11.11.2016

Werbung am Pranger

Analyse von Kolja Zydatiss

Titelbild

Foto: Sascha Kohlamnn via Flickr / CC BY-SA 2.0

Werbeschaffende rücken verstärkt in den Fokus staatlicher Regulierung. Tabak, „sexistischer Werbung“ und „ungesunden“ Lebensmitteln soll es an den Kragen gehen.

Werbung soll Produkte attraktiv präsentieren und zu ihrem Kauf anregen. Sie gehört zum Wettbewerb verschiedener Anbieter. Dass die Gesellschaft hierfür demokratisch legitimierte Regeln setzt, etwa um Konsumenten vor Irreführung zu schützen, ist gut und richtig. Eine zunehmend verbreitete Form der ‚Werbekritik‘ geht jedoch viel weiter. Längst belässt sie es nicht mehr nur bei den ‚schwarzen Schafen‘. Der Werbung werden heute vielfach quasi mystische Kräfte bei der Bewusstseins- und Verhaltensformung zugeschrieben. Sie steht daher unter politischer Dauerbeobachtung.

Eine Reihe von Gesetzesvorhaben steht im Raum, die Werbung einschränken oder instrumentalisieren wollen, um das Verbraucherverhalten in politisch erwünschte Bahnen zu lenken. Die Bundesregierung will etwa mit einem Verbot von Tabakwerbung auf Plakatwänden und im Kino die wenigen noch bestehenden Möglichkeiten werblicher Kommunikation dieser Branche beseitigen. Der Vorstoß kommt aus dem Ressort von Ernährungsminister Christian Schmidt (CSU) und wurde schon vom Kabinett abgesegnet.

Erstmals wäre damit die Werbung für ein legales Produkt beinahe vollständig untersagt. Die Politik hält die Reklame wohl für gefährlicher als das Produkt selbst. Ein gutes Beispiel für die zeitgenössische ‚Werbemystik‘. Und für politischen Aktionismus. Die verbreitete Ansicht, Schlüsselreize aus der Werbung würden Menschen, die gar nicht rauchen wollen, nach Art Pawlowscher Hunde zum Tabakkonsum animieren, ist nicht wissenschaftlich belegt.

„Der Werbung werden quasi mystische Kräfte bei der Bewusstseins- und Verhaltensformung zugeschrieben.“

Im Spielfilm „Chocolat – Ein kleiner Biss genügt“ (2000) verteidigt eine junge Frau ihre Chocolaterie im Frankreich der 1950er-Jahre gegen einen stockkonservativen Bürgermeister. An dessen „Boykott gegen die Unmoral“ erinnert ein weiteres Betätigungsfeld der Werberegulierer. Die Grünen-Politikerin Renate Künast und der SPD-‚Gesundheitsexperte‘ Karl Lauterbach wollen Lebensmittelwerbung verbieten, die gezielt Kinder anspricht, sofern die beworbene Ernährung nicht den Kriterien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) entspricht. Besondere Sorgen bereitet ihnen Zucker, der für Künast gar „der neue Tabak“ ist. Konkreter Anlass für die Verbotsforderungen ist eine 2015 erschienene Studie der NGO Foodwatch, der zufolge die meisten an Kinder vermarkteten Lebensmittel nach den – übrigens stark umstrittenen – WHO-Kriterien zu süß oder zu fettig sind.

Trotz überzogener NGO-Rhetorik ist die wissenschaftliche Faktenlage keineswegs eindeutig. Bei übergewichtigen und normalgewichtigen Kindern unterscheidet sich die Lebensmittelauswahl kaum. Eine Studie mit über 6800 deutschen Schulanfängern fand bei normal- und übergewichtigen Kindern keine Unterschiede bei der Verzehrhäufigkeit von Schokolade, gesüßten Getränken, Chips, Erdnüssen, Keksen und Kuchen. Eine US-amerikanische Metaanalyse kam gar zu dem Ergebnis, dass die Wahrscheinlichkeit für Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen mit dem höchsten Konsum von Süßigkeiten und Schokolade um 18 Prozent niedriger als bei den „Normalnaschern“ ist. Man bekommt den Eindruck, dass hier die Ernährungsvorlieben einer linksgrünen Bionade-Bourgeoisie als Grundlage politischer Eingriffe dienen. Für eine plurale Demokratie ist das ein denkbar schlechter Ansatz.

„Die Ernährungsvorlieben einer linksgrünen Bionade-Bourgeoisie dienen als Grundlage politischer Eingriffe.“

Einen Hauch von Neopuritanismus trägt auch ein weiterer Verbotsvorstoß. Auf die sexuellen Übergriffe in deutschen Großstädten zur Jahreswende 2015/16 will Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) mit einem Verbot „sexistischer“ Werbung reagieren. Die Idee ist nicht neu. Solche Verbote existieren bereits im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg für bezirkseigene Werbeflächen sowie für den öffentlichen Nahverkehr in London. Wie bei der Lebensmittelreklame steht die Politik hier unter dem Einfluss einer kleinen NGO. Seit Jahren setzt sich die Hamburger Organisation Pinkstinks für ein Verbot sexistischer Werbung ein. Diese feministische NGO ist gut vernetzt. Sie unterhält beste Beziehungen zur Politik, insbesondere zur Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen (ASF), und hat Maas bei seinem Vorhaben beraten. Wieder bekommt man den Eindruck, dass elitäre Kreise der Gesellschaft eines ‚ihrer‘ Themen aufdrücken wollen. Mit demokratischen Debatten und offener Auseinandersetzung hat solcher hinter verschlossenen Türen operierender Verbotslobbyismus jedenfalls wenig zu tun.

Die Koalitionspartner CDU und CSU sowie der Zentralverband der Deutschen Werbewirtschaft (ZAW), zeigten sich von dem Vorschlag weniger begeistert. Neben grundsätzlichen Zweifeln, ob ein solches Gesetz überhaupt individuelles Fehlverhalten verhindern kann, wurde Kritik am unbestimmten Charakter des Verbots geäußert. Ein Staat, der entscheidet, welche Werbung „sexistisch“ sei, schwinge sich zum Sittenwächter auf, hieß es aus den Reihen der Union. Außerdem wiesen Kritiker auf die vorhandene Selbstkontrolle durch den Deutschen Werberat hin. Es ist derzeit unklar, ob die Bundesregierung das Vorhaben weiterverfolgen will.

Ein weiterer Vorstoß zur Werberegulierung kommt von der EU-Ebene. In jeder Medienwerbung für ein konkretes Produkt soll zukünftig auf die Energieeffizienzklasse und den absoluten Energieverbrauch hingewiesen werden. Der ZAW sieht solche Zwangsangaben sehr kritisch. Sie würden zur Verringerung frei gestaltbarer Inhalte führen, wodurch die intendierte Werbebotschaft womöglich überhaupt nicht mehr kommuniziert werden könne. Beachtenswert ist auch hier der undemokratische Charakter des Vorhabens. Statt einer offenen gesellschaftlichen Debatte über die Vor- und Nachteile unterschiedlicher Formen ‚klimafreundlicher‘ Stromerzeugung und -verbrauchs gibt der Staat hier vor, Nachhaltigkeit müsse auf der Verringerung des individuellen Stromverbrauchs beruhen.

„Bei übergewichtigen und normalgewichtigen Kindern unterscheidet sich die Lebensmittelauswahl kaum.“

Soviel zu den geplanten Gesetzesvorhaben. Natürlich unterliegen etliche Branchen bereits strikten Werberegeln. Hervorzuheben ist das Glücksspiel, wo die Gesetzeslage besonders intransparent und restriktiv ist. Für Glücksspielwerbung im Internet und TV muss eine Erlaubnis eingeholt werden, die für höchstens zwei Jahre gilt. In der Praxis vereiteln die Verfahrensdauer und die Unbestimmtheit der Auflagen die Werbung oft vollständig. Die Werbenden stehen in einem Zwiespalt. Einerseits sieht der Glücksspielstaatsvertrag (GlüStV) vor, dass „attraktive“ Werbung Spieler von unregulierten Angeboten zum legalen Glücksspielmarkt führt. Andererseits soll die Werbung keine spielanreizenden Botschaften enthalten. Auch die Gestaltung von Printwerbung ist mit erheblicher Rechtsunsicherheit verbunden.

Hervorzuheben sind auch von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) indizierte Werke. Diese dürfen in Medien, die Jugendlichen zugänglich sind, nicht beworben werden. Ein für westliche Demokratien außergewöhnlicher Eingriff ohne erkennbaren Nutzen, denn die deutsche Jugend ist nicht mehr oder weniger ‚verdorben‘ als die anderer Länder. Durch das Werbeverbot wird in der Praxis auch der Zugang für Erwachsene erschwert oder gar unmöglich gemacht. Viele ältere Indizierungen (etwa des Liedes „Claudia hat ´nen Schäferhund“ der Band Die Ärzte bis 2004, da es von Sex mit einem Tier handelt) sind aus heutiger Sicht nicht mehr nachvollziehbare Moralpanik-Reaktionen.

Die deutsche Politik sollte ihren Umgang mit der Werbung überdenken. Viele der bestehenden und geplanten Gesetze sind von einem trüben Menschenbild und einem antidemokratischen Geist geprägt und schränken Meinungsfreiheit wie unternehmerische Freiheit ohne feststellbaren Nutzen für die Gesellschaft ein. Sie beruhen oft eher auf den Vorurteilen abgehobener Sozialmilieus als auf wissenschaftlichen Erkenntnissen. Werbung hat keinen übernatürlichen Einfluss auf die Menschen. Statt auf immer mehr Regulierung sollten wir auf klassischen Verbraucherschutz und die ausgewogene (!) Vermittlung von Medienkompetenz, z.B. in der Schule, setzen.

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