01.07.2000
“Wenn die Politik ausbleibt, verschwindet die Hoffnung”
Essay von Sabine Beppler-Spahl
Deutschland wolle sich verstärkt um den schwarzen Kontinent kümmern, verkündete Außenminister Joschka Fischer während seines Afrikabesuchs. Doch die ”Realpolitik” lässt jegliche Perspektive für Afrika vermissen, meint Sabine Beppler.
Afrika ist ein Kontinent enttäuschter Hoffnungen. Das Durchschnittseinkommen der Entwicklungsländer insgesamt hat sich in den vergangenen 25 Jahren beinahe verdoppelt, die Bevölkerung vieler Staaten Asiens und Lateinamerikas lebt heute wesentlich gesünder, und die Lebenserwartung ist im gleichen Zeitraum um mehr als 10 Jahre gestiegen.Für Afrika gelten diese Zahlen nicht. Angesichts der mitunter positiven Entwicklungen in Indien, China, Südkorea, Costa Rica oder Argentinien drängt sich die Frage auf, was in afrikanischen Ländern schief läuft. Dort leben heute mehr als 45% der Bevölkerung unter der Armutsgrenze. Seit 1997 ist das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen vieler afrikanischer Staaten drastisch gesunken. Es erreicht heute nicht einmal mehr 75% des Standes von 1970.
Die Ursachen der Misere des schwarzen Kontinents sind umstritten. Einigkeit herrscht darüber, dass sie nur geklärt werden können, wenn regionale wie internationale Aspekte berücksichtigt werden. In der Fachwelt herrscht aber seit geraumer Zeit die Haltung vor, dass alte Denkmuster, die die Schuld vor allem im Westen suchen, überwunden werden müssen. ”Vor zwanzig Jahren galt jeder, der ein Land oder die Politik einer Regierung in Afrika kritisierte, als Neo-Kolonialist. Es ist an der Zeit, dass wir uns von den Vorstellungen alter Zeiten lösen”, hieß es neulich in der Sunday Times (18.8.2000).Im gleichen Tenor äußerte sich die Gattin des ehemaligen mosambikanischen Präsidenten Chissano angesichts der jüngsten Flutkatastrophe in Mosambik. Afrika müsse endlich lernen, sich selber zu helfen und nicht auf Hilfe von außen zu warten, erklärte sie vor Reportern.In der Tat: Afrika muss dazu bereit sein, Selbsthilfe zu leisten, und es ist wenig konstruktiv, bei der Suche nach den Ursachen der aktuellen Miseren immer nur auf das Erbe der Kolonialzeit zu verweisen. Aber welche Möglichkeiten bieten sich afrikanischen Staaten tatsächlich, mit Naturkatastrophen umzugehen oder konfliktpräventiv zu agieren? Ist es Afrikanern selbst zuzuschreiben, dass sie ihre Länder nach der Entkolonialisierung nicht emanzipieren und entwickeln konnten? Die aktuelle Diskussion über den Krisenherd Afrika verschiebt den Fokus klar in diese Richtung und führt daher zu einer bedenklichen Verengung des Horizonts.Aktuelle Konflikte in Afrika haben immer auch eine starke internationale Komponente, und man wird bei der Konfliktanalyse nicht umhin kommen festzustellen, dass Staaten wie die USA oder solche in Westeuropa immer noch sehr unmittelbar in Konflikte verstrickt sind.
Die internationale westliche Diplomatie unterstützt offen oder manchmal auch hinter den Kulissen auserwählte afrikanische Präsidenten oder Kriegsparteien. Seit Jahren ist man zudem wieder darum bemüht, die Wirtschaftsentwicklung einzelner afrikanischer Staaten sehr rigide zu dirigieren – z.B. durch an Zielvorgaben gekoppelte Kredite oder durch Vorschriften über die Organisation der nationalen Budgets. Abertausende von ausländischen Beratern sind heute in afrikanischen Staaten angesiedelt.Aus diesem Grund kann sich die westliche Politik bei der Frage, was in Afrika schief läuft, nicht vornehm aus der Verantwortung stehlen. Die internationale Diplomatie ist kein unbeteiligter Beobachter, wie sie es allzu oft vorgibt. Das erklärt wohl auch, warum bei den in Europa und den USA geführten Debatten über die afrikanische Krise immer auch ein gewisses Maß Selbstkritik und Unsicherheit mitschwingt. Man scheint verzweifelt ob der anhaltenden Zuspitzung der Lage in vielen Gebieten Afrikas, aber gleichzeitig ist der Glaube an die Wirksamkeit eigener positiver Einflussnahme stark erschüttert.
Der wirtschaftliche und politische Zerfallsprozess Afrikas hat in jedem Land unterschiedliche Ursachen. Allerdings lässt sich überall ersehen, dass sich regionale Ereignisse nicht isoliert von der Weltpolitik ereignen. Selbst Sierra Leone, ein kaum noch als solcher zu bezeichnender Staat, der seit vielen Jahren von einem unüberschaubaren Bürgerkrieg zerrissen wird, war Ziel zahlreicher politischer und diplomatischer Aktivitäten. Der jetzige Präsident Sierra Leones konnte sich 1998 nur mit direkter Militärhilfe aus England an die Macht zurück putschen. Die englische Regierung griff mit öffentlichen Geldern Söldnergruppen wie Sandline International unter die Arme und unterstützte zudem den Einmarsch nigerianischer Truppen in die Hauptstadt Freetown finanziell und logistisch. Zurzeit befindet sich eine etwa 1000 Mann starke britische Armeeeinheit in Sierra Leone. Sie kontrolliert den internationalen Flughafen. Als es 1999 zu Friedensverhandlungen zwischen den Rebellen und der Regierung des Landes kam, waren Berater aus England und den USA präsent.
Auch im Krieg zwischen Äthiopien und Eritrea, der dieses Jahr für Schlagzeilen sorgte, kann man dem westlichen Ausland eine klare Mitverantwortung zusprechen. Die Abspaltung Eritreas von Äthiopien im Jahre 1993 erfolgte mit dem Segen und nach aktiver Verhandlungsführerschaft des US-amerikanischen Außenministeriums. Als Folge der Unabhängigkeit Eritreas verlor Äthiopien jeden direkten Zugang zu wichtigen Handelshäfen. Und Eritrea, dessen Wirtschaft eng mit der Äthiopiens verflochten ist (67% seiner Exporte und ein Großteil seiner Importe tätigte das Land mit der Nachbarregion), sah sich nunmehr von einem fremden Staat abhängig. Schon Anfang der 90er-Jahre warnten daher Beobachter vor einer Eskalation der Spannungen zwischen beiden Teilen des Landes.
Entscheidend ist, dass sowohl Äthiopien als auch Eritrea seit Anfang der 90er-Jahre militärische Unterstützung aus Italien, Israel und den USA erhielten. Beide Länder waren Empfänger großer Waffenlieferungen. 1999 gab Eritrea 80 Mio. US-Dollar und Äthiopien 127 Mio. US-Dollar für die Landesverteidigung aus. Die Armeen beider Staaten wurden zudem von den oben genannten ”Gönnerstaaten” ausgebildet. Der Grund für dieses Engagement war der Sudan, ein Erzfeind der USA und direktes Nachbarland von Eritrea und Äthiopien. Der Sudan sollte isoliert und von einem Bollwerk freundschaftlich gesonnener Staaten umgeben werden. Die Aufrüstung der Region hatte jedoch deren Destabilisierung zur Folge. So kam es wegen ungeklärter Territorialfragen auch fast zu einem Krieg zwischen Eritrea und dem Jemen.Es wäre sicher zu kurz gegriffen zu behaupten, das westliche Ausland sei alleinig für den anhaltenden Kriegs- und Krisenzustand am Horn von Afrika verantwortlich. Dennoch kann nicht geleugnet werden, dass seine Politik maßgeblich zur Destabilisierung beitrug. Auch in anderen Regionen Afrikas, die sich in einem Zustand dauerhaften Krieges befinden – z.B. in Zentralafrika (Demokratische Republik Kongo) – hat die internationale Diplomatie erheblichen Schaden angerichtet. Im Kongo konnte sich seit der Machtübernahme Kabilas kein Frieden einstellen. Der Krieg hat sich unterdessen auf vier Staaten ausgeweitet.
“Vor dem Hintergrund wirtschaftlicher Stagnation konnten sich in den meisten Ländern Afrikas nur sehr schwache Regierungen etablieren, die oft mit brachialen Methoden herrschen.”
Bei der Klärung der Verantwortung für die Krisen in Afrika muss sich der Blick auch auf die lokalen Akteure richten. Zahlreiche Missstände, die für einen fernen Beobachter unverständlich erscheinen, sind angesichts der dramatischen Lage vor Ort erklärbar, wenn auch nicht entschuldbar. Vor dem Hintergrund wirtschaftlicher Stagnation konnten sich in den meisten Ländern Afrikas nur sehr schwache Regierungen etablieren, die oft mit brachialen Methoden herrschen. In noch viel stärkerem Maße als in europäischen Ländern fehlt es Machthabern in Afrika an Legitimität. Zudem kann in einer ohnehin instabilen Lage jede politische Fehlentscheidung verheerende Auswirkungen haben.
Ein Exempel hierfür ist Simbabwe. Die Vertreibung und Ermordung von einigen Farmern und deren Arbeitskräften ist ein Resultat tiefgreifender struktureller Missstände im Lande. Es wäre unzureichend und naiv, den aktuellen Konflikt um Landbesitz allein der Politik des Präsidenten Mugabe zuzuschreiben. Simbabwe gilt als das Symbol enttäuschter Hoffnungen in Afrika. Nach der Unabhängigkeit des Landes und einem Befreiungskrieg, der über 30.000 Menschenleben kostete, blieb das Wirtschaftswachstum aus. Die Unabhängigkeit kam zeitgleich mit dem Einsetzen einer tiefen ökonomischen Krise, die viele Entwicklungsländer in den Ruin trieb. Heute liegt die Arbeitslosenquote in Simbabwe bei über 45%, die durchschnittliche Lebenserwartung beträgt knapp 39 Jahre, und die jährliche Inflation liegt bei mehr als 50%. Diese desolate Lage birgt große Konfliktpotentiale. So kam es bereits 1997 zu Aufständen wegen der miserablen Nahrungsmittelversorgung.
Dass Mugabe die Frage der Landverteilung nun zu Wahlkampfzwecken thematisierte und die Situation dadurch eskalierte, ist unbestreitbar. Die Aufstachelung unzufriedener Wählerschichten war ein Spiel mit dem Feuer. Doch die populistischen Äußerungen Mugabes konnten nur im Schatten einer dramatischen Wirtschaftskrise eine solche Dynamik erhalten. Auch der direkte Nachbar Simbabwes, Sambia, leidet seit Jahren unter wirtschaftlicher Depression.
“Seit 1997 verzeichnet fast jedes afrikanische Land ein wachsendes Handelsbilanzdefizit, und der Anteil Afrikas am Welthandel schrumpft beständig.”
Die große Armut und die ausweglos erscheinende wirtschaftliche Lage Afrikas ist eine der größten Herausforderungen der Weltöffentlichkeit. Es ist daher befremdlich, dass hierüber im von der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) im Auftrag des Bundesentwicklungsministerium (BMZ) gestalteten Afrika-Pavillon auf der EXPO 2000 so gut wie nichts zu hören ist.
Seit 1997 verzeichnet fast jedes afrikanische Land ein wachsendes Handelsbilanzdefizit und der Anteil Afrikas am Welthandel schrumpft beständig. Langfristig angelegte Direktinvestitionen aus dem Ausland hat es in den letzten Jahren kaum noch gegeben. Eine ernsthafte Afrikapolitik muss versuchen, die Grundlage für soziale Stabilität in afrikanischen Ländern zu schaffen, und hierzu gehört vor allem die Sicherstellung eines angemessenen Wirtschaftswachstums. Doch dieser Aufgabenstellung stehen ausländische Berater und Politiker hilflos gegenüber. Sie reden anscheinend auch aus diesem Grund lieber über ihre ”Vision” einer nachhaltigen Entwicklung.
Angesichts der verheerenden Zustände in den Ländern südlich der Sahara mehren sich heute die Stimmen derer, die die traditionelle, auf wirtschaftliche Entwicklung ausgerichtete Afrikapolitik des Westens als gescheitert bezeichnen. Das Problem ist jedoch, dass es an neuen fortschrittlichen Lösungsansätzen fehlt. Die Diskussion zielt zusehends darauf ab, Afrika die vom Westen einst wie jetzt maßgeblich mitverschuldete Misere in die Schuhe zu schieben und sich aus der Verantwortung für den wirtschaftlichen Aufbau herauszustehlen.
In einem Bericht des Generalsekretärs der Vereinten Nationen vom April 1998 mit dem Titel ”Konfliktursachen und die Förderung dauerhaften Friedens und einer nachhaltigen Entwicklung in Afrika” ist zu lesen, dass die grundlegende Strategie zur Herbeiführung nachhaltiger Entwicklung durch wirtschaftliches Wachstum zwar als allgemein akzeptiert gilt. Gleichzeitig bietet das Papier aber keinerlei Visionen, wie ein solches Wirtschaftswachstum erreicht werden kann. Es wird konstatiert, dass die ”langfristigen internationalen Hilfsprogramme für Afrika die Entwicklungsziele verfehlt” hätten (S.22). Gefordert werden aber als Alternative lediglich Maßnahmen zur Schuldenerleichterung, die ohnehin längst gang und gäbe sind. Auch wenn hierdurch afrikanischen Ländern eine gewisse Last genommen wird, reichen solche Maßnahmen bei weitem nicht, um die Wirtschaft anzukurbeln. Konkrete Vorschläge für aussichtsreiche strukturelle und wirtschaftliche Reformen fehlen.In einer Ansprache vor einem Kongress der Organisation Africa Confidential im April dieses Jahres gab K.Y. Amoako, Exekutivdirektor der UN-Wirtschaftskommission für Afrika, zu bedenken, dass auch in den nächsten 15 Jahren kein signifikantes Wirtschaftswachstum in den Ländern Afrikas zu erwarten sei. ”Das Ziel, die Armut in Afrika bis zum Jahr 2015 um die Hälfte zu reduzieren, würde ein jährliches Wirtschaftswachstum von mindestens 8% voraussetzen”, sagte er, und er ergänzte: ”Dies ist für die meisten Staaten Afrikas unrealistisch. Aktuelle Prognosen zielen darauf ab, dass sich Armut in Zukunft in noch stärkerem Maße auf Afrika konzentrieren wird”.
“Die Afrikapolitik der Vereinten Nationen und der westlichen Staaten beschränkt sich heute fast nur noch auf Krisenbegrenzung.”
Wirtschaftliche Entwicklungsstrategien fehlen ganz offensichtlich, obwohl nicht nur die Geschichte des schwarzen Kontinents zeigt, dass auch demokratische Verhältnisse und der Respekt von Staatsbürgerrechten einen funktionsfähigen Staat und ein gewisses Maß an gesellschaftlicher Kohärenz voraussetzen. Ohne die notwendigen materiellen Rahmenbedingungen aber lassen sich solche Bedingungen für einen anhaltenden gesellschaftlichen Fortschritt nicht schaffen.
Die Afrikapolitik der Vereinten Nationen und der westlichen Staaten beschränkt sich heute fast nur noch auf Krisenbegrenzung. Es geht dabei primär um die Bereitstellung von Hilfspaketen für die Ärmsten. Solche Notprogramme mögen notwendig und sinnvoll sein, aber eine Perspektive für die Verbesserung der Lage bieten sie nicht. Destruktive Formen nimmt die Politik der Krisenbegrenzung unweigerlich dann ein, wenn mit militärischen und massiven politischen Interventionen lokale Spannungen unterbunden werden sollen. Allerdings mehren sich auch die Stimmen derer, die diese traditionelle Interventionspolitik als gescheitert und sinnlos betrachten.
Noch nie war im Westen die Perspektivlosigkeit bei der Formulierung einer tatsächlich oder angeblich fortschrittlichen Afrikapolitik so ausgeprägt wie heute. Der schwarze Kontinent ist nach wie vor stark auf ökonomische Impulse von den Industriestaaten angewiesen. Doch davon fehlt jede Spur.