05.01.2016

„Wer Gutes tut, soll belohnt werden können“

Interview mit Marcel Zuijderland

Das Transplantationsgesetz verbietet Organhandel. Wer einen Menschen durch eine Nierenspende rettet, sollte dafür aber eine Belohnung erhalten dürfen. Das meint der niederländische Philosoph und Medizinethiker Marcel Zuijderland im Gespräch mit Marco Visscher

Marco Visscher: Ein Niederländer musste sich dieses Jahr vor Gericht verantworten, weil er eine seiner Nieren im Interview für 50.000 Euro zum Kauf angeboten hatte. Nach dem Recht ist Organhandel strafbar, der Angeklagte wurde allerdings freigesprochen, da das Gericht nicht von einem ernst gemeinten Angebot ausging. [1] Herr Zuijderland, ist es für Sie vorstellbar, dass jemand seine Niere bei Ebay einstellt?

Marcel Zuijderland: Ja. Wir können über unseren Körper selbst verfügen, und wenn zwei willensfähige Individuen eine Vereinbarung zum gegenseitigen Nutzen treffen, steht dem aus meiner Sicht nicht entgegen.

Gesetzlich ist das verboten.

Das Gesetz beruht auf schwachen Argumenten. Und hält die Warteliste aufrecht. In den Niederlanden warten ungefähr 650 Menschen auf eine Niere [in Deutschland sogar überproportional deutlich mehr, nämlich ca. 8000, d. Red.]. Die Anzahl der Spenden reicht dafür nicht aus.

Wie wäre es mit einer Pflicht zur Organspende?

Das würde den Mangel nicht beheben. Die Zahl gehirntoter Patienten nimmt enorm ab. Das liegt an der gestiegenen Verkehrssicherheit, wodurch sich weit weniger Unfälle ereignen. Außerdem haben große Fortschritte bei der Neurochirurgie und Intensivmedizin dazu geführt, dass immer mehr Unfall- und Infarktopfer wieder gesunden. Hinzu kommt, dass Lebendspenden besser sind. Das hat nicht nur mit der medizinischen Hektik nach einem Autounfall zu tun, sondern auch mit dem Umstand, dass eine von einem Lebenden gespendete Niere doppelt so lange funktioniert wie eine nach dem Tod gespendete.

Die durchschnittliche Wartezeit auf eine geeignete Niere beträgt in den Niederlanden derzeit vier Jahre [in Deutschland sogar 6–7 Jahre, d. Red.]. In diesen Jahren geht es mit dem Patienten langsam bergab. Ein Viertel der Wartenden stirbt. Die Dialyse ersetzt nur 15 Prozent der Nierenfunktion und bringt eine drastische Einschränkung der Lebensqualität mit sich. Diese Menschen ließen sich mit einer Spenderniere retten.

„Die Anzahl der Spenden reicht nicht aus“

Aber bezahlte Nieren kommen für Sie auch in Frage?

Ja, das ist wie eine Belohnung. Wir finden es doch selbstverständlich, wenn ein Feuerwehrmann, der sein Leben riskiert, um Menschen in Not zu retten, eine Vergütung erhält. Hier zeigt sich eine gewisse Willkür: Das eine ist erlaubt und das andere verboten.

Werden so nicht arme Menschen, die nicht mehr weiterwissen, zur Abgabe einer Niere gezwungen?

Soldaten der niederländischen Armee, die sich freiwillig für einen Afghanistan-Einsatz gemeldet hatten, haben für ihre Bereitschaft ein paar tausend Euro bekommen. Hat sich da jemand über Zwang beschwert? Nein, es ist ganz normal, dass Menschen, die Gutes tun, für die Risiken, die sie dabei auf sich nehmen, belohnt werden. Das spricht also nicht gegen Vergütung, sondern gegen unfreiwillige Spenden. Diesem Problem kann man durch eine mehrmonatige Zeitspanne zwischen Anmeldung und Eingriff begegnet werden. Ratenzahlung ist auch eine Option, damit der Spender nicht zigtausende Euro auf einmal auf seinem Konto findet. Oder die Abrechnung erfolgt über das Steuersystem bzw. eine lebenslang kostenlose Krankenversicherung. Das sind alles Varianten, um den Verkauf von Organen aus akuter Not weniger attraktiv zu gestalten.

Auf einer Veranstaltung des Mises-Instituts, also vor Anhängern der freien Marktwirtschaft, haben Sie vor einiger Zeit zum Thema Organmarkt und Organhandel gesprochen und dabei die Belohnung in Euro formuliert.

Das stimmt. Wissen Sie, in der Gesellschaft stößt man bei gewinnbringendem Nierenverkauf auf viele moralische Widerstände. Die meisten Menschen wollen davon nichts wissen. Das muss auch nicht unbedingt sein: Um Unterstützer zu gewinnen, sollte man die Vergütung an den vorherrschenden moralischen Überzeugungen orientieren. Da liegt es nahe, andere Belohnungsarten in den Blick zu nehmen, die die Vorbehalte entkräften können.

„Einem Armen die Möglichkeit vorzuenthalten, seine Niere zu verkaufen, finde ich fast kriminell“

Haben Sie also Ihren grundsätzlichen, ultraliberalen Standpunkt aufgegeben?

Im Gegenteil. Unser Selbstverfügungsrecht und die Freiheit, Transaktionen zu vereinbaren, sind felsenfeste Prinzipien. Ich gehe sogar noch weiter: Einem Armen die Möglichkeit vorzuenthalten, seine Niere zu verkaufen, finde ich fast kriminell. Denn so nimmt man ihm die Chance, finanziell voranzukommen. Die Gesetzeslage muss verändert werden, aber der Gesetzgeber schielt nur auf die öffentliche Meinung. Und die Öffentlichkeit will nicht, dass wir unsere Organe im Schaufenster anbieten. Daher muss man pragmatisch sein, sonst geht das große Geschrei auf Nebenkriegsschauplätzen los.

Oft ist in diesem Zusammenhang von Horden von Indern die Rede, die Schlange stehen, um sich ihre Niere herausoperieren zu lassen.

So ist es – und das ist keine angenehme Vorstellung. Wir sollten zunächst die nationale Gesetzeslage verändern, danach vielleicht die auf europäischer Ebene. Wenn das erfolgt ist, müssen wir für unsere Nieren gar nicht mehr nach Indien. Ich will nicht verschweigen, dass es für mich einen faden Beigeschmack hat, den Menschen in Indien diese Möglichkeit des Geldverdienens vorzuenthalten. Aber hier bedürfen wir eines Transplantationssystems, das sowohl mit dem Spender als auch mit dem Empfänger verantwortlich umgeht. Das erfordert einen starken Staatsapparat mit geeigneter Kontrolle und medizinischer Überprüfung im Vorfeld sowie einer guten Nachsorge bei eventuellen Komplikationen. Wir brauchen ein System, wo Zwischenhändler nicht viel Geld abschöpfen können.

Solche Sicherheiten gibt es nicht überall auf der Welt. Die Weltgesundheitsorganisation geht davon aus, dass fünf bis zehn Prozent der Organtransplantationen auf dem Wege illegaler Transaktionen zustande kommen. Das spricht übrigens auch dafür, Vergütungen zu erlauben: Ein System bezahlter Organspenden mit geregelten Verfahren trifft den Schwarzmarkt mit all seinen Missständen.

Über was für eine Art Operation sprechen wir hier eigentlich?

Zur Entfernung der Niere erfolgt ein Schnitt von acht bis zehn Zentimetern an der Bauchseite oder eine Operation mit vier kleinen Löchern und danach einem Schnitt von ungefähr fünf Zentimetern am Schambein. Ein zwar heftiger Eingriff, aber keiner, der enorme Narben hinterlässt. Bei einer von 500 Operationen entstehen Komplikationen wie Blutungen, Blasenentzündung oder Thrombose. Mit geringer Wahrscheinlichkeit, in drei Fällen von 10.000, stirbt der Patient beim Entfernen der Niere.

„Bei Spenden zwischen Verwandten steht immer ein gewisses Maß an emotionalem Zwang im Raum“

Ist dieses Risiko nicht zu hoch, um es dem freien Markt zu überlassen?

Ach, es gibt Berufe mit weit höherer Sterbewahrscheinlichkeit: Holzfäller, Fischer, Polizisten, Soldaten. Aber niemand erwägt ernsthaft, diesen Leuten ihre Arbeit zu verbieten.

Als in den USA Geld für Blutspenden ausgelobt wurde, ging die Spendenbereitschaft derjenigen, die zuvor jahrelang kostenlos ihr Blut abgegeben hatten, deutlich zurück. Besteht dieses Risiko auch bei potentiellen Nierenspendern?

Das scheint mir unwahrscheinlich, und zwar aufgrund eines wichtigen Unterschieds: Blut spendet man immer anonym, bei Nierentransplantationen geht es zumeist um Spender aus Familie und Freundeskreis. Dem Altruismus kann man auf eine andere Weise entgegenkommen. Wer anonym spenden möchte – dabei handelt es sich nur um eine kleine Gruppe –, könnte z.B. die Belohnung einem gemeinnützigen Zweck seiner Wahl zugutekommen lassen.

Für welchen Betrag würden Sie Ihre Niere hergeben?

Vor Jahren habe ich noch gesagt: Für eine Million würde ich das machen. Jetzt, glaube ich, schon für 200.000 Euro, ich habe jetzt nämlich eine Hypothek abzuzahlen… Ach, wissen Sie, aus Altruismus würde ich das nicht tun, aber auch wenn ich derzeit für eine Vergütung plädiere, die nicht aus einer Geldsumme besteht, würde ich das dennoch nicht ausschließen wollen. Es ist nun einmal eine sehr gute Tat, mit der man jemanden retten kann.

Was, wenn wir beide Brüder wären und ich auf einer Warteliste für eine Niere stünde?

Wenn es ein System mit bezahlter Organspende gäbe, würde ich Sie bitten, sich erst auf dem Markt umzuschauen. Wenn das nicht funktionieren sollte, können Sie sie immer noch von mir erhalten. Man muss nämlich bedenken, dass bei Spenden zwischen Verwandten immer ein gewisses Maß an emotionalem Zwang und psychologischer Belastung im Raum steht. Ich wollte meinen Bruder nicht die Last auferlegen, sich schuldig zu fühlen, wenn er eine Prise Salz auf seine Kartoffeln gibt oder wenn er meine Niere abstoßen sollte. Der Weg zu einem Transplantationszentrum genießt für mich immer den Vorzug.

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