01.03.2009

Lasst uns alle Barrieren der Stammzellforschung einreißen!

Kommentar von Stuart Derbyshire

Eine kürzlich vorgenommene Luftröhrentransplantation zeigt das Potenzial der Stammzellmedizin und die Genialität menschlicher Zusammenarbeit. Darauf sollten wir bauen.

Noch vor einem Jahr konnte Claudia Castillo (30) nicht einmal mehr ein paar Treppenstufen nehmen, ohne völlig außer Atem zu geraten. Sie war weder fähig, zur Arbeit zu gehen, noch mit ihren Kindern zu spielen. Tuberkulose hatte ihren linken Atemweg völlig zerstört und damit auch die Sauerstoffzufuhr ihres linken Lungenflügels kollabieren lassen. Patienten mit einer solchen Krankheit mussten sich bisher zwangsläufig mit der Entfernung des betroffenen Lungenflügels abfinden – mit nur allzu negativen Auswirkungen auf Lebensqualität und Lebenserwartung.1

Ein alternativer Behandlungsansatz besteht darin, den Atemweg mit einem Spenderorgan wiederherzustellen. So kann die Entfernung des Lungenflügels vermieden werden, weil dieser über das Spenderorgan wieder im normalen Umfang mit Sauerstoff versorgt werden kann. Bisher ist diese Möglichkeit jedoch – mit Ausnahme schon beinahe hoffnungsloser Erkrankungen – vermieden worden, denn die Einpflanzung des Atemwegsorgans eines Spenders bedeutete immer auch die lebenslange Einnahme immunsuppressiver Medikamente, die das Immunsystem so beeinflussen, dass das fremde Organ nicht abgestoßen wird. Die lebenslange Einnahme solcher Medikamente bedeutet ein Leben mit sehr häufig auftretenden Infektionen, die selbst negative Auswirkungen auf Lebensqualität und Lebensdauer haben.

Im Fall von Claudia Castillo jedoch haben die Ärzte, Professor Paolo Macchiarini aus Barcelona und seine Kollegen aus Mailand und Bristol, das Problem der Abstoßungsreaktion gelöst: Sie entfernten von einem Stück der Luftröhre eines Organspenders die Zellen des Spenders so vollständig, dass nur noch ein Gerüst aus Collagen übrig blieb. Anschließend entnahmen sie Stammzellen aus Castillos Hüft-Knochenmark, dem gesunden Teil der Atemwege und der Nase, um hieraus Knorpelgewebe und neuen Zellen zu züchten. Mit diesem Knorpelgewebe und den neuen Zellen wurde schließlich das Collagengerüst des Organspenders in einem rotierenden Bioreaktor besiedelt. Das so entstandene biomanipulierte Luftröhrentransplantat wurde zugeschnitten und der zerstörte Teil von Castillos linkem Atemweg passgenau ersetzt. Vier Tage später unterschied sich das transplantierte Stück kaum noch vom natürlichen eigenen Gewebe der Patientin. Heute kann sie wieder Treppen steigen, mit ihren Kindern spielen und sich auf die Arbeit wie auf ein gesundes, normales Leben freuen.

Das Bemerkenswerteste an allem ist jedoch die Tatsache, dass Castillo bis heute keinerlei immunsuppressive Medikamente benötigt. Denn die aus ihren eigenen Stammzellen gewonnenen neuen Zellen, die auf das Spenderorgan übertragen worden waren, bewirkten, dass ihr Körper das Spenderorgan als sein eigenes akzeptiert und deshalb keine Immunabwehr in Gang setzt. Sicher handelt es sich hier nur um einen Einzelfall, und die Methoden mag man auch nicht so verallgemeinern können, dass man sie auf viele andere Patienten mit ihren spezifischen Problemen übertragen könnte. Außerdem besteht die Möglichkeit, dass das Spenderorgan doch noch abgestoßen wird oder seinen Dienst versagt. Dennoch ist es bemerkenswert, wie elegant das Problem der Abstoßungsreaktion vermieden wurde. Diese Fallstudie zeigt auf eindringliche und dramatische Weise die Potenziale der Stammzellmedizin und die Genialität menschlicher Zusammenarbeit.

Jetzt besteht die Möglichkeit, vielen anderen Patienten, die keine immunsuppressiven Medikamente nehmen können, durch die Bereitstellung entsprechend vorbereiteter Organe zu helfen. Allerdings löst dies nicht das Problem, dass die Zahl der Spender begrenzt ist, genauso wenig wie das Problem, dass nicht immer ein passendes Gerüst für ein Organ geschaffen werden kann. Die offensichtliche Lösung für diese Fragen liegt daher in den Technologien des Klonens und in der Nutzung von Tieren. Beim Klonen wird der Kern einer Patientenzelle in ein Ei einer Spenderin eingepflanzt, das daraufhin zu Wachstum und Teilung angeregt wird. Nach vielen solchen Teilungen entwickelt sich ein Embryo in einem Frühstadium, der Stammzellen enthält, die mit der DNA des Patienten nahezu identisch sind. Diese Stammzellen wiederum können dazu angeregt werden, beliebiges Körpergewebe zu bilden. Dieses kann – theoretisch – mit kleinen Stücken von Patientengewebe verknüpft werden und somit das Wachstum dieses Patientengewebes herbeiführen. So ist es möglich, beinahe aus dem Nichts vollständig neue Organe zu züchten, ohne dass ein Gerüst hierfür nötig wäre.

Ein alternativer Ansatz besteht darin, einem Patienten adulte Stammzellen zu entnehmen und aus diesen Gewebe auf einem aus einem Tier gewonnenen Gerüst zu erzeugen. Große Hoffnungen werden in diesem Zusammenhang z.B. damit verbunden, Schweineherzen für menschliche Patienten zu nutzen, aber diese Heterotransplantationen werden scheitern, wenn das Problem der Abstoßungsreaktion nicht gelöst wird. Gegenwärtig gibt es jedoch erhebliche Kontroversen sowohl über die Verwendung embryonaler Stammzellen als auch über die Nutzung von Tieren als Spendern. Die Möglichkeit, dass der neue US-Präsident Barack Obama die von George W. Bush vorgegebene Richtung der US-Stammzellforschung verändern könnte, hat dazu geführt, dass in diesem Zusammenhang über „eugenische Experimente am Menschen“ und das „Gesetz des Dschungels“ gesprochen wird.2 Bush hatte schon zu Beginn seiner Amtszeit die Stammzellforschung auf bestehende Zelllinien beschränkt. In der Zwischenzeit ist die Nutzung von Tieren als Spendern durch Verordnungen, die eine Paarung von transgenen Tieren verbieten, sowie durch überzogene Bedenken bezüglich der unerwünschten Übertragung von Viren auf Empfänger- bzw. Patientenzellen drastisch eingeschränkt worden.3

Diese Bedenken rücken die Absichten der medizinischen Forschung zu Unrecht in ein schlechtes Licht und lenken von dem ab, was der Beginn einer völlig neuen Ära regenerativer Medizin werden könnte. Wir leben nicht mehr in den 30er-Jahren des vorigen Jahrhunderts, und es gibt keinen Hin- oder gar Beweis dafür, dass die Technologie des Klonens für unmenschliche Zwecke mobilisiert werden wird. Während natürlich immer etwas schiefgehen kann, verstößt es jedoch auch gegen die Menschlichkeit und gegen jede Vernunft, das, was wir nicht wissen, als gleichrangig gegenüber dem einzustufen, was wir wissen. Obwohl während der zurückliegenden 15 Jahre spürbare Anstrengungen unternommen wurden, Beweise dafür zu finden, dass Viren durch Heterotransplantationen übertragen werden, liegen bis heute keine vor.4

Paolo Macchiarini und seine Kollegen haben gezeigt, welche Möglichkeiten aus unserer Fähigkeit, zu forschen und zu verstehen, erwachsen können. Doch auch die diese Errungenschaft ergänzende Arbeit mit embryonalen Stammzellen und Tieren als Spendern verschreibt sich ein und derselben Fähigkeit zur Vernunft: Wir sollten daher alle Möglichkeiten, die uns diese Forschung zur Verfügung stellt, entsprechend würdigen. Der dramatische Erfolg im Fall von Claudia Castillo lässt Umrisse einer humaneren Welt aufscheinen, in der Ignoranz die Menschen nicht zu frühzeitigem Tode verurteilt.

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