien mit ihren Kindern und auch alte Menschen, Künstler, Event- und Gastrobetriebe, Einzelhändler u.v.m. Freundschaften zerbrechen, Familien driften auseinander, Denunzianten gehen um. Die Polizei muss in unglaublichen Situationen Menschen verfolgen, kontrollieren, festnehmen. Die Selbstmordrate steigt, psychische Probleme, wo man auch hinschaut. Zugleich verstärkt sich die Umverteilung von unten nach oben, national wie international. Und auch der Hunger auf der Welt nimmt drastisch zu.
Dabei gab es in Deutschland nachgewiesenermaßen gar keine signifikante Übersterblichkeit, wenn man die wachsende Zahl alter Menschen und mögliche nicht-virale Todesursachen mit einbezieht – ein Umstand, der auch nicht auf die Regierungsmaßnahmen zurückgeführt werden kann, wie zum Beispiel auch Welt-Herausgeber Aust in einer umfassenden Analyse schlussfolgerte.
Und gerade als jemand, dem es seit jeher mit seinen Clubs auch darum ging, Menschen zusammenzubringen und Glück in sie hinein zu zaubern, ist es sehr schmerzlich mitansehen zu müssen, dass alles, was mit Liebe geben und Liebe nehmen zu tun hat, durch die Lockdown-Politik verboten ist: Anfassen, Geselligkeit, Singen, Tanzen, Reisen; selbst beten in der Kirchengemeinschaft ist verboten. Als Christ würde ich sagen, dass irgendwie der Teufel unter die Menschen gekommen ist und ich hege die Hoffnung, die Kirche möge es merken und ihm die Maske herunterreißen, um unser aller Seelen zu retten …
„Unter unseren Mitarbeitern macht sich Depression und Hoffnungslosigkeit breit. Es ist wirklich entsetzlich.“
Und wie sind Sie geschäftlich betroffen?
Was die wirtschaftliche Situation meiner Clubs angeht, so waren wir zu Beginn der Krise finanziell gut aufgestellt. Inzwischen sind unsere Rücklagen jedoch zusammengeschmolzen, sodass wir alle möglichen finanziellen Hilfeleistungen von Bund und Stadt beantragt haben und zum Teil bekommen. Einige Zahlungen stehen noch aus. Abgelehnt wurde bis dato noch kein Hilfegesuch. Eine Dauerlösung sind diese Hilfen ohnehin nicht. Unsere Situation ist wirtschaftlich auf jeden Fall angespannt, aber wir werden noch weiter durchhalten. Unter unseren Mitarbeitern macht sich allerdings Depression und Hoffnungslosigkeit breit. Es ist wirklich entsetzlich. Was mir Mut macht, sind die vielen Menschen um mich herum, die wie ich weiter für eine gerechte Welt kämpfen, in der Meinungsfreiheit herrscht und in der für eine Diffamierungskultur kein Platz ist.
Was hat Sie bewogen, kritischen Sichtweisen auf das vorherrschende Corona-Narrativ ein Podium zu geben, sei es durch Aushänge oder durch Veranstaltungen in Ihren Räumlichkeiten?
Ich bin der Gründer von Großer Freiheit 36, Docks und Traum GmbH Kiel. Ich bin geprägt durch die 68er-Bewegung, habe am Zaun von Brokdorf demonstriert, habe die parlamentarische Installation der grünen Bewegung aktiv begleitet, war im ersten Landesvorstand der Grünen Liste Schleswig-Holstein und habe den ersten Wahlkampf organisiert. Mit derselben Liebe und demselben Engagement habe ich meine drei Clubs aufgebaut und bin von ganzem Herzen Gastronom, Partymacher, Musik- und Kulturveranstalter – immer getragen von der Idee, Menschen zusammenzubringen und glückliche Momente zu zaubern.
Ich bin allerdings inzwischen über 70 und habe durch eine schwere Krankheit meine Sprachfähigkeit weitgehend verloren. Ich hatte aber Zeit, im vergangenen Jahr so viel zu lesen, wie ich in meinem gesamten Studium nicht gelesen habe. So kam es, dass ich sehr viel zu sagen hatte, aber dies eben nicht mehr konnte – und deswegen kam mir die Idee mit der Wandzeitung.
„Mehr denn ja brauchen wir sachlich und faktisch vorgetragene Kritik.“
Entspricht dies auch der Haltung Ihrer Angestellten?
Nein, ich habe meine Mitarbeiter nicht um Erlaubnis gefragt. Die Mannschaft in den Clubs ist so gespalten wie die Gesellschaft. Meine Mitarbeiter waren ja auch plötzlich schlecht zu erreichen und in Kurzarbeit… Ich habe allerdings mit den Geschäftsführern Einigkeit erzielt, dass es vertretbar ist, die Leuchtturm-Clubs als Medium für die Anregung der öffentlichen Diskussion zu benutzen. Ich wollte nicht sprachlos sein, wenn ich doch ganz klar sehe, dass unsere Demokratie in Gefahr ist. Alle Clubs mussten mehrere Wellen von Shitstorms über sich ergehen lassen, wodurch unglaubliche Belastungen entstanden sind für die Chefs der Clubs und für viele Mitarbeiter. Das bedaure ich zum Teil sehr. Aber unterm Strich haben die von mir ausgedachte Präsentation und Provokation dazu geführt, dass mir immer klarer wurde, dass wir uns in einer großen Krise der Demokratie befinden und dass wir sachlich und faktisch vorgetragene Kritik mehr brauchen denn je. Corona ist hierfür nur der Sichtbarmacher.
Der Vorstand des Clubkombinats schreibt in einem Offenen Brief, dass „Pandemie-Leugner:innen, Verschwörungstheoretiker:innen, antisemitische, sowie rechtsnationale Strömungen miteinander verwoben“ seien und stellt Sie damit in eine bestimmte Ecke. Trifft Sie das?
Ich bin entsetzt darüber, dass sich das Clubkombinat und andere dazu herablassen, mit reinen Diffamierungsbegriffen, die haltloser und abstruser nicht sein könnten, eine regelrechte Entrüstungsorgie in der Öffentlichkeit auszulösen. Wir haben mit unserer Wandzeitung einer anderen Meinung Gehör verschaffen wollen. Wir haben Aussagen von Wissenschaftlern und alternativen Medien präsentiert. Alles in sachlicher und faktischer Form.
Ich bin Corona- und Maßnahmen-Skeptiker – und zwar deswegen, weil ich die Materie tief durchdrungen und mir die Faktenlage genauestens angeschaut habe. Es lohnt auch, sich noch mal zu vergegenwärtigen, was die verwendeten diffamierenden Begriffe an Bedeutungen in sich tragen, um zu realisieren, wie deplatziert sie sind. „Corona-Leugner“ und „Pandemie-Leugner“ sind allein schon deshalb untragbar, weil mit ihnen der Begriff „Holocaust-Leugner“ mitschwingt. Zudem suggerieren sie, dass es auf der einen Seite eine absolute Wahrheit gibt und auf der anderen Seite diejenigen, die, weil sie offenkundig „ein fettes Brett“ vor dem Kopf haben, diese unumstößliche Wahrheit partout nicht akzeptieren wollen und damit „leugnen“.
„Absolute Wahrheiten werden nur in Religionen behauptet, seriöse Wissenschaft genau wie seriöser Journalismus hingegen können nur ein ‚offenes Feld‘ sein.“
Doch dieser Blick auf die Dinge könnte unwissenschaftlicher nicht sein; absolute Wahrheiten werden nur in Religionen behauptet, seriöse Wissenschaft genau wie seriöser Journalismus hingegen können nur ein „offenes Feld“ sein, in dem ein ständiges Ringen um die Fakten stattfindet und in dem folglich natürlich auch niemand etwas „leugnen“ kann; dies muss freilich auch für das Thema Corona gelten! „Verschwörungstheoretiker“ ist ein reiner Kampfbegriff, mit dem lediglich eine Herabsetzung des Kritikers erreicht werden soll, nicht aber ein sachlicher Diskurs. Die CIA hat diesen Begriff Ende der 1960er Jahre salonfähig gemacht mit dem Ziel, politisch unliebsame Gegner mundtot zu machen.
Ich rede im Übrigen auch keiner „Verschwörung“ das Wort. Nicht von ungefähr berichtete sogar die F.A.Z., dass nach Einschätzung des Bundesverfassungsschutzes Rechtsextreme keinen prägenden Einfluss auf die erste Demonstration gegen die Lockdown-Politik in Berlin gehabt hätten. Ich selbst kann das nur bestätigen, war ich doch persönlich bei den Protesten anwesend. Tatsächlich bestand die große Menge aus Bürgern aller Altersgruppen, die eindeutig demokratisch, ja geradezu liebevoll auftraten. Und wie ungerechtfertigt es ist, diejenigen, die die Lockdown-Politik kritisieren, in die rechte Ecke zu rücken, zeigt auch das Beispiel der Holocaust-Überlebenden Vera Sharav, Gründerin und Präsidentin der „Alliance for Human Research Protection“, die in dem, was die Politik in Sachen Corona umsetzt, ein „riesiges Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ sieht.
Nun überschlagen sich seit einem Jahr nicht nur Freiheitsbeschränkungen im Namen des „Infektionsschutzes“, auch die sogenannte Cancel Culture hat sich zuletzt erheblich verschärft. Der angekündigte Veranstalterboykott gegen die Große Freiheit 36 und das Docks – mit potentiell erheblichen wirtschaftlichen Folgen – gehört dazu. Im Gegensatz zu vielen von der Cancel Culture Betroffenen gehen Sie aber nicht in Sack und Asche und haben sich nicht ängstlich entschuldigt oder distanziert, sondern sprechen sich in einer Erklärung für Meinungsvielfalt aus. Was erhoffen Sie sich?
Zunächst kommt mir die Drohung der Konzertagenturen fast wie ein schlechter Witz vor. Denn in einer Zeit, in der es den Anschein hat, dass wir noch mindestens bis Jahresende keine Konzerte werden veranstalten können, geht diese Drohung doch ins Leere. Im Übrigen wäre Solidarität angesagt in der Branche und nicht hektisches aufeinander Eindreschen! Ich setze darauf, dass auch die Konzertveranstalter im Laufe des Jahres begreifen, dass sie lieber in eine sachliche Diskussion einsteigen sollten, als uns vorschnell und ausschließlich mit Empörung zu verdammen.
„Die Clubs werden nicht untergehen.“
Was den Diskurs über die Corona-Politik angeht, so geht es ja am Ende nur um Fakten – und genau die sind nach meinen intensiven Recherchen auf der Seite der Kritiker der Lockdown-Politik. Wer dies anders sieht, soll nichts anderes tun – das kann nicht oft genug betont werden –, als in den direkten und sachlichen Diskurs einzusteigen. Wir haben das Clubkombinat, FKP Scorpio und den Hamburger Kultursenator auch noch mal direkt kontaktiert und ihnen einen persönlichen und rein sachlichen Dialog vorgeschlagen.
Im Übrigen habe ich, als ich 1985 die Große Freiheit 36 eröffnet habe, keine Konzertagenturen gebraucht. Wir hatten einen Booker und der hat Auserlesenes aus Musik und Kultur auf unsere Bühne geholt. Nicht nur unsere Musikgruppen, sondern auch unsere Partys der vergangenen Jahre sind zum Teil legendär. Diese Kreativität und Energie wird sich auch dann, wenn wir wieder dürfen, entfalten. Die Clubs werden nicht untergehen.
Im Porträt der Großen Freiheit 36 auf der Website des Clubkombinats heißt es: „Club in einem Satz: Freiheit für alle!“ Was müssen wir jetzt tun, um diese zu erreichen, beim Feiern und überhaupt in unserer Gesellschaft?
Ich bin überzeugt, dass viele Menschen, wenn wir die aktuelle gesellschaftliche Spaltung überwinden wollen, wieder werden lernen müssen, anstatt mit Diffamierungsbegriffen Diskussionen abzuwürgen, sich Zeit zu nehmen und sich umfassender zu informieren. Ansonsten ist unsere Demokratie wirklich in Gefahr. Wie sagte doch Jürgen Windeler, Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), in der Zeit: „Nicht jede Frage und jeder Zweifel sind Verharmlosung oder Verschwörungswahn. Dieses ‚Verharmlosen‘-Etikett erlaubt es jedem, das Zuhören einzustellen. Dabei würde sich die Auseinandersetzung mit den Argumenten [der Kritiker der Corona-Politik] lohnen.“ Und im Freitag, einer anderen Wochenzeitung, hieß es kürzlich: „Die Diskussionen in dieser Pandemie sind vergiftet. Tauschen wir uns endlich ruhig und angstfrei aus.“
Das Interview führte Christoph Lövenich.