03.03.2014

Wer ist schuld an der Krise?

Kommentar von Frank Furedi

Der Westen hätte voraussehen müssen, dass seine Einmischung in der Ukraine eine russische Reaktion provozieren würde. Auch Dank der kopflosen Diplomatie der Europäischen Union steht das Land nun am Rand eines Krieges.

Nach weitgehender Medienberichterstattung wurden die westlichen Regierungen von der Geschwindigkeit der Entwicklungen in der Ukraine überrumpelt. Das ist nicht überraschend. Vor allem die Tatsache, dass westliche Politiker und ihre Berater vom raschen Verlauf des Konflikts auf der Krim überrascht sind, zeugt von ihrem geopolitischen Analphabetismus und der Seichtheit moderner westlicher Diplomatie. Jedem, mit auch nur ein wenig Verständnis der Geschichte und geopolitischen Lage Russlands, müsste einleuchten, dass das, was auf der Krim passiert, für Moskau genau so wichtig ist, wie das Geschehen in russischen Städten wie Rostow oder Wolgograd.

Jedem, der die westlichen Medien verfolgt, mag nachgesehen werden, wenn er meint, Russland sei eine aggressive und expansionistische Großmacht, die nur darauf wartet, ihre Nachbarstaaten zurückzuerobern. Tatsächlich hat sich Russland trotz gelegentlicher nationalistischer Posen seines Präsidenten Putin zu einer klassischen, defensiv orientierten Status-quo-Macht entwickelt. Seit dem Zerfall der Sowjetunion sind Russlands Macht und Einfluss geschwunden. Es ist bemüht, den Kaukasus im Griff zu halten und mit einer radikal-islamistischen Bewegung fertig zu werden, die viel bedrohlicher ist als alles, was westliche Gesellschaften herausfordert. An seiner Westfront fühlt sich Russland durch den politischen und kulturellen Druck Europas bedroht. Unter solchen Umständen ist es verständlich, dass ein großer Teil der russischen Elite den Eindruck hat, der Fortbestand ihrer Nation stehe auf dem Spiel.

„Stellen Sie sich vor, wie der Westen reagiert hätte, wenn Putin nach London gekommen wäre, um die Occupy-Aktivisten zu unterstützen. Das wäre als grober Eingriff in die inneren Angelegenheiten eines souveränen Staates gebrandmarkt worden.“

Die größte Leistung der westlichen und insbesondere der EU-Diplomatie in der Ukraine besteht darin, Russland weiter in die Defensive gedrängt zu haben. Russlands Intervention auf der Krim ist zumindest teilweise eine Reaktion darauf, was es als systematische Einmischung ausländischer Kräfte in der Ukraine wahrnimmt. Westliche Regierungen und NGOs haben Russland kontinuierlich für seine Einmischung in ukrainische Angelegenheiten kritisiert – aber Russland steht mit dieser Politik nicht alleine da. Die EU und Washington haben die Protestbewegung in Kiew lautstark unterstützt. Etliche prominente westliche Politiker, darunter der deutsche Außenminister, flogen nach Kiew um ihre Solidarität mit den Demonstranten zu bekunden. Wenn das keine Einmischung in ukrainische Angelegenheiten ist, was dann? Stellen Sie sich vor, Putin wäre nach London gekommen, um die Occupy-Aktivisten oder die Randalierer der Unruhen aus dem Jahr 2011 zu unterstützen? Das wäre als grober Eingriff in die inneren Angelegenheiten eines souveränen Staates gebrandmarkt worden.

Westliche Diplomaten scheinen sich ihrer Mitschuld an den Entwicklungen in der Ukraine überhaupt nicht bewusst zu sein. Sie haben die Protestbewegung zum Sturz der Janukowitsch-Regierung ermuntert, aber keinen Gedanken daran verschwendet, wie sich ein Regimewechsel auf die inneren Angelegenheiten sowohl der Ukraine als auch Russlands auswirken könnte. Im Besonderen haben sie nicht bedacht, wie ein politischer Konflikt sich möglicherweise in einen ethnischen, zwischen dem Osten und Westen der Ukraine, wandeln könnte. Außerdem haben sie nicht erwogen, dass sich ein interner politischer Konflikt in der Ukraine schnell zu einem externen Konflikt zwischen Russland und der Ukraine auswachsen würde.

Die kopflose Intervention des Westens in der Ukraine folgt dem gleichen desaströsen Muster wie die Versuche, Regimewechsel in Ländern wie Libyen und Syrien anzuzetteln. In allen Fällen haben westliche Interventionen recht überschaubare Konflikte so internationalisiert und intensiviert, dass sie zum Schluss ganze Regionen zu destabilisieren drohten. Aber natürlich ist die Krim nicht Syrien, und Russland ist eine weitaus gewaltigere Militärmacht als es Libyen unter Gaddafi je war. Jene, die Russland eine Lektion erteilen wollen, sollten verstehen, dass sie mit dem Feuer spielen.

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