01.01.2006

Kinderschutz per Zensur?

Kommentar von Sabine Beppler-Spahl

Sabine Beppler-Spahl verteidigt das Recht auf freie Meinungsäußerung – auch, wenn es um unterschiedliche Auffassungen zum Thema Kindererziehung geht.

„Darf ein Staatsanwalt den Klaps in der Erziehung verteidigen?“ fragt der Berliner Tagesspiegel seine Leser aus aktuellem Anlass. Gegen Hansjürgen Karge, Generalstaatsanwalt beim Berliner Landgericht und Chef der größten deutschen Anklagebehörde, wurde im November Strafanzeige gestellt. Er hatte bei einer kleinen Veranstaltung der lokalen CDU in Berlin-Zehlendorf verkündet, dass für ihn der Klaps ein probates Erziehungsmittel sei. Karge war als Experte zum Thema Jugendkriminalität geladen. „Ich will ja nicht die Prügelstrafe wieder einführen – aber einen Klaps lasse ich mir nicht verbieten“, war eines der Zitate, das am folgenden Tag durch die Presse geisterte und für Aufruhr sorgte. „Wenn ich sehe, wie kleine Kinder im Kaufhaus ihre Mütter terrorisieren – ich muss da immer meine Hände festhalten“, war der zweite viel zitierte Satz.

Die Berliner Justizsenatorin Karin Schubert forderte umgehend eine schriftliche Stellungnahme von Karge. Die Strafanzeige wegen des Verdachts der öffentlichen Aufforderung zu Straftaten stellte der Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, Rechtsanwalt Volker Ratzmann: „Ein Aufruf zu einer Körperverletzung ist ein Aufruf zu einer Straftat“, begründete dieser sein Vorgehen. Auch ein Klaps sei in Deutschland seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung verboten. Nun ist ein Generalstaatsanwalt wahrlich kein Sympathieträger. Mit seinen Äußerungen zum Klaps wollte Karge seine Zugehörigkeit zur alten, konservativ verknöcherten Front gegen die 68er-Bewegung, („gegen die ich schon immer war“), zum Ausdruck bringen. Doch angesichts einer Gegnerschaft, die offensichtlich keinerlei Toleranz für abweichende Meinungen aufbringen kann und zudem Richter und Staatsanwälte zu Wächtern über die Kindererziehung machen möchte, wird selbst er zu einem Opfer unseres heutigen autoritären Zeitgeistes.


Ein Klaps für alle Eltern
Die Verabschiedung des Gesetzes zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung im Jahr 2000 war kein Ausdruck progressiven Gedankenguts in Deutschland, sondern spiegelt das tiefe Misstrauen der Kinderschutzlobbyisten gegen große Teile der Elternschaft wider. Mütter und Väter, die bei der Erziehung ihrer Kinder zu mehr als nur den so genannten „weichen“ Strafen greifen, müssen seither selber mit einer Strafe rechnen und laufen Gefahr, in die gleiche Ecke gestellt zu werden wie Kindesmisshandler. Eltern wird mit dem Gesetz die Fähigkeit abgesprochen, ihre Schützlinge ohne den wachsamen Blick des Gesetzgebers adäquat bestrafen zu können. Das Hauptziel der Kampagne für das Gesetz gegen körperliche Züchtigung war der Schutz der Kinder vor ihren eigenen Eltern.
Wenn von dem Gesetz gegen Ächtung der Gewalt in der Erziehung die Rede ist, entsteht der Eindruck, die Front der Kinderschutzlobbyisten habe es mit einer außerordentlich starken Gegnerschaft zu tun. In Wirklichkeit gibt es nur sehr wenige, die bereit wären, den Klaps – oder gar andere Formen der körperlichen Züchtigung – öffentlich zu verteidigen (vielleicht stürzt man sich gerade deshalb so eifrig auf den Generalstaatsanwalt Karge?). Dennoch weisen zahlreiche Studien darauf hin, dass die meisten Eltern ihren Kindern gelegentlich einen Klaps oder sogar eine Ohrfeige geben.
Mit der Verankerung des Rechts des Kindes auf eine gewaltfreie Erziehung im Bürgerlichen Gesetzbuch sollten Eltern in die Defensive gedrängt werden. Viele Gesetzesbefürworter wiesen zwar den Vorwurf, eine Mehrheit der Elternschaft würde kriminalisiert, von sich: Nicht die richterliche Bestrafung von Müttern und Vätern, sondern die Eindämmung von Gewalt sei ihr Ziel. Tatsächlich wurden seit Einführung des Gesetzes nur einige, wenige Eltern, die ihren Kindern in der Öffentlichkeit einen Klaps gaben, zu einer Geldstrafe verurteilt. Doch neben der Frage, ob eine Bestrafung durch ein Gericht wegen eines Klapses überhaupt sinnvoll ist, sollten wir klären, welche Auswirkungen das Gesetz auf den Rest der Elternschaft hat.

Fest steht, dass die Verunsicherung der Erziehenden deutlich zugenommen hat, denn nicht nur der Klaps, sondern auch andere Maßnahmen zur Durchsetzung elterlicher Autorität werden von den Kinderschutzveteranen abgelehnt. Im Zuge der Debatte über die Äußerungen Karges wurde darauf hingewiesen, dass auch andere Strafen (wie z.B. das Anschreien oder der Liebesentzug) verboten seien. Einige Kommentatoren spekulierten sogar darüber, ob diese Ausdrücke „elterlicher Gewalt“ nicht vielleicht noch schädlicher seien als der Klaps. Hinter der Kampagne zur Ächtung der Gewalt verbirgt sich die tiefe Animosität vieler Kinderrechtler gegen die von ihnen als autoritär empfundenen Erziehungsstile. Ihr Engagement gegen den Klaps ist eng mit dem Ziel verbunden, jeden Ausdruck elterlicher Autorität zu unterbinden. Daher auch ihr Argument, Kinder müssten die gleichen Rechte haben wie Erwachsene.

Doch diese Einstellung hat tief greifende Konsequenzen für das Verständnis von Erziehung. Das Verhältnis von einem Erwachsenen zu seinen Kindern ist zwangsläufig anders als sein Verhältnis zu anderen Erwachsenen. Eltern müssen ihren Willen gegenüber dem Kind durchsetzen (beim Schlafen, Waschen, Popoabwischen, Hausaufgabenmachen usw.). Bestrafungen sind dabei nur eine von vielen Manifestationen elterlicher Dominanz. Die implizite Botschaft der Gesetzesbefürworter ist jedoch, dass wir davon absehen sollten, unseren Kindern unseren Willen aufzuzwingen, um stattdessen mit ihnen zu verhandeln wie mit vernünftigen Erwachsenen. Die Folge ist, dass Eltern zunehmend davor zurückschrecken, sich ihren Kindern gegenüber durchzusetzen. Ihnen wird nicht nur das selbstständige Urteilsvermögen bei der Erziehung abgesprochen, sondern auch ihr Recht, ihre Kinder zu lenken und zu bestrafen. Spätestens seit dem gesetzlich sanktionierten Siegeszug der Klapsgegner müssen sie ein schlechtes Gewissen haben, wenn sie mehr als nur sanfte Worte wählen, um ihren Kindern Grenzen zu setzen.
 

„Der gelegentliche Klaps hat bei einer überwiegend harmonischen Eltern-Kind-Beziehung keine negative Auswirkung für das Kind.“



Dogmatische Kinderschützer
Kinderschützer behaupten immer wieder, es gäbe wissenschaftliche Beweise dafür, dass ein Klaps bei einem Kind bleibende Schäden hinterlassen könne. Kinder, die elterlicher Gewalt ausgesetzt seien, so ihre Botschaft, neigten später selber zur Gewalt. Es gibt sehr viele gute Gründe, die gegen den Klaps in der Erziehung sprechen. Diese lassen sich jedoch nicht mit der Wissenschaft begründen. Trotz zahlreicher Studien konnte bisher kein Wissenschaftler einen eindeutigen Nachweis für einen kausalen Zusammenhang zwischen erzieherischen Klapsen und negativen Verhaltensweisen bei Kindern erbringen.

Selbst der amerikanische Soziologe Murray Strauss, auf dessen Untersuchungen sich viele Gesetzesbefürworter berufen, musste einräumen, dass seine – unter Wissenschaftlern heftig umstrittenen Untersuchungen – ernste methodische Schwächen aufwiesen und dass seine ablehnende Haltung gegenüber dem „Klaps“ mehr auf moralischen Überzeugungen denn auf wissenschaftlichen Fakten basierte. Der von vielen Klapsgegnern ersehnte wissenschaftliche Nachweis steht bisher noch aus, weil die Auswirkungen von Erziehungsstilen variabel sind. Sie sind abhängig von zahlreichen Einflussfaktoren wie z.B. dem Eltern-Kind-Verhältnis sowie dem sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Umfeld einer Familie.

Die bekannte amerikanische Entwicklungspsychologin Diana Baumrind beschreibt den so genannten autoritativen Erziehungsstil und kommt zu dem Schluss, dass autoritative Eltern ihren Kindern ein hohes Maß an emotionaler Wärme, Wertschätzung und Unterstützung entgegenbringen. Auch der gelegentliche Klaps habe bei einer überwiegend harmonischen Eltern-Kind-Beziehung keine negative Auswirkung für das Kind. Anders als die dogmatischen Klapsgegner schafft es Baumrind, aus dem einfachen Gut-und-Böse-Schema auszubrechen. Sie sieht die verschiedenen Maßnahmen der Disziplinierung nicht losgelöst von einem größeren Zusammenhang (und spricht somit auch dem Klaps kein Eigenleben zu, wie es die Klapsgegner häufig tun). Kinder, so Baumrind, nähmen Strafen unterschiedlich wahr. In einer warmen, liebevollen Beziehung könnten Kinder anders mit der elterlichen Autorität umgehen (und einen gelegentlichen Klaps besser einordnen und verstehen) als in anderen Situationen. Jede Bestrafung kann unvorhersehbare, negative Auswirkungen haben. Dies hat jedoch mehr mit den allgemeinen Lebensumständen des Kindes zu tun als mit der Form der Strafe. Aus diesem Grund wissen Eltern am besten, ob, wie und wann sie ihre Kinder disziplinieren sollten.
 

„Das Recht unbequemer Querdenker, ihre Meinung öffentlich zu äußern, auch wenn diese auf allgemeine Ablehnung stoßen, ist der zentrale Grundpfeiler einer liberalen Gesellschaft.“



Für die freie Meinungsäußerung!
Zu der dogmatisch bevormundenden Haltung der Klapsgegner passt die Strafanzeige gegen Hansjürgen Karge. Wer die Macht der Legislative nutzt, um die eigenen Vorstellungen zu Erziehung durchzusetzen, unterbindet eine offene, rationale, gesellschaftliche Diskussion. Das Recht unbequemer Querdenker, ihre Meinung in der Öffentlichkeit frei zu äußern, auch – und gerade – wenn diese auf allgemeine Ablehnung stoßen, ist der zentrale Grundpfeiler einer liberalen Gesellschaft. Der Linguist Noam Chomsky sagte einst, dass, wenn wir nicht an die Freiheit des Wortes für diejenigen glaubten, die wir verachteten, wir auch nicht an die freie Meinungsäußerung glauben könnten. Dabei geht es jedoch nicht nur um das Recht auf freie Meinungsäußerung für den Einzelnen, sondern um uns alle.
Wer eine Meinung unterbindet, hindert den Rest der Gesellschaft daran, diese zu hören. Statt uns die Entscheidungsfreiheit zu überlassen, was wir hören und über was wir diskutieren möchten, wollen selbsternannte Kinderschützer – ganz nach alter Blockwartmentalität – bestimmen, was für unsere Ohren geeignet ist. Anders ausgedrückt: Wir Eltern werden als zu dumm betrachtet, um uns unsere eigene Meinung zu bilden. Dieser Logik zufolge müssen wir vor den Worten Hansjürgen Karges geschützt werden, da wir andernfalls kaum davon abgehalten werden könnten, unsere Kinder zu verprügeln und zu misshandeln.

Es ist mehr als fraglich, ob die Äußerungen Karges als Aufruf zur Gewalt gewertet werden können. Es ist jedoch mit Sicherheit eine Beleidigung für die große Mehrheit der Eltern, wenn angenommen wird, sie könne nur durch Zensur und Zwang zu vernünftigem Handeln gegenüber ihren Kindern bewegt werden. Darf ein Generalstaatsanwalt also den Klaps verteidigen? Natürlich darf er. Ob Staatsanwalt oder Klapsgegner: Wir werden unsere Kinder so erziehen, wie wir es für richtig halten.

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