01.09.2008

Wer braucht politisch korrekte Fotos?

Kommentar von Hans Durrer

Hans Durrer über moderne, pseudo-differenzierende Spielarten der Zensur.

„Was wir über unsere Gesellschaft, ja, über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien“, schreibt Niklas Luhmann in Die Realität der Massenmedien. Und fährt fort: „Andererseits wissen wir so viel über die Massenmedien, dass wir diesen Quellen nicht trauen können. Wir wehren uns mit einem Manipulationsverdacht, der aber nicht zu nennenswerten Konsequenzen führt, da das den Massenmedien entnommene Wissen sich wie von selbst zu einem selbstverstärkenden Gefüge zusammenschließt. Man wird alles Wissen mit dem Vorzeichen des Bezweifelbaren versehen – und trotzdem darauf bauen, daran anschließen müssen.“

Was ich über die im April 2008 in Paris eröffnete Ausstellung „Les Parisiens sous l’occupation“ (Die Pariser während der Besatzung) weiß, weiß ich aus dem Internet und da vor allem von den Websites der International Herald Tribune und des Tagesanzeigers. Was weiß ich also? Dass die Ausstellung der 270 Farbfotos von André Zucca, die das Leben in der französischen Hauptstadt während der Besatzung der Nazis im Zweiten Weltkrieg zeigen, heftige Kontroversen ausgelöst hat. Die Tatsache, dass André Zucca die Fotos aufgenommen hat, als er für die Wehrmachtszeitschrift Signal arbeitete, habe dabei nicht im Zentrum des Disputs gestanden, schreibt die International Herald Tribune, sondern dass die Fotos gezeigt wurden, ohne sie in den historischen Kontext zu stellen. Der Tagesanzeiger berichtet hingegen, die Debatten seien dadurch ausgelöst worden, dass sich Besucher beschwerten, dass in der Ausstellung kein Hinweis auf Zuccas Auftraggeber zu finden sei. Wie auch immer – je mehr Websites ich konsultierte, desto unklarer wurde mir, was wirklich vorgefallen war. Doch eine Debatte gab’s, und sie hatte zur Folge, dass den Besuchern Informationen vermittelt wurden, die sie darauf hinwiesen, dass André Zucca ein unbeschwertes, heiteres Paris porträtiert habe. Und weiter: Zucca habe sich entschieden, ein Bild von Paris zu zeigen, das nicht beziehungsweise kaum die Realität der Besatzung und deren tragische Seiten zeige, also Warteschlangen vor Lebensmittelläden, das Zusammentreiben von Juden, Poster, die Exekutionen bekannt machen.

Man – zugegeben, ich rede von mir – greift sich an den Kopf. Man muss mir nicht sagen, dass ich ein „unbeschwertes, heiteres Paris“ vor Augen habe – meine Augen registrieren das, auch wenn es mir nicht gesagt wird. Ich bin auch durchaus imstande, mir ohne Anleitung Gedanken darüber zu machen, was der Fotograf nicht fotografiert hat (weshalb würde ich sonst in eine solche Ausstellung gehen?). Und nicht zuletzt ist mir auch ohne Aufklärung klar, dass diese Bilder unter die Rubrik Propaganda fallen. Mit anderen Worten, ich verstehe die „zu Recht heftigen Kontroversen“, die der Tagesanzeiger behauptet, so recht eigentlich überhaupt nicht. Wir leben damit, dass Militär- und Regierungszensoren, Redakteure und Fotoredakteure bestimmen, welche Fotos wir zu sehen bekommen. Einigen scheint das jedoch noch nicht genug Zensur. Sie sind der Auffassung, dass Fotos, Bildlegenden, Titel von Fotobüchern und von Fotoausstellungen die Welt so zu zeigen haben, wie sie sie sehen – sie trauen dem „common sense“ wenig zu. Womöglich nicht zu Unrecht, denn „common sense“ ist in der Tat nicht so „common“, wie der Ausdruck suggeriert. Doch anzunehmen, es gebe ihn überhaupt nicht, scheint doch etwas übertrieben.

Die Wächter der politischen Korrektheit scheinen sich neuerdings die Fotografie vorgenommen zu haben. Nicht, dass man den Fotografen (Frauen sind mitgemeint) in unseren ach so aufgeklärten Zeiten sagen würde, was sie aufnehmen dürfen und was nicht – sie dürfen fotografieren, was sie wollen. Doch mitreden wollen die neuen Zensoren darüber, wie das Fotografierte präsentiert wird. So hat der Historiker Jean-Pierre Azéma, der über Zucca geschrieben hat, der Zeitung Le Monde gesagt, man hätte die Ausstellung besser „Einige Pariser unter der Besatzung“ und nicht „‚Die‘ Pariser unter der Besatzung“ nennen sollen. Ähnlich lässt sich auch der in Berlin lebende Fotograf Akinbode Akinbiyi über Sebastião Salgados prächtigen Fotoband Africa (Taschen, Köln 2007) in der Berliner Zeitung vernehmen: „Mein Haupteinwand gegen dieses Buch besteht darin, wie der Fotograf Salgado den Namen Afrika vereinnahmt hat. Der Titel impliziert, es wäre ein Buch über Afrika. Aber für mich ist das ein sehr begrenzter Blick. Und total altmodisch. Salgado zeigt nur ländliche Gebiete, Hunger, Elend, Krieg, Flüchtlinge. Es ist eine sehr engstirnige Sicht auf Afrika. Man kann das machen, aber man darf es nicht generalisierend „Afrika“ nennen, meinetwegen „Elendes Afrika“ oder „Mein armes Afrika“. Man kann ja so recht eigentlich nur innerlich aufstöhnen ob solcher Pseudo-Differenziertheit. Glauben diese Herren ernsthaft, irgendwer bedürfe solch hanebüchener politisch korrekter Belehrung?

Wir besuchen Fotoausstellungen aus ganz verschiedenen Gründen – um unsere Sicht der Dinge bestätigt zu kriegen, aus Nostalgie, um Orte und Gegenstände wiederzuerkennen, um Neues zu lernen etc. –, doch wir gehen nicht ins Museum oder schauen uns Fotobände ohne jegliches Vorwissen an. Mit anderen Worten: Sich vorzustellen, dass jemand in die Pariser Ausstellung von Zuccas Bildern geht und hernach diese mit dem Eindruck verlässt, die deutsche Besatzung von 1940 bis 1944 sei eine fröhliche Sache gewesen – das ist schlicht absurd. Sollten Besucher jedoch mit dem Eindruck herauskommen, dass die Besatzung nicht nur aus Warteschlangen vor Lebensmittelläden, dem Zusammentreiben von Juden und aus Postern, die Exekutionen bekannt machen, bestand, dann wäre das eine gute Sache, nicht zuletzt, weil die Besatzung in der Tat auch bedeutete, was viele Bilder von Zucca zeigten. Denn – auch wenn wir selten davon hören – diejenigen, die nicht aktiv im Kriegsgeschehen stehen, schlecken auch in Kriegszeiten gelegentlich Eis , promenieren, sitzen in Cafés und fahren in die Ferien.

Weiter bemängelt der Tagesanzeiger: „Geradezu fahrlässig sorglos hat Jean Baronnet die Ausstellung kuratiert. Sie ist nicht thematisch geordnet, sondern lädt zu einem unbekümmerten Spaziergang durch die verschiedenen Stadtteile ein. Als nostalgische Ausschmückung sind neben den Fotos zeitgenössische Film- und Theaterplakate sowie Zigarettenreklamen drapiert. Mühelos hätte man auf Texttafeln einen auch politischen Kontext schaffen können, aber nicht einmal ein Exemplar des ‚Signal‘ ist ausgestellt.“ Sicher, das hätte man können. Doch wenn nun Monsieur Baronnet einmal einen anderen als den politischen Kontext hervorheben wollte? Darf er das etwa nicht? Nein, darf er nicht, wenn man denn das Beispiel der Pariser Ausstellung zum Maßstab nimmt. Man sollte das nicht tun. Man sollte sich solche Bevormundung verbieten. Auch weil Kontext, es muss betont werden, konstruiert, gemacht, fabriziert ist. Weshalb wir denn, wenn wir das Argument hören, Fotos müssten im Kontext gesehen werden (ich bestreite das nicht), fragen müssen: In wessen Kontext? Und: Verdient es dieser Kontext eigentlich, respektiert zu werden?

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