25.05.2022

„Wen kümmert es, wenn Miami unter Wasser steht?“

Von Thilo Spahl

Ein Banker traut sich, das Klimarettungsgehabe seiner Branche in Frage zu stellen.

Auf einer Veranstaltung der Financial Times in der letzten Woche mit dem Titel „Moral Money Summit Europe" erlaubte sich der „globale Leiter für verantwortungsbewusstes Investieren“ bei der Großbank HSBC Asset Management, Stuart Kirk, das große Gehabe rund um die Klimakatastrophe, das inzwischen auch bei den Banken zum guten Ton gehört, in Frage zu stellen. Damit verstieß er offenbar sehr bewusst gegen ungeschrieben Regeln.

„Ich habe schon viele Präsentationen von ESG-Verantwortlichen (Umwelt, Soziales und Unternehmensführung) in Unternehmen gesehen. Solche Präsentationen sind in der Regel platt und konzentrieren sich darauf, die Realität oder den Eindruck eines verantwortungsvollen Unternehmensverhaltens zu vermitteln – in der Regel, um bestehende Kunden glücklich zu machen oder neue Kunden zu gewinnen", beschreibt der Umweltwissenschaftler Roger Pielke Jr., was eigentlich von Stuart erwartet wurde.  

Doch darauf hatte der wohl keine Lust. In der Rede mit dem Titel „Warum sich Investoren keine Sorgen über das Klimarisiko machen müssen“ sagte Stuart, in seiner 25-jährigen Karriere in der Finanzbranche habe es „immer irgendwelche Spinner gegeben, die mir vom Ende der Welt erzählten." Was ihn daran vor allem störe, sei die Menge an Arbeit, die diese Leute ihm aufbürdeten. Er habe genug andere Probleme. Die HSBC werde „von Krypto angegriffen. Wir haben Regulierungsbehörden in den USA, die versuchen, uns zu stoppen, wir haben das Problem mit China. Wir haben eine drohende Immobilienkrise, wir haben steigende Zinssätze, wir haben eine kommende Inflation. Und mir wird ständig erzählt, ich solle mich mit etwas beschäftigen, das in 20 oder 30 Jahren passieren wird."

Er fragte: „Wen kümmert es, wenn Miami in 100 Jahren sechs Meter unter Wasser steht? Amsterdam steht schon seit Ewigkeiten sechs Meter unter Wasser, und das ist ein wirklich schöner Ort. Wir werden damit fertig.“ Er hätte ergänzen können, dass der Meeresspiegelanstieg bis zum Ende des Jahrhunderts eher bei 60 Zentimeter liegen dürfte, als bei sechs Meter. Wenn es hoch kommt! Der IPCC geht aktuell, global betrachtet, von einem Anstieg um 29-59 Zentimeter aus. Der Anstieg in Miami Beach beträgt im Moment durchschnittlich 2,38 mm pro Jahr. (Aber was wäre das für ein Zitat gewesen: „Wen kümmert es, wenn Miami in 100 Jahren 24 Zentimeter unter Wasser steht?" Und natürlich liegt auch nicht ganz Miami auf Höhe des aktuellen Meeresspiegels.)

„Es wird keine Katastrophe geben, es geht nicht ums Überleben. Es geht darum, dass wir in Zukunft, wenn es wärmer wird, etwas mehr Geld ausgeben werden müssen, um uns an das veränderte Klima anzupassen.“

Kirk hinterfragte auch die Motive derjenigen, die in der Finanzbranche Alarm wegen der Klimakrise geschlagen haben, darunter der ehemalige Gouverneur der Bank of England, Mark Carney, den er auf einer Folie mit dem Titel „Unbegründete, schrille, parteiische, eigennützige, apokalyptische Warnungen sind IMMER falsch“ zitierte. Er sagte: „Ich verstehe vollkommen, dass man am Ende seiner Zentralbankkarriere noch viele, viele Jahre zu füllen hat. Man muss etwas sagen, man muss um die Welt zu Konferenzen fliegen, man muss den anderen übertrumpfen, aber ich habe das Gefühl, dass das ein bisschen aus dem Ruder läuft. Das ständige Erinnern, dass wir verloren sind! Das ständige Erinnern, dass in ein paar Jahrzehnten alles vorbei sei! Und, wie Sharon sagte, wir nicht überleben werden. Aber keiner von Euch ist aus dem Saal gelaufen, die meisten haben nicht einmal von Ihren Smartphones aufgeblickt bei der Ankündigung des Nicht-Überlebens. Es ist inzwischen alles so übertrieben, dass keiner mehr weiß, wie er noch irgendwie Aufmerksamkeit bekommen kann." (Er bezog sich auf Sharon Thorne, Chair of the Deloitte Global Board, und ihren Vortrag „Business leadership and climate change - moving from ambition to action“.)

Die Realität sehe, auch nach Angaben des Weltklimarats IPCC, anders aus. Es wird keine Katastrophe geben, es geht nicht ums Überleben. Es geht darum, dass wir in Zukunft, wenn es wärmer wird, etwas mehr Geld ausgeben werden müssen, um uns an das veränderte Klima anzupassen. Die aktuellen Prognosen gehen von einem um 2,6 Prozent verringerten BIP im Jahr 2100 aus, wenn wir das 1,5-Grad-Ziel verfehlen und bei satten 3,5 Gard Erwärmung landen würden. Aber was seien 2,6 oder seinetwegen auch 5 Prozent im Vergleich zu dem bis dahin zu erwartenden Wachstums von 500 bis 1000 Prozent? Es sei komplett irrelevant. Menschen seien großartig darin, sich an Veränderungen anzupassen und daran werde sich auch in Zukunft nichts ändern. Ein großes Problem sei, dass man viel zu viel Geld für „Klimaschutz“ ausgebe und zu wenig für Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel.

Er verwies auch darauf, wie klimabezogene Finanzmodelle der Zentralbank manipuliert werden, um das gewünschte Ergebnis zu erzielen. Damit bei den Stresstests für Banken enorme Risiken des Klimawandels herauskommen, wurden einfach gigantische Zinsen als Faktor eingebaut. Insbesondere das Gerede von den großen Risiken, die der Klimawandel für die Banken bringe, bezeichnete er als Unsinn. Für das eigene Geschäft sei der Klimawandel komplett irrelevant und die obsessive Beschäftigung damit unangemessen. „Was glauben die Leute, wie lange die durchschnittliche Kreditlaufzeit bei einer großen Bank wie der unseren ist", fragte er. „Sie beträgt sechs Jahre. Was mit dem Planeten im siebten Jahr passiert, ist für unser Kreditbuch eigentlich irrelevant.“

„Damit bei den Stresstests für Banken enorme Risiken des Klimawandels herauskommen, wurden einfach gigantische Zinsen als Faktor eingebaut."

Selbstverständlich meldete sich nach der Konferenz sofort sein Chef zu Wort. Nicolas Moreau, CEO von HSBC AM, erklärte, die Äußerungen Kirks spiegelten „in keiner Weise die Ansichten von HSBC Asset Management oder der HSBC-Gruppe wider". Man habe „sich verpflichtet, den Übergang zu einer nachhaltigen Weltwirtschaft voranzutreiben.“ HSBC betrachte „den Klimawandel als eine der schwerwiegendsten Notsituationen, mit denen unser Planet konfrontiert ist, und setzt sich dafür ein, ihre Kunden bei ihrem Übergang zu einer nachhaltigen Zukunft zu unterstützen, und ist wie HSBC Asset Management bestrebt, bis 2050 einen Netto-Nullverbrauch zu erreichen."

Die Politikerin und ehemalige Generalsekretärin des Sekretariats der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (UNFCCC), Christiana Figueres, schrieb auf Twitter: Abscheuliche Unverschämtheit des globalen Leiters für „verantwortungsvolles" Investieren von @HSBC AM. Dass sich @HSBC von Äußerungen distanziert, ist nicht genug. Feuern Sie Stuart Kirk und nehmen Sie eine verantwortungsvolle Position zum #Klimawandel ein!"

Und so geschah es dann auch. Drei Tage später vermeldete BBC: „HSBC hat Berichten zufolge einen leitenden Angestellten suspendiert, der Zentralbanker und andere Beamte beschuldigte, die finanziellen Risiken des Klimawandels zu übertreiben."

Es gab aber auch Zustimmung. Sony Kapoor, Professor für Klima, Geo-Ökonomie und Finanzen am European University Institute (EUI), schrieb: „Die Leute schimpfen über #HSBC's Head of Responsible Investing für seine Kommentare auf dem @ftmoralmoney Gipfel. Aber ich applaudiere ihm für den Mut zu sagen, was 98 % der Leute in der Finanzwelt denken und tun, selbst wenn sie Lippenbekenntnisse zu #NetZero & #ClimateChange abgeben.“

Es wird Zeit, dass sich unter den 98 Prozent ein paar weitere mutige Banker finden. Vielleicht können sich ja mal die zwei zu Wort melden, die sich getraut haben, nach dem Vortrag Kirks zu klatschen.

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