01.11.2006

„Wer nicht wettet, hat schon verloren!“

Analyse von Stefan Chatrath

Plädoyer für eine Liberalisierung des Marktes für Sportwetten.

Falls Sie es noch nicht wussten, finden Sie jetzt den Warnhinweis auf Ihrem Tippschein: Wetten kann süchtig machen! Wie die Tabakindustrie ist nun auch der staatliche Sportwettenanbieter Oddset verpflichtet, aktiv auf die Suchtgefahren seines Angebots hinzuweisen. Wer seinen Tippschein ausfüllt, soll auf diese Weise – quasi en passant – für einen verantwortungsvollen Umgang mit dem Glücksspiel sensibilisiert werden.
Hintergrund ist das Sportwettenurteil des Bundesverfassungsgerichts (BVG) vom 28. März dieses Jahres, in dem die Richter zur folgenden Entscheidung kamen: Ein staatliches Monopol für Sportwetten ist nur dann verfassungskonform, wenn es konsequent am Ziel der Suchtbekämpfung ausgerichtet wird. Oddset hatte bis dahin – insbesondere mit Blick auf die Fußball-WM – aggressiv um neue Kunden geworben, u.a. mit Slogans wie „Wer nicht spielt, hat schon verloren“. Nach der Vorgabe aus Karlsruhe ist es damit nun erst einmal vorbei.
Nicht nur für Oddset hat sich mit dem BVG-Urteil einiges geändert: Mit dem Ziel, die Monopollösung durchzusetzen, gehen die Bundesländer strikt gegen die – bisher von ihnen geduldeten – privaten Sportwetten-Anbieter vor. Im August beispielsweise entzog das Bundesland Sachsen dem Unternehmen Bwin, dessen Deutschlandsitz im sächsischen Neugersdorf liegt, per Unterlassungsverfügung die Erlaubnis, Sportwetten in Deutschland zu vermarkten. Bwin erzielte im vergangenen Jahr mit Sportwetten einen Umsatz von etwa 800 Mio. Euro und ist damit noch vor Oddset die Nummer eins im deutschen Markt. Gegen die Unterlassungsverfügung hat das Unternehmen vor dem Verwaltungsgericht Dresden Einspruch eingelegt und darf vorerst, bis ein Urteil vorliegt, weiter aktiv sein.
 

„Die Suchtgefahr bei Sportwetten ist gering.“


Macht wetten süchtig?

Die Begründung für ein staatliches Sportwettenmonopol steht auf wackligen Beinen. Nach dem gegenwärtigen Stand der Forschung ist es zwar richtig, dass Glücksspiele wie Sportwetten zu krankhaftem Suchtverhalten führen können. Allerdings haben unterschiedliche Glücksspielformen auch ein unterschiedliches Suchtpotenzial. Erste Untersuchungen und internationale Erfahrungen deuten darauf hin, dass die Gefährlichkeit bei Sportwetten vergleichsweise gering ist, denn anders als bei den „klassischen“ Glücksspielen erfolgen der Spielabschluss, die Spieldurchführung und die Spielentscheidung bei der Sportwette nicht innerhalb weniger Minuten oder sogar Sekunden. Im Gegenteil: Zwischen dem Abschluss der Wette und der Entscheidung über Gewinn oder Verlust liegt ein erheblicher Zeitraum, sodass ausgeprägte psychotrope Wirkungen oder ein fortschreitendes Abtauchen aus der Alltagsrealität eher unwahrscheinlich sind. Mit Abstand die meisten Spieler in Deutschland mit problematischem Spielverhalten spielen an Automaten, die nach der Gewerbeordnung betrieben werden dürfen; an zweiter Position folgen Kasino-Glücksspiele. Bei beiden Spielformen folgt ein Spiel unmittelbar dem anderen, sodass ein Spieler innerhalb kurzer Zeit sehr viel Geld verlieren kann. In dieser Situation sind Spieler einer besonderen Gefahrenlage ausgesetzt, weil ihre Spielleidenschaft geradezu „angestachelt“ wird. Vergleichbares ist bei der Sportwette nicht zu erwarten. Auch das Bundesverfassungsgericht stellt in seinem Sportwettenurteil fest, dass nur ein verschwindend geringer Bruchteil der auf Sportereignisse Wettenden suchtgefährdet sei. Vielmehr sei davon auszugehen, dass Sportwetten für die große Mehrheit der Spieler einen reinen Erholungs- und Unterhaltungscharakter haben.
 

„Niemand käme auf die Idee, die Autoproduktion zu verstaatlichen, nur weil es ein paar notorische Raser gibt.“



Bleibt die Frage: Warum aber kann dann der Markt für Sportwetten nicht liberalisiert werden? Kein Politiker käme doch auf die Idee, die Autoproduktion zu verstaatlichen, nur weil es ein paar notorische Raser gibt, die sich und ihre Umwelt gefährden. Selbstverständlich muss es für Glücksspielsüchtige Hilfsangebote geben, aber das problematische Verhalten Einzelner rechtfertigt noch längst nicht die Verstaatlichung eines ganzen Wirtschaftssektors.
Problematisch ist des Weiteren das Verbraucherbild, das durch die Politik in diesem Zusammenhang kolportiert wird: Scheinbar glaubt man, der Verbraucher müsse durch den Staat vor sich selbst geschützt werden, weil er sonst die falschen Entscheidungen treffe – eine Ansicht, wie sie in der deutschen (Verbraucher-)Politik von heute wohl gang und gäbe ist. Anstatt auf den Marktmechanismus zu vertrauen, wird reguliert und verboten: Werbung zum Beispiel für Tabakwaren oder schnelle Autos, neue Technologien wie die Gentechnik oder unter Umständen gleich ein ganzer Markt wie im Fall der Sportwetten. Es ist eigentlich erstaunlich, wie wenig Widerstand sich in der Bevölkerung gegen diese „Verbraucherschutz“-Maßnahmen regt, sind sie doch eine Beleidigung für jeden Bürger, der – auch als Verbraucher – etwas auf seinen gesunden Menschenverstand hält.
Eine derartige Sicht, die den Verbraucher eher als Objekt denn als Subjekt begreift, ist zentral für die Begründung des Glücksspielmonopols in Deutschland. Sie findet deutlich ihren Niederschlag im Lotteriestaatsvertrag der Bundesländer, dem Vertrag, der den gesetzlichen Rahmen setzt für die Veranstaltung, Durchführung und gewerbliche Vermittlung von Glücksspielen in Deutschland. Die Monopollösung wird darin mit dem Ziel gerechtfertigt, den natürlichen, nicht zu unterdrückenden Spieltrieb der Bevölkerung – über die Bereitstellung eines eigenen Glücksspielangebots – in geordnete und überwachte Bahnen zu lenken und dadurch vor gewerblicher Ausbeutung zu schützen. Als Voraussetzung für den Regelungsbedarf wird also ein fest in der Natur des Menschen verankertes – mit anderen Worten: nicht vernunftmäßig zu kontrollierendes – Bedürfnis nach Glücksspielen angenommen, was eine restriktive Handhabung des Glücksspiels erfordere, weil die Gefahr einer sozialschädlichen Ausuferung bestehe. „Die“ Bevölkerung ist – aus Sicht der Politik – also nicht in der Lage, sich selbst in ihrer Spielleidenschaft zu kontrollieren, der Einzelne ist im Spiel sozusagen nicht mehr Herr seiner selbst und muss demzufolge von Vater Staat beschützt werden. Wie schon weiter oben dargelegt, entbehrt diese Argumentation für die Mehrzahl der Sportwetter jedoch jeglicher Grundlage.

Zock um Milliarden


Der Glücksspielmarkt ist äußerst lukrativ. Die Bundesländer nehmen jährlich mehr als acht Mrd. Euro ein. Häufig wird daher vermutet, dass die Bundesländer die Suchtbekämpfung nur als Begründung für die Verstaatlichung vorschieben, dass es ihnen aber eigentlich um fiskalische Interessen geht. Bedenkt man, wie aggressiv Oddset vor dem BVG-Urteil sein Angebot beworben hat, ist diese Vermutung wohl nicht ganz von der Hand zu weisen. Welcher Politiker will schon in Zeiten knapper Haushaltskassen eine solch sichere Einnahmequelle verlieren? Allerdings, auch diese Befürchtungen scheinen unbegründet zu sein – wie das Beispiel des englischen Marktes für Sportwetten zeigt. Dort fließt dem Staat nach der Liberalisierung durch Steuern mehr Geld zu als zuvor über das System des eigenen Monopolisten. Der jährliche Pro-Kopf-Einsatz für Sportwetten ist in England geradezu explodiert: Derzeit beträgt er laut einer internationalen Vergleichsstudie der Agentur MECN 600 US-Dollar, während es in Deutschland gerade einmal 33 US-Dollar sind.
Eine Öffnung des Sportwettenmarktes käme daher wohl auch dem deutschen Sport zugute. Zum einen durch die vermehrten Steuereinnahmen aus dem Wettgeschäft, an denen der Sport durch den Gesetzgeber prozentual beteiligt ist, zum anderen durch die Sponsoring-Engagements, die die Wettanbieter im Wettbewerb um ihre Kunden schließen müssten. Bwin beispielsweise investiert jährlich mehr als 25 Mio. Euro ins Sponsoring und ist derzeit u.a. Hauptsponsor des Fußballbundesligisten Werder Bremen.
Wie man es dreht und wendet: Vieles spricht für eine Liberalisierung des Wettmarktes. Nicht nur das vergleichsweise geringe Suchtpotenzial und die erwarteten Steuereinnahmen. Nach den Erfahrungen mit früheren Privatisierungen, zum Beispiel in der Telekommunikation, ist zu erwarten, dass eine Marktöffnung für die Verbraucher ganz generell von Vorteil sein dürfte. Durch den Wettbewerb verschiedener Wettanbieter um die Kunden wäre mit Preissenkungen, Innovationen und einer besseren Qualität des Angebots zu rechnen. Schon jetzt zeichnen sich die privaten Wettanbieter im Vergleich zu Oddset durch bessere Quotenvorgaben, ein umfangreicheres Spielangebot und kundenfreundliche Öffnungszeiten aus. Die Monopollösung jedenfalls ist nicht geeignet, die Nachfrage zu befriedigen – weder heute, noch in Zukunft. Schon jetzt wandert mangels Angebot ein Teil der Nachfrage ins Ausland ab oder weicht auf Schwarzmärkte aus. Bei einer weiteren Verknappung des Angebots würde dieser Anteil wohl noch deutlich steigen.

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