01.11.2001

Wenn Hilfe keine Hilfe ist

Kommentar von Kirk Leech

Wie das Anti-Tuberkulose-Programm der WHO an der Not vorbeigeht.

In Europa spielt Tuberkulose trotz einiger neuer Ausbrüche in letzter Zeit kaum eine Rolle. In den Entwicklungsländern fordert die Erkrankung nach wie vor Millionen von Menschenleben. Dabei würde eine sechs Monate dauernde medikamentöse Behandlung, die lediglich zehn Dollar kostet, in der Regel genügen, um die Betroffenen zu heilen. Tatsächlich sind die westlichen Pharmakonzerne sogar bereit, die Medikamente verbilligt für 60 bis 90 Prozent des Marktpreises anzubieten. Doch auch dies reicht nicht aus, um wirkliche Fortschritte im Kampf gegen TB zu machen; die Kosten sind nicht der Kern des Problems.

Bei den Medikamenten handelt es sich um so genannte „second line“-Antibiotika, die schon denkbar billig angeboten werden. Doch die Behandlung ist sehr kompliziert: Eine Kombination von zehn und mehr unterschiedlichen Tabletten muss zu genau definierten Zeiten in einem streng einzuhaltenden Tagesablauf eingenommen werden. Mit leeren Mägen und ausgemergelten Körpern harmonieren diese Mittel jedoch nicht besonders gut. In Ländern wie Indien werden diese Behandlungen oft nicht in der erforderlichen Weise bis zum Ende durchgeführt, weil sich die Patienten dies einfach nicht leisten können. Die Folge: Es breiten sich dort mehr und mehr resistente Erreger aus.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) versucht, dieser Problematik mit einer Maßnahme namens DOTS („Direct Observed Treatment Short Course“, zu deutsch: Überwachte Kurzbehandlung) zu begegnen. Die Medikamenteneinnahme wird von Krankenhauspersonal überwacht, um sicher zu stellen, dass sie korrekt und bis zum Ende erfolgt. In New York oder London mag so etwas ganz gut funktionieren; sehr viel schwieriger ist dies jedoch in Indien, wo mehr als 70 Prozent der Bevölkerung in isolierten ländlichen Gebieten leben.

Der Kampf gegen TB erfordert mehr als billige Medikamente und komplizierte Behandlungspläne. Dringend bedarf es vielmehr eines lokalen Gesundheitssystems.

Nach dem, was ich in Indien erlebt habe, kann ich nur sagen: Der Kampf gegen die Krankheit erfordert mehr als billige Medikamente und komplizierte Behandlungspläne. Dringend bedarf es vielmehr eines lokalen Gesundheitssystems. Ohne ein solches wird sich die Krankheit nicht aufhalten lassen.

Nach einer konservativen Schätzung sind in Indien vier bis fünf von tausend Menschen an TB erkrankt. Das sind mindestens hundertmal so viele wie in Europa oder Nordamerika. In Indien wohnen 16 Prozent der Weltbevölkerung, aber 33 Prozent aller TB-Kranken. Von 7,5 Millionen Kranken stirbt etwa jeder Siebte.

Ich traf Himmatbhai Baria, der, begleitet von seinem Sohn, per Bus in dem Dorf Mangrol in Gujarat eintraf, um in die Klinik gebracht zu werden. Diese Klinik wird von der Organisation ARCH-Vahini betrieben, die sich in den ärmsten und entlegensten Regionen von Gujarat um die medizinische und soziale Versorgung der Menschen bemüht. Sein Sohn wollte ihn bei der Klinik anmelden, doch als sie eintrafen, starb Himmatbhai, nachdem beide Lungenflügel versagten.

Die beiden hatten drei Stunden benötigt und mussten dreimal den Bus wechseln, um die 80 Kilometer zwischen ihrem Heimatdorf und Mangrol zurückzulegen und die Klinik zu erreichen. Eine andere Familie hatte einen 150 Kilometer langen Fußmarsch hinter sich, als sie eintraf. Ihr zweijähriger Sohn überlebte zwar, doch seine beiden Beine blieben als Folge der Krankheit gelähmt.

Tuberkulose führt, ähnlich wie Lepra, zu einer sozialen Stigmatisierung. Die Krankheit ist ansteckend, grausam und ein Zeichen von Armut. Die Mykobakterien befallen zunächst die Lungen und später auch weitere Teile des Körpers. Wenn ein Kranker hustet, wird der Inhalt seiner Lungen fein zerstäubt etwa einen Meter weit herausgeschleudert. Die ersten Symptome sind Schmerzen in der Brust und manchmal Fieber. Sie wirken oft wenig beunruhigend und werden erst nach Wochen als Zeichen von TB erkannt. So besteht in den Dörfern natürlich eine hohe Ansteckungsgefahr, da die Leute nicht genau wissen oder nicht wollen, dass andere wissen, dass sie erkrankt sind.

ARCH gibt die TB-Medikamente kostenlos ab. Keine staatliche Klinik in der Region tut dies. Dort erhält man nur ein Rezept, die Medikamente müssen aber bezahlt werden, was sich viele nicht leisten können. Die staatlichen Kliniken sind selbst so schlecht mit Medikamenten versorgt, dass manchmal während der Behandlung von einer Medikamentenkombination zu einer anderen gewechselt werden muss, was wiederum die Herausbildung neuer, resistenter Stämme begünstigt.

Auch bei der Arbeit von ARCH zeigen sich die Probleme, mit denen die staatlichen Kliniken zu kämpfen haben: Die Bakterien entwickeln Resistenzen gegen zwei oder mehr der genutzten Antibiotika. Die unzureichende Einhaltung der Behandlungspläne verstärkt das Problem. Betroffene verheimlichen ihre Krankheit aus Angst vor Stigmatisierung. Sie nehmen die Medikamente, solange sie in der Klinik sind, hören aber auf, wenn sie in ihre Dörfer zurückgekehrt sind. Und da es in den ländlichen Gebieten, wo ARCH arbeitet, praktisch keine Einrichtungen der staatlichen Gesundheitsversorgung gibt, hat die Organisation auch von dieser Seite keine Unterstützung.

ARCH hat mit verschiedenen Ansätzen versucht, dem Problem der Nichteinhaltung der Behandlungspläne zu begegnen. Es werden Schulungen für die Patienten durchgeführt, bei denen mit Hilfe von Postern gezeigt wird, was passiert, wenn die Lungen befallen sind, wie sich die Krankheit ausbreitet und weshalb eine vollständige Behandlung unablässig ist. ARCH hat auch versucht, die Wege von den Dörfern zu den Kliniken zu verkürzen, und es wurde ein Pfand eingeführt, das nur derjenige zurückerhält, der die Behandlung bis zum Ende durchführt. Schließlich wurden sogar von Patienten, die mehrmals abgebrochen hatten, Strafgebühren verlangt.

Trotz all dieser Bemühungen schließen in Mangrol nur etwa 50 Prozent der Patienten die Behandlung tatsächlich ab. Die DOTS-Methode der WHO ist nach Einschätzung von ARCH Wunschdenken. Obwohl das DOTS-Programm in Indien ausgeweitet wurde, wird es nur in 20 Prozent des Landes angewandt.

So kann man sich viele innovative Ansätze ausdenken, um TB in den Griff zu bekommen. Angesichts des fundamentalen Problems eines nicht existenten Gesundheitssystems werden sie alle nur wenig Aussicht auf Erfolg haben. Diagnose und Behandlung muss in weit größerem Ausmaß angeboten werden müssen, als dies Organisationen wie ARCH leisten können.

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