01.07.2007

Wer hat Angst vor dicken Amis?

Analyse von Daniel Ben-Ami

Wer heute über beleibte Amerikaner herzieht, wettert letztlich gegen den Wohlstand.

Gälte es, Amerikaner mit einem Wort zu beschreiben, stünden die Chancen gut, dass dieses eine Wort „fett“ wäre. Amerikaner, so bekommen wir fortwährend zu hören, seien die fettesten Leute auf der ganzen Erde. Fettleibigkeit grassiere im Land. Im Vergleich zu anderen Nationen seien die Amerikaner nicht nur groß, sondern „extra-large“.
Dabei geht es nicht nur um die körperliche Verfassung. Natürlich gibt es eine große Debatte über übergewichtige Amerikaner – die aber am besten von Medizinern zu führen ist. Doch schaut man etwas genauer hin, zeigt sich schnell, dass es nicht in erster Linie um große Portionen und Speckfalten geht. Vielmehr ist Fettsucht zu einer Metapher für „Über-Konsum“ im allgemeineren Sinne geworden. Überfluss wird nicht nur für aus der Form geratene Körper, sondern für eine Gesellschaft verantwortlich gemacht, die insgesamt das gesunde Maß überschreitet.
In dem „Dokumentarfilm“ Super Size Me von Morgan Spurlock stopft sich der Regisseur und Hauptdarsteller vorgeblich einen Monat lang ausschließlich mit McDonald´s-Produkten voll. Schon in der ersten Minute ist die amerikanische Flagge im Bild. Die Stimme aus dem Off erklärt: „In den USA ist alles größer. Wir haben die größten Autos, die größten Häuser, die größten Firmen, das größte Essen und nicht zuletzt auch die größten Menschen. “
In seinem Buch Don’t Eat This Book macht Spurlock die Sache noch klarer: Im ersten Kapitel geht es darum, wie Amerika zur „größten Konsumkultur des Planeten“ geworden ist. [1] Er erzählt davon, wie „die Epidemie des Überkonsums, an der die Nation leidet, mit den Dingen beginnt, die wir in unseren Mund stecken.“ [2]
Andere populäre Bücher über Fettleibigkeit argumentieren ähnlich. Eric Schosser, der Autor von Fast Food Nation, beginnt mit den Worten: „Dies ist ein Buch über Fast Food, die Werte, für die es steht, und die Welt, die es geschaffen hat. Fast Food hat sich in Amerika als revolutionäre Kraft erwiesen. Ich interessiere mich dafür sowohl in Hinblick auf Fast Food als Ware und als Metapher.“ [3] Wie jedoch ein Big Mac oder Chicken McNugget Werte verkörpern oder gar eine Welt schaffen kann, wird nicht klar. Schlosser weist häufig darauf hin, solche Lebensmittel hätten geringen Nährwert, er schreibt ihnen dafür gerne unbegrenzte Macht zu, wenn es darum geht, die Gesellschaft zu beeinflussen.
Eine Verbindung zwischen Fettsucht und Konsum findet sich nicht nur in Büchern über zu dicke Amerikaner. Sie ist auch fester Bestandteil vieler Öko-Bücher. So lesen wir bei Jeremy Rifkin: „Das US-Bruttosozialprodukt dehnt sich aus wie unser Hüftumfang, aber unsere Lebensqualität wird immer geringer.“ [4] Clive Hamilton, ein Kritiker des Wirtschaftswachstums in Australien, spricht von übergewichtigen Menschen und meint, dass diese auf sehr konfrontative Weise zeigen, dass wir tatsächlich überkonsumieren. [5] Michael Moore geht auf das Thema in Stupid White Men nur am Rande ein, wenn er schreibt: „Wenn du und ich weniger essen und weniger trinken würden, würden wir ein bisschen länger leben.“ [6] Da er selbst erhebliche Körpermaße hat, dürfte das Thema für ihn ein bisschen schwierig sein. Dennoch kritisiert er Amerika dafür, auf einigen Gebieten die Nummer eins zu sein, etwa beim Verbrauch von Rindfleisch, Energie, Erdöl, Erdgas und Kalorien. [7]
Solche Argumente scheinen sowohl in den USA als auch im Ausland auf Resonanz zu stoßen. Der „Pew Global Attitudes Survey“, eine Meinungsumfrage in den USA und 16 weiteren Ländern, zeigt, dass die USA regelmäßig als gierig wahrgenommen werden. Diese Auffassung vertreten 67 Prozent der Holländer, 64 Prozent der Briten und 62 Prozent der Kanadier. Und noch bemerkenswerter: 70 Prozent der Amerikaner betrachten ihre Mitbürger als gierig. [8]
Obwohl die Diskussion um das Übergewicht der Amerikaner sehr umfänglich ist, lassen sich die wesentlichen Argumente der Kritiker auf einige simple Bestandteile reduzieren. Jedes dieser Argumente lässt sich hinterfragen, aber leider wird das Thema nur selten kritisch beleuchtet.

 

  • Überkonsum beschränkt sich nicht nur aufs Essen. Fettleibigkeit wird nur als deutlichster (weil sichtbarster) Ausdruck einer Gesellschaft dargestellt, die zu viele Ressourcen verbraucht.
  • Konsum gilt weithin als Problem. Dass er nicht glücklich macht, ist dabei nur das kleinste. Schlimmer ist, dass er zu Leid und Krankheiten führt. Im ihrem Bestseller Why Do People Hate America? schreiben Ziauddin Sardar und Merryl Wyn Davies, dass das Virus der amerikanischen Kultur und des amerikanischen Lebensstils sich so schnell vermehrt, weil es auf der Prämisse des Überflusses basiert und den Verlockungen des Wohlstandes. [9] Der später verfasste Dokumentarfilm und nachfolgende Bestseller über Wohlstand nannte sich diesem Schema folgend Affluenza (auf Deutsch etwa „Wohlstanditis“). [10]
  • Fressgier, so wird häufig gefordert, müsse wieder als Sünde anerkannt werden. Meistens wird nicht religiös, sondern eher säkular argumentiert, doch dies ändert nichts am Inhalt der Diskussion. Es wird gesagt, dass wir wieder eine Moral der Beschränkungen popularisieren müssten. Menschen sollen ermuntert werden, ihren Konsum einzuschränken – wenn nicht freiwillig, dann durch gesetzliche Verordnungen. In diesem Sinne soll auch die Werbung eingeschränkt werden, da diese die Kultur des Konsums fördere.


Diese Argumente sollen im Folgenden untersucht werden.

„Billige Nahrungsmittel sind eine wichtige historische Errungenschaft.“


Das Ende des Hungers
Das erste Argument basiert zum Teil auf Fakten. Es besteht in der Tat ein Zusammenhang zwischen Nahrungsmittelkonsum und dem Verbrauch von Ressourcen im Allgemeinen. Billige Nahrungsmittel sind in reichen Ländern weit verbreitet, und indem dies kritisiert wird, wird gleichzeitig der Wohlstand dieser Länder angegriffen. Mit anderen Worten: Die große Verbreitung von Nahrungsmitteln kann zu einer Metapher für einen starken Konsum im allgemeinen Sinn werden.
Aber die Kritiker von billigen Nahrungsmitteln vergessen, dass dies eine wichtige historische Errungenschaft ist. Die Menschheitsgeschichte zeichnet sich dadurch aus, dass wir ständig um Nahrung kämpfen mussten. Der Kampf gegen den Hunger war die Regel. In vielen Ländern der Dritten Welt ist dies nach wie vor der Fall. Die Weltbank schätzt, dass im Jahr 2002 etwa 815 Mio. Menschen ihren täglichen Kalorienbedarf nicht decken konnten. [11] Dass wir heute zumindest in den entwickelten Staaten den Hunger und die Nahrungsmittelknappheit überwunden haben, ist ein großer Fortschritt. Abgesehen davon, dass dies an sich schon gut ist, ermöglicht es uns Menschen auch, unsere Zeit mit anderen Dingen zu verbringen als mit dem schieren Kampf ums Überleben.
Dies bedeutet natürlich nicht, dass Fettleibigkeit nicht auch mit Problemen einhergehen kann. Es muss jedoch als ein Problem angesehen werden, dass nur aufgrund eines großen Erfolgs aufkommen konnte. Wir haben heute nicht nur mehr Nahrung, sondern auch bessere. Natürlich kann die Qualität unseres Essens in der Zukunft noch weiter gesteigert werden, und wir werden versuchen müssen, andere Probleme (wie z.B. unseren Bewegungsmangel) in den Griff zu bekommen. Dies sind jedoch, im Vergleich zu früher, als die Welt noch unter der Geißel des Hungers litt, kleine Probleme.

„Das Problem ist nicht zu viel Nahrung in den USA, sondern zu wenig in der Dritten Welt.“


Ist Konsum ein Problem?
Das zweite Argument, dass Konsum an sich schlecht sei, ist dagegen ganz und gar falsch. Im Gegenteil: Die Menschheit konnte vom Wirtschaftswachstum und dem hiermit einhergehenden Konsum enorm profitieren. So wurde es uns ermöglicht, ein längeres und gesünderes Leben zu leben als je zuvor. Mit wachsendem Konsum gingen enorme kulturelle Vorteile einher, weil Menschen über mehr Freizeit verfügten und sich nicht einzig ums Überleben kümmern mussten.
Konsumkritiker gehen fälschlicherweise davon aus, unsere Ressourcen seien begrenzt. Jeder Konsum muss, dieser eingeschränkten Betrachtung zufolge, auf Kosten einer anderen Gruppe gehen. Weil viele Menschen davon überzeugt sind, unsere Ressourcen neigten sich einem Ende zu, gewinnt dieses Argument an zusätzlicher Brisanz.
Essen ist das beste Beispiel dafür, dass dieses Argument so nicht haltbar ist. Nur weil Menschen in den USA wohlgenährt sind, kann man ihnen nicht vorwerfen, ihren Mitmenschen in Äthiopien oder im Sudan Nahrungsmittel vorzuenthalten. Es gibt keinen Grund, weshalb nicht jeder Mensch auf dieser Erde durch eine Produktionssteigerung (mehr Nahrungsmittelproduktion pro Kopf) genügend zu essen haben sollte. Das Problem ist nicht zu viel Nahrung in den USA, sondern zu wenig in der Dritten Welt. Ziel sollte es sein, den Konsum in ärmeren Ländern zu steigern, damit er den Stand der westlichen Welt erreicht. Stattdessen scheinen die Konsumkritiker den Verbrauch in den reichen Ländern senken zu wollen.
Was auf Nahrungsmittel zutrifft, gilt auch für andere Ressourcen. Es ist nicht der Fall, dass wir eine bestimmte, begrenzte Menge an Ressourcen haben, die wir umso schneller aufbrauchen, je reicher die Gesellschaft wird. Im Gegenteil: Je reicher wir werden, desto mehr Ressourcen stehen uns zur Verfügung. Der Steinzeitmensch oder sogar der Mensch des frühen 20. Jahrhunderts konnte z.B. noch keinen Nutzen aus Uran ziehen. Mit steigendem wirtschaftlichem Wachstum wurde es möglich, es als Energiequelle einzusetzen.
Eine wohlhabende Gesellschaft kann Ressourcen besser und effizienter nutzen als eine arme. Aus diesem Grund erwies sich das Argument der Weltuntergangsprediger, unsere Ressourcen neigten sich dem Ende zu (ein Argument, das übrigens in abgewandelter Form seit über 200 Jahren immer wieder aufkommt), als falsch.


Konsum und Glück
Die strittige Frage, ob Konsum unglücklich macht, lässt sich nicht eindeutig beantworten. Amerikanern geht es heute, dies lässt sich mit Sicherheit sagen, besser als je zuvor. Gregg Easterbrook vergleicht die heutige Zeit mit den goldenen 50er-Jahren: Fast alles ist heute, im realen Wert des Dollars gemessen, billiger als damals. Die Gesundheitsversorgung von damals ist Lichtjahre von dem entfernt, was wir heute haben, und drei Mal so viele Menschen schaffen heute ihren Schulabschluss. Hinzu kommt, dass der einfache Ethos der 50er-Jahre der schwarzen Bevölkerung das Wahlrecht vorenthielt und Frauen die Möglichkeit zu arbeiten. [12]
Ob die Menschen subjektiv glücklicher sind, ist eine komplexe Frage. In England gibt es Theoretiker wie Richard Layard, die meinen, Menschen könnten ab einem bestimmten Punkt nicht glücklicher werden, obwohl sie reicher seien. [13] Es wird auch oft davon ausgegangen, Amerikaner seien unglücklicher als Menschen in anderen entwickelten Ländern.
Es gibt aber Gründe, die gegen diese Sichtweise sprechen. Eine Meinungsumfrage durch „Harris Interactive“ wurde so zusammengefasst: „Insgesamt betrachtet, sind Amerikaner mit ihrem Leben sehr viel zufriedener und sehr viel bereiter zuzugeben, dass es sich verbessert hat und sich auch in Zukunft weiterhin verbessern wird, als die meisten Europäer.“[14] Die Umfrage hatte ergeben, dass 58 Prozent der Amerikaner im Zeitraum 2004 bis 2005 angegeben hatten, mit ihrem Leben zufrieden zu sein, in Westeuropa waren es dagegen nur 31 Prozent bei einer ähnlichen Umfrage der Europäischen Union. Nur die Dänen erwiesen sich mit 64 Prozent als noch glücklicher als die Amerikaner.
Andere Meinungsumfragen kamen zu abweichenden Ergebnissen. Doch selbst wenn wir davon ausgehen, in den USA bestünde ein verbreitetes Gefühl der Unzufriedenheit, so lässt sich hieraus nicht schließen, dass das Wirtschaftswachstum an sich etwas Schlechtes sei oder dass es besser wäre, es zu bremsen. Die objektiven Vorteile einer wachsenden Wirtschaft sollten klar sein. Das weit verbreitete Gefühl der Unzufriedenheit führt in der Tat zu interessanten Fragen über die amerikanische Gesellschaft und die entwickelte Welt im Allgemeinen. Vor allem sollten wir uns fragen, weshalb, trotz besserer Lebensumstände, Zukunftsängste so weit verbreitet sind. Indem sie einfach davon ausgehen, das Wirtschaftswachstum sei für die schlechte Stimmung verantwortlich, umgehen die Konsumkritiker schwierige Fragen, die die Verbreitung des sozialen Pessimismus in unserem Land betreffen. [15]


Den Konsum einschränken
Betrachten wir schließlich die Idee, unser Konsum sollte beschränkt werden. Der Ruf nach Beschränkungen ist ein zentraler Bestandteil der heutigen Politik, während man früher darüber nachdachte, wie man die Gesellschaft reicher machen könnte, damit jeder davon profitiere.
Die Debatte über das Essen und über Gesundheit ist eindeutig eine Metapher für den Ruf nach Konsumbeschränkung. Es dient dazu, das Argument, wir sollten weniger konsumieren, bildhaft zu unterstreichen. Gegessen werden sollte natürlich auch nur, was die Anti-Konsum-Lobby als gesunde Nahrung bezeichnet (kein „Junk Food“ also). Impliziert wird, dass der Konsum begrenzt werden müsse und dass wir „bewusst“ konsumieren sollen. Mit anderen Worten: Die Kampagne ist deutlich moralisch unterlegt. Diese Form der Konsumkritik wird nicht so sehr als moralisch empfunden und sehr ernst genommen, weil sie sich der Sprache der Medizin (es geht um unsere Gesundheit) bedient.
Es gibt akademische Vordenker, die Beschränkungstheorien entwickelt haben. Christopher Lasch, ein US-amerikanischer Sozialkritiker, hatte in seinem Werk The True and Only Heaven ein kohärentes Argument gegen Fortschritt entwickelt. Lasch, der eher der Linken zugeordnet wurde, kritisierte die Liberalen, weil sie nicht die positiven Aspekte der kleinbürgerlichen Kultur erkennen wollten: ihren moralischen Realismus, ihr Verständnis dafür, dass alles seinen Preis habe und dass sie die Grenzen respektierten und dem Fortschritt skeptisch gegenüberstünden. [16]
Argumente wie diese sind nicht auf die theoretische Sphäre beschränkt, sondern sie wurden auch von der Politik aufgegriffen. Ein Beispiel hierfür ist das Konzept der „nachhaltigen Entwicklung“, das von allen internationalen Organisationen und vielen nationalen Regierungen aufgegriffen wurde. Der Begriff drückt schon aus, dass es Grenzen gibt. Der wegweisende Brundtland-Bericht von 1987 definiert Nachhaltigkeit als eine Entwicklung, die den Bedürfnissen der heutigen Generation entspricht, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen. Der Bericht spricht weiterhin von Begrenzungen darin, unsere gegenwärtigen und zukünftigen Bedürfnisse zu befriedigen, die uns vom Stand der Technik sowie der gesellschaftlichen Organisation auferlegt werden. [17]
Im Leitpapier zur nachhaltigen Entwicklung, der Agenda 21, die 1992 auf der Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro vorgestellt wurde, wird diese Grundannahme der Begrenzung von Ressourcen noch deutlicher. Im Bericht wird gefordert, dass das Ziel der nachhaltigen Entwicklung und ein höherer Lebensstandard für alle Menschen erreicht werden solle. Es wird an alle Staaten appelliert, Produktionsverfahren und Konsumgewohnheiten, die nicht den Kriterien der Nachhaltigkeit entsprechen, einzustellen oder zu reduzieren. Auch sollten die Staaten eine angemessene Bevölkerungspolitik verfolgen. [18]


Die sündige Fressgier
Die Idee, den Konsum herunterzufahren, ist also Mainstream. Fresssucht wird auf subtile Art und Weise zur neuen Sünde erklärt. Dieser neue Sündenfall bezieht sich auf den Ressourcenverbrauch im weiteren Sinne. Die Notwendigkeit, Grenzen zu setzen, ist von der Politik dankend aufgegriffen worden. Viele würden zustimmen, wenn man sie fragte, ob der Konsum gedrosselt werden sollte. Sie würden vielleicht eine zu offen moralische Formulierung ablehnen, dem Grundsatz der Nachhaltigkeit aber zustimmen. Diese Ansichten sind unterdessen Teil einer „konventionellen Wahrheit“ geworden.
Diejenigen, die diese Meinung vertreten, sollten jedoch daran denken, dass noch sehr viel Anstrengung unternommen werden muss, um den weltweiten Konsum zu steigern. Dies wird vor allem in Hinblick auf die armen Länder deutlich. Der Weltbank zufolge lebten über eine Mrd. Menschen in extremer Armut (d.h. von weniger als einem US-Dollar pro Tag).
Doch selbst in der entwickelten Welt gibt es noch viel zu tun. Es wird z.B. viel über die sogenannte demografische Zeitbombe gesprochen. Die Renten der Zukunft, so heißt es, werden immer magerer ausfallen. Bei ausreichendem Wirtschaftswachstum und höherem Konsum gibt es jedoch keinen Grund, weshalb dieses Problem nicht gelöst werden sollte. Eine produktivere Wirtschaft ist der Schlüssel zur Lösung vieler als unüberwindbar dargestellter Probleme. [19]
Besonders irreführend ist die vermeintliche Zukunftsorientierung des Konzepts der nachhaltigen Entwicklung. Es geht fälschlicherweise davon aus, dass zukünftige Generationen davon profitieren, wenn wir heute den Konsum drosseln. In Wirklichkeit stimmt das Gegenteil: Wenn wir heute das Wirtschaftswachstum zurückfahren, werden zukünftige Generationen ärmer sein, als sie es ansonsten wären. Sie werden in einer schlechteren Lage sein, um ihre Probleme zu lösen und ein wohlhabendes Leben zu führen.
Bevor die Frage beantwortet wird, weshalb die Konsumfeindlichkeit so stark geworden ist, soll etwas über die Werbung angemerkt werden: Die Anti-Fett-Lobby hat die Fast-Food-Industrie zum Feind erklärt und in Großbritannien ein Werbeverbot für ihre Produkte – vor allem in Kinderprogrammen, Schulen usw. – durchgesetzt. Die Forderung nach Werbeverboten ist nicht neu. Bereits 1957 wurde in der amerikanischen Studie „The Hidden Persuaders“ gezeigt, wie die amerikanische Werbeindustrie das persönliche Verhalten von Menschen beeinflusst.[20] Im Unterschied zu heute wurde der Werbung jedoch keine so große Macht über die Gesellschaft zugesprochen. Heute spricht sich jeder gegen Werbung aus. Doch kaum einer kritisiert, auf welch elitären Annahmen die Anti-Werbekampagne beruht. Die Werbegegner scheinen von der sehr überheblich anmutenden Idee auszugehen, andere Menschen würden zum Konsum verlockt. In Wirklichkeit konsumieren die meisten Leute gerne, weil sie einfach einen höheren, bequemeren, schöneren Lebensstandard für sich und ihre Familie erreichen möchten. Hierin liegt der große Schwachpunkt der Anti-Konsumbewegung. Sie möchte Menschen dazu bewegen, ihren Konsum einzuschränken, aber aus nachvollziehbaren Gründen möchten die Menschen lieber reicher als ärmer sein.
Konsumkritik an sich ist nicht neu: Schon im 19. Jahrhundert prägte der amerikanische Soziologe Thorstein Veblen den Begriff „demonstrativer Konsum“.[21] Doch die argumentative Virulenz war noch nie so durchdringend wie heute. Seit den 70er-Jahren hat sich das Anti-Konsum-Denken aus einem Nischendasein (begrenzt auf die Sorgen einer Elite) zum Mainstream entwickelt. Gründe für diese Entwicklung gibt es viele, und um eine komplette Erklärung liefern zu können, bedarf es einer umfangreichen Untersuchung darüber, wie sich die Gesellschaft in den vergangenen Jahren verändert hat. Eine Schlüsselrolle kann sicherlich der Idee zugeschrieben werden, es gäbe keine Alternative zur Marktwirtschaft. Diese Einsicht hat sich in den vergangenen Jahren durchgesetzt. Die freie Marktwirtschaft gilt als einzige durchsetzbare und realistische Organisationsform unserer Gesellschaft. Auf politischer Ebene gibt es auch das, was Thomas Frank, ein liberaler Vordenker, als „die systematische Auslöschung des Ökonomischen“[22] bezeichnet. Damit möchte er sagen, dass unsere Gesellschaft zwar über Kulturfragen debattiert, nicht jedoch über die Ökonomie.
Verständlich wird dies in Hinblick auf den Konsum und die Produktion. Über Dinge, die der Sphäre des Konsums zugeordnet werden können, darf diskutiert werden. Dies beinhaltet nicht nur den Konsum als solchen, sondern auch alles, was hiermit in Zusammenhang steht (wie z.B. Marken). Dort, wo über Wirtschaft im weiteren Sinne diskutiert wird, liegt der Schwerpunkt der Debatte auf dem Konsum. Bereichen wie z.B. der Werbung, Markenartikeln oder dem Marketing wird eine übermäßige Bedeutung zugemessen.
Die Produktionssphäre wird dabei als fix angesehen – und zwar nicht, was die technischen Fragen der Herstellung betrifft, sondern vielmehr, was die Möglichkeit der Weiterentwicklung der Wirtschaft betrifft. Niemand glaubt daran, dass wir eine qualitativ bessere Ökonomie haben können. Das kreative Potenzial der Menschheit und die Möglichkeit, die Grenzen des Marktes zu überwinden, sind aus den Diskussionen verschwunden.
Die Konsequenz ist eine sehr einseitige Sicht der Menschheit. Dem Verbrauch von Ressourcen, so wichtig er ist, wird zu viel Gewicht beigemessen. Menschen werden als Parasiten betrachtet, die die natürlichen Ressourcen auffressen. Dabei wird die schöpferische Seite des Menschen, die Fähigkeit, soziale Missstände zu überwinden und eine produktivere Gesellschaft zu schaffen, herabgewürdigt. Im schlimmsten Fall wird das menschliche Vermögen, produktivere Gesellschaftsformen hervorzubringen, als Problem, als destruktives Charakteristikum unserer Spezies betrachtet.


Karikaturen des Wohlstands
Dies ist der Grund, weshalb dicke Amerikaner weithin gehasst werden. Übergewichtige Amerikaner erscheinen als Karikaturen des amerikanischen Wohlstandes. Sie sind die Personifizierung einer Gesellschaft, in der Knappheit zumindest an den Rand gedrängt wurde. Indem sie sich auf dicke Amerikaner einschießen, erklären Konsumkritiker zumindest implizit, dass alle Menschen weniger konsumieren sollten. Aus einer solchen Perspektive zielt ihre Forderung nach Gleichheit auf die Senkung des Lebensstandards der Reichen und nicht auf die Erhöhung des Lebensstandards der Armen. Unser Ziel sollte hingegen es sein, den Armen die Vorteile des Wohlstands der Reichen zu bringen. Der Lebensstandard in Ländern wie Äthiopien oder Niger sollte mindestens so hoch sein wie der in den USA heute. In diesem Sinne sollten wir alle danach streben, „dicke Amis“ zu werden.

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