11.01.2016

Wie weiter nach Köln?

Kommentar von Robert Benkens

Deutschland streitet über die Deutung der Kölner Silvesternacht. Robert Benkens und Sabine Beppler-Spahl sehen keinen Grund, jetzt die Offenheit gegenüber Einwanderern in Frage zu stellen. Die Gesellschaft muss dabei aber offen über Herausforderungen und Probleme reden dürfen

Es wird Sache der Staatsanwaltschaft und der Polizei sein, aufzuarbeiten, was in Köln in der Silvesternacht passiert ist. Den aufgeregten Sturm der Entrüstung, der angestimmt wird, sobald Probleme auftreten, lehnen wir ab. So auch den reflexhaften Ruf nach schärferen Gesetzen, der diesem Vorfall, wie so oft, folgt. Wir wollen nicht in einer Gesellschaft leben, die so schnell die Nerven verliert. Wir sehen auch keinen Grund, das Prinzip der Offenheit für Einwanderung in Frage zu stellen. Wie wir zur Einwanderung stehen, ist für uns eine prinzipielle Angelegenheit und keine, die sich durch kriminelle Vorfälle ändert. Anders als manche, die das „Sommermärchen“ des letzten Jahres euphorisch beschworen haben, wollen wir uns auch nicht einer Einwanderungs- oder Sozialromantik hingeben. Niemand, der es ernst meint, kann bestreiten, dass die Immigration Herausforderungen mit sich bringt.

Eine Lehre, die wir aus den Debatten der letzten Tage ziehen ist, dass wir über diese Herausforderungen offener reden müssen. Nichts rechtfertigt es, wenn, wie in Köln angeblich geschehen, die Herkunft von Tätern verschwiegen wird, aus Angst, damit Stimmung zu schüren. Eine solche Handhabung ist nicht nur unehrlich, sondern auch eine Beleidigung der Bürger, die dadurch indirekt als unberechenbare Ausländerfeinde abgestempelt werden.

Wir wollen ein realistisches Bild dessen, was bei uns passiert. Dazu gehört, endlich damit aufzuhören, erwachsene Menschen wie Kinder zu behandeln. Die Deutschen müssen nicht durch selektive Nachrichten vor einer vermeintlich falschen Meinung geschützt und die Zugezogenen nicht wie arme Opfer behandelt werden, für die die Regeln und Anforderungen des Zusammenlebens nicht zu gelten haben. Es ist nichts dagegen einzuwenden, vor rechtfreien Räumen in Stadtteilen oder überholten Frauen- und Gesellschaftsbildern zu warnen. Selbstverständlich müssen wir unsere Meinung vertreten und Urteile bilden, wenn es darum geht, wie wir leben wollen! Wir sind überzeugt, dass die Werte der Aufklärung und der Freiheit universell sind. Wer tut, als gebe es bei uns nichts zu verteidigen, lässt auch diejenigen im Stich, die aus eigener Erfahrung und zum Teil unter Lebensgefahr seit Jahren für genau diese Werte eintreten.

Das Verschweigen von Problemen (wie z.B. die Existenz krimineller Banden oder Vorurteile gegen Frauen) ist Wasser auf die Mühlen der Hetzer und Populisten, die sich als Verteidiger von Aufklärung und Freiheit aufschwingen können, obwohl sie Deutschland ebenfalls zurück in die Vormoderne katapultieren wollen – nur unter anderen Vorzeichen. Der nun zwischen den sich gegenüberstehenden Lagern ausbrechende Streit, ob und in welcher Kultur momentan ein „Mehr“ von Sexismus und Patriarchat auszumachen ist,  trägt in dieser aufgeheizten Situation zu vereinfachtem Schwarz-Weiß-Denken bei, und keinesfalls zur Problemlösung.

Konstruktiver wäre es, überall gleichermaßen konsequent für die Werte der Aufklärung und Toleranz sowie gegen Menschenhass und Stammesdenken einzutreten – egal, ob es sich dabei um Freital oder Neukölln handelt. Niemand wird bestreiten können, dass westliche Gesellschaften freier, aufgeklärter und offener sind als alle anderen. Doch der schnelle Ruf nach härteren Gesetzen, mehr Videoüberwachung oder die Behauptung, wir seien von Missetätern (ob ausländisch oder nicht) umgeben, zeigt, dass es auch hier immer wieder rückwärtsgewandte Tendenzen gibt. Wenn also nicht Demokraten und Liberale mit und ohne sogenannten Migrationshintergrund vereint, endlich für Freiheit und Fortschritt kämpfen, werden sich die Probleme weiter anstauen.

Noch haben wir die Chance, die Gräben unserer Gesellschaft zu überwinden, es hilft aber nichts, wenn man sie entweder leugnet oder vertieft. Wer jedoch die Ereignisse nutzt, um Hetze zu verbreiten oder ganze Bevölkerungsgruppen ausgrenzt, gießt Öl ins Feuer und ändert genauso wenig an bestehenden Problemen wie jene, die Probleme leugnen oder schönreden. Wir sollten Frauen- und Menschenfeindlichkeit, antiliberale und antidemokratische Tendenzen in islamisch geprägten Milieus genauso offen benennen, wie wir das bei islamfeindlichen Populisten machen. Das wäre mutig, ehrlich und aufrichtig.

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